Der Zypernkonflikt

Mittwoch, 1. November

Die Wochen auf Zypern hat uns der Zypernkonflikt fast immer begleitet, mal im Vordergrund, mal im Hintergrund. Wir haben ihn an der Grünen Linie und im Gespräch mit Menschen erlebt. Und wir haben darüber gelesen und hier im Blog geschrieben.

Da wir Zypern heute in Richtung Türkei verlassen, wollen wir dazu „vorläufig abschließend“ Folgendes festhalten:

1) Es ist erstaunlich, was die Briten alles unternommen haben, um ihre Kolonie Zypern und später ihre souveränen Militärbasen auf der Insel zu behalten. Sie haben die türkischen und griechischen Zyprioten systematisch gegeneinander aufgebracht und die Türkei bewußt involviert, um ein Problem zu schaffen. Was ihnen gelungen ist. Dabei haben sie auch die zwischen 1930 und 1955 relativ guten Beziehungen zwischen Griechenland und der Türkei mutwillig, erfolgreich und nachhaltig beschädigt. Ihrer Verantwortung als Garantiemacht sind die Briten (insbesondere bei der Türkischen Invasion 1974) konsequent nicht nachgekommen.

Dass Großbritannien seine Basen immer noch hat und ausgerechnet Britische Soldaten im Ledra Palace sitzen und die Grüne Linie in Nikosia bewachen, ist im Lichte der Geschichte des Konfliktes gesehen, mehr als zynisch.

2) Die größten Grausamkeiten in der Kategorie „direkte Gewalt“ hat das Türkische Militär begangen: Die ethnischen Säuberung und den damit verbundenen Massenmord im Zuge der zweiten Phase der Invasion von 1974. – Wir verwenden die Gewaltdefinition des Friedensforschers Johann Galtung, der drei Arten von Gewalt unterscheidet: „direkte Gewalt“, „strukturelle Gewalt“ und „kulturelle Gewalt“

Dies heißt aber nicht, dass das Türkische Militär der einzige Schuldige oder der Hauptschuldige wäre. Alle drei Arten von Gewalt (direkte, strukturelle und kulturelle) wurden und werden von verschiedenen Akteuren beider Seiten (plus den Briten!!!) ausgiebig ausgeübt.

3) Was heute vor allem Not tut ist, dass sich die Menschen beiderseits der Barrikade kennenlernen, dass die Barrikaden in den Köpfen abgebaut werden. Denn sowohl im Norden als auch im Süden kennen die Zyprioten nur jeweils ihre sehr einseitige Version der Geschichte. Sie können sich einfach nicht vorstellen, dass die andere Seite auch gelitten hat. Sie stellen sich die jeweils anderen regelrecht als Monster vor. Die Feindbilder und Geschichtserzählungen sind so dermaßen platt, dass es schon wieder etwas Gutes hat: Bei einem Kontakt – also einem wirklichen Kontakt(!) – mit den Menschen auf der anderen Seite brechen sie sehr schnell in sich zusammen. Aber diesen Kontakt verhindern die Barrikaden in den Köpfen, den Schulbüchern, den Familien und so weiter.

Die verschiedenen deutschen Institutionen auf der Insel wie das Goethe-Institut, die Friedrich-Ebert-Stiftung und die Deutsche Botschaft, leisten hier übrigens hervorragende Arbeit. Schon dass das Haus des Goethe-Instituts in der Pufferzone am Ledra Palace liegt und sie neben Kursen für Deutsch auch solche für Türkisch und Griechisch als Fremdsprache anbieten, sagt einiges. – Sie hängen ihr Engagement nicht an die große Glocke, aber überall, wo es darum geht, Brücken zwischen beiden Teilen Zyperns zu bauen, sind „die Deutschen“ mit dabei. Kein anderes Land ist hier auch nur annähernd so präsent. – Es fühlt sich seltsam für uns an, so stolz auf unser Land zu sein.

4) Allen, die etwas tiefer in das Thema eindringen wollen, empfehlen wir die Zypernausgabe des Magazins „Aus Politik und Zeitgeschichte“ (ApuZ) der „Bundeszentrale für politische Bildung“ (bpb) erschienen im März 2009.

Es sind 40 Seiten, aber für einen umfassenden und ausgewogenen Überblick geht es nicht kürzer. Die Artikel sind gut zu lesen, und vor allem der Artikel „Griechischer, türkischer oder ‚zypriotischer‘ Kaffee?“ ist regelrecht amüsant und kurzweilig geschrieben.

Von Zypern in die Türkei

Donnerstag, 2.11.2017

Gestern früh haben wir die Fähre in die Türkei gebucht, den Tag über dann in Girne/Kyrenia rumgehangen (und noch mal den Irish Pub hier besucht). Abends ist Einchecken auf der Fähre und nachts die Überfahrt.

Wir merken wie deutsch wir sind. Die umständliche, langwierige Art die Fähre zu beladen irritiert uns. Sie brauchen vier Stunden für etwas, das in einem europäischen Hafen in einer Stunde erledigt wäre. (Wir sind ja schon häufiger mit Fähren gefahren.) Dann sechs Stunden Fahrzeit für etwas mehr als 60 Kilometer und vier Stunden Warten vorm Ankunftshafen, vermutlich auf den Schichtbeginn der Hafenarbeiter. Vom Öffnen der Entladerampe bis zum Beginn der Entladung vergeht noch einmal eine halbe Stunde. – Für einen sich als „links“ verstehenden Menschen ist „Rationalisierung“ in diesen globalisierten Zeiten ja ein Reizwort. Aber hier könnte ein guter Logistiker nicht schaden. Notfalls kann man die Fähre dann ja jeweils einen halben Tag im Hafen liegen lassen, während die Passagiere und Arbeiter schon zu Hause oder in der Kneipe sind.

Wir klären mit unserem Kontaktmenschen von der Frachtschiffgesellschaft in Mersin ab, dass wir Bulli am Montag früh zum Hafen bringen, 700$ in bar dabei haben und das Auto auf den RoRo-Frachter nach Haifa einchecken. Für uns buchen wir Flüge Adana-Istanbul-Tel-Aviv für Dienstagabend.

Als nette Einlage treffen wir „unsere Jungs“ von Hamburg Süd wieder.

Am späten Nachmittag fahren wir dann nach Tarsus. Eine etwas kleinere Stadt zwischen Mersin und Adana, die eine schöne Altstadt haben soll.

beobachtungsschnipsel (weder in zeitlicher noch örtlicher reihenfolge):

– in türkisch-zypriotischen und türkischen lokalen jeder art befinden sich die toiletten zu weit mehr als 50% im ersten stock des hauses. und gebrauchtes klopapier gehört in der regel nicht in die toilette, sondern in den eimer daneben (letzteres haben sie mit griechischen und griechisch-zypriotischen lokalen gemeinsam).

– manchmal haben sich frauen scheinbar nur lose ein dünnes tuch über die haare geworfen und es scheint ein wunder der physik, daß es nicht verrutscht. und es verrutscht tatsächlich NIE. wie machen sie das nur????

– in der türkei stehen an den schnellstraßen ab und zu polizeiautoattrappen, ähnlich wie pappaufsteller. in der gehobenen version mit solarbetriebenem blaulicht. das führt dazu, daß man die echten polizeiautos zu spät als solche erkennt.

– daß bulli sich immer mehr wie unser zuhause anfühlt, merke ich unter anderem daran, daß wir nach einem längeren tag der abwesenheit bei der rückkehr erst mal die fenster öffnen, wie man es in seiner wohnung an einem stickigen sommertag auch zu tun pflegt. alle gegenstände haben mittlerweile ihren festen platz und die handgriffe danach sind nicht mehr ständig mit der überlegung verbunden, wo was ist und was dafür beiseite geräumt werden muß. außerdem haben wir quasi eine separate toilette, seitdem wir unser porta potti nachts in den fußraum des dann umgedrehten und vorgezogenen beifahrersitzes stellen. (das klo steht dann hinter der beifahrerrückenlehne.)

