Auf nach Haifa

Montag bis Mittwoch, 6.–8.11.2017

jetzt wird‘s ernst. die flugtickets hat michel in der tasche, auch die 700 dollar hat er in bar dabei. am hafen in mersin treffen wir unseren ‚verbindungsmann‘, der michel durchs einschiffen von bulli geleiten wird. ich bin derart neben der kappe, das ich froh bin, derweil mit einem tee an der teestube gegenüber auf ihn warten zu können. nein, mir ist nicht wohl dabei, bulli allein aufs schiff zu lassen. überhaupt nicht! ich fühle mich, als würde ich unseren gefährten im stich lassen. er ist mein zuhause!!!!! die rucksäcke haben wir mit dem wichtigsten gepackt. das muß für die nächsten tage reichen.

und dann kommt michel mit dem kapitän des schiffes wieder, der total begeistert von bulli ist und mir in die hand verspricht, gut auf ihn aufzupassen. er ist richtig enttäuscht, daß auch michel fliegen wird und nicht mitfährt. mir geht es gleich viel besser. durchsucht wurde bulli nicht.

Der Kapitän des Schiffes war so begeistert von Bulli, dass er gleich ein Selfie mit Bulli machen mußte. Und dann für ein zweites Selfie zu bina aus dem Hafen rauskam.

mit dem bus fahren wir nach adana und mieten uns zum ersten mal auf dieser reise in ein hotel ein. 4 qm bett in einem 15 qm zimmer, samt fernseher und einem 5qm bad ganz aus marmor. mit endlos heißem wasser und strahlend weißen handtüchern. und wir können all unsere sachen im zimmer verstreuen und uns trotzdem noch bewegen! ich weiß mich gar nicht zu lassen. welch luxus!
mit ein bischen verpflegung und einem guten film bleiben wir einfach mal von nachmittags bis zum nächsten mittag im bett! unser flug geht ja erst abends.

Luxus im Hotel

Nach dem Regentag haben wir als gelernte Norddeutsche natürlich sofort auf „Herbst“ umgestellt: Lange Hose und Pullover. Wir schwitzen uns tot und kehren zum Sommeroutfit zurück. Das hiesige Kleinbussystem ist billig und superpraktisch. Man muß nie lange auf einen Bus warten, und die 80km
Mersin-Adana kosten umgerechnet gerade mal 3€.

Warten auf den Flieger
Schnee in den Bergen auf 3000m und Sommersonne im Tal

der flug ist anstrengend. viel übliche warterei, gate suchen, herumsitzen, schlangestehen beim einchecken. auch frieren, weils in istanbul erstaunlich kalt ist. irgendwann kann ich nicht mehr sitzen, aber da sind wir zum glück schon im landeanflug auf den ben-gurion-flughafen.

mitternächtens sind wir endlich in israel, finden ein sheruk (ein sammeltaxi) nach haifa, das uns in rasanter fahrt vor das passenger-gate am hafen bringt. die wachen dort schauen erstaunt und schicken uns wieder weg, weil jetzt natürlich keiner da ist, der uns helfen kann. es ist 3:00 Uhr morgens und wir müssen sehen, daß wir noch ein bisschen schlafen. wir finden irgendwo in der stadt eine leerstehende wohnung, auf deren terasse wir etwas versteckt ein paar stunden ruhe finden.

Unsere Schlafterasse in Haifa

morgens dann beginnt die aktion ‚bulli aus dem hafen befreien‘. das zu beschreiben würde den rahmen sprengen. deshalb hier der versuch es kurz, aber unterhaltsam zu machen:

gesamtdauer: 8,5 std.
persönlich beschäftigte menschen: mind. 10
telefonisch beschäftigte menschen: mind. 5
telefonate: mind. 15
besuche bei der versicherungsagentur: 2
besuche bei der zuständigen reederei: 3
anlaufstellen, die wir nacheinander abgehakt haben (davon ein paar mehrfach): insgesamt 10
kontrolle der unterlagen und papiere von verschiedenen hafenangestellten: 4
entzifferungsversuche von deutschen autopapieren durch hafenbeamte und versicherungsangestellte: 4
erklärung unsererseits, was ein camper oder caravan ist: 3
kosten für gebüren, versicherungen etc: reichlich
dazu kommen:
erstaunensausbrüche ob unserer reise: 3
neidisches fragen div. angestellter: ‚ich will auch, darf ich mit???‘ : 3
begeisterungsäußerungen über bullis innenleben: 3
freundlichkeits- und hilfsbereitschaftslevel auf einer skala von 1-10: 10
gründliches bulli-durchsuchen, vielleicht röntgen, drogenhunde holen o.ä.
(wir haben mit allem gerechnet): 0 (ohne witz!!!!)

unser besonderer dank gilt lissy von der schiffsgesellschaft, die ihre eigentliche arbeit im stich ließ, um uns zu helfen und christo, der unermüdlich mit uns im hafen a nach b und zurück fuhr, regelte, erklärte, die kontrolle am hafentor aufhielt, die eigentlich um 16:00 Uhr feierabend hatte, aber wir noch nicht fertig waren.

bulli steht tatsächlich wohlbehalten am kai. wir brauchen bloß einzusteigen und loszufahren. nur die radkappen hatte man abgenommen, aber sorgfältig im fußraum deponiert.

ja, ich gebe es zu: ich habe ihn zur begrüßung erst mal gestreichelt und vor erleichterung ein bischen geweint. wir fahren nicht weit. nur eben den karmel-berg hoch, oberhalb des garten der bahai, wo man am straßenrand gut stehen kann. essen, schlafen. mehr ist heute nicht mehr drin.

wir sind in israel/palästina. alle drei und wohlbehalten. wie wir uns das gewünscht hatten. ich kann es kaum glauben! wir haben es tatsächlich bis hierher geschafft!

wir haben ein visum für drei monate, eine autoversicherung für einen monat und eine adresse, wo wir beides verlängern können. mal schauen, ob es klappt.

und eine große frage wird auch gleich geklärt:

wie, zum teufel, halten diese kleinen kippas auf den stoppelhaaren der gläubigen juden. eigentlich müßten die ständig runterfallen, tun sie aber nicht.

wir fragen einen mit besonders kurzen haaren und einer kleinen und damit rutschgefährdeten kippa. er lacht und zeigt sie uns: innen befindet sich eine kleine anti-rutsch-matte, die ständige abstürze der kippa verhindert. das klämmerchen an der seite ist offentsichtlich nur zierde.

Haifa, das sich über dem Hafen den Hang des Karmel-Berg hinaufzieht, scheint eine wirklich lebenswerte Stadt zu sein. Nur leider waren wir schon mal in Israel/Palästina und kennen die große Schattenseite der so offenen liberalen israelischen Gesellschaft: die Besatzung der Westbank. Und wir wissen um die Vergangenheit: die ethnische Säuberung Palästinas. Denn hier lebten vor 1948 andere Menschen: Araber. Und die haben ihre Heimat nicht freiwillig verlassen. Sie wurden im Rahmen einer groß angelegten ethnischen Säuberung vertrieben. Planmäßig mit allem was dazu gehört, Massaker inklusive.

Ein sehr gutes Buch dazu ist „Die ethnische Säuberung Palästinas“ von Ilan Pappe, einem israelischen Historiker, der den „Plan D“ (oder „Dalet“) auf Grundlage des Archivs der Haganah, den Tagebüchern Ben Gurions und einiger anderer Quellen – wie dem Archiv des Roten Kreuzes – sehr gut aufgearbeitet hat. Er wird immer wieder mein innerer Reisebegleiter durch dieses Land sein.

Zu Haifa weiß ich noch, dass ein Großteil der Araber zur Deportation unten am Hafen zusammengetrieben worden war und dann von oben, von den Hängen des Karmel, auf die Menschenmenge geschossen wurde.

Tel Aviv

Donnerstag bis Samstag, 9.–11.11.2017

Nachdem ich zwei Probleme am Bulli behoben habe, geht es auf nach Tel Aviv. (Es mußte die Glühlampe Abblendlicht Beifahrerseite ausgewechselt werden und der Motor verlor etwas Diesel. – Ein paar Schrauben hatten sich gelockert. Nachziehen und gut.)

Auf der Fahrt von Haifa nach Tel Aviv sehe ich zum ersten Mal im Leben wilde Pelikane. Im Flug sehen sie von weitem wirklich aus wie Flugsaurier.

Ansonsten erinnert mich die Gegend zwischen Haifa und Tel Aviv stark an die Niederlande: Intensivste Landwirtschaft; eine gigantische Infrastruktur von Autobahnen, Stromleitungen, Zugtrassen und so weiter; Firmengebäude, die aussehen wie notgelandete Ufos; und Städtchen, die offensichtlich am Reißbrett geplant wurden. Klar, die Niederländer haben ihr leeres Land dem Meer abgerungen, die Israelis den Palästinensern.

