Besuch bei Nemo, Dorie & Co

Fr-Mo 1.-3.12.17

„Ich wollt ich wär,
unter dem Meer,
im Garten eines Kraken möcht ich sein…“
(Deutsche Sesamstraßenversion des Beatles-Songs)

Eilat liegt ganz im Süden Israels, wo Israel etwa 10km Küste am Roten Meer hat. Eingeklemmt zwischen Ägypten im Westen und Jordanien im Osten. Die Korallenriffe hier sind sicher nicht so groß, wie die in Hugharda oder Sharm el Sheikh. Aber dafür sind sie für uns mit Bulli erreichbar. Denn nach Ägypten darf Bulli nicht einreisen, weil er einen Dieselmotor hat. Jordanien hat am Roten Meer etwa genau so weniger Küste wie Israel. Und der anderen Seite Jordaniens liegt Saudi Arabiens. Und Badeurlaub bei den wahabitischen Saudis … Nein!

Wir stehen mit Bulli 150m von der Ägyptischen Grenze und 50m vom Meer entfernt und machen zwei bis drei ausgedehnte Schnorchelgänge pro Tag. So wenig es hier über Wasser zu sehen gibt, so unglaublich viel gibt es unter Wasser zu sehen. Aber seht selbst, wir haben bei einigen Schnorchelgängen mein Handy dabei gehabt. Einem Kraken sind wir auch begegnet. Aber er war für mich Amateur unphotographierbar, weil er sich so gut tarnen konnte und dann zwischendrin blitzschnell den Standort wechselte. Und das Handy ist zwar wasserdicht, aber leider nur als Behelfskamera geeignet.

Graue Muräne.
Sehen aus wie Goldfische, sind es aber nicht.
Arabischer Picassodrücker.
Wenn ich groß bin will ich ein gefährliches Riff werden. -Links vorne eine Tischkoralle. Die beiden anderen kennen wir nicht und finden sie einfach nur schön.
Hochgiftige Seeschlange und harmlose braune Seegurke.
„Nemo!“ – Zwei Clownfische oder Anemonenfische mit zugehöriger Anemone.
Papageifisch oder Buntkarpfen?
Koralle oder Schwamm?
Muräne mit Indo-Pazifischen Feldwebeln.
Mördermuschel.
„Dorie!“ – Ein Blauer Segelflossendoktor.
Wimmelbild.
Tabak-Falterfisch.
Indo-Pazifische Feldwebel.
Masken-Kugelfisch.
Arabischer Doktorfisch.
Wimpelfische. – Leider verschwommen 😉
Nochmal zwei Nemos. Äh, Anemonenfische. Wie viele andere Fische leben sie übrigens zu zweit.
Eine blaue Schönheit.

eine treppe führt vom steg ins wasser. kühl ist es, mit wenig wellen. von oben sieht man schon die dunklen stellen, wo die riffe sind. noch mal tief luft geholt (im ersten moment ist das wasser kalt) und hinein ins abenteuer!

es sind viele. auffällig die doktorfische in dunkel lila und mit knallgelben flossen und schwänzen. dann die schwarz-weiß-gestreiften, diese immer um einen herum, omnipräsent. ein schwarm seenadel-ähnliche, größer als im mittelmeer, direkt unter der wasseroberfläche. ein stück weiter die ersten riffe. hirnkorallen in allen größen und formen. tischkorallen, die aussehen wie raumschiff enterprise, knallgrüne dinger, geformt wie krepppapier zum basteln. blaulippige mördermuscheln und… oh, da ist ja nemo! so klein, aber knallorange mit schwarzem rumpf und weißen streifen. gleich zwei davon und wie es sich gehört bei einer anemone. und da kommt ein buntbarsch. dunkelrot, fast schwarz, aber mit neonblauen pünktchen, die leuchten. gleich hinteran ein weiterer, aber in allen grüntönen schimmernd. ohne eile an den riffen entlang bummelnd. ach, und diese kleinen schwarzen mit den weißen hinterteilen, die durch die korallen huschen. ein schwarm giftgrün-blau schillernder fischchen, die eine kleine koralle nach fressen absuchen und sie mit ihrem schillern schmücken, wie kleine edelsteine. und da kommt ein großer um die ecke, dunkelblau mit hellblauen akzenten wie mit dem lineal auf den schlanken leib gezogen. und der schwarm an dem großen stein. dunkelrot, aber nicht weniger leuchtend. verdammt, jetzt hätte ich fast den kleinen kofferfisch übersehen, der so lustig eckig ist, das ich mich frage, wie hoch sein cw-wert ist. und tatsächlich: ein kugelfisch. braun-weiß gemustert. schade, das er sich grad nicht kugelig macht. und da kommen zwei buntbarsche auf einmal und gleich dahinter das ganze noch mal in pastell. in allen regenbogenfarben changierend und mit knallgelben pünktchen.

hin und wieder schwebt eine kleine qualle vorbei. gläsern, aber mit kleinen ‚leuchtdioden‘ an fäden in ihrem körper, der sich, wenn man ihn versehentlich berührt, wie eine wolke auseinander bewegt kann.

noch ein kugelfisch, dies mal mit kleinen braunen punkten. schwarz-weiß gestreifte fische mit gelben konturen, die aussehen, als wären sie von einem computer designed. und dann die picasso-fische. in den tuschkasten gefallen und noch ein bischen mit schwarz, weiß und gelb akzente auf den rücken gesetzt und einen blauen fleck an den rücken gemalt. dazu diese auffällige körperform.

hier ein schwarm knall-orangenes, goldfische? (kann nicht sein, goldfische sind süßwasserfische! sehen aber so aus!) auf dem meeresboden dicke braune würste: seegurken.

und dann endlich ein octopus! mist, einmal weggeschaut und schon ist er mit seiner hervorragenden tarnung verschwunden und beim besten willen nicht wiederzufinden. sieht jetzt vermutlich aus wie ein stein oder so. ein buntbarsch in pastell, aber mit knallorangener hinterflosse.

eine seeschlange am boden. höchst giftig. die beißt einen nur einmal im leben (am ende). aber: ich schwimme oben und sie unten, wir kommen höflich grüßend aneinander vorbei. eine muräne, fast weiß und gut 80cm lang windet sich durch die korallen und später eine weitere, größere im sand an der kante, auch auf der suche nach futter.

und dann dieser ganze schwarm langweilig aussehenden braunen fische. aber ach, wie hübsch! ein hauchdünner knallblau leuchtender rand, wie mit dem dünnsten pinsel der welt gemalt, einmal an der ganzen kante jeden einzelnen fisches entlang. hauchfein schimmernd.

so sieht es aus, bei eilat im roten meer. ich habe noch längst nicht alle fische beschrieben. von ihrer vielzahl fange ich gar nicht erst an.

aber jetzt muß ich aus dem wasser raus, sonst krieg ich nen farbenflash. außerdem merke ich, wie kalt mir ist.

Am zweiten Tag Schnorcheln wir im Coral-Reef Nationalpark, der 3km von uns entfernt liegt. Denn das schönste Korallenriff liegt geschützt in diesem Nationalpark. Dort begegnen wir einem Taucher, der sich aufführt, wie die Axt im Wald. Er taucht rückwärts, rammt dabei ein Riff und bricht einen kompletten „Korallenbaum“ ab. Er schaut sich zwar kurz um. Aber als ich ihm per Zeichensprache signalisiere, „Idiot! Koralle abgebrochen!“, signalisert er zurück, „Egal!“ Wir sind stinksauer und verfolgen ihn. Er versucht einen auf dem Boden, halb in einer Höhle liegenden großen Fisch anzufassen. Taucht immer wieder in die mit einem Bojenband abgesperrte Verbotene Zone. (Menschen müssen aus Schutzgründen zu den Hauptriffen etwas Abstand halten.) Und taucht sogar wieder rückwärts und riskiert so, weitere Korallen zu rammen.

Während wir ihn verfolgen, treffen wir einen Parkranger, mit dem wir am frühen morgen schon gesprochen hatten. Wir waren die Ersten im Park und wollten wissen, wie und wo wir am besten einen Kraken zu sehen bekommen. Ihm ist der Taucher auch schon aufgefallen und er verfolgt ihn ebenfalls. Er spricht uns auf den Kraken an, und wir sagen ihm, dass wir gerade einen Taucher verfolgen, der sich wie die Axt im Wald benimmt und unter anderem eine Koralle abgebrochen hat. Er läßt sich die abgebrochene Koralle zeigen und photographiert sie. Dann verfolgt er den Taucher weiter und nimmt ihn fest.