– es gibt an den stränden keine möwen. diese nische haben sich tauben zu eigen gemacht, die schlanker und weniger aufdringlich und kurzschnäbeliger sind als die in deutschland. sie eignen sich deutlich mehr als friedenssymbol als unsere degenerierten großstadt-flugratten.

– mückenstiche jucken hier viel weniger und viel kürzer, als in mitteleuropa. und quaddeln gibt es auch keine auf der haut. muß ne andere sorte sein.

– manchmal singen zwei oder mehr muezzine aus verschiedenen moscheen gleichzeitig. nicht immer exakt zeitgleich und auch nicht unbedingt dieselbe melodie. das kann zuweilen recht hübsch klingen, wie ein kanon. öfter ist es aber die reinste katzenmusik. dazu hört man vor- und nachher oft das modem aus dem computerprogramm, welches den gesang überträgt. didududi… wir hätten das schon längst abgestellt, weil es irgendwie peinlich ist. lieber unser lieblingsadmin: da kann man doch was machen!

Drei Tage Tarsus (zwischen Mersin und Adana)

Freitag bis Sonntag, 3.–5.11.2017

tarsus, eine türkische stadt, die eine schöne altstadt haben soll.

wir finden ein großes einkaufszentrm, auf dessen parkplatz wir gut stehen können. es sind nur ein paar minuten zu fuß in die innenstadt.

Frühstück am Einkaufszentrum

eine schöne altstadt stelle ich mir anders vor als dieses kreuz und quer von morbiden straßen mit dunklen verstaubten läden, vielen autos und mehrheitlich männern. die wenigen frauen fast alle mit kopftuch. ich brauche eine weile, bis ich den charme und die schönheit dahinter und darin finde.

wir werden angeschaut und wenn ich grüße, lächelt und grüßt man zurück und winkt vielleicht. jemand brüllt uns ‚moin‘ hinterher, freut sich, daß wir tatsächlich aus hamburg kommen, wohin er morgen zurückfährt und fragt: ‚womit kann ich euch helfen?‘ leider brauchen wir grad keine hilfe.

männer, die vor der moschee unter bäumen an einer kleinen teeküche beim tee warten, bis das freitagsgebet losgeht. auch wir machen dort pause. ich bin die einzige frau an den vielen tischen. egal. nach und nach verschwinden alle in der moschee, einige beten davor und anschließend setzt man sich wieder zum tee und klönt weiter. mit welchem sichtbaren genuß sich die älteren männer die süßigkeiten in den mund schieben, die vor dem tor verteilt werden! und wie sie begeistert den karren an der straße umringen, der honig mit waben verkauft! mit ziemlichem hallo werden wir zum probieren genötigt und ich kaufe ein stückchen.

Eine Tafel vor der Moschee auf Türkisch und Englisch informiert über die Geschichte der Moschee. Das die Steine von einem „older building of worship“ stammen, übersetze ich mir mit: „Hier stand mal eine Kirche, die wir als Steinbruch für die Moschee genutzt haben.“

Eingang zur Moschee
Vor dem Gebet

die engen straßen und vielen gassen in tarsus sind wie ein freiluftbazar. schlachtereien mit ganzen kälberhälften im schaufenster. dazu gekröse, pansen, aus dem man eine leckere suppe kochen kann. läden mit süßigkeiten: traubensaft an der schnur, turish delight in allen varationen, türkischer honig, dazu berge von nüssen, torten, halva, bonbons. schneidereien, in denen man sich diese pluderhosen machen lassen kann, in denen die älteren männer fast alle herumlaufen. haushaltswarenläden, die so vollgestellt sind, das man den besitzer kaum erkennt. hin und wieder gemüsegeschäfte. kleiderläden, die ihre ware vor die tür gehängt haben, daß man den eingang kaum findet. gewürze, in großen haufen lose verkauft, hülsenfrüchte, johannisbrot, nüsse, oliven in großen säcken. darüber getrocknete paprika, pilze, feigen an dicken ketten aufgezogen, die aussehen, wie überdimensionierte hawaiianische blumenkränze. teestuben noch und nöcher und kleine bis kleinste restaurants. wunderbar! wir essen heißen hummus mit viel brot und scharfem chili. so lecker.

Der beste Hummus der Stadt

und dann der andere teil der stadt: eine breite fußgängerzone, moderne läden, junge menschen, mehr frauen und weniger kopftücher. eine moderne parkanlage.

am nächsten tag ist ein fest auf dem platz neben dem brunnen, aus dem petrus oder paulus getrunken haben sollen. viele gastronomen haben dort ihre stände aufgebaut. von dem hummuskoch werden wir freudig begrüßt. es gibt eine große bühne, man trifft sich, klönt, nascht an den ständen. bis auf reichlich viel presse aus allen teilen der türkei sind wir die einzigen nicht türkischen gäste und probieren uns für kleines geld durch granatapfelsaft mit irgendwas drin und spezieller zitronenlimonade, durch fett- und läuterzuckertriefendem teiggebäck und schlagen uns den bauch mit frischem köfte voll, bis es anfängt zu regnen. schade eigentlich, ich hätte zu gern gewußt, was auf und vor der bühne noch geboten wird.

Ja, der Fressmarkt ist eine Leistungsschau des türkischen Kalorienbombenterrorismus! Auch ohne den Nieselregen hätten wir nach wenigen Ständen mit vollen Mägen kapitulieren müssen.

Kalorienbomben
Atatürk ist noch überall

am nächsten tag hat es sich eingeregnet. das wasser kommt den ganzen tag geradewegs von oben runter und kein lüftchen bewegt sich. wir igeln uns im bulli ein und sind meilenweit davon entfernt zu jammern. so einen tag hatten wir schon seit ewigkeiten nicht mehr.

Ein richtiger Regentag! Nach dem wochenlangen Sonnenschein und den vielen neuen Eindrücken jeden Tag kann ich einen vergammelten Tag im Bett mit echtem Schietwedder tatsächlich ganz gut vertragen! Und abgesehen davon: Den Pflanzen tut’s gut und wir verschwinden ja bald nach Süden.

Eingeregnet!

Die Armenierfrage

Sonntag, 5.11.2017

Gestern hatten wir ein längeres Gespräch mit zwei gut Englisch sprechenden und an sich gebildeten Türken. Als wir irgendwann im Gesprächsverlauf von den armenischen Zyprioten erzählten, deren Familien oft ursprünglich in Mersin, Tarsus oder Adana lebten, im 1. Weltkrieg in Hungermärschen nach Syrien vertrieben wurden und von dort nach Zypern kamen, war die Reaktion erschreckend:

Es hätte in dieser Gegegend (Tarsus-Mersin-Adana) nie Armenier gegeben. Die Vertreibung hätten sich Armenier ausgedacht. Sie seien immer und überall eine Minderheit, die der Mehrheit nur schaden wolle. Sie seien weinerlich und würden die Türken schlecht machen wollen. Und so weiter.

Das Ganze war historisch erschreckend fehlinformiert und hatte eine unglaubliche Ähnlichkeit mit dem deutschen (und mitteleuropäischen) Antisemitismus von vor 90 Jahren. Die gleichen Vorurteile, Denkstrukturen und Argumentationsmuster.

Ich will auf den Gesprächsverlauf nicht weiter eingehen. Sondern es zum Anlass nehmen, für unsere Lieblingssuchmaschine „Startpage“ zu werben:

Die Türkei schottet sich ja auch im Internet gegen die historische Wahrheit ab. Wikipedia ist gesperrt, und die Suchergebnisse von Google zu „genocide armenian“ sehen (sehr höflich ausgedrückt) etwas anders aus als in Deutschland. Startpage hingegen liefert auch in der Türkei die gleichen Suchergebnisse wie in Deutschland und man kann die gefundenen Seiten unkompliziert über die eingebaute Proxyfunktion aufrufen, um die Sperrung zu umgehen. So haben wir auch in der Türkei Zugriff auf den Wikipediaartikel zum Völkermord an den Armeniern. (Ach: Und natürlich gab es Armenische Gemeinden in Mersin, Tarsus und Adana.)