Was wirklich unglaublich ist, ist die Art wie hier Baustellen betrieben werden. Da kommen auf 200m Autobahnbaustelle 20 Baustellenfahrzeuge, die alle in Betrieb sind und mindestens 50 aktive Arbeiter. Auf diese Weise wird eine Baustelle, die bei uns monatelang die Autobahn verengt, in wenigen Tagen abgearbeitet. – Wir fahren durch eine solche Turbobaustelle, und ich weiß von vor sechs Jahren noch, was die in wenigen Tagen schaffen. Damals hatten sie in drei Wochen etwa 20km Autobahn komplett erneuert. Und ich meine komplett! Warum geht das bei uns nicht?

tel aviv hat kaum parkplätze und in 90% der fälle auch nur gegen entgelt. selbst über einen solchen parkplatz nur drüberzufahren kostet  5nis (neue israelische schekel). in einer seitenstraße finden wir einen stellplatz, werden aber weggebeten, weil der nur für anwohner ist. doch etwas außerhalb gibt es einen umsonstparkplatz, wo wir die nächsten drei tage stehen bleiben. die bromptis (unsere falträder) spreche ich irgendwann heilig.

tel aviv ist ohnehin die stadt der klapp- und falträder. fast alle haben einen e-motor und flitzen mit gefühlt 50 sachen über die fahrradwege. und es ist die stadt der jogger und fitnessbegeisterten. überall wird gejoggt, es gibt am strand sehr viele außensport-anlagen, die von allen generationen und geschlechtern genutzt werden. man macht yoga am strand, dehnübungen auf dem bürgersteig. soviel sport wird noch nicht einmal im sommer an der alster getrieben.

Novembertag in Tel Aviv

am nächsten tag (freitag) ist michel nicht wohl und bleibt lieber im bett.
ich erkunde die stadt.

grau ist die weiße stadt geworden. etwas morbide. nur wenige bauhaus-gebäude sind renoviert und werden dem namen der stadt gerecht. der berühmte „carmel-market“ ist tatsächlich auf den ersten blick schön. einerseits kunsthandwerk edelster güte, dann der lebensmittelmarkt wie ich ihn in antiochia sah. aber die stände werden meist von israelis betrieben. zuweilen gibt es arabische stände, einer sogar mit meinem geliebten künefe, aber nur wenige. mir kommen sie wie ein alibi vor. es ist gestohlene kultur.

nein, ich hab nichts dagegen, wenn man schöne dinge aus anderen kulturen oder von anderen völkern übernimmt. ich spiele ja auch die bodhran, obwohl ich weder irin bin noch dort lebe.
aber ich behaupte nicht, die iren würde es nicht geben oder die bodhran sei ein deutsches schlaginstrument.

diese haltung erlebt man in israel immer wieder. hummus wird als israelische nationalkost bezeichnet. selbst studierte menschen wie der mann in haifa, den wir wegen der kippa fragten und der anwalt ist, sagt ohne arg: ‚dies land wurde uns von gott gegeben.‘ als hätten hier nie palästinenser gelebt. so fühlt es sich auch auf diesem markt an und ich verlasse ihn mit einem flauen gefühl im bauch.

abends spiele ich dann endlich im „molly blooms“ in der session. ich werde herzlich aufgenommen.

die regeln sind etwas anders als ich sie kenne. sets bestehen aus 4 bis 5 tunes, wenn ein tune zuende geht, sagt einer kurz den nächsten an und spielt ihn an. nicht wie im irish rover in hamburg, wo einer ein set anführt und es auch in tempo und wiederholungen zuende leitet. hier sortieren sie nur nach reels und jigs, polkas u.s.w. wir sind drei bodhrani und wir alle spielen fröhlich und gleichzeitig drauflos. ich versuche, mich im spielmuster den anderen etwas anzupassen (das gelingt mir nur zeitweise). und als wir alle drei mal päuschen machen, gibt‘s gleich beschwerde von der fiddle: ‚wo seit ihr? ich kann ohne euch nicht spielen!‘

die jigs haben noch gemäßigtes tempo, die reels und polkas sind gradezu rasant. ich verziehe mich oft aufs halbe tempo und hoffe, ich bremse die session nicht zu sehr aus. na, immerhin werde ich später gefragt, ob ich nächsten freitag wieder dabei bin.

Im Molly Blooms

dann ist am nächsten tag erst mal sabbath. aber wir wären nicht in tel aviv, wenn man das sonderlich merken würde. die ultra-orthodoxen juden bleiben zu hause und die busse fahren weniger bis gar nicht. aber der säkulare teil der bevölkerung genießt den sonnigen novembertag am strand, macht mit der familie ausflüge, geht bummeln. am hafen haben auch die geschäfte geöffnet.

wir lümmeln ebenso am strand, im queerteil selbstverständlich, der am ende der bucht liegt. lustigerweise gleich neben dem abgesperrten teil für die orthodoxen juden, der völlig sichtgeschützt ist und am sabbath für alle offen, weil die orthodoxen samstags eh nicht an den strand gehen.

Der orthodoxe Strandabschnitt ist mit Palisaden vom übrigen Strand abgegrenzt und abwechselnd je einen Tag nur für Männer und einen nur für Frauen geöffnet. Da der Strand hier die Form eines „U“ hat, kann man vom schwulen Strand direkt zu den orthodoxen rübersehen. Wie man auf die Idee kam, den orthodoxen Strand ausgerechnet zwischen den schwulen Strand und den FKK-Strand zu legen ist mir ein Rätsel. Der FKK-Strand heißt hier übrigens tatsächlich ganz offiziell „Spanner-Strand“. Ist das nun Humor oder Realitätssinn?

der strand ist toll organisiert. alle paar hundert meter gibt es einen stand mit toiletten, süßwasserduschen für nach dem baden, günstigem essen und trinken, eventuell einem surfbrett-verleih oder einen büchertausch-wagen. strandliegen kann man für wenig geld mieten, muß man aber nicht. wer trotzdem nicht im sand liegen will, hockt sich einfach auf die treppe, die stellenweise auch rundungen wie liegen hat.

ab und zu ertönt eine lautsprecherdurchsage in vier bis fünf sprachen, daß das baden verboten ist, weil die life-guards nur von april bis oktober arbeiten. es hält sich aber keiner dran und als ich im molly blooms danach gefragt habe, lachten alle auch nur.

Tel Aviv und der zugehörige Strand sind echt toll. Kein Wunder, dass die Immobilienpreise hier mit die höchsten der Welt sind. Der Strand ist feinsandig und die Infrastruktur (wie Duschen, Klos und Fitnessgeräte) ist gut und kostenlos. Für wichtige Produkte gibt es einheitliche Sozialpeise. So kostet eine Pita mit Hummus überall am Strand 12 Schekel (also etwa 3€). Wir liegen in der Sonne und sehen den Schwulen zu, die sich gegenseitig beim Workout an den Fitnessgeräten zusehen. Zwischendrin gehen wir ins Wasser oder lesen in unseren Büchern. Das einzige, was mir die Idylle trübt ist, dass ich in der Ferne Jaffa sehe. Heute ein Stadtteil von Tel Aviv, bis 1948 eine Palästinensische Stadt, deren Bewohner ins Meer getrieben wurden. Sie mußten sich mit Booten aus ihrer belagerten Stadt evakuieren. Viele ihrer Nachkommen leben heute im Gazastreifen.

Bei der Ausländerbehörde

Sonntag, 12.11.2017

Wir hätten uns vom Känguru einen „Scheißverein-Aufkleber“ mitnehmen sollen. Eigentlich wollten wir schon am Donnerstag zur Ausländerbehörde, um unsere drei Monate geltenden Touristenvisa auf fünf Monate zu verlängern. Aber der freundliche Mensch in der Securityuniforn sagte, dass wir morgens zwischen 8 und 9 Uhr zu kommen hätten. Also sind wir heute um 7:25 Uhr da und stellen uns in die lange Schlange. Um 8:30 kapieren wir, warum es nicht vorwärts geht: Wir stehen in der Schlange für Asylbewerber und die wird nachrangig abgearbeitet. Also in die andere Schlange wechseln. Wir sagen unseren Mitwartenden Bescheid und etwa ein halbes Dutzend von ihnen wechselt ebenfalls die Schlange. Dann Nummer ziehen und vier Stunden warten. Nur um von der Sachbearbeiterin angeblafft zu werden, warum wir denn so lange bleiben müßten? Wir antworten, wir müßten nicht, wir seien Touristen und wollten so lange bleiben. Die Antwort ist kurz und knackig: Touristenvisa würden prinzipiell nie(!) verlängert. – Wie machen das dann die ganzen Israelis, die mit Touristenvisa in Berlin leben?

Naja, wenigstens ist der Strand nett und das Wetter gut.

Ach ja, und die Fledermäuse hier sind erstaunlich groß! Etwas größer als bei uns die Tauben. Zwar noch keine Flughunde, aber auf jeden Fall Flederratten.

für alle, die das känguru nicht kennen: die ‚känguru-chroniken‘, das ‚känguru-manifest‘ und die ‚känguru-offenbarung‘ von marc-uwe kling. witzig, subversiv und ein bischen gemein.
hörenswert: auf dem sehr bekannten filmchen-abspiel-kanal im internet ‚känguru – ausländerbehörde‘ eingeben. mich hebt’s vor lachen jedes mal aus den angeln.