An Land geben wir dann unsere Zeugenaussage zu Protokoll. Als ich am nächsten Tag nochmal vorbei komme, um unsere Pässe vorzuzeigen, die wir beim Schnorcheln nicht dabei hatten, wissen sowohl die Frau an der Kasse, als auch alle Ranger, wer wir sind. Und wir kriegen für den Rest unseres Aufenthaltes freien Eintritt. Außrdem gibt uns unser Ranger seine Karte. Falls wir in irgend einem anderen Nationalpark Hilfe brauchen. Als er uns zwei Tage später am Strand trifft, kommt er zum Quatschen zu uns. – Sie scheinen es nicht sehr oft zu erleben, dass ihren Gästen der Schutz des Riffes wichtig ist.

uns interssiert brennend, was mit dem taucher passieren wird. die ranger diskutieren noch darüber. aber er wird wohl aufgrund unserer zeugenaussage nicht nur eine einfache, sondern gleich eine doppelte abmahnung bekommen und umgerechnet rund 600.-€ bußgeld. was für eine befriedigung!

Gruppenfoto mit Z…, unserem Ranger.

An einem der Abende treffen wir T… und F… am Strand. Die Beiden sind für ein paar Tage von Deutschland nach Eilat geflogen. Wir lernen, dass es seit Neuestem Flüge von Ryanair von Bremen und von Frankfurt-Hahn aus nach Eilat gibt. Und dass Hin- und Rückflug 20€ kosten. (Was uns inzwischen von weiteren Reisenden, die wir hier getroffen haben bestätigt wurde.) Das Ganze lohnt sich anscheinend deshalb für Ryanair, weil Israel und die Hoteliers in Eilat dem Flugunternehmen etwa 60€ pro Passagier zahlen, das es nach Eilat bringt.

Zu fortgeschrittener Stunde mit T… und F… am Strand unmittelbar, nachdem wir unseren Biervorrat von acht Flaschen Taybeh aufgebraucht haben.

den letzten schluck des hervorragenden rums, den wir von einer lieben arbeitskollegin von michel auf die reise mitbekommen haben und aus der nur zu besonderen anlässen eingeschenkt wurde, durfte t… trinken, der ein großer kuba- und rumliebhaber ist. er war von dem rum sehr angetan.

1. Advent: Frühstück am Strand.

Wanderung in der Wüste

Mo 4.12.17

in der frühe aufgestanden, gut gefrühstückt, wanderstiefel angezogen und mal wieder losgelaufen.

nach so viel wasser brauchen wir wieder steine um uns herum. und dies mal bitte nicht bunt! der farbenflash von gestern hält noch an.

die sehr brauchbare touristeninfo in eilat empfahl eine 3 stunden-tour von der field-school (so heißen in israel die staatlichen camping- bzw. rastplätze) in die berge hinein und durch einen wadi zurück. wir nehmen erst einmal den falschen weg. das macht nichts, haben wir halt eine stunde mehr wanderung in den beinen.

Aufstieg vom Roten Meer in die Bergwüste.

der richtige weg führt uns erst bequem, dann steiler und steiniger auf einen gipfel hinauf. so viele steine. so viele töne von braun. die sonne ist heiß, aber erträglich. wenn man bedenkt, daß es hier in den sommermonaten über 50 grad heiß werden kann.

Bina auf dem Gipfel. Die Berge im Hintergrund gehören schon zu Ägypten.

Der orange Sack in binas Hand ist übrigens unsere DAV-„Bergfextüte“. Ein Wort und eine Angewohnheit, die wir von meinem Vater übernommen haben. Wir haben bei Wanderungen immer diese wiederverwertbare Mülltüte dabei und nehmen mehr Müll aus der Natur mit raus, als wir selber produzieren.

Stacheldraht und Nationalfahne statt Gipfelkreuz. Links von der Fahne die jordanische Küste und rechts die saudi arabische.

der abstieg ist nicht weniger steil. man kann richtig sehen, wie sich das gebirge über die jahrtausende aus verschiedensten gesteinsschichten aufgetürmt hat. selten, aber immer häufiger kommen wir an grünem buschwerk und sogar an bäumen vorbei. eine eidechse sehen wir auch. der wadi ist deutlich erkennbar.

wenn es hier mal regnet, regnet’s richtig. das wasser kommt dann schnell steigend aus den bergen herunter. dann heißt es: raus hier aus dem wadi und zwar zügig! in der wüste ertrinken mehr menschen, als verdursten.

am zugang zum wadi steht deshalb auch ein großes hinweisschild.

Fifty Shades of Ocker.
Besonders beeindruckend fanden wir das rote Gesteinsband. (Ein Photo ist leider nie die Realität…)
Nicht brennender Dornbusch.

da wir mit den rädern zum ausgangspunkt fuhren, die wir am coral-beach-natur-reservat angeschlossen hatten, radeln wir wieder zurück und gönnen uns kurz vor sonnenuntergang doch noch einen schnorchelgang.

Hier sieht man sehr gut, mit welchem Aufwand hier jedes Blumenbeet, jedes Rasenstück und jeder Baum (auch Palmen) bewässert werden muß.
Platz ist in der kleinsten Küche.

ausnahmsweise wird unsere nachtruhe gestört. oberhalb des parkplatzes befindet sich ein gästehaus, wo nachmittags zwei busse mit schulklassen eingezogen sind. und da gibt es für die jugendlichen heute abend disco.

wir ziehen uns wieder an, packen bulli fahrtauglich zusammen und verholen ihn ein paar kilometer weiter richtung eilat auf einen anderen kostenlosen parkplatz.

Mit 4 Polen durch Sodom und Gomorrah

Di 5.12.17

morgens brechen wir endgültig nach jerusalem auf. wir nehmen noch 4 polnische tramper mit, die ans tote meer wollen. auch sie sind mit einem ryan-air-billigflug gekommen.

ja, bulli ist nur für 4 personen zugelassen, aber „this is israel there are no rules!“ (israelischer standardspruch)

und dann kommen wir durch sodom und gomorrah. sodom hat immerhin das sedom (sodom) ressort, daß wir uns sehr spannend vorstellen. gomorrah ist leider bloß eine große industrie-landschaft. da hatten wir aber etwas anderes erwartet.

Abfahrt zum „Sedom Ressort“ am Ort des für seine Unzucht berüchtigten Sodom.
Chemische Industrie in Sodom und Gomorrah – irgendwie ja auch passend.

es folgt noch ein groß-einkauf in jericho, weil lebensmittel dort signifikant billiger sind. beim gemüsehändler werden wir wieder freudig begrüßt und kriegen alle naslang ein stück obst zum gleichessen in die hand gedrückt.

bald darauf sind wir wieder im kühlen jerusalem.

Das kühle Jerusalem bedeutet, dass die Temperaturen von „heißer Hochsommertag“ auf „heißer Spätsommertag“ zurückgehen. Abends haben wir dann wieder einen Workshop im „Jerusalem House for Pride and Tolerance“.

Generalstreik und Demo in Ost-Jerusalem

Mi-Do 6.-7.12.17

Ein Regentag

Der Mittwoch ist ein richtiger Regentag. So einer, wie es ihn in Hamburg im Herbst für gewöhnlich mindestens zwei Wochen lang am Stück gibt. Für uns derzeit aber wohl nur einmal alle zwei Wochen! Und wir verbringen einen Gutteil des Nachmittages im Österreichischen Hospiz mit Wiener Melange, Sachertorte und Apfelstrudel.

Der Generalstreik

Der Donnerstag fängt mit einem Frühstück im Bett an, bei dem bina ihren geliebten Panettone anschneidet. Das ist ein italienischer Weihnachtskuchen, den sie über ihre in Italien lebende Mutter kennengelernt hat. Für bina Weihnachten ohne Panettone kein richtiges Weihnachten.

Eine glückliche bina mit ihrem Panettone.

Anschließend gehen wir in die Altstadt. Wir wollen heute auf den Tempelberg und auf die Dachterasse des Österreichischen Hospizes. Doch im Shouk fällt uns auf, dass irgendetwas nicht stimmt, denn fast alle Läden sind geschlossen.

Generalstreik in der Jerusalemer Altstadt.

Auf Nachfrage erfahren wir, dass Trump gestern Jerusalem als Hauptstadt Israels anerkannt hat, und es deshalb heute einen Generalstreik gibt. Es soll auch eine Demonstration geben, aber keiner weiß wann und wo. Wir beschließen trotzdem erstmal auf den Tempelberg zu gehen.

ich frage mich, ob ein generalstreik an dieser stelle wirklich der richtige weg hier in israel/palästina ist. dieser shouk wird von touristen besucht und die nicht-jüdische, also arabische bevölkerung kauft hier ein. geschlossene läden bewirken meiner ansicht nach nur, daß keine geschäfte mit gästen gemacht werden können und die eigene bevölkerung sich nichts für den täglichen bedarf besorgen kann. damit schneidet man sich ins eigene fleisch. die orthodoxen juden und die siedler haben den shouk für sich allein, wie so manche/r es ohnehin wahrscheinlich gern hätte. sie kaufen ja auch nur in den eigenen läden.

pilgergruppen laufen verloren durch die leeren gassen und wundern sich. ich bezweifele, daß sie sich dafür interessieren, was hier grade passiert. und selbst wenn der shouk auf längere zeit schlösse, würden die pilger trotzdem kommen und geld in die israelische kasse spülen, denn der pilgergang auf der via dolorosa zur grabeskirche ist ja trotzdem möglich.