Dass Startpage die Privatsphäre seiner Nutzer respektiert, sie nicht überwacht und sich dies auch unabhängig zertifizieren lässt, sei auch noch erwähnt.

Auf nach Haifa

Montag bis Mittwoch, 6.–8.11.2017

jetzt wird‘s ernst. die flugtickets hat michel in der tasche, auch die 700 dollar hat er in bar dabei. am hafen in mersin treffen wir unseren ‚verbindungsmann‘, der michel durchs einschiffen von bulli geleiten wird. ich bin derart neben der kappe, das ich froh bin, derweil mit einem tee an der teestube gegenüber auf ihn warten zu können. nein, mir ist nicht wohl dabei, bulli allein aufs schiff zu lassen. überhaupt nicht! ich fühle mich, als würde ich unseren gefährten im stich lassen. er ist mein zuhause!!!!! die rucksäcke haben wir mit dem wichtigsten gepackt. das muß für die nächsten tage reichen.

und dann kommt michel mit dem kapitän des schiffes wieder, der total begeistert von bulli ist und mir in die hand verspricht, gut auf ihn aufzupassen. er ist richtig enttäuscht, daß auch michel fliegen wird und nicht mitfährt. mir geht es gleich viel besser. durchsucht wurde bulli nicht.

Der Kapitän des Schiffes war so begeistert von Bulli, dass er gleich ein Selfie mit Bulli machen mußte. Und dann für ein zweites Selfie zu bina aus dem Hafen rauskam.

mit dem bus fahren wir nach adana und mieten uns zum ersten mal auf dieser reise in ein hotel ein. 4 qm bett in einem 15 qm zimmer, samt fernseher und einem 5qm bad ganz aus marmor. mit endlos heißem wasser und strahlend weißen handtüchern. und wir können all unsere sachen im zimmer verstreuen und uns trotzdem noch bewegen! ich weiß mich gar nicht zu lassen. welch luxus!
mit ein bischen verpflegung und einem guten film bleiben wir einfach mal von nachmittags bis zum nächsten mittag im bett! unser flug geht ja erst abends.

Luxus im Hotel

Nach dem Regentag haben wir als gelernte Norddeutsche natürlich sofort auf „Herbst“ umgestellt: Lange Hose und Pullover. Wir schwitzen uns tot und kehren zum Sommeroutfit zurück. Das hiesige Kleinbussystem ist billig und superpraktisch. Man muß nie lange auf einen Bus warten, und die 80km
Mersin-Adana kosten umgerechnet gerade mal 3€.

Warten auf den Flieger
Schnee in den Bergen auf 3000m und Sommersonne im Tal

der flug ist anstrengend. viel übliche warterei, gate suchen, herumsitzen, schlangestehen beim einchecken. auch frieren, weils in istanbul erstaunlich kalt ist. irgendwann kann ich nicht mehr sitzen, aber da sind wir zum glück schon im landeanflug auf den ben-gurion-flughafen.

mitternächtens sind wir endlich in israel, finden ein sheruk (ein sammeltaxi) nach haifa, das uns in rasanter fahrt vor das passenger-gate am hafen bringt. die wachen dort schauen erstaunt und schicken uns wieder weg, weil jetzt natürlich keiner da ist, der uns helfen kann. es ist 3:00 Uhr morgens und wir müssen sehen, daß wir noch ein bisschen schlafen. wir finden irgendwo in der stadt eine leerstehende wohnung, auf deren terasse wir etwas versteckt ein paar stunden ruhe finden.

Unsere Schlafterasse in Haifa

morgens dann beginnt die aktion ‚bulli aus dem hafen befreien‘. das zu beschreiben würde den rahmen sprengen. deshalb hier der versuch es kurz, aber unterhaltsam zu machen:

gesamtdauer: 8,5 std.
persönlich beschäftigte menschen: mind. 10
telefonisch beschäftigte menschen: mind. 5
telefonate: mind. 15
besuche bei der versicherungsagentur: 2
besuche bei der zuständigen reederei: 3
anlaufstellen, die wir nacheinander abgehakt haben (davon ein paar mehrfach): insgesamt 10
kontrolle der unterlagen und papiere von verschiedenen hafenangestellten: 4
entzifferungsversuche von deutschen autopapieren durch hafenbeamte und versicherungsangestellte: 4
erklärung unsererseits, was ein camper oder caravan ist: 3
kosten für gebüren, versicherungen etc: reichlich
dazu kommen:
erstaunensausbrüche ob unserer reise: 3
neidisches fragen div. angestellter: ‚ich will auch, darf ich mit???‘ : 3
begeisterungsäußerungen über bullis innenleben: 3
freundlichkeits- und hilfsbereitschaftslevel auf einer skala von 1-10: 10
gründliches bulli-durchsuchen, vielleicht röntgen, drogenhunde holen o.ä.
(wir haben mit allem gerechnet): 0 (ohne witz!!!!)

unser besonderer dank gilt lissy von der schiffsgesellschaft, die ihre eigentliche arbeit im stich ließ, um uns zu helfen und christo, der unermüdlich mit uns im hafen a nach b und zurück fuhr, regelte, erklärte, die kontrolle am hafentor aufhielt, die eigentlich um 16:00 Uhr feierabend hatte, aber wir noch nicht fertig waren.

bulli steht tatsächlich wohlbehalten am kai. wir brauchen bloß einzusteigen und loszufahren. nur die radkappen hatte man abgenommen, aber sorgfältig im fußraum deponiert.

ja, ich gebe es zu: ich habe ihn zur begrüßung erst mal gestreichelt und vor erleichterung ein bischen geweint. wir fahren nicht weit. nur eben den karmel-berg hoch, oberhalb des garten der bahai, wo man am straßenrand gut stehen kann. essen, schlafen. mehr ist heute nicht mehr drin.

wir sind in israel/palästina. alle drei und wohlbehalten. wie wir uns das gewünscht hatten. ich kann es kaum glauben! wir haben es tatsächlich bis hierher geschafft!

wir haben ein visum für drei monate, eine autoversicherung für einen monat und eine adresse, wo wir beides verlängern können. mal schauen, ob es klappt.

und eine große frage wird auch gleich geklärt:

wie, zum teufel, halten diese kleinen kippas auf den stoppelhaaren der gläubigen juden. eigentlich müßten die ständig runterfallen, tun sie aber nicht.

wir fragen einen mit besonders kurzen haaren und einer kleinen und damit rutschgefährdeten kippa. er lacht und zeigt sie uns: innen befindet sich eine kleine anti-rutsch-matte, die ständige abstürze der kippa verhindert. das klämmerchen an der seite ist offentsichtlich nur zierde.

Haifa, das sich über dem Hafen den Hang des Karmel-Berg hinaufzieht, scheint eine wirklich lebenswerte Stadt zu sein. Nur leider waren wir schon mal in Israel/Palästina und kennen die große Schattenseite der so offenen liberalen israelischen Gesellschaft: die Besatzung der Westbank. Und wir wissen um die Vergangenheit: die ethnische Säuberung Palästinas. Denn hier lebten vor 1948 andere Menschen: Araber. Und die haben ihre Heimat nicht freiwillig verlassen. Sie wurden im Rahmen einer groß angelegten ethnischen Säuberung vertrieben. Planmäßig mit allem was dazu gehört, Massaker inklusive.