Bürokratie in Jerusalem

Montag bis Dienstag, 13.–21.11.2017

Die Vormittage der Werktage der kommenden anderthalb Wochen verbringe ich im Wesentlichen mit einer Behördenodyssee in Jerusalem, um die Papiere zusammen zu bekommen, die wir brauchen, um Bulli hier drei Monate lang legal fahren zu dürfen. Nachmittags schauen wir uns Jerusalem an. Und das Wochenende verbringen wir im keine Stunde Fahrt entfernten Tel Aviv. Aber das werden eigene Blogeinträge.

Die Behördenodyssee in Kurzform:

1) Misrad Ha Raschui (allgemeine Zulassungsbehörde): Schickt mich zur Ausländerbehörde, weil ich kein Visum im Pass habe.
2) Ausländerbehörde: Will mir kein Visum in den Pass stempeln, weil Deutsche kein Visum brauchen und deshalb auch keins bekommen. Mit Hartnäckigkeit und Chuszpe bekomme ich irgendwann von der Chefetage eine Sondergenehmigung und somit das Visum, welches es eigentlich nicht gibt.
3) Misrad Ha Raschui: Schickt mich diesmal zum Optiker für das „Grüne Blatt“, das jeder(!) für einen Führerschein benötigt.
4) Optiker: Untersucht meine Augen nicht, weil ich ja einen deutschen Führerschein habe, händigt mir aber das „Grüne Blatt“ aus. (Ohne sonst irgendwas sonst getan zu haben!)
5) Misrad Ha Raschui: Stellt mir einen vorläufigen israelischen Führerschein aus, den man als Tourist zwar nicht für ein Mietauto braucht, aber für ein selbst mitgebrachtes Auto. Dann schicken sie mich zur Post und zur Steuer- und Zollbehörde.
6) Post: Hier muß ich den Führerschein bar bezahlen. (Die Misrad Ha Raschui hat keine Kasse.)
7) Steuer- und Zollbehörde: Eröffnet mir, dass ich neben einer Versicherung für den zweiten und dritten Monat (für den ersten Monat haben wir schon eine) auch eine Bankbürgschaft einer israelischen Bank über alle Steuern brauche, die ich dem israelischen Staat für ein Jahr schulden würde, wenn ich Bulli dauerhaft einführen würde. – Anmerkungen hierzu: Die meisten Staaten der Welt werden durch die internationale „Grüne Versicherungskare“ abgedeckt. Aber einige wenige (obskure) Staaten wie Nordzypern, Iran oder Nordkorea deckt sie nicht ab. Und zu diesen Staaten gehört auch Israel. Für die Bankbürgschaft gibt es auch ein weltweit einheitliches System, das „Carnet de Passage“, welches selbst im Iran und Nordzypern funktioniert. Die einzigen mir bekannten Staaten, die hier nicht mitmachen sind Nordkorea und eben Israel. Ach ja, und ganz nebenbei dürfen Touristen ihr Auto für drei Monate steuerfrei nach Israel einführen.
8) Normales Versicherungsbüro: Sie dürfen Bulli nur für Zeiträume von über einem Jahr versichern. Die staatliche Erlaubnis und Verpflichtung für Versicherungen für kürzere Zeiträume hat nur „Pool“.
9) „Pool“: Sie dürfen und müssen alle Zeiträume versichern. Stellen sich aber auf den Standpunkt, dass sie für Touristen nur Transitversicherungen für eine Woche ausstellen. Wenn ich drei Monate lang bleiben wolle, müsse ich mein Auto erst komplett in Israel zulassen, bevor sie es versichern. Nachdem ich am selben Tag drei Mal bei ihnen aufgelaufen bin, und immer wieder die Hotline angerufen habe, geht es dann plötzlich doch. Ich soll am nächsten Tag wiederkommen.
10) „Pool“: Am nächsten Tag bekomme ich schnell und unkompliziert meine Autoversicherung für die fehlenden zwei Monate.
11) Post: Hier muß ich die Versicherung bar bezahlen. Das Büro von „Pool“ hat weder eine Kasse noch eine normale Bankverbindung.
12) Etwa ein halbes Dutzend Banken: Von den Erlebnissen am Schalter will ich hier drei wiedergeben:
12a) Am Ausländerschalter: „Wir eröffnen prinzipiell keine Konten für Ausländer.“ – „Ah, das erklärt, warum der Ausländerschalter der einzige Schalter ohne Warteschlange ist.“
12b) „Kein Problem, Sie müssen nur 50.000$ als Einlage auf das Konto überweisen.“ – „Das kann ich nicht.“ – „Oh, Sie können die 50.000$ auch unkompliziert jetzt sofort in bar einzahlen.“ – „Sehe ich aus wie Pablo Escobar?“ (OK, das Letzte denke ich nur.)
12c) „Kein Problem, Sie müssen auch nur die Bürgschaftssumme einlegen. Wir können Ihnen einen Termin zur Kontoeröffnung am Mittwoch nächster Woche geben.“ – „PRIMA! Dann mache ich jetzt erstmal eine Woche Urlaub!“

Dass Kafka ein Prager Jude war, ergibt für mich inzwischen noch mal ganz anders Sinn. Er muß der heimliche Schutzpatron der Israelischen Bürokratie sein.

ich hab mir irgendwo eine kleine erkältung geholt. einen der tage bleibe ich komplett im bett und schlafe den schnupfen weg, an einem anderen mache ich einen längeren spaziergang auf den alten schienen. das ist wirklich eine nette idee: der erste bahnhof der stadt und die schienentrasse sind im laufe der jahre obsolet geworden. aus dem bahnhof wurde ein veranstalungsgelände geschaffen. mit fressbuden, restaurants, bühne, kinderbespaßung, toiletten und netten plätzen zum verweilen. die bahnsteige sind noch zu erkennnen und aus dem gleisbett wurde ein spazierweg mit grünstreifen und radweg gemacht. auf den wiesen rechts und links lagern elternteile mit ihren kindern unter bäumen, ältere leute sitzen auf den vielen bänken, es wird gejoggt, geradelt, in die stadt zur arbeit gegangen. und die rosmarinhecken stehen am rand zum teil noch in blüte und duftend.

ich bin recht froh, daß michel beim behördenmarathon die nerven behält. ich hätte sie längst verloren und den spaß an der sache dazu.

ja, wir wollen uns ein bishen mehr hier einbringen, tiefer bohren, leute kennenlernen, dieses land noch besser verstehen. aber doch nicht in sachen bürokratie! das haben wir zu hause auch.

ich muß jetzt wieder häufiger an unsere syrischen freunde zu hause denken. mir ist aufgefallen – ja, zugegebenermaßen war ich auch etwas amüsiert – dass die ersten worte, die sie in deutschland lernten, behördennamen wie ‚jobcenter‘ waren. typisch deutschland. jetzt geht es uns ähnlich. misrach…wiewardasnoch kann michel schon ganz flüssig sagen.

Stadtbummel in Jerusalem

Montag bis Mittwoch, 13.–15.11.2017

1. Stadtbummel

Wir betreten die Jerusalemer Altstadt wie die meisten christlichen Pilger durch das Jaffator und lassen uns durch die engen Gassen treiben. Wir genießen es, im Altstadtlabyrinth den Weg zu verlieren und uns nach Sonnenstand und Gefühl zu orientieren. Wir halten uns Richtung Damaskustor und überschreiten irgendwann jenseits der Via Dolorosa eine unsichtbare Grenze. Das Publikum und das Warenangebot ändern sich grundlegend.

Zwischen Jaffator und Grabeskirche sowie die Via Dolorosa entlang, sind hauptsächlich Touristen und Pilger unterwegs und das Sortiment wird von Andenken und Devotionalien bestimmt. Jenseits davon sind die einheimischen Palästinenser in der Mehrheit, so dass dies eine richtige arabische Altstadt mit dem entsprechenden, bunt gemischten Warenangebot ist.

ich habe ‚mein‘ shouk-problem. am liebsten möchte ich von allem was mitnehmen, probieren… und am liebsten würde ich jetzt sofort perfekt arabisch verstehen und sprechen können, um alles, was gerufen und gesagt wird, zu verstehen und mitreden zu können. ich nehme mir vor, jeden abend ein wort oder einen satz arabisch zu lernen.

Altstadt zwischen Jaffator und Grabeskirche
Altstadt jenseits der Pilger- und Touristenströme

Wobei der arabische Teil der Altstadt unter Druck steht. Immer mehr jüdische Siedler lassen sich hier nieder. Ihre Häuser gleichen Festungen, werden stark bewacht und bleiben Fremdkörper in ihrer Nachbarschaft.