Klagemauer vom Aufgang zum Tempelberg für Nichtmuslime aus gesehen. Links der Männerbereich, rechts der durch eine Palisade abgetrennte Frauenbereich. Man beachte, dass die Frauen alle auf Stühle gestiegen sind, um über die Palisade rüberzuschauen.

Auf dem Tempelberg ist es gespenstisch leer. Wenige Touristen sind da und noch weniger muslimische Gläubige.

als wir vor sechs jahren hier oben waren, gab es viel mehr touristen und und viel viel mehr muslime. überall saßen gläubige beim koranstudium , waren auf dem weg zum gebet oder hielten sich unter den bäummen auf.

Bina vorm Felsendom auf dem Tempelberg.
Katze in buddhistischer Ruhe.

Anschließend geht es ins Österreichische Hospiz. Das Hospiz ist eine Insel österreichischer Lebensart, ein Wiener Ringstraßenpalais mitten in der arabischen Altstadt Jerusalems. Mit einem Wiener Kaffehaus, Mozartmusik und „Gnädige Herrschaften wünschen?“ als Anrede. Das Absurdeste dabei ist, dass es irgendwie tatsächlich hierherpaßt.

Bina im Österreichischen Hospiz. (Sie hat vom Tempelberg noch ihr Kopftuch auf).
Ein Wiener Kaffeehaus im Nahen Osten. (Bitte Musik von Mozart oder Chopin dazudenken.)

Und von der Dachterasse aus hat man einen wunderbaren Blick über die Altstadt.

Blick von der Dachterasse des Österreichischen Hospizes.

Hier haben wir auch freies W-Lan und erfahren, was genau eigentlich los ist. Und dass mittags eine Kundgebung am Damaskustor (einem der Tore zur jerusalemer Altstadt) angesetzt ist. Wir beschließen uns noch schnell in einem der wenigen offenen Läden etwas Demoverpflegung zu kaufen (Wasser, Kekse, Schokolade) und dann zur Kundgebung zu gehen.

Auf der Demo

Die Kundgebung ist deutlich kleiner als wir und wohl auch die zahlreich erschienene Presse erwartet haben. Insgesamt vielleicht 500 Demonstranten und mindestens 20 Kamerateams. Wir sind schon recht früh da und setzen uns erstmal zu einigen Frauen, von denen wir herzlich aufgenommen werden.

Die Frau, die bina umarmt, ist R… eine Buchautorin, die Frau ohne Kopftuch, die in binas Richtung redet, eine Abgeordnete des Palästinensichen Parlaments, und das Mädchen ohne Kopftuch vorne lernt in der Schule Deutsch, war aber zu schüchtern mit uns Deutsch zu reden.

Polizei und Armee (der Übergang schien mir fließend zu sein) waren sehr rigide darin alles zu unterbinden, was in ihren Augen verboten war.

Wann immer die Presse einen Demonstranten interviewen wollte, wurde sie auf die andere Seite des Platzes abgeschoben. Bilder von brüllenden Arabern waren anscheinend genehm, differenzierte Meinungen und Argumente hingegen nicht.
Als eine der Frauen eine Palästinensiche Fahne aus ihrer Tasche holt, wird in Sekundenschnelle eingeschritten und die Fahne beschlagnahmt.
Doch die wenigen Sekunden haben einem Reuters-Photographen gereicht, so dass die Fahne es trotzdem in die deutschen Nachrichten geschafft hat. [Quelle: tagesschau.de]
Und jüngere Männer werden abgedrängt.
Ältere Männer hingegen werden in der Regel in Ruhe gelassen.

Die Soldaten und Polizisten sind sehr wenige und haben fast alle ein Maschinengewehr im Anschlag. Das heißt, sie haben im Konfliktfall nur die Eskalationsstufen „mit-einer-Hand-schubsen“ und „scharf-schießen“. Das, was man auf Demonstrationen von Schlagstock über Wasserwerfer bis Pfefferspray kennt, fällt hier weg.

Soldaten vor dem Pressebereich.
Scharfschütze auf der Altstadmauer.

Andererseits sind sie dadurch aber auch vollkommen hilflos, wenn man sich auf das Geschubse nicht einläßt, und sich, wie die Frauen, die uns am Anfang so herzlich bei sich aufgenommen haben, einfach hinsetzt, sobald sie einen abdrängen wollen.

Jetzt sitzen wir. Der Versuch, uns abzudrängen, ist fehlgeschlagen.

Oberhalb auf der angrenzenden Hauptverkehrstraße entwickelt sich ein Katz-und-Maus-Spiel, zwischen den Soldaten/Polizisten und den abgedrängten Jugendlichen.

Was uns hierbei auffällt, ist daß die Pozeipferde hier bei weitem nicht so gut ausgebildet sind wie in Deutschland. Eine Parolen skandierende Menge in 50m Abstand genügt, damit sie Scheuen und Austreten. – Andererseits sorgt das dafür, dass alle Demonstranten gebührenden Abstand den Pferden halten.

Die Polizeipferde scheuen vor der 50m entfernten, Parolen skandierenden Menge.

sie haben meine geliebten friesen als polizeipferde! damit bin ich nicht einverstanden!!!!!!

Irgendwann hat sieht die Einsatzleitung offensichtlich ein, daß das Abgeränge keinen Zweck hat und läßt die jungen Männer auf den Platz.

Auch die jungen Männer haben es auf den Platz vorm Damaskustor geschafft.

Das militanteste was diese dann machen, ist zu demonstrieren, dass dieser Teil der Stadt arabisch-muslimisch ist, indem sie öffentlich beeten.

Demonstratives öffentliches muslimisches Gebet.

Polizei Armee haben sich derweil an die Ränder des Platzes zurückgezogen.

Inzwischen haben sie zumindest auch(!) Schlagstöcke dabei, und der Uniformierte vorne links hält ein Gewehr zum Verschießen von Tränengasgranaten in der Hand.

Von Demonstrantenseite bleibt es dabei die ganze Zeit so friedlich, dass selbst Ultraorthodoxe Juden ungestört mitten durch die Demonstration gehen können.

Ein Haredim ist gerade unbehelligt durch die Demo gegangen, und steigt nun die Stufen zur oberhalb liegenden Hauptverkehrsstraße hoch.

Kurz vor Sonnenuntergang machen wir uns auf den Heimweg. Bulli steht (zu unserer Beruhigung) sicher in einem gutsituierten, leicht abgelegenen Stadtteil von Westjerusalem.

Auf dem Heimweg begegnen wir noch einigen Patrouillen in der Altstadt.
Die Altstadt ist jetzt etwas belebter, und die Siedlerhäuser sind immer noch störende Fremdkörper.
Und in West-Jerusalem haben sie überall „God bless Trump“ plakatiert.

Wir wissen, dass die Nachrichten gerade voll sind von palästinensischen Ausschreitungen. Aber dies ist das, was wir erlebt haben.

Demo gegen die Mauer in Bil’in

Fr. 8.12.17

Wir fahren vom Busbahnhof am Damaskustor, zum Checkpoint Qalandia zwischen Jerusalem und Ramallah. Dort ist es (fast) menschenleer. Drei Beobachter von EAPPI (einer kirchlichen Organisation, die in Palästina unter anderem Beobachter an Checkpoints und auf Demonstrationen schickt) sagen uns, dass die vollkommen ungewöhnlich sei. Normalerweise würden die Menschen sich hier drängen. Aber heute hätten alle Angst, weil Ausschreitungen in Jerusalem und an den Checkpoints angekündigt seien. Wir kennen das Menschengedränge auch noch von vor 6 Jahren.

Der Checkpoint selbst ist eine Stahl und Beton gewordene orwellsche Phantasie. Man muß durch mehrere Drehtüren, durch Gitterkäfige und vergitterte Gänge. Und ist von den Grenzern immer durch Panzerglasscheiben getrennt.

Bina hinter der ersten Drehtür im ersten Käfig,…
Hier muß man normalerweise seinen Pass durch die Luken den hinter den Panzerglasscheiben sitzenden Kontrolleuren reichen. Heute war der Weg nach Ramallah hinein ohne Kontrolle. Raus war es mit Kontrolle und Durchleuchten des Rucksacks. (Von einer hinter Panzerglas sitzenden Beamtin überwacht, die den Ausgang unseres Käfigs erst ferngesteuert öffnete, als wir brav alles durch das Röntgengerät geschoben hatten, auch meinen Gürtel.)
Blick rüber zum Tigerkäfig auf dem Weg raus aus Ramallah. In diesem Käfig warten sonst Hunderte darauf, in die Einzelkäfige zur Kontrolle gelassen zu werden.
Der Weg in den Massenkäfig, durch den man in die Einzelkäfige zum Verlassen Ramallahs gelangt.

man muß sich das vorstellen: menschenmassen, die dichtgedrängt manchmal stundenlang warten, durchgelassen zu werden. sie haben in jerusalem vielleicht termine, müssen zur arbeit und geld verdienen und wissen nicht, ob sie hindurch dürfen. jetzt ist es um diese jahreszeit kühl, aber im sommer bei über 40 grad?

