Di/Mi 05./6. Apr 2018
die nacht haben wir hinter einem kleinen dorf einige Dutzen Kilometer vor der türkisch-griechischen grenze auf einer wiese neben dem feldweg verbracht.

… wie man doch feuchte wiese, ein bischen feuchten matsch und eine wirklich geringfügige steigung unterschätzen kann. wir frühstücken in aller ruhe und machen bulli grenztauglich. das heißt, daß alles verräterische, wie computer, bücher, schriftliches material (binas notizbuch z.b.), kurdische halstücher in der grube verschwinden und türkischer sowie griechischer reiseführer und landkarten offen deponiert werden. voller vorfreude, es bald nach griechenland geschafft zu haben, starten wir bulli und der kleine scheitert am rutschigen und nicht sehr steilen untergrund. zum glück kommt ein trecker aus dem dorf auf seinem weg zur feldarbeit des weges und zieht bulli netterweise auf den feldweg. wir bedanken uns mit einer großen packung helva (einer art marzipan) und fahren durch das dorf zurück zur grenze.



dann ist endlich der grenzfluß nach griechenland in sicht. wir haben ein bischen bauchgrimmen und werden ganz still. was jetzt wohl auf uns zukommt? werden die soldaten bulli durchsuchen? und wie genau? müssen wir detaillierte fragen beantworten? was ist, wenn beim einlesen der pässe doch offenbar wird, wo wir waren? schließlich wurden die ausweise regelmäßig gescannt und photographiert.
es passiert…nichts! die pässe werden gescannt, mit unseren gesichtern abgeglichen, die sonnig aus dem auto heraus den grenzer anlächeln, sie kriegen ihren ausreisestempel und wir dürfen weiterfahren. ein weiterer posten scannt sie ebenfalls und will auch die autopapiere sehen. ein dritter posten scannt die ausweise zum dritten mal in einen computer ein und wünscht uns eine gute fahrt. wir sagen fröhlich auf wiedersehen, sind schnell durch den griechischen teil der grenze hindurch und können aufatmen. keine durchsuchung, keine fragen. europa hat uns wieder!
Puh sind wir erleichtert. Auf der Mitte der Brücke über den Grenzfluß, gleich hinter den ersten griechischen Soldaten johlen, hupen und lachen wir befreit los.
im nächsten ort holt michel schnell euros und wir fahren richtung süden nach glyfa, um von dort mit der fähre nach evvia überzusetzen. dort gibt es thermalquellen, wo wir uns ein paar tage niederlassen und den blog aktualisieren wollen. die letzte fähre in glyfa ist schon weg. egal, übernachten wir eben am hafen. im noch offenen cafe gibt es erst mal einen kaffee. die wirtin schenkt uns zwei leckere croissants dazu und es macht spaß, von ihr die ersten neuen griechischvokabeln zu lernen. und dann feiern wir mit viel bier, was wir noch in der türkei gekauft haben, in gesellschaft der straßenhunde und telefonaten mit michels eltern und mit s…, unserem trauzeugen und besten freund, das glückliche ende einer aufregenden zeit.
Die mehreren hundert Kilometer von der türkischen-griechischen Grenze, über Thessaloniki, am Olymp vorbei bis zum Nordende von Evvia fahren wir in einem Rutsch durch.





Unser Fazit zur Türkei unter Erdogan:
Kein Appeacement!
Die politische Agenda Erdogans und der AKP verbindet Islamisierung und Nationalismus zu einem Amalgam, das sowohl für alle Demokraten und Laizisten, die religiösen und ethnischen Minderheiten im Land als auch für alle kleineren Länder im näheren Umfeld der Türkei hochgradig gefährlich ist. Der Begriff Neo-Osmanismus beschreibt es absolut richtig. Es geht darum, das Osmanische Reich in religiöser und territorialer Hinsicht so weit wie möglich wieder herzustellen. Mit Erdogan als Quasi-Sultan.
Zur Lage innerhalb des türkischen Staatsgebiets, insbesondere im türkischen Teil Kurdistans haben wir hier ja einiges geschrieben. Aber Erdogan ist offensichtlich auch auf territoriale Expansion aus. Sein aktueller Schritt scheint es zu sein, im Norden Syriens und des Irak türkische Protektorate nach dem Vorbild Nordzyperns zu errichten und in der Ägäis beansprucht er unbewohnte griechische Inseln für die Türkei.
Wir glauben, dass Nachgeben das Falscheste ist, was man gegenüber Erdogan machen kann. Sobald die Demokraten, Laizisten, Kurden, Griechen oder die EU einen Schritt zurückweichen, setzt Erdogan nach und fordert mehr. Appeacement wirkt bei ihm nicht. Man muß klare Kante zeigen. Keine Waffen, kein Geld, keinerlei Deals für ihn. Dafür jede Unterstützung für die freie Presse und die mutigen Journalisten in seinem Land. Unterstützung für die Autonomie- und Demokratiebestrebung der Kurden. Entsendung von Wahlbeobachternzu den nächsten Wahlen in der Türkei.
Unserer Beobachtung und Meinung nach steuert die Türkei geradewegs auf eine platzende Immobilienblase, Wirtschaftskrise und Inflation zu. Die Anzahl staatlich finanzierter Baustellen hat eine Dimension angenommen, die möglicherweise fast alleine zu einer Überschuldung führen kann. Die Folge davon könnte einerseits eine Entzauberung Erdogans und der AKP sein. Andererseites könnte es dazu führen, dass die türkische Regierung ihre Rettung vor unlösbaren innenpolitischen und wirtschaftlichen Problemen in außenpolitischen Abenteuern, insbesondere in Kriegen, sucht.
Zum weiteren Nachlesen empfehlen wir das Themenheft Türkei des von der Bundeszentrale für politische Bildung Magazins ApuZ (Aus Politik und Zeitgeschichte) vom Februar 2017, aus dem ich in diesem Blog auch öfters zitiert habe.
Hier als PDF zum runterladen: apuz-türkei