Ein sehr gutes Buch dazu ist „Die ethnische Säuberung Palästinas“ von Ilan Pappe, einem israelischen Historiker, der den „Plan D“ (oder „Dalet“) auf Grundlage des Archivs der Haganah, den Tagebüchern Ben Gurions und einiger anderer Quellen – wie dem Archiv des Roten Kreuzes – sehr gut aufgearbeitet hat. Er wird immer wieder mein innerer Reisebegleiter durch dieses Land sein.

Zu Haifa weiß ich noch, dass ein Großteil der Araber zur Deportation unten am Hafen zusammengetrieben worden war und dann von oben, von den Hängen des Karmel, auf die Menschenmenge geschossen wurde.

Tel Aviv

Donnerstag bis Samstag, 9.–11.11.2017

Nachdem ich zwei Probleme am Bulli behoben habe, geht es auf nach Tel Aviv. (Es mußte die Glühlampe Abblendlicht Beifahrerseite ausgewechselt werden und der Motor verlor etwas Diesel. – Ein paar Schrauben hatten sich gelockert. Nachziehen und gut.)

Auf der Fahrt von Haifa nach Tel Aviv sehe ich zum ersten Mal im Leben wilde Pelikane. Im Flug sehen sie von weitem wirklich aus wie Flugsaurier.

Ansonsten erinnert mich die Gegend zwischen Haifa und Tel Aviv stark an die Niederlande: Intensivste Landwirtschaft; eine gigantische Infrastruktur von Autobahnen, Stromleitungen, Zugtrassen und so weiter; Firmengebäude, die aussehen wie notgelandete Ufos; und Städtchen, die offensichtlich am Reißbrett geplant wurden. Klar, die Niederländer haben ihr leeres Land dem Meer abgerungen, die Israelis den Palästinensern.

Was wirklich unglaublich ist, ist die Art wie hier Baustellen betrieben werden. Da kommen auf 200m Autobahnbaustelle 20 Baustellenfahrzeuge, die alle in Betrieb sind und mindestens 50 aktive Arbeiter. Auf diese Weise wird eine Baustelle, die bei uns monatelang die Autobahn verengt, in wenigen Tagen abgearbeitet. – Wir fahren durch eine solche Turbobaustelle, und ich weiß von vor sechs Jahren noch, was die in wenigen Tagen schaffen. Damals hatten sie in drei Wochen etwa 20km Autobahn komplett erneuert. Und ich meine komplett! Warum geht das bei uns nicht?

tel aviv hat kaum parkplätze und in 90% der fälle auch nur gegen entgelt. selbst über einen solchen parkplatz nur drüberzufahren kostet  5nis (neue israelische schekel). in einer seitenstraße finden wir einen stellplatz, werden aber weggebeten, weil der nur für anwohner ist. doch etwas außerhalb gibt es einen umsonstparkplatz, wo wir die nächsten drei tage stehen bleiben. die bromptis (unsere falträder) spreche ich irgendwann heilig.

tel aviv ist ohnehin die stadt der klapp- und falträder. fast alle haben einen e-motor und flitzen mit gefühlt 50 sachen über die fahrradwege. und es ist die stadt der jogger und fitnessbegeisterten. überall wird gejoggt, es gibt am strand sehr viele außensport-anlagen, die von allen generationen und geschlechtern genutzt werden. man macht yoga am strand, dehnübungen auf dem bürgersteig. soviel sport wird noch nicht einmal im sommer an der alster getrieben.

Novembertag in Tel Aviv

am nächsten tag (freitag) ist michel nicht wohl und bleibt lieber im bett.
ich erkunde die stadt.

grau ist die weiße stadt geworden. etwas morbide. nur wenige bauhaus-gebäude sind renoviert und werden dem namen der stadt gerecht. der berühmte „carmel-market“ ist tatsächlich auf den ersten blick schön. einerseits kunsthandwerk edelster güte, dann der lebensmittelmarkt wie ich ihn in antiochia sah. aber die stände werden meist von israelis betrieben. zuweilen gibt es arabische stände, einer sogar mit meinem geliebten künefe, aber nur wenige. mir kommen sie wie ein alibi vor. es ist gestohlene kultur.

nein, ich hab nichts dagegen, wenn man schöne dinge aus anderen kulturen oder von anderen völkern übernimmt. ich spiele ja auch die bodhran, obwohl ich weder irin bin noch dort lebe.
aber ich behaupte nicht, die iren würde es nicht geben oder die bodhran sei ein deutsches schlaginstrument.

diese haltung erlebt man in israel immer wieder. hummus wird als israelische nationalkost bezeichnet. selbst studierte menschen wie der mann in haifa, den wir wegen der kippa fragten und der anwalt ist, sagt ohne arg: ‚dies land wurde uns von gott gegeben.‘ als hätten hier nie palästinenser gelebt. so fühlt es sich auch auf diesem markt an und ich verlasse ihn mit einem flauen gefühl im bauch.

abends spiele ich dann endlich im „molly blooms“ in der session. ich werde herzlich aufgenommen.

die regeln sind etwas anders als ich sie kenne. sets bestehen aus 4 bis 5 tunes, wenn ein tune zuende geht, sagt einer kurz den nächsten an und spielt ihn an. nicht wie im irish rover in hamburg, wo einer ein set anführt und es auch in tempo und wiederholungen zuende leitet. hier sortieren sie nur nach reels und jigs, polkas u.s.w. wir sind drei bodhrani und wir alle spielen fröhlich und gleichzeitig drauflos. ich versuche, mich im spielmuster den anderen etwas anzupassen (das gelingt mir nur zeitweise). und als wir alle drei mal päuschen machen, gibt‘s gleich beschwerde von der fiddle: ‚wo seit ihr? ich kann ohne euch nicht spielen!‘

die jigs haben noch gemäßigtes tempo, die reels und polkas sind gradezu rasant. ich verziehe mich oft aufs halbe tempo und hoffe, ich bremse die session nicht zu sehr aus. na, immerhin werde ich später gefragt, ob ich nächsten freitag wieder dabei bin.

Im Molly Blooms

dann ist am nächsten tag erst mal sabbath. aber wir wären nicht in tel aviv, wenn man das sonderlich merken würde. die ultra-orthodoxen juden bleiben zu hause und die busse fahren weniger bis gar nicht. aber der säkulare teil der bevölkerung genießt den sonnigen novembertag am strand, macht mit der familie ausflüge, geht bummeln. am hafen haben auch die geschäfte geöffnet.

wir lümmeln ebenso am strand, im queerteil selbstverständlich, der am ende der bucht liegt. lustigerweise gleich neben dem abgesperrten teil für die orthodoxen juden, der völlig sichtgeschützt ist und am sabbath für alle offen, weil die orthodoxen samstags eh nicht an den strand gehen.

Der orthodoxe Strandabschnitt ist mit Palisaden vom übrigen Strand abgegrenzt und abwechselnd je einen Tag nur für Männer und einen nur für Frauen geöffnet. Da der Strand hier die Form eines „U“ hat, kann man vom schwulen Strand direkt zu den orthodoxen rübersehen. Wie man auf die Idee kam, den orthodoxen Strand ausgerechnet zwischen den schwulen Strand und den FKK-Strand zu legen ist mir ein Rätsel. Der FKK-Strand heißt hier übrigens tatsächlich ganz offiziell „Spanner-Strand“. Ist das nun Humor oder Realitätssinn?

der strand ist toll organisiert. alle paar hundert meter gibt es einen stand mit toiletten, süßwasserduschen für nach dem baden, günstigem essen und trinken, eventuell einem surfbrett-verleih oder einen büchertausch-wagen. strandliegen kann man für wenig geld mieten, muß man aber nicht. wer trotzdem nicht im sand liegen will, hockt sich einfach auf die treppe, die stellenweise auch rundungen wie liegen hat.

ab und zu ertönt eine lautsprecherdurchsage in vier bis fünf sprachen, daß das baden verboten ist, weil die life-guards nur von april bis oktober arbeiten. es hält sich aber keiner dran und als ich im molly blooms danach gefragt habe, lachten alle auch nur.