Auf der palästinensischen Seite des Checkpoints ist auch noch alles ruhig.

Mit dem Taxi fahren wir nach Bil’in das grob 15km westlich von Ramallah liegt. Bil’in ist ein 1500 Einwohner zählendes Dorf im Westjordanland, das vor etwa 10 Jahren von einem Großteil seiner Olivenbäume und Felder durch die Sperrmauer abgeschnitten wurde. Die Mauer schloß das Dorf von drei Seiten ein, um möglichst viel Raum für die Siedler der angrenzenden Siedlung zu schaffen. Seitdem gibt es jeden Freitag nach dem Gebet eine Demonstration zur Mauer. Bil’in ist bekannt für seinen gewaltfreien Widerstand. Wir haben hier auch 2011 schon an einer Demonstration teilgenommen.

Der Generalstreik scheint vorbei zu sein oder er wird nicht eingehalten. Die Läden im Dorf haben auf. Alles wirkt entspannt und ruhig. Der Metzger zerlegt öffentlich eine Kuh. (Eine Schleswig-Holsteiner Schwarzbunte!)

Da weiß man wenigstens genau, wo das Fleisch herkommt.

Das Freitagsgebet hat hier, genau wie in Nikosia, einen gleitenden Beginn. Die Gläubigen kommen so nach und nach. Die Älteren gehen in die Moschee, die Jüngeren lungern eher davor rum, und die Jungens spielen auf dem angrenzenden Friedhof Murmeln. Predigt und Gebet sind per Megaphon im ganzen Dorf zu hören. Bina geht in die Moschee, weil sie von einer Einheimischen zum Beten eingeladen wurde. Ich beteilige mich derweil am Lungern. Erst zum Abschlußgebet strömen auch Jugendlichen in die Moschee und die Kinder unterbrechen kurz ihr Murmelspiel.

wenn einen eine alte frau auf dem weg zum frauenteil zu sich winkt und einen nötigt, mit zu kommen, lehnt man besser nicht ab. die frauen beten im keller, der erst mal ein wenig aufgeräumt werden muß. ein kopftuch habe ich dabei. aber da mein rock nicht lang genug ist, hole ich mir einen aus einem regal, wo welche für notfälle liegen. komischerweise kommen nur ein paar ältere frauen zum gebet und einige ganz junge mädchen. die mittlere altersklasse ist nicht dabei, bzw. wird von mir vertreten, die sich so gut es geht beim beten blamiert. aber wer blamiert sich bei egal welchem gottesdienst nicht, wenn er/sie die liturgie nicht recht beherrscht.

Rumlungern vor der Moschee.
Murmelspiel auf dem Friedhof.

Dann geht es auf zur Mauer.

Die Straße von der Moschee zur Mauer haben sie „Freedom Street“ getauft.

Vor sechs Jahren hatte Bil’in einen großen Erfolg. Die Israelis verlegten die Mauer etwa einen Kilometer zurück. Vermutlich weil die Lage so dicht am Dorf und auf abschüssigem Gebiet strategisch eher ungünstig war. Jetzt verläuft die Mauer am Beginn des nächsten Anstiegs, was für ihre Verteidigung deutlich günstiger ist. Als letzte Tat hatten die Siedler damals alles in dem zu räumenden Gebiet angezündet und im Wortsinne verbrannte Erde hinterlassen.

An der Stelle, an der wir den alten Mauerverlauf passieren, steht ein Gedenkstein für Bassem, der hier von israelischen Soldaten erschossen wurde. Insgesamt wurden meines Wissens drei Menschen bei Protesten in Bil’in erschossen. Am bekanntesten ist der Fall eines Palästinensers, den sie erschossen haben, weil er einen Kinderdrachen steigen gelassen und somit die israelische Lufthoheit verletzt hat. Deshalb ist EU-europäische und US-amerikanische Unterstützung hier so wichtig. Wenn wir da sind, dürfen die israelischen Soldaten nicht scharf schießen, es sei denn, sie werden angegeriffen. Ein erschossener Deutscher gibt sehr viel mehr internationale Scherereien als ein erschossener Palästinenser.

Wer die Geschichte von Bassem lesen will, muß auf das Bild klicken und etwas hineinzoomen.

Es sind verschiedene kleine Gruppen im Gelände. Als wir mit unserer kleinen Gruppe noch etwa 500m von der Mauer entfernt sind, kommen seitlich Soldaten aus der (einem palästinenschem Bauern gehörenden) Olivenplantage.

Armeepatroille auf Abfangkurs.

Sie verbieten uns weiter zu gehen und es entwickelt sich ein Standoff. Eine Situation, die wir nutzen um deutlich zu machen, dass wir Deutsche sind.

Die Soldaten haben die Straße dicht gemacht.
Das Gewehr mit dem dicken Lauf verschießt Tränengasgranaten. Wenn diese Frontal auf ein paar Meter Entfernung auf einen Menschen abgefeuert werden bringen sie ihn um. – Was unseres Wissens der häufigste „Unfall“ bei Demonstrationen hier ist.

Ahmad, ein 16 Jähriger Junge, hat versucht, sich an den Soldaten vorbeizuschleichen und wird festgenommen.

Die Soldaten haben soeben Ahmad festgenommen.

Als wir anderen protestieren und auf die Soldaten zugehen, eskaliert die Situation. Einer der Soldaten wirft eine Schock-Granate (die einfach nur einen sehr lauten Knall macht), ein anderer eine Tränengasgranate.

Die Tränengasgranate ist genau neben mir niedergegangen.

Dann fliegen ein paar Steine, geworfen von Jugendlichen, die sich weiter hinten halten. Sofort verschießt der Soldat mit dem Gewehr für Tränengasgranaten sein ganzes Magazin auf die Jugendlichen, die weglaufen und sich verstreuen.

Jugendliche im Tränengas.

Gegen die Schock-Granaten (die, wie gesagt, nur einen lauten Knall machen) hilft es, kurz beiseite zu treten, sich die Ohren zuzuhalten und Mund aufzumachen. Wegen des Schalldrucks! Eigentlich sind es nur besonders gute Sylvesterböller.

Bei Tränengas ist es angeraten bergauf und/oder gegen den Wind wegzugehen. Das Gas ist schwerer als Luft und wird mit dem Wind mitgetrieben. Und es ist für uns sinnvoll, zu den Soldaten hin zu gehen, und nicht von ihnen weg. Denn sie können das Gas ja nicht zu dicht an sich dran einsetzen, da sie keine Gasmasken dabei haben. Wenn man das Gas richtig abbekommt (was uns nicht passiert ist) ist es gut eine Zwiebel dabei zu haben (was wir haben!) Das Gas brennt nämlich nicht nur in Augen, Nase und Mund. Ab einer gewissen Dosis bekommt das Gehirn nicht mehr mit, dass man atmet, weil die Nerven ihm das nicht mehr melden. Wenn man dann in die Zwiebel beißt, wird dieser Reiz zum Gehirn durchgestellt und damit auch die Information über das Atmen.

Bina geleitet ein Mädchen aus dem Tränengas hinaus.
Einem anderen Mädchen ist im Gas schwindelig geworden. Bina versorgt sie im Schatten eines Olivenbaumes. (Später erfahren wir, dass der Festgenommene der Bruder einer der beiden ist.)

Dann entwickelt sich wieder eine Zeitlang ein Standoff, während die Soldaten auf Anweisung warten, was sie mit ihrem Gefangenen machen sollen. Die meisten palästinensischen Erwachsenen bleiben hinter der von den Soldaten festgelegten Grenze stehen. Die Mädchen und wir gehen am Feldrand zu Achmed und den ihn bewachenden Soldaten hin. Die Mädchen durch ihr Geschlecht und ihr junges Alter geschützt, wir durch unseren Pass.

Der Festgenommene Ahmad vom Feldrand aus gesehen.
Einer Soldaten reißt einem der Mädchen sein Plakat aus der Hand. Vorher hat er der anderen schon eine Wasserflasche aus der Hand geschlagen, die sie Achmad geben wollt. Aber alle Versuche, die Mädchen dauerhaft zu vertreiben schlagen fehl.
Irgendwann, werden die palästinensischen Erwachsenen außerhalb des Sichtbereichs abgeschoben.
Blick auf die Sperrmauer und die dahinterliegende Siedlung. (Man beachte die Bautätigkeit.)
Hinter uns die Soldaten mit Ahmad und dahinter Mauer und Siedlung.