Ein Siedlerhaus im muslimischen Teil der Altstadt

Vom Damaskustor aus gehen wir kreuz und quer, erkunden insbesondere die kleinen, engen verwinkelten Nebengänge und halten uns grob Richtung Klagemauer. Wenn wir uns dieses dreidimensionale Labyrinth verwinkelter enger Gassen ansehen, kommen wir zu dem Schluss, dass hier 1967 als Israel die Jerusalemer Altstadt während des Sechstagekrieges im Handstreich erobert hatte, keine arabische Armee war. Die Erzählung zum Sechstagekrieg von 1967 geht ja in etwa so, dass die Armeen von Ägypten, Jordanien und Syrien zum Angriff bereit standen und Israel sie in einem sechstägigen Präventivkrieg besiegt hat. Bei der Eroberung Ostjerusalems im Handstreich gingen die Israelis zudem mit besonderer Vorsicht und ohne schwere Waffen vor, um die heiligen Stätten von Judentum, Christentum und Islam zu schonen. Die Altstadt Jerusalems ist ein einziger natürlicher Hinterhalt. Sie ist eine Festung, die eine mittelmäßige Freischärlertruppe wochenlang gegen jede Armee der Welt halten könnte. Erst recht, wenn letztere auf schwere Waffen verzichtet.

Kreuzung in der Altstadt: Ja, von links oben kommt tatsächlich eine Treppe und damit ein Weg runter. (Also links neben dem Gitter und damit leider nicht im Bild.)
Es braucht nicht viel, um eine Altstadtgasse zu blockieren – ein sehr schmaler Trecker reicht.

Gegen Sonnenuntergang erreichen wir dann den klar abgegrenzten jüdischen Teil der Altstadt. Wobei dieser Teil nicht alt ist. Es handelt sich im Wesentlichen um einen „auf alt getrimmten“ Neubau, der so tut, als ob er eine natürlich gewachsene Altstadt sei. Was ihm aber nicht wirklich gelingt. Das jüdische Altstadtviertel wirkt erstaunlich steril:

Blick von der Grenze in das muslimische Viertel der Altstadt
Die Grenze
Blick von der Grenze in das jüdische Viertel der „Alt“stadt

Anschließend gehen wir voll mit neuen Eindrücken nach Hause (in den Bulli) und kochen Abendessen.

Polizei begeht Fahrerflucht

Bulli haben wir auf einem inoffiziellen Parkplatz etwa einen Kilometer nördlich der Altstadt geparkt (Richtung Bethlehem). Eines Abends, während wir Abendessen kochen, hält ein Polizeiauto neben uns und die Polizisten fragen uns, ob wir hier übernachten und alles OK sei. Als wir bejahen, wollen sie wieder wegfahren, rammen aber im Zurücksetzen ein anderes geparktes Auto. Sie betrachten kurz den Schaden, sehen sich verstohlen um und verschwinden dann so schnell wie möglich. – Nicht, dass sie nachher noch von der Polizei erwischt werden!

Die Beule, die die Polizisten ihrem Opfer reingesemmelt haben.

2. Stadtbummel

Wir spazieren zunächst gegen den Uhrzeigersinn außen um die Altstadt herum, wobei wir von West- nach Ostjerusalem wechseln. Schon nach einer Viertelstunde bietet sich uns ein Blick, der ein Wechselbad der Gefühle bewirkt. Links vorne der Zionsberg mit der Dormitio-Abtei und rechts hinten die Sperrmauer, welche die Palästinenser im Westjordanland einschließt.

Links vorne der Zionsberg mit Dormitio-Abtei, rechts hinten die Sperrmauer
Zoom auf die Sperrmauer

Wir gehen unterhalb des Zionsberges entlang und gelangen nach Silwan. Dieser arabische Stadtteil liegt direkt unterhalb des Tempelberges und der Klagemauer. Und er hat das Pech, dass hier vermutlich die erste Siedlung lag, also das ganz alte Jerusalem. Der Staat Israel hat die Aufgabe, diese sogenannte „Davidstadt“ auszugraben, an eine rechte Stiftung mit viel US-amerikanischem Geld übertragen. Diese Stiftung hat Siedler in den Stadtteil gebracht und verwendet die Archäologie als Waffe zur ethnischen Säuberung.

Gruppe bei einer Führung durch die archäologischen Ausgrabungen
Wie man an der Tafel sieht, denkt man bei diesem Ausblick natürlich nicht daran, dass man auf einen arabischen Stadtteil sieht, sondern daran, dass hier antike Gräber einen jüdischen Anspruch belegen
Ausgrabung direkt unterhalb der al-Aqsa Moschee

Weiter geht es unterhalb der Stadtmauer am Hang des Kidrontals entlang. Gegenüber liegt der Ölberg. Hier im Goldenen Tor wird, da sind sich Juden, Christen und Muslime einig, am Jüngsten Tag der Messias erscheinen. Irgendein Herrscher von Jerusalem (ich habe vergessen wer) hatte aber Angst, dass das Erscheinen des Messias seine schöne Herrschaft beendet und hat das Tor vorsichtshalber zumauern lassen. Eine typisch Jerusalemer-Lösung für so ein Problem.

Das zugemauerte Goldene Tor

Da Juden und Muslime an die fleischliche Auferstehung am Jüngsten Tag glauben (Christen glauben an die Auferstehung der Seele) und diese Auferstehung von hier aus beginnt, ist es natürlich besonders erstrebenswert, hier begraben zu werden. Dann liegt man am Jüngsten Tag in der ersten Reihe. Folglich ist der Ölberg auf der anderen Seite des Kidrontals der größte jüdische Friedhof der Welt. Wobei die Ärmsten am Jüngsten Tag dennoch in der zweiten Reihe liegen. Denn auf dieser Seite hat sich noch ein muslimischer Friedhof dazwischengequetscht. – Der arme Messias!

Was uns allerdings verstört hat ist, dass der muslimische Friedhof offensichtlich erst vor kurzem geschändet wurde. Als wir die Polizei (die hier sehr, sehr stark präsent ist) danach fragen, können die Polizisten plötzlich kein Englisch mehr.

Blick vom geschändeten muslimischen Friedhof vor dem Goldenen Tor, über das Kidrontal, auf den jüdischen Friedhof auf dem Ölberg

Nach einer Pause im Garten Gethsemane, wo wir natürlich ein Abendmahl gegessen haben, geht es durch‘s Löwentor in die Altstadt hinein und die Via Dolorosa entlang zur Grabeskirche. Dass die heutige Via Dolorosa tatsächlich der reale Kreuzweg Christi ist, halten wir übrigens für eher unwahrscheinlich. Dann hätte der Palast des Pontius Pilatus an der tiefsten Stelle der Stadt gestanden. Paläste stehen normalerweise an einer hohen Stelle und überblicken die Stadt. Die einheimischen Christen gehen auch einen anderen Kreuzweg als die Pilger aus aller Welt.

Die Grabeskirche ist ein Erlebnis ganz eigener Art. Hier beten Pilger aus aller Herren Länder. Und sie gehört anteilig sechs christlichen Konfessionen, den Orthodoxen, den Katholiken, den Armeniern, den Kopten, den Äthiopiern und … eine hab ich vergessen. {Die „Griechisch-Orthodoxen“ und die „Syrisch-Orthodoxe Kirche von Antiochien“ hatte Michel zusammengefasst.} Die Lutheraner gehören nicht dazu.

Die Grabeskirche
Pilger aus Russland, den USA und Deutschland auf dem Vorplatz der Grabeskirche

Und da die Priester der sechs christlichen Konfessionen einander in der Kirche nicht gerade mit Nächstenliebe begegnen, haben seit Saladins Zeiten zwei muslimische Familien den Kirchenschlüssel und schließen täglich auf und zu. Außerdem lässt sich jede Nacht israelische Polizei mit einschließen, damit die heiligen Männer sich gegenseitig nichts tun. Denn sie streiten sich hier ganz ernsthaft um so wichtige Fragen wie die, ob diese Platte eine Treppenstufe ist:

Ist diese Platte eine Stufe?

Ist die Platte keine Stufe, so ist sie Teil des Vorplatzes der Kirche, welcher den Orthodoxen gehört und darf von diesen gefegt werden. Handelt es sich jedoch um eine Stufe, so ist sie Teil der Treppe zum Golgathafelsen, welche den Katholiken gehört und darf nur von Katholiken gefegt werden.

es kam übrigens zu einer salomonischen lösung:

diese stufe darf zweimal am tag gefegt werden. wir sahen übrigens zigarettenkippen genau da liegen.

die meisten anderen konflikte in dieser kirche harren noch einer lösung.

auf dem foto oben sieht man über dem eingang auf dem rechten fenstersims eine leiter stehen. die hat wohl jemand bei irgendwelchen arbeiten vor urzeiten vergessen. das fenster und der sims sind erstaunlicherweise keiner kirche zugeordnet. das genau ist das problem. denn derjenige, der diese leiter entfernen möchte, muß den sims betreten oder durch das fenster krabbeln und könnte dann ja besitzansprüche geltend machen. und das geht gar nicht. deshalb steht die leiter immer noch da und fällt wahrscheinlich irgendwann einem pilger auf den kopf. {Sie diente übrigens im 19. Jahrhundert den Mönchen zum Einstieg in die Kirche, wenn die Tore behördlich geschlossen waren. Quelle Wikipedia }

Das Innere der Kirche ist ein Gewirr von Kapellen und heiligen Ecken, die alle eifersüchtig von den Priestern der jeweiligen Konfession bewacht werden. Der wichtigste Ort ist natürlich das heilige Grab, vor welchem ein solcher Andrang herrscht, dass der diensthabende orthodoxe Priester den Pilgern nicht einmal Zeit für ein „Vaterunser“ läßt. Rein, Totenbett küssen, raus!