Tel Aviv und der zugehörige Strand sind echt toll. Kein Wunder, dass die Immobilienpreise hier mit die höchsten der Welt sind. Der Strand ist feinsandig und die Infrastruktur (wie Duschen, Klos und Fitnessgeräte) ist gut und kostenlos. Für wichtige Produkte gibt es einheitliche Sozialpeise. So kostet eine Pita mit Hummus überall am Strand 12 Schekel (also etwa 3€). Wir liegen in der Sonne und sehen den Schwulen zu, die sich gegenseitig beim Workout an den Fitnessgeräten zusehen. Zwischendrin gehen wir ins Wasser oder lesen in unseren Büchern. Das einzige, was mir die Idylle trübt ist, dass ich in der Ferne Jaffa sehe. Heute ein Stadtteil von Tel Aviv, bis 1948 eine Palästinensische Stadt, deren Bewohner ins Meer getrieben wurden. Sie mußten sich mit Booten aus ihrer belagerten Stadt evakuieren. Viele ihrer Nachkommen leben heute im Gazastreifen.

Bei der Ausländerbehörde

Sonntag, 12.11.2017

Wir hätten uns vom Känguru einen „Scheißverein-Aufkleber“ mitnehmen sollen. Eigentlich wollten wir schon am Donnerstag zur Ausländerbehörde, um unsere drei Monate geltenden Touristenvisa auf fünf Monate zu verlängern. Aber der freundliche Mensch in der Securityuniforn sagte, dass wir morgens zwischen 8 und 9 Uhr zu kommen hätten. Also sind wir heute um 7:25 Uhr da und stellen uns in die lange Schlange. Um 8:30 kapieren wir, warum es nicht vorwärts geht: Wir stehen in der Schlange für Asylbewerber und die wird nachrangig abgearbeitet. Also in die andere Schlange wechseln. Wir sagen unseren Mitwartenden Bescheid und etwa ein halbes Dutzend von ihnen wechselt ebenfalls die Schlange. Dann Nummer ziehen und vier Stunden warten. Nur um von der Sachbearbeiterin angeblafft zu werden, warum wir denn so lange bleiben müßten? Wir antworten, wir müßten nicht, wir seien Touristen und wollten so lange bleiben. Die Antwort ist kurz und knackig: Touristenvisa würden prinzipiell nie(!) verlängert. – Wie machen das dann die ganzen Israelis, die mit Touristenvisa in Berlin leben?

Naja, wenigstens ist der Strand nett und das Wetter gut.

Ach ja, und die Fledermäuse hier sind erstaunlich groß! Etwas größer als bei uns die Tauben. Zwar noch keine Flughunde, aber auf jeden Fall Flederratten.

für alle, die das känguru nicht kennen: die ‚känguru-chroniken‘, das ‚känguru-manifest‘ und die ‚känguru-offenbarung‘ von marc-uwe kling. witzig, subversiv und ein bischen gemein.
hörenswert: auf dem sehr bekannten filmchen-abspiel-kanal im internet ‚känguru – ausländerbehörde‘ eingeben. mich hebt’s vor lachen jedes mal aus den angeln.

Bürokratie in Jerusalem

Montag bis Dienstag, 13.–21.11.2017

Die Vormittage der Werktage der kommenden anderthalb Wochen verbringe ich im Wesentlichen mit einer Behördenodyssee in Jerusalem, um die Papiere zusammen zu bekommen, die wir brauchen, um Bulli hier drei Monate lang legal fahren zu dürfen. Nachmittags schauen wir uns Jerusalem an. Und das Wochenende verbringen wir im keine Stunde Fahrt entfernten Tel Aviv. Aber das werden eigene Blogeinträge.

Die Behördenodyssee in Kurzform:

1) Misrad Ha Raschui (allgemeine Zulassungsbehörde): Schickt mich zur Ausländerbehörde, weil ich kein Visum im Pass habe.
2) Ausländerbehörde: Will mir kein Visum in den Pass stempeln, weil Deutsche kein Visum brauchen und deshalb auch keins bekommen. Mit Hartnäckigkeit und Chuszpe bekomme ich irgendwann von der Chefetage eine Sondergenehmigung und somit das Visum, welches es eigentlich nicht gibt.
3) Misrad Ha Raschui: Schickt mich diesmal zum Optiker für das „Grüne Blatt“, das jeder(!) für einen Führerschein benötigt.
4) Optiker: Untersucht meine Augen nicht, weil ich ja einen deutschen Führerschein habe, händigt mir aber das „Grüne Blatt“ aus. (Ohne sonst irgendwas sonst getan zu haben!)
5) Misrad Ha Raschui: Stellt mir einen vorläufigen israelischen Führerschein aus, den man als Tourist zwar nicht für ein Mietauto braucht, aber für ein selbst mitgebrachtes Auto. Dann schicken sie mich zur Post und zur Steuer- und Zollbehörde.
6) Post: Hier muß ich den Führerschein bar bezahlen. (Die Misrad Ha Raschui hat keine Kasse.)
7) Steuer- und Zollbehörde: Eröffnet mir, dass ich neben einer Versicherung für den zweiten und dritten Monat (für den ersten Monat haben wir schon eine) auch eine Bankbürgschaft einer israelischen Bank über alle Steuern brauche, die ich dem israelischen Staat für ein Jahr schulden würde, wenn ich Bulli dauerhaft einführen würde. – Anmerkungen hierzu: Die meisten Staaten der Welt werden durch die internationale „Grüne Versicherungskare“ abgedeckt. Aber einige wenige (obskure) Staaten wie Nordzypern, Iran oder Nordkorea deckt sie nicht ab. Und zu diesen Staaten gehört auch Israel. Für die Bankbürgschaft gibt es auch ein weltweit einheitliches System, das „Carnet de Passage“, welches selbst im Iran und Nordzypern funktioniert. Die einzigen mir bekannten Staaten, die hier nicht mitmachen sind Nordkorea und eben Israel. Ach ja, und ganz nebenbei dürfen Touristen ihr Auto für drei Monate steuerfrei nach Israel einführen.
8) Normales Versicherungsbüro: Sie dürfen Bulli nur für Zeiträume von über einem Jahr versichern. Die staatliche Erlaubnis und Verpflichtung für Versicherungen für kürzere Zeiträume hat nur „Pool“.
9) „Pool“: Sie dürfen und müssen alle Zeiträume versichern. Stellen sich aber auf den Standpunkt, dass sie für Touristen nur Transitversicherungen für eine Woche ausstellen. Wenn ich drei Monate lang bleiben wolle, müsse ich mein Auto erst komplett in Israel zulassen, bevor sie es versichern. Nachdem ich am selben Tag drei Mal bei ihnen aufgelaufen bin, und immer wieder die Hotline angerufen habe, geht es dann plötzlich doch. Ich soll am nächsten Tag wiederkommen.
10) „Pool“: Am nächsten Tag bekomme ich schnell und unkompliziert meine Autoversicherung für die fehlenden zwei Monate.
11) Post: Hier muß ich die Versicherung bar bezahlen. Das Büro von „Pool“ hat weder eine Kasse noch eine normale Bankverbindung.
12) Etwa ein halbes Dutzend Banken: Von den Erlebnissen am Schalter will ich hier drei wiedergeben:
12a) Am Ausländerschalter: „Wir eröffnen prinzipiell keine Konten für Ausländer.“ – „Ah, das erklärt, warum der Ausländerschalter der einzige Schalter ohne Warteschlange ist.“
12b) „Kein Problem, Sie müssen nur 50.000$ als Einlage auf das Konto überweisen.“ – „Das kann ich nicht.“ – „Oh, Sie können die 50.000$ auch unkompliziert jetzt sofort in bar einzahlen.“ – „Sehe ich aus wie Pablo Escobar?“ (OK, das Letzte denke ich nur.)
12c) „Kein Problem, Sie müssen auch nur die Bürgschaftssumme einlegen. Wir können Ihnen einen Termin zur Kontoeröffnung am Mittwoch nächster Woche geben.“ – „PRIMA! Dann mache ich jetzt erstmal eine Woche Urlaub!“