Etwa eine dreiviertel Stunde nachdem sie ihn festgenommen haben, bekommen die Soldaten den Befehl Ahmad mit hinter die Mauer zu nehmen. Da wir inzwischen sehr wenige und mit den Soldaten alleine sind, die sehr eindeutig klar machen dass hier ihre „Red Line“ [Zitat Soldat] ist, folgen wir nicht weiter sondern gehen zurück.

Viel Glück Ahmad.

Ahmad kommt nun vermutlich in Administrativhaft. In der C-Zone des Westjordanlands gilt für Palästinenser Militärrecht, während für Siedler und Ausländer Zivilrecht gilt. Hätten die Soldaten uns festgenommen, hätten sie uns ziemlich schnell wieder frei lassen müssen, weil kein Zivilrichter jemanden in den Knast steckt, weil er an einem Soldaten vorbei gegangen ist. Den Palästinenser Ahmad hingegen können sie 6 Monate ohne Anklage in Administrativhaft nehmen. Und es ist sehr wahrscheinlich, dass sie das auch machen. Eine häufiges Vorgehen ist auch, die Gefangenen nach 6 Monaten kurz frei zu lassen, und dann innerhalb von 5 Minuten wieder zu verhaften. Es sitzen hier zu jedem Zeitpunkt tausende Palästinenser in Administrativhaft und es gibt oft Hungerstreiks mit der Forderung nach einer Anklage und einem Prozeß.

In Südafrika nannte man das Konzept zweier Rechte für zwei Bevölkerungsgruppen „Apartheid“!

Wir werden zusammen mit den Mädchen von einem Autofahrer eingesammelt, der sich als Vater von Ahmad und einem der Mädchen herausstellt. Als wir zwischendrin noch einmal anhalten, um weitere Kinder und Bekannte von ihm einzuladen, macht bina dieses Foto:

„’Jango! Das D ist stumm.“

In den Olivenplantagen, an denen wir vorbeifahren, gehen die Scharmützel noch weiter.

Die Jugendlichen haben zum Teil Davidschleudern in den Händen und der schwarze Rauch kommt vermutlich von einem brennenden Autoreifen.
Da insgesamt 8 Personen im Auto zurück nach Bil’in fuhren, mußten die Mädchen und Michel im Kofferaum sitzen.

Achmads Vater kennen wir tatsächlich aus dem Film „5 broken cameras“ und erkennen ihn auch wieder. Allen, die mehr über Bil’in erfahren wollen, empfehlen wir diesen Film, der sogar für einen Oskar nominiert war.

Achmads Vater lädt empfängt uns mit arabischer Gastfreundschaft.

Erstmal will er von uns und den Mädchen wissen, ob Achmad wirklich keine Steine geschmissen hat. – Nein, hat er nicht! – Denn wenn er welche geschmissen hätte, hätte er den Rückhalt der Familie verloren. Anschließend erzählt er seine Geschichte. Er saß 18 Monate in Administrativhaft weil er nicht aufhört gegen die Mauer zu demonstrieren. Die Soldaten haben ihm auf einer friedlichen Demonstration 4 Kugeln ins Bein geschossen. (Er zeigt uns den Filmausschnitt, in dem das zu sehen ist, auf dem Smartphone.) Und sie haben ihm das Handgelenk gebrochen.

Mit dem Versprechen wiederzukommen verabschieden wir uns und fahren mit dem Sammeltaxi, das hier Service heißt, nach Ramallah und von dort zum Checkpoint Qalandia.

Hier sind noch die Reste der Randale vom Mittag zu sehen. Wir kennen die beeindruckenden Bilder aus den Nachrichten. Aber von dem her, was wir gesehen haben, hatten die Krawalle hier in etwa die Ausmaße dessen, was die Autonomen jedes Jahr im Schanzenviertel zum 1. Mai veranstalten (also jetzt nicht G20, sondern der ganz normale 1. Mai.). Wenn wir Betlehem und so weiter dazunehmen, dann kommen wir darauf, dass das Ganze die Ausmaße der normalen Maikrawalle im hamburger Schanzenviertel, berliner Kreuzberg und Göttingen hat. Der entscheidende Unterschied ist die Reaktion der Gegenseite. Die deutsche Polizei hat Schilde, Knüppel und Wasserwerfer. Hier haben sie Maschinengewehre. Man stelle sich vor, in Deutschland würde die Polizei zum 1. Mai zwei Demonstranten erschießen, ohne dass sie ernsthaft verletzte Polizisten zu vermelden hätte. Was würden wir dann in den Nachrichten sehen und hören?

Vorm Checkpoint Qalandia: Ein Reifen brennt noch.
Aber am Checkpoint selbst sehen wir die ganz normale Abfertigungsschlange – nur deutlich kürzer als sonst. (Hinten im Bild sieht man die Anzeigentafel über der Straße, die auch auf dem Bild oben zu sehen ist.)

Auf der Rückfahrt kommen wir in Ostjerusalem an Sheikh Jarrah vorbei. Hier demonstrieren israelische Friedensgruppen seit 8 Jahren jeden Freitag. In Sheikh Jarrah haben Siedler behauptet, dass sie einige der Häuser gekauft hätten. Das hiesige „Recht“ ist so, dass in einem solchen Fall nicht die Siedler ihren rechtmäßigen Kauf beweisen müssen, sondern die Palästinenser müssen beweisen, dass das Haus tatsächlich ihnen gehört. Mit lückenloser Beweisführung bis zurück in die osmanische Zeit. Das ist den Palästinensern hier zwar am Ende gelungen, aber da die Siedler schon in den Häusern drin sind, gilt der Status Quo. Die Häuser gehören den Palästinensern, die auch Strom und Wasser zahlen, und die Siedler leben mietfrei darin.

Wir gesellen uns kurz zu den Friedensaktivisten in Sheikh Jarrah. Dann wird die Demo beendet.

Von dort aus gehen wir zu Fuß nach Hause (zum Bulli).

Ultraorthodoxes Pärchen, mutmaßlich auf dem Weg zur Klagemauer.
Der Shabbes beginnt und die Straßen der ultraorthodoxen Viertel werden abgesperrt.
Da am Shabbes die öffentlichen Verkehrsmittel ruhen, kann man auf den Gleisen der S-Bahn gehen.
Ultraorthodoxe „Kleinfamilie“ 😉

Ein überraschend normaler Tag

Sa. 9.12. 17

sabbat in jerusalem. die ultra-orthodoxen begehen ihn mit ihren üblichen ritualen, die übrigen bewohner ergehen sich bei schönem, wenn auch kühlem wetter, als wäre nichts passiert und sie wirken, als ginge sie die ganze aufregung um jerusalem nichts an.

Ein ganz normaler Samstag, die Cafes in West-Jerusalem sind gut gefüllt. Hier an der First Station, in bei unserem Bulliparkplatz.

im shouk sind wieder fast alle geschäfte geöffnet. nur geringfügig mehr als sonst sind geschlossen. und das kann alle möglichen gründe haben. die stimmung in den gassen ist entspannt. es wird ver- und gekauft, waren angeboten und gehandelt wie immer.

mich beruhigt das ein bischen. die hamas hat zum generalstreik aufgerufen und in der westbank und hier in der altstadt kümmert man sich wenig darum. das kann doch nur heißen, daß den menschen die butter auf dem brot (bzw. der hummus auf der pitta) wichtiger ist, als die aufrufe der hamas. in gaza sieht das bestimmt wieder anders aus.

Ich sehe das etwas anders. Ich sehe hier vor allem die Kampfesmüdigkeit, Schwäche, Rat- und Hoffnungslosigkeit der Palästinenser.

am damaskustor warten ein paar wenige jugendliche und ältere menschen darauf, daß vielleicht noch mehr kommen, aber nichts passiert. scharen von reportern langweilen sich neben den aufgestellten kameras.

den nachmittag verbringen wir im shouk bei argila und tee in der kleinen teestube am rande des arabischen viertels, in der wir vor sechs jahren schon so gern gesessen haben.

a… setzt sich auf einen kaffee zu uns. tochter chassidischer juden aus antwerpen, eltern in auschwitz getötet, lehrerin und brückenbauerin zwischen palästinensern und israelis. sie lädt uns beizeiten zu einem sabbatmahl ein. wir werden dann mehr von ihr zu erzählen wissen.

A… mit Michel.

A… ist im muslimischen Viertel wohlbekannt und wohlgelitten, alle grüßen sie und sie grüßt alle. Offensichtlich ist sie auch in den Augen der Palästinenser nicht Siedlerin sondern Friedens- und Versöhnungsaktivistin.

auf dem weg nach hause schauen wir noch bei der koptischen kapelle auf dem dach der Grabeskirche vorbei, wo grad an der station IX der via dolorosa eine gruppe chinesen betet. sie haben sich ein kreuz von der ausleihstelle am garten gethsemane mitgebracht und singen, beten und weinen, teilweise auf knien mit dem kopf am boden. ihre inbrunst hat etwas sehr anrührendes.