Das heilige Grab
Der Grabeingang in Nahaufnahme

Den besinnlichsten Ort in der ganzen Kirche fanden wir in der halb unterirdischen armenischen Kapelle und die dahinter und ganz unterirdisch liegende Kapelle der heiligen Helena. Dies ist der älteste Teil der Kirche und soll von Helena – der Mutter Kaiser Konstantins – gegründet worden sein.

Bina in der Armenischen Kapelle

Anschließend gehen wir wieder voll mit neuen Eindrücken nach Hause (in den Bulli) und kochen Abendessen.

Leben im Bulli

ich erzähle jetzt mal ein bischen von bulli.

der fährt uns so lieb überall hin. steht ohne zu murren da, wo wir ihn abstellen und wartet immer auf uns. bewacht unseren schlaf, schleppt brav den gartenschrank mit sich, trinkt jeden diesel, den wir ihm in verschiedenen ländern einfüllen und kommt mit fast jeder steigung bisher zurecht. da soll ihm ein kleines kapitel gewidmet sein.

nachdem michel anfangs doch etwas rückenprobleme hatte, weil wir auf dieser dreigeteilten rückbank-matratze schlafen, schichten wir jetzt zwei wolldecken, eine isomatte, ein zusätzliches plümeau übereinander, ehe wir das bettlaken aufziehen. das geht sehr gut. alles verschwindet tagsüber hinter der rückbank auf ganz bestimmte weise, das wir es abends nicht jedes mal neu schichten müssen.

Ob die Rückenprobleme wirklich von der dreigeteilten Matratze kamen, ist nicht ganz klar. Immerhin leben wir ja auch sonst in den Sommerferien wochenlang im Bulli. Aber seit wir das Bett auf die von bina beschriebene Weise bauen, ist es gemütlicher und bequemer und meine Rückenschmerzen sind weg.

das portapotti wird jetzt nicht mehr im gartenschrank verstaut, sondern bleibt vor der spüle stehen (also im fußraum vor der rückbank), dann muß michel es nicht immer hin und her tragen. wenn wir über nacht stehen, wird der beifahrersitz umgedreht, ein bischen nach vorn geschoben und die toilette paßt prima in den fußraum. damit haben wir auf dem klo sogar ein bisschen privatsphäre. und wir haben den vorhänger für frontscheibe und vordere seitenfenster immer parat. dann kann auch von außen keiner zugucken.

Bina morgens auf dem… ja genau!

Dass das Klo im Fußraum vor der Rückbank bleibt, hat auch ganz einfach den Grund, dass oft erst mal einer von uns auf Klo muß, wenn wir irgendwo halten, um etwas zu besichtigen. Dann werden schnell die hinteren Vorhänge zugemacht und das Geschäft verrichtet. Für das Klo bin übrigens ich zuständig. Was bedeutet einmal die Woche eine Möglichkeit zu finden, es zu entleeren und zweimal mit klarem Wasser auszuspülen. Normalerweise brauche ich dafür einen etwas abgelegenen Bulli und 20 Liter Wasser.

entgegen unserer sonstigen art, bulli nur abzuschließen und alle gardinen offen zu lassen, damit jeder sehen kann, daß es bei uns nichts zu klauen gibt, machen wir die gardinen jetzt zu, wenn wir weggehen.

einmal ist es passiert (das war auf zypern in lefkosa am ledra-palast), daß wir nachmittags geschlummert haben und ein paar kinder sich sehr für bullis innenleben interessierten. ich bin leise aufgestanden, hab dann ganz plötzlich den kopf aus dem fenster gehalten und auf deutsch geschimft. der schreck hat die kinder gelehrt nicht zu neugierig zu sein und weiterreichende dummheiten besser zu lassen. wenn alle gardinen zu sind, kann man nicht sehen, ob jemand im bulli ist. das ist sicherer.

Außerdem werden alle Wertsachen, also Pässe, Schlüssel, Geld, Laptop und so weiter, außer Sicht verkramt, dass man sie, auch wenn man im Bulli ist, nicht sofort sieht.

schmutzempfindlich dürfen wir nicht sein. der teppichfußboden vor der spüle müßte dringend mal shampooniert werden. eine idee, wie das gehen soll, gibt es bisher nicht. er wird regelmäßig abgefegt und dann bürsten wir eine halbe negev-wüste die stufe hinunter. es gibt nicht an jeder tanke einen sauger wie in deutschland.

hygienevorstellungen müssen auch hintan stehen. die socken hängen zum trocknen nach dem wandern über dem lenkrad. hand- und geschirrtücher, wasch- und wischlapppen, die zu hause alle paar tage in die wäsche wandern, werden jetzt mindestens zehn tage benutzt. zum trockenen hängen sie möglichst hoch unter dem dach, das geht am schnellsten. hier in israel gibt es nur wenige richtige campingplätze, die ev. eine waschmaschine haben könnten. es gibt zum glück in jerusalem und tel aviv waschsalons und auf dem weg nach israel hab ich mehrmals mit der hand gewaschen, wenn wir auf einem campingplatz waren.

einmal war bulli voller fliegen, wohl, weil die wandersocken so verlockend gerochen haben. und irgendwann hatten wir abends lauter kleinstfliegen an der decke, weils drinnen so schön hell war. davor darf man sich auch nicht gruseln. zum glück verschwanden die fliegen während der fahrt und das andere zeug suchte sich, als wir schlafen gingen, eine andere lichtquelle.

körperpflege findet als katzenwäsche statt. michel stellt manchmal den wasserkanister auf den gartenschrank und dreht den hahn für eine improvisierte dusche auf. mir ist das jetzt meist zu kalt, bin aber immer etwas neidisch, weil er danach so prima erfrischt ist. in griechenland und der türkei hab ich das aber auch gemacht. tel aviv ist klasse. da gibt es am strand umsonst heiße duschen. aber man gewöhnt sich auch an die pfützenwäsche in der spüle.

Mit etwas Übung bekommt man sich mit drei Litern Wasser im Waschbecken und einem Waschlappen erstaunlich sauber!

bulli ist ein raumwunder. es gibt im einen oder anderen fach tatsächlich noch platz. ich wische alle paar wochen die regale und fächer aus und sortiere sie neu. darin werde ich immer besser, weil platzsparender. auf der anderen seite müssen wir auch ein bischen umeinander herum leben. es kann nur einer in den klamottenkisten oben wühlen. der andere macht sich entweder auf dem beifahrersitz klein oder wartet besser draußen. wenn einer das bett zusammenschiebt, kann der andere nichts anderes nebenbei im bulli machen.

und ich muß ganz bewußt beim kochen einen schritt nach dem anderen tun, damit ich nicht ständig alles hin und her räumen muß. also erst wasser in die töpfe füllen. dazu brauche ich die stellfläche vom herd für den kanister, die ich später für den gaskocher hochklappe. die vorräte aus dem kühlkasten holen, dann gaskocher anschließen, feststellen, daß der gashahn noch nicht aufgedreht ist, also vorräte noch mal auf der bank zwischenlagern, weil ich sonst die klappe vom gasflaschenfach nicht aufkriege. vorräte wieder zurückräumen, weil ich auf der bank zum gemüseschnippeln sitze. und so weiter.

michel kümmert sich um die wasservorrräte. wenn er den bullitank befüllt, damit ich „wasser aus dem hahn“ habe, muß er hinten unterm bett den gartenschlauch anbringen, den schweren kanister auf die wäschefach-klappe hieven und über trichter und schlauch das wasser gluckern lassen. normalerweise geht der tank ganz einfach zu befüllen. heckklappe auf, einfüllstutzen vom tank ausklappen, öffnen, wasser rein und alles wieder zumachen. aber auf dieser reise steht der gartenschrank auf der anhängerkupplung und die heckklappe geht nicht auf. also mußte michel sich was ausdenken.

Pro Tag brauchen wir übrigens in etwa 20 Liter Wasser, für Kochen, Trinken, Abwaschen, Waschen und Klo. Da wir insgesamt 100 Liter Wasser verproviantieren könnnen, sind wir fünf Tage unabhängig, ohne uns einschränken zu müssen. Wenn wir uns einschränken, kommen wir auch mal zwei oder drei Tage mit 10 Liter am Tag aus, darunter würde es aber unangenehm, weil Körper und Geschirr komplett ungewaschen blieben. Meistens halten wir so in etwa 40 Liter Wasser vor. In Israel gibt es genug öffentliche Trinkwasserbrunnen (ich schreibe hier bewußt Israel, denn die Palästinenser leiden gleichzeitig Wassermangel), in Griechenland, der Türkei und auf Zypern haben wir große Wassergalonen mit 10 bis 20 Liter Inhalt im Supermarkt gekauft.

das klingt alles mühseliger als es ist. umständlich ist es manchmal, ja. aber es ist immer wieder schön, wenn eine mögliche verbesserung funktioniert, wenn ich das essen auf dem tisch habe und mich nicht hauptsächlich mit „gegenständen hin- und herschieben“ beschäftigt habe. wenn die wäsche trocken und einigermaßen frisch in sortierten kisten liegt. wenn ich auf ein frisches porta potti gehen darf, das michel grad mit akribie und viel wasser gereinigt hat.

und wenn wir dann gemütlich im bett liegen, jeder noch mit einem buch vor der nase, draußen rauscht vielleicht ein meer oder der straßenverkehr von ferne, irgendwo bellt der obligatorische hund oder der regen trommelt ausnahmsweise aufs dach, dann ist bulli der schönste ort auf der welt.