Dass Kafka ein Prager Jude war, ergibt für mich inzwischen noch mal ganz anders Sinn. Er muß der heimliche Schutzpatron der Israelischen Bürokratie sein.

ich hab mir irgendwo eine kleine erkältung geholt. einen der tage bleibe ich komplett im bett und schlafe den schnupfen weg, an einem anderen mache ich einen längeren spaziergang auf den alten schienen. das ist wirklich eine nette idee: der erste bahnhof der stadt und die schienentrasse sind im laufe der jahre obsolet geworden. aus dem bahnhof wurde ein veranstalungsgelände geschaffen. mit fressbuden, restaurants, bühne, kinderbespaßung, toiletten und netten plätzen zum verweilen. die bahnsteige sind noch zu erkennnen und aus dem gleisbett wurde ein spazierweg mit grünstreifen und radweg gemacht. auf den wiesen rechts und links lagern elternteile mit ihren kindern unter bäumen, ältere leute sitzen auf den vielen bänken, es wird gejoggt, geradelt, in die stadt zur arbeit gegangen. und die rosmarinhecken stehen am rand zum teil noch in blüte und duftend.

ich bin recht froh, daß michel beim behördenmarathon die nerven behält. ich hätte sie längst verloren und den spaß an der sache dazu.

ja, wir wollen uns ein bishen mehr hier einbringen, tiefer bohren, leute kennenlernen, dieses land noch besser verstehen. aber doch nicht in sachen bürokratie! das haben wir zu hause auch.

ich muß jetzt wieder häufiger an unsere syrischen freunde zu hause denken. mir ist aufgefallen – ja, zugegebenermaßen war ich auch etwas amüsiert – dass die ersten worte, die sie in deutschland lernten, behördennamen wie ‚jobcenter‘ waren. typisch deutschland. jetzt geht es uns ähnlich. misrach…wiewardasnoch kann michel schon ganz flüssig sagen.

Stadtbummel in Jerusalem

Montag bis Mittwoch, 13.–15.11.2017

1. Stadtbummel

Wir betreten die Jerusalemer Altstadt wie die meisten christlichen Pilger durch das Jaffator und lassen uns durch die engen Gassen treiben. Wir genießen es, im Altstadtlabyrinth den Weg zu verlieren und uns nach Sonnenstand und Gefühl zu orientieren. Wir halten uns Richtung Damaskustor und überschreiten irgendwann jenseits der Via Dolorosa eine unsichtbare Grenze. Das Publikum und das Warenangebot ändern sich grundlegend.

Zwischen Jaffator und Grabeskirche sowie die Via Dolorosa entlang, sind hauptsächlich Touristen und Pilger unterwegs und das Sortiment wird von Andenken und Devotionalien bestimmt. Jenseits davon sind die einheimischen Palästinenser in der Mehrheit, so dass dies eine richtige arabische Altstadt mit dem entsprechenden, bunt gemischten Warenangebot ist.

ich habe ‚mein‘ shouk-problem. am liebsten möchte ich von allem was mitnehmen, probieren… und am liebsten würde ich jetzt sofort perfekt arabisch verstehen und sprechen können, um alles, was gerufen und gesagt wird, zu verstehen und mitreden zu können. ich nehme mir vor, jeden abend ein wort oder einen satz arabisch zu lernen.

Altstadt zwischen Jaffator und Grabeskirche
Altstadt jenseits der Pilger- und Touristenströme

Wobei der arabische Teil der Altstadt unter Druck steht. Immer mehr jüdische Siedler lassen sich hier nieder. Ihre Häuser gleichen Festungen, werden stark bewacht und bleiben Fremdkörper in ihrer Nachbarschaft.

Ein Siedlerhaus im muslimischen Teil der Altstadt

Vom Damaskustor aus gehen wir kreuz und quer, erkunden insbesondere die kleinen, engen verwinkelten Nebengänge und halten uns grob Richtung Klagemauer. Wenn wir uns dieses dreidimensionale Labyrinth verwinkelter enger Gassen ansehen, kommen wir zu dem Schluss, dass hier 1967 als Israel die Jerusalemer Altstadt während des Sechstagekrieges im Handstreich erobert hatte, keine arabische Armee war. Die Erzählung zum Sechstagekrieg von 1967 geht ja in etwa so, dass die Armeen von Ägypten, Jordanien und Syrien zum Angriff bereit standen und Israel sie in einem sechstägigen Präventivkrieg besiegt hat. Bei der Eroberung Ostjerusalems im Handstreich gingen die Israelis zudem mit besonderer Vorsicht und ohne schwere Waffen vor, um die heiligen Stätten von Judentum, Christentum und Islam zu schonen. Die Altstadt Jerusalems ist ein einziger natürlicher Hinterhalt. Sie ist eine Festung, die eine mittelmäßige Freischärlertruppe wochenlang gegen jede Armee der Welt halten könnte. Erst recht, wenn letztere auf schwere Waffen verzichtet.

Kreuzung in der Altstadt: Ja, von links oben kommt tatsächlich eine Treppe und damit ein Weg runter. (Also links neben dem Gitter und damit leider nicht im Bild.)
Es braucht nicht viel, um eine Altstadtgasse zu blockieren – ein sehr schmaler Trecker reicht.

Gegen Sonnenuntergang erreichen wir dann den klar abgegrenzten jüdischen Teil der Altstadt. Wobei dieser Teil nicht alt ist. Es handelt sich im Wesentlichen um einen „auf alt getrimmten“ Neubau, der so tut, als ob er eine natürlich gewachsene Altstadt sei. Was ihm aber nicht wirklich gelingt. Das jüdische Altstadtviertel wirkt erstaunlich steril:

Blick von der Grenze in das muslimische Viertel der Altstadt
Die Grenze
Blick von der Grenze in das jüdische Viertel der „Alt“stadt

Anschließend gehen wir voll mit neuen Eindrücken nach Hause (in den Bulli) und kochen Abendessen.

Polizei begeht Fahrerflucht

Bulli haben wir auf einem inoffiziellen Parkplatz etwa einen Kilometer nördlich der Altstadt geparkt (Richtung Bethlehem). Eines Abends, während wir Abendessen kochen, hält ein Polizeiauto neben uns und die Polizisten fragen uns, ob wir hier übernachten und alles OK sei. Als wir bejahen, wollen sie wieder wegfahren, rammen aber im Zurücksetzen ein anderes geparktes Auto. Sie betrachten kurz den Schaden, sehen sich verstohlen um und verschwinden dann so schnell wie möglich. – Nicht, dass sie nachher noch von der Polizei erwischt werden!

Die Beule, die die Polizisten ihrem Opfer reingesemmelt haben.

2. Stadtbummel

Wir spazieren zunächst gegen den Uhrzeigersinn außen um die Altstadt herum, wobei wir von West- nach Ostjerusalem wechseln. Schon nach einer Viertelstunde bietet sich uns ein Blick, der ein Wechselbad der Gefühle bewirkt. Links vorne der Zionsberg mit der Dormitio-Abtei und rechts hinten die Sperrmauer, welche die Palästinenser im Westjordanland einschließt.

Links vorne der Zionsberg mit Dormitio-Abtei, rechts hinten die Sperrmauer
Zoom auf die Sperrmauer

Wir gehen unterhalb des Zionsberges entlang und gelangen nach Silwan. Dieser arabische Stadtteil liegt direkt unterhalb des Tempelberges und der Klagemauer. Und er hat das Pech, dass hier vermutlich die erste Siedlung lag, also das ganz alte Jerusalem. Der Staat Israel hat die Aufgabe, diese sogenannte „Davidstadt“ auszugraben, an eine rechte Stiftung mit viel US-amerikanischem Geld übertragen. Diese Stiftung hat Siedler in den Stadtteil gebracht und verwendet die Archäologie als Waffe zur ethnischen Säuberung.