Oben auf dem Haus, in dem unser Cafe liegt, haben sich Siedler breit gemacht. Links der Spielplatz ihrer Kinder, die ja nicht mit den Araberkindern auf der Straße spielen dürfen, rechts der ständig besetzte Wachposten der israelischen Armee.
Jeder der Chinesen stellt sich einmal ans Kreuz, während die anderen inbrünstig einen chinesischen Choral singen.
Auf dem Dach de Grabeskirche befindet sich auch ein äthiopisches Kloster. (Im Hintergrund der Turm der evangelisch-lutherischen Kirche.
Von der koptischen Kapelle aus gelangt man über eine lange enge Treppe zu einer Zisterne mit wunderbarer Akkustik, aus der angeblich die Heilige Helena getrunken haben soll.

dieser ruhige tag gibt mir wieder gelegenheit, ein bischen vom alltag in israel und palästina zu erzählen.

warum ist die zahl der demonstranten so klein?

wir wissen es auch nicht. ist es angst? sind sie kampfesmüde?

wenn man kein realistisches ziel vor augen hat, das man erreichen wollen könnte und keine idee, was man fordern könnte (z.b. einen eigenen staat oder die vollen bürgerrechte des staates israel), dann macht sich resignation breit. dann stellt man keine konkreten forderungen mehr, sondern schmeißt, wie die jugentlichen in ramallah, bethlehem und nablus, aus frust nur noch steine und zündet autoreifen an.

Gestern kamen wir noch mit drei beieinanderstehenden Reporten ins Gespräch, einem vom ZDF, einem von RTL und wofür der Dritte arbeitet haben wir vergessen. Wir waren von ihren Kommentaren wirklich überrascht. Sie sagten, daß sowohl in Ramallah, als auch in Jerusalem und Bethlehem die Eskalation bei den Demos ganz klar von den israelischen Soldaten ausgegangen ist. Und sie wandten, als wir „Gummigeschosse“ erwähnten, sofort ein, dass diese mitnichten ‚ungefährlich‘ seien. Es handele sich um Stahlgeschosse, die nur mit Gummi ummantelt seien, und die ohne weiteres jemanden umbrächten.

Den gesamten Gesprächsverlauf hier wiederzugeben, würde den Rahmen sprengen. Aber wenn die Berichterstattung in Deutschland so wäre, wie diese Reporter privat mit uns gesprochen haben, käme israel deutlich schlechter weg und ‚apartheit‘ wäre beim Thema Israel-Palästina ein häufiges Wort in den Nachrichten.

Orts und Straßennamen

straßennamen sind zum oft nur schall und rauch. vor sechs jahren sind wir in jerusalem fast wahnsinnig geworden, weil grade alle straßen umbenannt, sprich israelisiert wurden und wir einen nicht mehr so ganz aktuellen stadtplan hatten. auf den straßenschildern stand manchmal was ganz anderes als auf der karte. mittlerweile sind sie damit fertig und die straßennamen auf schildern und im plan haben zumindest eine gewisse ähnlichkeit. steht im plan z.b. ‚iszaac rabin‘, kann auf den schildern ‚rabin av.‘ stehen. gemeint ist die selbe straße.

jaffa wird auf dem einen straßenschild jaffa geschrieben, auf einem nächsten yafo oder jaffo und jafa steht auf der landkarte.

schlimmer wird es, wenn wir leute nach dem weg gefragt haben. In tel aviv spricht jeder die gesuchte straße anders aus und wir fragen oft nach, ob wir auch die selbe meinen. im stadtplan steht es dann irgendwie so ähnlich.

richtig lustig wird es in palästina. in ramallah zum beispiel haben nur die größeren straßen einen namen. aber was auf dem schild steht, hat oft nichts damit zu tun, wie die menschen die straße nennen. und da muß man unterscheiden zwischen den leuten, die diese straße nur kennen oder denen, die dort auch wohnen. die nennen sie dann wieder ganz anders. daher ist es sinnvoll, sich große wichtige gebäude in der nähe zu merken und nach denen zu fragen. ein hotel, eine große bank, eine behörde. das klappt eigentlich immer und ist auch unter einheimischen üblich.

In dem Teil des Westjordanlandes, den die Israelis komplett kontrollieren, ist es dann auf gewisse Weise wieder einfach: Es gibt meistens keine Straßennamen, weil es die Palästinenser im israelischen Weltbild ja eigentlich nicht gibt.

Busse, Taxen, Sammeltaxen

anders ist es bei öffentlichen verkehrsmitteln. wir sind nach bil’in damit gefahren. wenn wir gefragt haben, wo wer fährt, war die antwort immer sofort richtig.

hinter dem damaskustor gibt es einen großen busbahnhof, von wo aus wir nach qalandia wollten. gleich der erste linienbus war der richtige, die fahrt sollte laut fahrer 3 schekel (nis) kosten und er würde in 10 min. losfahren. pünktlich(!) 10 minuten später waren wir für 3 nis auf der straße und zügig am checkpoint.

dort machten wir den fehler und ließen uns auf ein taxi ein, das uns direkt nach bil’in bringen sollte.

es gibt zugelassene taxis, die sind gelb und inoffizielle taxis. wir stiegen in ein letzteres, nicht ohne vorher den preis geklärt zu haben. 120 nis sollte das kosten. ich konnte auf 100 runterhandeln und fand das trotzdem zu teuer. aber gut. dann stellte sich heraus, wir waren schon angeschnallt, daß der fahrer unter bil’in etwas anderes verstanden hatte als das dorf, zu dem wir wollten und plötzlich sollte die fahrt 200 kosten, denn das sei ja gar nicht ‚um die ecke‘. wir handelten zwar noch auf 150 runter, sagten dann aber zähneknirschend zu. ein paar straßen hinter dem checkpoint hielt unser fahrer an, diskutierte mit einem offiziellen taxifahrer und hieß uns umsteigen. wir haben keine ahnung, warum. wahrscheinlich kannte er den weg nicht oder wollte eigentlich nach jerusalem zurück. die beiden teilten sich unser geld und wir wurden auf direktem weg nach bil’in gefahren. allerdings mit dem wissen, lehrgeld bezahlt zu haben.

zurück ging es mit dem sogenannten ’service‘. das sind kleinbusse und sammeltaxen. mit so einem sind wir schon vom flughafen nach haifa gefahren, die in israel sheruk heißen. sie sind überall zu finden, in israel sind sie in topzustand, in palästina in mehr oder weniger gutem zustand und oft ziemlich überfüllt.

wir wanderten einfach richtung ramallah an der straße lang und als ein service noch im dorf am horizont auftauchte, brauchten wir nur die hand auszustrecken und er hielt an. wir fragten, ob er nach ramallah fährt, erkundigten uns nach dem preis (7nis), sagten zu den anderen fahrgästen ’salam‘ und schon ging es weiter. michel vorne zwischen zwei männern, ich auf der hinteren bank neben einer mutter mit drei kindern. eine weitere mutter mit kind kam dazu, wir rückten halt alle ein bischen zusammen und die kleinsten standen während der fahrt zwischen den knien der mütter. auf der fahrt stieg zwischendrin mal einer aus oder jemand dazu und in kurzer zeit waren wir in ramallah. lustigerweise auf einem parkplatz gleich in der nähe unseres stellplatzes von neulich.

in der stadt fragten wir nach einem service nach qalandia, ein paar straßen weiter standen welche von denen einer auch gleich fuhr. nach dem preis fragen (3nis), einsteigen und los.

bezahlt wurde irgendwann während der fahrt, am besten passend, denn der fahrer hatte keine hand frei, um wechselgeld raus zu geben. er mußte telefonieren. einen beleg gab es nicht. von qalandia gings dann mit dem linienbus wieder zurück nach jerusalem.

solche fahrten sind klasse!

man erlebt menschen im alltag, kommt mit sitznachbarn ins gespräch, die es offensichtlich nicht kennen, daß touristen mit dem service fahren. ich mußte es aushalten, von den frauen ein wenig befremdlich und von den kindern baß erstaunt angestarrt zu werden. aber wir haben uns gemeinsam dem geruckel der heruntergefahrenen stoßdämpfer des autos hingegeben, wir sind alle zusammengerückt, als noch jemand einsteigen wollte und wir haben alle ‚auf wiedersehen‘ gesagt, als jemand ausstieg, uns an der endhaltestelle bei gepäck und kindern geholfen und die jungs, die vorne bei michel saßen, wollten unbedingt noch ein abschiedsfoto mit uns machen.