Nach dem Abendessen und vor dem Abwasch
Die „Puppenküche“
Klamotten und Rucksack liegen auf dem Fahrersitz, Socken hängen zum Trocknen über dem Lenkrad.

Wochenende in Tel Aviv

Donnerstag bis Sonntag, 16.–19.11.2017

Am Donnerstagabend wollten wir eigentlich in einen angesagten Club. Aber wir kommen nicht rein, denn der Dresscode hier ist: „Ganz in Schwarz!“ – Wer mich kennt, weiß, dass es eine Ironie des Schicksals ist, dass ausgerechnet ich am Dresscode „Ganz in Schwarz“ scheitere! Denn im Alltag trage ich eigentlich nur Schwarz. Aber heute abend hatten wir uns extra fein zurecht gemacht. Ich mit weißem Hemd, bina mit rotem Pettycoat. – Naja, machen wir halt einen schönen Stadtspaziergang und setzen uns dann mit zwei Gläsern gutem Whisky in die laue Sommernacht… pardon: „in die laue Novembernacht“.

Am Freitagmittag radeln wir zum Einkaufen nach Bnei Brak. Die Stadt liegt gerade einmal fünf Kilometer vom Tel Aviver Stadtstrand entfernt und ist das krasse Gegenteil der weltoffenen Partystadt Tel Aviv, welche als schwulenfreundlichste Stadt der Welt gilt, noch vor San Francisco. Bnei Brak ist eine der Städte, in denen nur (oder fast nur) ultra-orthodoxe Juden, die Haredim, leben. Die durchschnittliche Haredimfamilie bekommt 6,5 Kinder, der Großteil der Männer arbeitet nicht, sondern widmet sich voll und ganz dem Thora-Studium. Die meisten Haredimfamilien leben daher unterhalb der Armutsgrenze und finanzieren sich von der Sozialhilfe. Grundnahrungsmittel sollten hier also billig sein.

Als erstes fällt die Kleidung der Haredim auf. Man sieht sie in Israel auch sonst überall im Straßenbild (OK, nicht am Schwulenstrand oder in der irischen Kneipe…), aber hier treten sie geballt auf. Die Männer mit langen schwarzen Mänteln, Hüten, langen Schläfenlocken und Bart. Die Frauen mit Perücke oder Kopftuch, mit alles bedeckenden Pullovern oder Jacken und langen Röcken. Auch wir haben uns entsprechend züchtig gekleidet und passen uns im Verhalten an. Kein öffentliches Händchenhalten, keine Personen photogaphieren.

Als nächstes fallen uns die vielen fest installierten Spendendosen an der Straße auf:

Acht Spendendosen: Fünf auf den Pollern, zwei am Anfang des Zaunes (ja das große ist eine Spendendose für Sachspenden) und eine links an der Rückseite es Laternenmastes

Was hier hingegen vollkommen aus den Straßenbild verschwunden ist, sind Werbeplakate, auf denen Frauen abgebildet sind. Und ja, hier fahren Buslinien, in denen die Männer vorne und die Frauen hinten sitzen.

Das Ganze wirkt wie aus der Zeit gefallen, wie ein osteuropäisches jüdisches Städel aus dem 18. Jahrhundert. Weil heute mit der Abenddämmerung der Sabbat beginnt, ist reichlich Trubel in den Straßen. Überall wird eingekauft und Lebensmittel nach Hause getragen. Man sieht vor allem Männer einkaufen. Die Frauen stehen wahrscheinlich daheim am Herd. In den Bäckereien wird ein süßes Teiggebäck verkauft, das vermutlich eine besondere Rolle beim Sabbathmahl spielt, weshalb es weggeht wie warme Semmeln und erstaunlich teuer ist.

Rechtzeitig, bevor hier die Straßen zum Sabbath abgesperrt werden, und jeder, der die Sabbathruhe bricht, mit Steinen beworfen wird, verschwinden wir.

Die Räder stehen an den bereitstehenden Sabbath-Straßensperren. Wer trotzdem durchfährt wird wortwörtlich gesteinigt.

Die Haredim stellen für Israel mittelfristig ein ernsthaftes Problem dar. Derzeit machen sie knapp 20% der Bevölkerung aus (Palästinenser in Westbank und Gaza nicht mitgerechnet). Ihre Zahl verdoppelt sich wegen der vielen Kinder etwa alle 20 Jahre. Sie lehnen weltliche Bildung ab (und haben soeben das Recht erstritten, in ihren Schulen Mathe und Englisch durch zusätzliche Thorastudien zu ersetzen). Sie beteiligen sich kaum an der Erwerbsarbeit und gehen nicht zur Armee. Und sie versuchen zunehmend und mit wachsendem Erfolg den säkularen Israelis ihre Regeln aufzuzwingen. – Wieviel Prozent Haredim kann Israel tragen? Spätestens bei 50% ist Schluss!

eigentlich wollte ich diesen beitrag schreiben, aber ich merkte, daß ich mir unendlich mühe geben muß, nicht bissig, abwertend oder zynisch zu klingen, angesichts der religiösen verbohrtheit, die haredim an den tag legen.

ich finde, das jede und jeder seine religion ausleben soll, wie er oder sie möchte. aber wie weit darf man damit gehen, weniger oder andersgläubigen menschen ins leben einzugreifen?

Während die Haredim ihr Sabbathmahl begehen, befinden wir uns im Molly Bloom’s, „unserem“ Irish Pub in Tel Aviv. Und bina spielt wieder bei der traditionellen Session mit.

Am Samstag machen wir einen Strandtag:

Diesmal nicht am Schwulenstrand.

Und Sonntag nutzen wir, um unseren riesigen Wäscheberg in einem öffentlichen Waschsalon zu waschen, wobei wir drei Industriewaschmaschinen parallel belegen. Am Abend fahren wir dann zurück nach Jerusalem.

Walled-Off Hotel Betlehem

Dienstag, 21.11.2017

wir haben die letzte woche mehrfach versucht, kontakt zum ‚alternative information center‘ (dem ‚aic‘) in jerusalem aufzunehmen. aber das kleine büro war immer geschlossen und telefonisch war niemand zu erreichen.

wir sind erstaunt darüber. vor sechs jahren hatte das ‚aic‘ noch große räume, in denen etliche leute regelmäßig arbeiteten. vor einiger zeit hatte israel europäische staaten beschuldigt, pro-palästinensische ngo’s finanziell zu unterstützen und damit den israelischen staat zu untergraben. wahrscheinlich ist das ‚aic‘ ein opfer davon.

also fahren wir nach bethlehem, das dortige büro suchen. bethlehem liegt vor den toren jerusalems und ist doch eine andere welt. als erstes stößt man auf dies hier:

Derselbe Checkpoint auf dem Rückweg. Auf dem Hinweg waren wir zu aufgeregt.

Die Entfernungen hier sind nicht weit. Vom Jaffator der Jerusalemer Altstadt zum Tor in der Sperrmauer bei Betlehem sind es gerade einmal 5km.

die soldatin am checkpoint will wissen, woher wir kommen, wohin wir wollen und schaut in die pässe. die straßen werden schlechter, überall liegt müll herum. die häuser befinden sich oft in einem zustand zwischen rohbau und ruine. was fehlt, sind fertige häuser. es fängt massiv an zu regnen (das liegt aber an petrus und nicht an der besatzung palästinas) und das wasser spült in bächen den staub die straßen hinunter.

die suche nach dem aic-büro ist schwierig. die adresse auf der homepage gibt es nicht, straßen haben oft gar keine namen und wenn wir fragen, stimmt die wegbeschreibung nicht unbedingt. aber beim büro des geldwechslers haben wir glück, er weist uns den weg. und im büro begrüßt uns ‚n…‘ herzlich. er kontaktiert sofort ‚c…‘ vom aic-jerusalem, die wir noch von unserer reise ins heilige land im jahr 2011 kennen. Und ‚c…‘ verabredet sich morgen abend mit uns. dann läßt ‚n…‘ noch einen freund kommen, der uns hilft, eine neue gasflasche für bulli zu besorgen, die nach 3 1/2 monaten täglichem gebrauch leer ist.