Gruppe bei einer Führung durch die archäologischen Ausgrabungen
Wie man an der Tafel sieht, denkt man bei diesem Ausblick natürlich nicht daran, dass man auf einen arabischen Stadtteil sieht, sondern daran, dass hier antike Gräber einen jüdischen Anspruch belegen
Ausgrabung direkt unterhalb der al-Aqsa Moschee

Weiter geht es unterhalb der Stadtmauer am Hang des Kidrontals entlang. Gegenüber liegt der Ölberg. Hier im Goldenen Tor wird, da sind sich Juden, Christen und Muslime einig, am Jüngsten Tag der Messias erscheinen. Irgendein Herrscher von Jerusalem (ich habe vergessen wer) hatte aber Angst, dass das Erscheinen des Messias seine schöne Herrschaft beendet und hat das Tor vorsichtshalber zumauern lassen. Eine typisch Jerusalemer-Lösung für so ein Problem.

Das zugemauerte Goldene Tor

Da Juden und Muslime an die fleischliche Auferstehung am Jüngsten Tag glauben (Christen glauben an die Auferstehung der Seele) und diese Auferstehung von hier aus beginnt, ist es natürlich besonders erstrebenswert, hier begraben zu werden. Dann liegt man am Jüngsten Tag in der ersten Reihe. Folglich ist der Ölberg auf der anderen Seite des Kidrontals der größte jüdische Friedhof der Welt. Wobei die Ärmsten am Jüngsten Tag dennoch in der zweiten Reihe liegen. Denn auf dieser Seite hat sich noch ein muslimischer Friedhof dazwischengequetscht. – Der arme Messias!

Was uns allerdings verstört hat ist, dass der muslimische Friedhof offensichtlich erst vor kurzem geschändet wurde. Als wir die Polizei (die hier sehr, sehr stark präsent ist) danach fragen, können die Polizisten plötzlich kein Englisch mehr.

Blick vom geschändeten muslimischen Friedhof vor dem Goldenen Tor, über das Kidrontal, auf den jüdischen Friedhof auf dem Ölberg

Nach einer Pause im Garten Gethsemane, wo wir natürlich ein Abendmahl gegessen haben, geht es durch‘s Löwentor in die Altstadt hinein und die Via Dolorosa entlang zur Grabeskirche. Dass die heutige Via Dolorosa tatsächlich der reale Kreuzweg Christi ist, halten wir übrigens für eher unwahrscheinlich. Dann hätte der Palast des Pontius Pilatus an der tiefsten Stelle der Stadt gestanden. Paläste stehen normalerweise an einer hohen Stelle und überblicken die Stadt. Die einheimischen Christen gehen auch einen anderen Kreuzweg als die Pilger aus aller Welt.

Die Grabeskirche ist ein Erlebnis ganz eigener Art. Hier beten Pilger aus aller Herren Länder. Und sie gehört anteilig sechs christlichen Konfessionen, den Orthodoxen, den Katholiken, den Armeniern, den Kopten, den Äthiopiern und … eine hab ich vergessen. {Die „Griechisch-Orthodoxen“ und die „Syrisch-Orthodoxe Kirche von Antiochien“ hatte Michel zusammengefasst.} Die Lutheraner gehören nicht dazu.

Die Grabeskirche
Pilger aus Russland, den USA und Deutschland auf dem Vorplatz der Grabeskirche

Und da die Priester der sechs christlichen Konfessionen einander in der Kirche nicht gerade mit Nächstenliebe begegnen, haben seit Saladins Zeiten zwei muslimische Familien den Kirchenschlüssel und schließen täglich auf und zu. Außerdem lässt sich jede Nacht israelische Polizei mit einschließen, damit die heiligen Männer sich gegenseitig nichts tun. Denn sie streiten sich hier ganz ernsthaft um so wichtige Fragen wie die, ob diese Platte eine Treppenstufe ist:

Ist diese Platte eine Stufe?

Ist die Platte keine Stufe, so ist sie Teil des Vorplatzes der Kirche, welcher den Orthodoxen gehört und darf von diesen gefegt werden. Handelt es sich jedoch um eine Stufe, so ist sie Teil der Treppe zum Golgathafelsen, welche den Katholiken gehört und darf nur von Katholiken gefegt werden.

es kam übrigens zu einer salomonischen lösung:

diese stufe darf zweimal am tag gefegt werden. wir sahen übrigens zigarettenkippen genau da liegen.

die meisten anderen konflikte in dieser kirche harren noch einer lösung.

auf dem foto oben sieht man über dem eingang auf dem rechten fenstersims eine leiter stehen. die hat wohl jemand bei irgendwelchen arbeiten vor urzeiten vergessen. das fenster und der sims sind erstaunlicherweise keiner kirche zugeordnet. das genau ist das problem. denn derjenige, der diese leiter entfernen möchte, muß den sims betreten oder durch das fenster krabbeln und könnte dann ja besitzansprüche geltend machen. und das geht gar nicht. deshalb steht die leiter immer noch da und fällt wahrscheinlich irgendwann einem pilger auf den kopf. {Sie diente übrigens im 19. Jahrhundert den Mönchen zum Einstieg in die Kirche, wenn die Tore behördlich geschlossen waren. Quelle Wikipedia }

Das Innere der Kirche ist ein Gewirr von Kapellen und heiligen Ecken, die alle eifersüchtig von den Priestern der jeweiligen Konfession bewacht werden. Der wichtigste Ort ist natürlich das heilige Grab, vor welchem ein solcher Andrang herrscht, dass der diensthabende orthodoxe Priester den Pilgern nicht einmal Zeit für ein „Vaterunser“ läßt. Rein, Totenbett küssen, raus!

Das heilige Grab
Der Grabeingang in Nahaufnahme

Den besinnlichsten Ort in der ganzen Kirche fanden wir in der halb unterirdischen armenischen Kapelle und die dahinter und ganz unterirdisch liegende Kapelle der heiligen Helena. Dies ist der älteste Teil der Kirche und soll von Helena – der Mutter Kaiser Konstantins – gegründet worden sein.

Bina in der Armenischen Kapelle

Anschließend gehen wir wieder voll mit neuen Eindrücken nach Hause (in den Bulli) und kochen Abendessen.

Leben im Bulli

ich erzähle jetzt mal ein bischen von bulli.

der fährt uns so lieb überall hin. steht ohne zu murren da, wo wir ihn abstellen und wartet immer auf uns. bewacht unseren schlaf, schleppt brav den gartenschrank mit sich, trinkt jeden diesel, den wir ihm in verschiedenen ländern einfüllen und kommt mit fast jeder steigung bisher zurecht. da soll ihm ein kleines kapitel gewidmet sein.

nachdem michel anfangs doch etwas rückenprobleme hatte, weil wir auf dieser dreigeteilten rückbank-matratze schlafen, schichten wir jetzt zwei wolldecken, eine isomatte, ein zusätzliches plümeau übereinander, ehe wir das bettlaken aufziehen. das geht sehr gut. alles verschwindet tagsüber hinter der rückbank auf ganz bestimmte weise, das wir es abends nicht jedes mal neu schichten müssen.