Neve Shalom/ Wahat al Salam

So-Mo 10.-11.12.17

unser nächster besuch gilt dem dorf neve shalom/wahat al salam. wir kennen es schon von der ersten reise. damals brauchten wir nach all den erkenntnissen von der situation im land dringend einen platz, wo eine für uns normale situation herrscht, um mal wieder luft holen zu können.

es liegt ziemlich genau in der mitte zwischen jerusalem und tel aviv und ist ein gemischt-religiöses dorf.

gegründet wurde es in den 1970ern von bruno hussar, einem dominikanermönch.

das gelände gehört dem trapistenkloster latrun, das auf dem nächsten hügel liegt und wurde an die dorfgemeinschaft verpachtet.

zwischen feldern, hügeln und wald leben derzeit 60 jüdische und arabische familien miteinander. sie sind genossenschaftlich organisiert und es leben genau so viele jüdische wie arabische Familien im dorf. so gibt es kein ungleichgewicht. 140 sollen es mal werden und derzeit wird am dorfrand gebaut.

Weihnachtssterne (wie passend) vor dem Trapistenkloster Latrun. Vor sechs Jahren hat Michel sich hier zum Deppen gemacht, als er einen Mönch fragte, wie man zum Friedensdorf kommt, und sich wunderte, warum der Mann partout nicht reden wollte. Das es Trapisten sind, haben wir damals erst später begriffen…

es gibt ein hotel, ein cafe, ein jugendhaus, ein seminar-zelt-haus, wo grade ein feldenkrais-seminar stattfindet, eine friedensschule mit kursen und veranstaltungen und das haus der stille, das aussieht wie dieser pilz, der bovist heißt.

Gemütliche Sitzecke in der Lobby des Hotels.
Wandmosaik im Hotelfoyer.

das ortsansässige schwimmbad ist auch in der umgebung außerordentlich beliebt und in der schule werden die kinder aller religionen gemeinsam unterrichtet. bis auf mathe- und religionsunterricht (mathe deshalb, weil arabisch und hebräisch unterschiedliche zahlensysteme haben). die nakbah (tag der katastrophe) der palästinenser und der unabhängigkeitstag der israelis werden gemeinsam begangen. sehr viele kinder kommen auch aus den umliegenden dörfern.

So wie das Dorf, das einzige gemischte arabisch-jüdische Dorf des ganzen Landes ist, ist die Grundschule des Ortes ist eine von nur zwei(!) gemischten jüdischen-arabischen Schulen im ganzen Land. Das ist ja das Problem mit Oasen (der zweisprachige Ortsname bedeutet „Oase des Friedens“), dass um die Oase herum eine Wüste liegt.

Religionsunterricht gibt einerseits getrennt dreifach. Die christlichen, muslimischen und jüdischen Kinder lernen alle ihre eigene Kultur und Religion. Andererseits gibt es einen gemeinsamen Religionsunterricht, damit alle Kinder auch die Religion und Kultur der anderen kennenlernen. An religiösen Feiertagen gibt es jeweils eine kleine gemeinsame Zeremonie mit allen Kindern, und anschließend haben die Kinder der jeweiligen Religion frei. (Wobei, wenn ich es richtig sehe, die jüdischen Kinder am besten abschneiden, weil sie die meisten Feiertage haben.)

Der Geschichtsunterricht wird paritätisch von einer arabischen und einer jüdischen Lehrkraft unterrichtet. So dass die Schüler beide Sichtweisen authentisch lernen (Multiperspektivität heißt das Fachwort). Besonders schwierig ist natürlich der 15. Mai 1948, der Tag, der für die jüdischen Israelis der Unabhängigkeitstag, der Tag der Gründung des Staates Israel ist, und für die Palästinenser der Nakbahtag, der Tag der Vertreibung, der ethnischen Säuberung die Zionisten. An diesem Tag gibt es eine gemeinsame Zeremonie, die die Kinder jeweils selber gestalten, und dann zwei getrennte Zeremonien. – Vor sechs Jahren hatte die Schule große Probleme. Das Bildungsministerium wollte ihr die Zulassung aberkennen, weil sie verbotenerweise die Nakbah unterrichtete. Dank des breiten internationalen Unterstützernetzwerkes des Friedensdorfes konnte dies abgewendet werden.

im hotel klönen wir ein bischen mit dem mädel von der rezepetion.

sie gehört zu der 2. generation, die in diesem dorf geboren wurde und ist sich dieser ihrer sondersituation durchaus bewußt. ihr ist klar, daß sie in neve shalom/wahat al salam in einer blase lebt, daß sie sich wie ein alien vorkommt, wenn sie das dorf verläßt, um nach jerusalem oder tel aviv zu fahren. das sie es oft anstrengend findet, anders aufgewachsen zu sein. ich frage sie, ob sie sich manchmal wünschen würde, wie eine normale israelin groß geworden zu sein, um es weniger anstrengend zu haben. NEIN, um himmelswillen, niemals!!!! ist ihre antwort.

Das Dorf hat natürlich auch viele Probleme. Es bei Weitem nicht alles Harmonie und Friede-Freude-Eierkuchen. – Zur Friedensarbeit gehören halt auch die Mühen der Ebene. Das Klein-Klein des demokratischen Prozesses und der menschlichen Unzulänglichkeiten.

Die im Dorf lebenden Palästinänser sind übrigens ausschließlich Araber mit palästinensischer Staatsbürgerschaft. Palästinenser aus Ostjerusalem, derm Westjordanland, dem Gazastreifen oder der Diaspora können „natürlich“ nicht hierhinziehen. Da sind die Abschottungspolitik, oder anders ausgedrückt Teile-und-Herrsche-Politik des Staates Israel vor.

wir schlendern durchs dorf, schauen über die landschaft und freuen uns an der entspannten stimmung.

bulli stellen wir oberhalb des hauses der stille für die nacht ab und schlafen dort mal wieder ohne verkehrslärm im hintergrund. dafür aber mit dem üblichen hundegebell.

Ein Kind auf der Schaukel dem Dorfspielplatzes.
Wir meditieren gemeinsam (nach dem Photographieren) in der Halle der Stille. Einem spiritullen Raum für alle Religionen. Der nebenbei eine tolle Aussicht auf die Küstenebene um Tel-Aviv und die ersten Hänge des judäischen Gebirges bietet.
Die Halle der Stille von außen gesehen. (Sieht doch aus wie ein Bovist, oder?)

morgens frühstücken wir unter den olivenbäumen im ‚international garden of rescuers‘, sind erstaunt über den müll, der überall herumliegt und machen erst mal sauber. ist das typisch deutsch? egal. an einen solchen ort gehört kein abfall von den letzten picknicks. auch aus dem haus der stille nehmen wir den gröbsten müll mit.

Der „International Garden of Rescuers“. Rechts auf dem Tisch unser Frühstück.
Die erklärende Plakette am Eingang des Gartens. (Zum Lesen bitte auf das Photo klicken und vergrößern.)

Der „International Garden of Rescuers“ ist ein Gegenstück, oder vielleicht besser eine Ergänzung zum „Garten der Gerechten unter den Völkern“ in der Holocaustgedenkstätte „Yad Vashem“. Im Garten der Gerechten werden ausschließlich Menschen geehrt, die Juden während des Holocausts gerettet haben. Hier werden Menschen geehrt, die während ethnischer Säuberungen Menschen einer anderen Ethnie gerettet haben.

im dorf hat das cafe geöffnet. unter sonnensegeln, die von katzen als hängmatten benutzt werden, trinken wir kaffee mit zwei frauen aus tel-aviv. sie waren schon öfter im dorf, sind links-politisch aktiv und wir haben einen guten austausch über die derzeitige politische lage.

Schnurr!
Schnurr! Schnurr!
Schurr! Schnurr! Schnurr!
Im Cafe hängt die Goldene Regel in der Version verschiedener Religionen aus. (Zum Lesen bitte auf das Photo klicken und vergrößern.)

wir wollen eigentlich schon längst auf dem weg nach tel-aviv sein. als wir aufbrechen wollen, spricht uns l… an, die unserem gespräch ein wenig gelauscht hatte, uns spannend findet und einlädt, ihren arbeitsplatz anzuschauen. sie ist schweizerisch-amerikanische jüdin und baut als volontärin das jugendhaus wieder auf. als malerin hat sie dort auch ihr atelier und eine kinder-malgruppe.

L…’s Atelier. Sie hat sich einen Schrein in Form des Felsendoms gebaut, um in Gedanken bei ihrem arabischen Freund in Jerusalem sein zu können.

abends stehen wir in tel aviv wieder auf unserem stammparkplatz am alten hafen und gehen noch auf einen ausgesprochen netten stammtisch in florentin, einem stadtteil an der grenze zum alten jaffa.