Dass in Bethlehem alles außer der Geburtskirche so schwer zu finden ist, hat System. Israel hat immer noch die Kontrolle über die Straßennamen und Straßenschilder. Und da die Palästinenser aus israelischer Sicht quasi nicht existieren, gibt es für sie auch keine Straßennamen. In Ostjerusalem ist es das Gleiche wie in der Westbank. Nur die Straßen der Siedler haben Namen und die Straßen, die in den Ballungsgebieten liegen, in denen die palästinensische Autonomiebehörde die volle Kontrolle hat (Area „A“) haben Namen. Diese „A“-Zonen liegen wie ein Archipel von Inseln verstreut in der israelisch kontrollierten Westbank (Area „C“). – Der ungläubige Leser kann sich ja einfach einmal West- und Ostjerusalem auf Google-Maps ansehen.

Und es gibt noch etwas, woran man arabische Dörfer im israelischen Kernland, arabische Stadtteile in Jerusalem und alles, was keine Siedlung ist, in der Wesbank erkennt: die großen Wassertanks. Die Israelis haben kleine weiße Wassertanks aus Metall auf dem Dach. Die Palästinenser haben deutlich größere schwarze Wassertanks aus Plastik auf dem Dach. Sie fassen etwa das zehnfache der israelischen Tanks. Denn immer, wenn das Wasser knapp wird, wird den Palästinensern das Wasser abgedreht. Und das ist hier jeden Sommer der Fall. Dass die Tanks aus Plastik und nicht aus Metall sind, hat den Grund, dass man Plastiktanks einfacher flicken kann, wenn Soldaten oder Siedler Löcher hineinschießen. 

Große Wassertanks auf den Dächern in Betlehem

abends gönnen wir uns dann einen guten tee im walled off – hotel:

Der Eingang des Walled-Off Hotels

dies hotel ist von banksy gestaltet worden, einem großartigen links-politisch ambitionierten graffiti-künstler aus england, der schon seit jahren die sperrmauermauer oder die wände in flüchtlingslagern besprüht und mittlerweile sehr bekannt ist.

es gibt eine schöne geschichte, (ich weiß nicht mehr, in welcher deutschen zeitung ich sie gelesen habe): er hatte in einem flüchtlingslager eine wand gestaltet. der besitzer und bewohner des hauses hat die wand herausgetrennt und das bild für sehr, sehr viel geld verkauft. davon konnte er sich und seiner familie ein großes, gutes haus bauen und seine kinder zur schule schicken. das war durchaus in banksys sinnne.

er arbeitet schon lange künstlerisch gegen die besatzung und hat aus diesem haus, das direkt an der mauer steht, mit anderen künstlern aus palästina ein hotel gemacht. jedes zimmer ist von einem anderen künstler gestaltet. es ist offen für alle, hat 50 mitarbeiter und eine hervorragende ausstellung zum thema mauer und besatzung. es ist ein kreatives gegenstück zum oft bedrückenden, schwierigen leben in der westbank und soll ein anfang von noch weiteren kreativen ansätzen sein. touristen sollen auf die umstände der westbank aufmerksam gemacht und informiert werden. und es ist ausgebucht. aber wir werden irgendwann noch mal eine nacht hier schlafen. das muß sein.

Doch heute schlafen wir im Bulli an der Mauer (gut bewacht vom israelischen Militär). Hier noch ein paar Photos aus dem Walled-Off Hotel:

Michelangelos David: vermummt im Tränengasnebel
Zerstörung des Hauses einer Familie als klassisches Gemälde
Chesterfieldsofa mit Panoramablick auf die Sperrmauer
An der Rezeption (die hier „Rejection“ heißt) will eine Katze der Friedenstaube ans Leben.
Banksy zitiert sich selbst. Sein berühmtestes Graffito aufgeteilt in drei Gemälde und mit echtem (Plastik-) Blumenstrauß.

 

Sperrmauer in Betlehem

22. Mittwoch:

wir stehen mit bulli am straßenrand vor der mauer, haben hervorragend geschlafen und sitzen grad gemütlichst beim frühstück mit tee, pitta, hummus und michels geliebtem israelischen schokoaufstrich. um uns läuft zu dieser frühen stunde schon die erste busladung chinesischer touristen herum und besichtigen diesen teil der mauer.

und dann entdecken sie uns!

der erste lacht und grüßt nur, die zweite bemerkt, daß wir in einem kleinen wohnmobil sitzen, der dritte hat zwar keinen kontrabass, aber eine kamera und fotographiert uns. und dann wollen alle ein foto. wir sollen die vorhänge beiseite schieben, die fenster aufmachen, uns vor- und zurücksetzen der perspektive wegen, es wird in den bulli, durch bulli hindurch die mauer geknipst, was das zeug hält.

ich nehme einen schluck tee aus meiner schale, das wollen sie auch ablichten und zwar alle! und bitte noch mal mit dem handy und ein drittes mal mit dem tablet.

leider ist unsere kamera grad hinten beim aufladen, daher können wir uns nur mit dem handy ‚zurückschießen‘. aber wir alle haben spaß. die chinesen bedanken sich immer wieder aufs allerhöflichste und ziehen lachend von dannen.

was war dann denn bitte!!!!

Vier chinesische Touristen vor dem Schiebefensterchen unseres Bulli. Der Rest steht noch an, oder ist schon durch.
Die Sperrmauer, von unserem Schlafplatz aus gesehen.

nach dem frühstück schauen auch wir uns die mauer an. neben der mauer selbst gibt großartige graffiti und eine ganze reihe von plakaten mit texten zur besatzung, zur lebenssituation der palästinenser zu besichtigen. eines der plakate erzählt davon, dass das ein bestimmtes tor in der mauer sich nur einmal im jahr, am heiligen abend für den lateinischen patriarchen von jerusalem öffnet. sozusagen das letzte türchen vom adventskalender, nur einmal im jahr und nur für ihn. niemand darf es sonst benutzen.

Das Plakat mit der Geschichte.
Das Tor, das sich nur am Heiligabend öffnet und nur für den lateinischen Patriarchen von Jerusalem.

und dann das haus, das von drei seiten eingemauert ist. darin befinden sich zwei souvenierläden und die bewohner dürfen nur mit sondergenehmigung der israelischen armee aufs dach.

Ursprünglich wollte die Armee das Haus abreißen, und hat die Familie darin 40 Tage und Nächte belagert. Aber sie haben durchgehalten und haben jetzt ein Haus mit unverbaubarem Blick auf die Mauer.

Das Haus, das von drei Seiten von der Mauer umgeben ist.

auf der anderen seite der mauer befindet sich das grab der rahel, ein wichtiger pilgerort für frauen mit kinderwunsch.

Das Grab der Rahel liegt in Betlehem und das Gebäude darüber ist sowohl Moschee, als auch Synagoge. Genau genommen war es in den letzten Jahrhunderten im wesentlichen eine Moschee. Aber damit die jüdischen Gläubigen ungestört beten können, hat Israel die Straße vom Stadtrand zum Grab der Rahel links und rechts mit einer Sperrmauer versehen und eine Sackgasse geschaffen an deren Ende das Grab, ein Militärposten und ein Pilgerparkplatz liegen. (Die Bilder hierzu kommen unten).

an einem original von banksy kommen wir auch vorbei. gegenüber dieser taube, direkt in schußrichtung, steht ein bemannter wachturm der israelischen armee. was sich die soldaten wohl denken, wenn sie jeden tag darauf schauen müssen?

Die Friedenstaube, eines von Banksys bekanntesten Werken.

das ist das geniale an banksys bildern. sie haben nie nur eine betrachtungsebene. es gibt immer etwas, für das man ‚um die ecke denken‘ muß und was entdeckt werden will.

z.b. das mädchen, das den soldaten filzt (wer mich kennt, hat mich das t-shirt mit dem bild schon tragen gesehen – das original ist übrigens auch in betlehem), ist nicht irgendein mädchen, sondern eine figur aus dem ‚zauberer von oz‘. damit führt er eine für palästinender alltägliche situation noch mal auf ganz besondere weise ad absurdum und erhöht damit die kritik an der besatzung.

das walled off-hotel gehört auch dazu. nur in dreidimensional.

Im Gegensatz zu den Palästinensern können wir ganz einfach durch die Mauer auf die andere Seite gelangen. Zehn Minuten am Checkpoint anstehen, deutsche Pässe zeigen und durchgewunken werden.

auf der anderen seite wollen wir uns noch das grab der rahel anschauen. nicht, weil ich unbedingt noch kinder haben will, sondern weil es exakt auf der anderen seite der mauer ist, die wir uns angeschaut haben.

wir müssen durch einen checkpoint hindurch, an dem wir gefragt werden, ob wir moslime sind. die dürfen da nämlich nicht hin. dabei war dieser pilgerort vor jahren … eine moschee!!! die straße ist rechts und links eingemauert. wir können den dachfirst vom walled-off hotel sehen und die wassertonnen von dem haus mit den souvenierläden.

Die Straße zum Grab der Rahel.

vor der stätte wimmelt es von pilgern, jung und alt. frauen und männer haben verschiedene eingänge und verschiedene bereiche am grab. bei den frauen wird einerseits am grab intensiv gebetet, im vorraum aber kaffee getrunken und geplaudert.