Ob die Rückenprobleme wirklich von der dreigeteilten Matratze kamen, ist nicht ganz klar. Immerhin leben wir ja auch sonst in den Sommerferien wochenlang im Bulli. Aber seit wir das Bett auf die von bina beschriebene Weise bauen, ist es gemütlicher und bequemer und meine Rückenschmerzen sind weg.

das portapotti wird jetzt nicht mehr im gartenschrank verstaut, sondern bleibt vor der spüle stehen (also im fußraum vor der rückbank), dann muß michel es nicht immer hin und her tragen. wenn wir über nacht stehen, wird der beifahrersitz umgedreht, ein bischen nach vorn geschoben und die toilette paßt prima in den fußraum. damit haben wir auf dem klo sogar ein bisschen privatsphäre. und wir haben den vorhänger für frontscheibe und vordere seitenfenster immer parat. dann kann auch von außen keiner zugucken.

Bina morgens auf dem… ja genau!

Dass das Klo im Fußraum vor der Rückbank bleibt, hat auch ganz einfach den Grund, dass oft erst mal einer von uns auf Klo muß, wenn wir irgendwo halten, um etwas zu besichtigen. Dann werden schnell die hinteren Vorhänge zugemacht und das Geschäft verrichtet. Für das Klo bin übrigens ich zuständig. Was bedeutet einmal die Woche eine Möglichkeit zu finden, es zu entleeren und zweimal mit klarem Wasser auszuspülen. Normalerweise brauche ich dafür einen etwas abgelegenen Bulli und 20 Liter Wasser.

entgegen unserer sonstigen art, bulli nur abzuschließen und alle gardinen offen zu lassen, damit jeder sehen kann, daß es bei uns nichts zu klauen gibt, machen wir die gardinen jetzt zu, wenn wir weggehen.

einmal ist es passiert (das war auf zypern in lefkosa am ledra-palast), daß wir nachmittags geschlummert haben und ein paar kinder sich sehr für bullis innenleben interessierten. ich bin leise aufgestanden, hab dann ganz plötzlich den kopf aus dem fenster gehalten und auf deutsch geschimft. der schreck hat die kinder gelehrt nicht zu neugierig zu sein und weiterreichende dummheiten besser zu lassen. wenn alle gardinen zu sind, kann man nicht sehen, ob jemand im bulli ist. das ist sicherer.

Außerdem werden alle Wertsachen, also Pässe, Schlüssel, Geld, Laptop und so weiter, außer Sicht verkramt, dass man sie, auch wenn man im Bulli ist, nicht sofort sieht.

schmutzempfindlich dürfen wir nicht sein. der teppichfußboden vor der spüle müßte dringend mal shampooniert werden. eine idee, wie das gehen soll, gibt es bisher nicht. er wird regelmäßig abgefegt und dann bürsten wir eine halbe negev-wüste die stufe hinunter. es gibt nicht an jeder tanke einen sauger wie in deutschland.

hygienevorstellungen müssen auch hintan stehen. die socken hängen zum trocknen nach dem wandern über dem lenkrad. hand- und geschirrtücher, wasch- und wischlapppen, die zu hause alle paar tage in die wäsche wandern, werden jetzt mindestens zehn tage benutzt. zum trockenen hängen sie möglichst hoch unter dem dach, das geht am schnellsten. hier in israel gibt es nur wenige richtige campingplätze, die ev. eine waschmaschine haben könnten. es gibt zum glück in jerusalem und tel aviv waschsalons und auf dem weg nach israel hab ich mehrmals mit der hand gewaschen, wenn wir auf einem campingplatz waren.

einmal war bulli voller fliegen, wohl, weil die wandersocken so verlockend gerochen haben. und irgendwann hatten wir abends lauter kleinstfliegen an der decke, weils drinnen so schön hell war. davor darf man sich auch nicht gruseln. zum glück verschwanden die fliegen während der fahrt und das andere zeug suchte sich, als wir schlafen gingen, eine andere lichtquelle.

körperpflege findet als katzenwäsche statt. michel stellt manchmal den wasserkanister auf den gartenschrank und dreht den hahn für eine improvisierte dusche auf. mir ist das jetzt meist zu kalt, bin aber immer etwas neidisch, weil er danach so prima erfrischt ist. in griechenland und der türkei hab ich das aber auch gemacht. tel aviv ist klasse. da gibt es am strand umsonst heiße duschen. aber man gewöhnt sich auch an die pfützenwäsche in der spüle.

Mit etwas Übung bekommt man sich mit drei Litern Wasser im Waschbecken und einem Waschlappen erstaunlich sauber!

bulli ist ein raumwunder. es gibt im einen oder anderen fach tatsächlich noch platz. ich wische alle paar wochen die regale und fächer aus und sortiere sie neu. darin werde ich immer besser, weil platzsparender. auf der anderen seite müssen wir auch ein bischen umeinander herum leben. es kann nur einer in den klamottenkisten oben wühlen. der andere macht sich entweder auf dem beifahrersitz klein oder wartet besser draußen. wenn einer das bett zusammenschiebt, kann der andere nichts anderes nebenbei im bulli machen.

und ich muß ganz bewußt beim kochen einen schritt nach dem anderen tun, damit ich nicht ständig alles hin und her räumen muß. also erst wasser in die töpfe füllen. dazu brauche ich die stellfläche vom herd für den kanister, die ich später für den gaskocher hochklappe. die vorräte aus dem kühlkasten holen, dann gaskocher anschließen, feststellen, daß der gashahn noch nicht aufgedreht ist, also vorräte noch mal auf der bank zwischenlagern, weil ich sonst die klappe vom gasflaschenfach nicht aufkriege. vorräte wieder zurückräumen, weil ich auf der bank zum gemüseschnippeln sitze. und so weiter.

michel kümmert sich um die wasservorrräte. wenn er den bullitank befüllt, damit ich „wasser aus dem hahn“ habe, muß er hinten unterm bett den gartenschlauch anbringen, den schweren kanister auf die wäschefach-klappe hieven und über trichter und schlauch das wasser gluckern lassen. normalerweise geht der tank ganz einfach zu befüllen. heckklappe auf, einfüllstutzen vom tank ausklappen, öffnen, wasser rein und alles wieder zumachen. aber auf dieser reise steht der gartenschrank auf der anhängerkupplung und die heckklappe geht nicht auf. also mußte michel sich was ausdenken.

Pro Tag brauchen wir übrigens in etwa 20 Liter Wasser, für Kochen, Trinken, Abwaschen, Waschen und Klo. Da wir insgesamt 100 Liter Wasser verproviantieren könnnen, sind wir fünf Tage unabhängig, ohne uns einschränken zu müssen. Wenn wir uns einschränken, kommen wir auch mal zwei oder drei Tage mit 10 Liter am Tag aus, darunter würde es aber unangenehm, weil Körper und Geschirr komplett ungewaschen blieben. Meistens halten wir so in etwa 40 Liter Wasser vor. In Israel gibt es genug öffentliche Trinkwasserbrunnen (ich schreibe hier bewußt Israel, denn die Palästinenser leiden gleichzeitig Wassermangel), in Griechenland, der Türkei und auf Zypern haben wir große Wassergalonen mit 10 bis 20 Liter Inhalt im Supermarkt gekauft.

das klingt alles mühseliger als es ist. umständlich ist es manchmal, ja. aber es ist immer wieder schön, wenn eine mögliche verbesserung funktioniert, wenn ich das essen auf dem tisch habe und mich nicht hauptsächlich mit „gegenständen hin- und herschieben“ beschäftigt habe. wenn die wäsche trocken und einigermaßen frisch in sortierten kisten liegt. wenn ich auf ein frisches porta potti gehen darf, das michel grad mit akribie und viel wasser gereinigt hat.

und wenn wir dann gemütlich im bett liegen, jeder noch mit einem buch vor der nase, draußen rauscht vielleicht ein meer oder der straßenverkehr von ferne, irgendwo bellt der obligatorische hund oder der regen trommelt ausnahmsweise aufs dach, dann ist bulli der schönste ort auf der welt.

Nach dem Abendessen und vor dem Abwasch
Die „Puppenküche“
Klamotten und Rucksack liegen auf dem Fahrersitz, Socken hängen zum Trocknen über dem Lenkrad.