Bei den Männern auf der anderen Seite der Abtrennung geht es deutlich inbrünstiger zu. Alles ist tief ins Gebet versunken. Mir wird bei all diesen im Gebet vor und zurück wippenden Männern fast schwummerig. Und ich kann nicht widerstehen sie heimlich zu photogaphieren.

Betende Haredim am Grab der Rahel.

Anschließend fahren wir zu unserem Stammparkpatz in Jerusalem und treffen am Abend C… im AIC-Büro. N…, der hauptamtliche Mitarbeiter im Betlehemer AIC-Büro, ist hier übrigens noch nie gewesen, obwohl es nur 7km und eine Mauer von seinem Büro entfernt liegt. C… ist hoch erfreut uns wiederzusehen und will uns in den nächsten Tagen weiter vermitteln. (Wohin und warum erklären wir, wenn es soweit ist.)

Kloster der Versuchung, Jericho

23. Donnerstag:

Die Straße von Jerusalem runter nach Jericho und zum Toten Meer ist gleich auf mehrere Weisen ein Erlebnis. Erstens fährt man im letzten Stadtteil von Jerusalem, der sich noch komplett nach „mitten-in-der-Stadt“ anfühlt, in einen kaum einen Kilometer langen Tunnel, um am Tunnelausgang sofort mitten in die Judäische Wüste teleportiert wiederzufinden.

Judäische Wüste zwischen Jerusalem und Jericho.

Zweitens geht es auf kaum 40km Strecke von 800m über dem Meeresspiegel auf 400m unter den Meeresspiegel. Wir haben regelrecht das Gefühl in die Erde hineinzufahren. Drittens fährt man zwar durch die Westbank, fühlt sich aber wie in Israel, weil man sich auf einer israelischen Bypassstraße befindet. Und viertens ist da das leicht verstörende Wohlstandsgefälle zwischen den israelischen Siedlungen und den Beduinenlagern neben der Straße.

Vorne ein Beduinenlager, hinten eine israelische Siedlung.

vorne eine berber- sprich nomadensiedlung, in der unter schwierigsten bedingungen gelebt wird, dahinter die schicke jüdische siedlung mit allem, was das herz begehrt. vor allem wasser.

mich macht das jedesmal wütend. es ist so ungerecht. ich wünsche mir, das uns c… vom aic so schnell wie möglich etwas zu tun gibt, sonst halte ich solche bilder nicht lange aus.

unten im jordantal angekommen biegen wir nach jericho ab, der ältesten stadt der welt.

wir verlassen die israelisch kontrollierte c-zone und begeben uns in die palästinensisch kontrollierte a-zone.

Warnschild an der Straße nach Jericho.

über die angebliche gefahr muß ich immer lachen. ich bin sicher, wir werden überaus beglückt empfangen. endlich kommt mal jemand zu besuch. als ausländer dürfen wir ohne weiteres in die a-zone hinein.

ein bummel durch die stadt ist obligatorisch. im gemüseladen, wo wir unsere vorräte auffrischen, gibts erst mal zwei in der oase jericho angebaute bananen auf die hand und ein großes hallo. endlich kommen mal fremde. und dann von so weit weg aus deutschland. und sie können sogar ein bischen arabisch! stundenlang sitzen wir an der straße bei einer argila, wie die shisha (wasserpfeife) hier heißt, und tee. wir sehen uns an den menschen und dem straßenwirrwarr nicht satt.

Michel im Straßencafe mit Argila. („Ich glaube ich gewöhne mir hier ein Laster an.“ Zitat: Harold zur Wasserpfeife im Film „Harold and Maude“)
Eine Auto-Kalorien-Bombe.
Straßenszene – Schnappschuß.
Mit einer Pferdestärke gehts auch.

auch wir werden angeschaut. von den erwachsenen diskret, von den kindern mit großen kulleraugen. dass eine frau an der straße argila ist vielleicht ungewöhnlich. und dann noch ohne kopftuch. aber ich denk mir: wenn ihr wollt touristen haben wollt, müßt ihr damit leben, daß sie anders sind als ihr. hier wird frischer zitronensaft ins pfeifenwasser gemischt. das gibt dem ganzen etwas sehr frisches. das müssen wir uns für zu hause merken.

Wobei wir (um vorzugreifen) spätestens in Ramallah lernen werden, dass vor allem jüngere palästinensische Frauen das Im-Cafe-Sitzen und das öffentliche Rauchen der Argila nicht mehr den Männern überlassen. Dort sehen wir in vielen Cafes junge Frauen zu zweit oder in kleinen Gruppen zusammensitzen. Oft auch mit Argila.

manchmal kommt ein reisebus voller touristen vorbei. das wirkt dann immer wie ein kreuzfahrtschiff in venedig. da sieht man die stadt vor lauter hochhaus auf dem wasser nicht. allerdings mit dem unterschied, daß der bus richtung kloster der versuchung vorbei fährt und nicht den ganzen tag die straße versperrt.

Naja, so groß sind die Busse auch nicht. Aber sie wirken schon wie UFOs, mit ihren Insassen, die sich von ihrem sicheren israelischen Hotel mit dem Reisebus durch diese arabische Stadt (Die sie vermutlich niemals betreten würden! – Wer weiß, welche Gefahren hier lauern!) zu ihrer Sehenswürdigkeit fahren lassen. Überhaupt ist es erstaunlich, wie gut die Reiseveranstalter es schaffen, die meisten Touristen und Pilger ohne wirklichen Kontakt zur arabischen Bevölkerung durchs Land zu schleusen. Vor allem, wenn man bedenkt, dass die meisten Pilgerziele in arabischen Städten oder Stadtteilen liegen: Ostjerusalem, Betlehem, Jericho, Nazareth und so weiter. Aber die Hotels liegen fast alle im israelischen Gebiet.

etwas außerhalb liegt der „tel es sultan“, das alte jericho, mit dem ältesten gebäuden der welt. und gleich davor die quelle des elias. hier waren wir schon vor 6 jahren und wollen dort auf dem parkplatz schlafen. die baustelle von damals ist mittlerweile ein großes souvenier-geschäft nebst restaurant. pfauen stolzieren herum, ein dromedar liegt neben der quelle und der mensch dazu wartet auf touristen, die eine runde um den platz reiten wollen.

Wir stellen Bulli ab und ziehen die Wanderschuhe an. Wir haben noch zwei Stunden bis Sonnenuntergang, das reicht für eine Kurzwanderung zum Kloster der Versuchung.

Kloster der Versuchung.

Eins muß man der griechisch orthodoxen Kirche lassen. Sie hat ein gutes Händchen bei der Ortswahl für ihre Klöster. Schlicht und ergreifend atemberaubend!

Im Inneren des Klosters befindet sich der Stein, auf dem Jesus 40 Tage lang gefastet und meditiert haben soll, nachdem ihn Johannes im Jordan getauft hat. Und auf dem ihm der Teufel in Versuchung geführt haben soll.

„Ich kann allem widerstehen, außer der Versuchung.“ Zitat: Oscar Wilde

kaum sind wir rechtzeitig zum sonnenuntergang zurück am bulli, kommt jemand angelaufen und fragt, wer wir sind. er ist der nachtwächter, der immer wieder ankommt und neugierig auf bullis innenleben ist. er hat nichts dagegen, daß wir hier schlafen wollen. im gegenteil. er verspricht, das er ganz besonders auf uns aufpassen wird. ich koche tee und fange das schnippeln fürs abendessen an. der nachtwächter bekommt von beidem etwas ab. ich muß es ihm richtig aufdrängen. von arabischer gastfreundschaft lernen heißt siegen lernen.

dann kommt der nächste mensch, der sich als manager des komplexes herausstellt. wir denken schon, wir werden weggeschickt, weil es dunkel ist, der laden schließt und das große eingangstor auch. aber nichts da. wir sollen uns hier sicher fühlen, er heißt uns willkommen und wenn wir etwas brauchen, sollen wir bescheid sagen. michel packt den rechner zum blogschreiben aus, wir machen es uns nett und dann erscheint ein weiterer mensch, der besitzer des restaurants, und stellt ihm eine argila hin. mit kohlebecken zum selbst bedienen. 15 min. später kommen zwei tassen kaffee. und noch später große becher mit landestypischer zitronenlimonade. eine gruppe jungs gesellt sich mit eigener argila zu uns und michel hat schwierigkeiten, ihnen klar zu machen, daß wir morgen nicht zum lunch ins flüchtlingscamp kommen können (eine einladung zum gratisfrühstück im restaurant hatten wir vorher schon abgelehnt) und auf die angebotene stadtführung leider verzichten müssen. und die quelle des elias sprudelt ihr rauschendes lied dazu. was für ein wunderbarer abend.

ja, in palästina ist es sehr gefährlich. ständig muß man sich vor der herzlichkeit der menschen in acht nehmen!

Von links nach rechts: Jugendlicher aus dem Flüchtlingslager, bina, Restaurantbesitzer, Typ im gelben Pullunder, Nachtwächter.
Vorne versucht Michael verschiedene Einladungen abzuwehren, dahinter sprudelt die Quelle des Elias, und oberhalb davon sieht man die berühmten Mauern von Jericho (Posaunespielen verboten!)