Tel Aviv & Jaffa

Di-Mi 12.-13.12.17

Holocaustgespräch am Strand

Wenn wir in Tel Aviv sind, gehen wir eigentlich täglich zu dem unserem Bullistandplatz nächstgelegenen Strand, dem FKK-Strand, der ganz offiziell Spannerstrand (Peeping Beach) heißt. Nein, nicht zum Spannen, sondern weil es hier folgende drei Dinge gratis gibt: Trinkwasser, heiße Duschen und eine ausgesprochen gute Wlan-Verbindung.

An den Tischen sitzen immer einige Rentner und spielen Backgammon, Schach oder Poker. Oder sie trinken Tee und unterhalten sich. Oder sie arbeiten sich an dem altengerechten Outdoor Fitnessstudio ab, das grob alle Geräte beinhaltet, die ein professionelles Fitnessstudio in Deutschland auch hat. Solche Fitnessgeräte stehen hier überall am Strand rum und sind umsonst. Hier machen halt eher die Rentner Workout, am Schwulenstrand diejenigen, die ihre Muskeln vom eigenen Geschlecht bewundern lassen wollen und vorm Sheraton diejenigen, die ihre Muskeln vom anderen Geschlecht bewundern lassen wollen.

Einer der Rentner hört uns Deutsch sprechen und spricht uns an. Da er kein Englisch kann, kramt er für uns sein altes, stark eingerostetes Jiddisch hervor und erzählt. Er ist Holocaustüberlebender aus Polen, war bei Kriegsende 8, ist jetzt also 80 Jahre alt. Beide Eltern und die Geschwister in Auschwitz umgekommen. Er bekommt eine kleine Ghettorente aus Deutschland bezahlt. Er ist furchtbar nett und findet nur gute Worte über Deutschland. – Ich fühle mich seltsam unwohl in meiner Haut. Ich glaube fast, ich käme im Augenblick besser damit klar, wenn er sauer auf uns wäre. – Trotz des Ungeheuerlichen, das er uns da gerade erzählt, ist die Situation irgendwie ganz normal. Halt ein alter Mann, der aus seinem harten Leben erzählt. Bina hat hier als Altenpflegeren mehr Erfahrung und findet besser die richtigen Worte der Empathie. Zum Abschied versichern wir ihm, dass Deutschland aus der Geschichte gelernt hat und wir beide und viele andere so etwas nie wieder zulassen würden.

Wir radeln den Strand ein Stück runter und machen erstmal Pause und verdauen wir das Gespräch, erst wortlos jeder für sich, dann gemeinsam.

Befreiung Jaffas (von seinen Bewohnern)

Jaffa ist eine uralte Hafenstadt und heute ein Stadtteil von Tel Aviv. Kurz vor Jaffa sehe ich in Strandnähe an einem Haus die folgende Tafel:

Etzel Haus – Im Gedenken an die Befreier von Jaffa

Mir schwillt der Hals! „Befreier“? Jaffa war eine arabische Stadt! Wovon wurde sie befreit? In Jaffa selbst steuere ich erstmal die Touristeninfo an, die ihren Ort genau vor dem Haus hat, in dem den Touristen die jahrtausendealte tolle Geschichte Jaffas erzählt wird. Ich frage sonnig unschuldig, ob sie mir zufällig sagen könnten, wann genau Jaffa ethnisch gesäubert wurde, wann die Araber, die hier wohnten, ins Meer getrieben wurden. Die uninformierten Menschen von der Touristeninformation scheinen es ganz offen und ehrlich nicht zu wissen. Sie sind anscheinend noch nie auf die Idee gekommen, dass in den ganzen schönen alten arabischen Häusern auch mal arabische Menschen gewohnt haben könnten.

Der UN-Teilungsplan von 1947 schlug die Hafenstadt Jaffa dem arabischen Staat zu, als Exklave im jüdischen Staat, weil es eine arabische Stadt war. Zu Beginn des Jahres 1947 lebten etwa 70.000 bis 80.000 Menschen in Jaffa, und die Verteidigung der Stand bestand aus 400 irregulären Freiwilligen. (Also keine ordentlichen Soldaten!)

Am 4. Januar zündete Lehi (zionistische Paramilitärs) eine LKW-Bombe vorm Rathaus der Stadt, tötete 26 Menschen und verletzte hunderte. Bis Mitte April flohen etwa 20.000 Menschen aus der Stadt.

Vom 25. bis 27. April beschoß die Irgun (auch zionistische Paramilitärs) die Stadt mit Mörsern. Dann zwangen die Briten, die ja immer noch Mandatsmacht waren, die Irgun zur Einstellung des Beschusses. Die Briten hatten Angst vor einem Massenexodus, wie in Haifa eine Woche zuvor. Sie verhinderten aber nicht, dass die Haganah (die größten zionistischen Paramilitärs) die arabischen Dörfer um Jaffa überrannten, ethnisch säuberten und die Stadt so vom Hinterland abschnitten. Am 30. April befanden sich noch 15.000 – 25.000 Menschen in Jaffa, von denen weitere 10.000-20.000 über das Meer flohen.

Als sich Jaffa am 14. Mai der Haganah ergab, lebten noch 4.000 Menschen in der Stadt. Es kam zu exzessiven Plünderungen. Um Mitternacht des selben Tages endete das Britische Mandat. Am 15. Mai wurde der Staat Israel gegründet, und (so lernen es israelische Schüler) der Unabhängigkeitskrieg begann. [Daten und Zahlen stammen aus der englischen Wikipedia und decken sich gut mit dem, was ich aus belastbareren Quellen erinnere.]

Meines Wissens leben die Nachfahren der ehemaligen Bewohner Jaffas heute größtenteils in Flüchtlingslagern im Gazastreifen.

Straßenszene in Jaffa. Vorne rechts ultraorthodoxer Jude, dahinter die israelische Flagge. Hinten links das Minarett der alten Moschee, davor (ganz am Bildrand) ein altes arabisches Basargebäude.
Die Moschee lebt noch, der Muezzin ruft noch, wie man an den Lautsprechern oben am Minarett sieht.
Könnte jetzt auch Havanna sein. – Ist aber Jaffa.

Ausstellung: „50 Jahre“ Besatzung

Die israelische Menschenrechtsorganisation B’Tselem veranstaltet in Jaffa derzeit eine Ausstellung mit dem Titel „50 Jahre“. Gezeigt werden Portraitphotos von 50 Menschen aus dem Gazastreifen und dem Westjordanland, die 1967 geboren wurden und somit in diesem Jahr zusammen mit der Besatzung 50 Jahre alt werden.

Die großformatigen Portraits sind gut gemacht, die Menschen sind in ihrer alltäglichen Umgebung zu sehen. Neben jedem Photo stehen kurze Angaben über den Portraitierten. Zum Beispiel: „Jihad Musa. Krankenpfleger. Verheirateter Vater von Fünf, Bewohner von Deir al-Balah, Gaza-Streifen.“

Die Gesichter sind teils ernst, teils kämpferisch und manchmal erstaunlich ausgelassen-fröhlich. Doch die Augen! Hinter den Augen scheinen mir bei allen Seelen zu hervorzublicken, die Dinge gesehen und erlebt haben, die niemand sehen und erleben sollte.

und wie erschreckend alt sie manchmal aussehen!

Wirklich nah gehen mir aber die kurzen Statements, die jeder Photograpierte zu Protokoll geben konnte:

  • „Ich glaube Freiheit ist die schönste Sache in der Welt. Es heißt hingehen zu können, wo du willst, und frische Luft zu atmen.“ (Aydah Nasser, Gazastreifen.)
  • „Die Besatzung verweigert mir die grundlegendsten Dinge: Wasser, Obdach, Gesundheit. Ich will in Würde leben und ich trage dazu bei und hoffe für das Beste.“ (Omar Jundiyah, Schäfer im Westjordanland.)
  • „Wir leben in permanenter Angst, dass unser Zuhause abgerissen wird und wir vertrieben werden. Für mich bedeutet Freiheit ohne Angst zu leben.“ (Ibrahim Jahalin, aus Khan al-Ahmar, ein Dorf im Westjordanland, das beseitigt werden soll.)
  • „Ich bin 50 Jahre alt und ich war noch nie in Jaffa oder Haifa. Das einzige Meer, das ich jemals gesehen habe, ist das Tote Meer bei Jericho.“ (Ibrahim Abu Mariyah, Westbank. – Auf dem Photo lacht er irritierend schelmisch.)

Yad Vashem

Do 14.12.17

besuch in yad va-shem (was übersetzt bedeutet: „ein denkmal – ein name [shem]“), da heißt es heute stark sein. aber daran kommen und wollen wir nicht vorbei.

ich erinnere mich an unseren letzten besuch vor sechs jahren. wir haben uns die ausstellung mit dem hervorragenden audio-guide angeschaut und haben die tour irgendwann abgebrochen, weil wir es nicht zur gänze ausgehalten haben.

ich habe tatsächlich ein bischen angst vor den bildern und den geschichten. vad vashem bewahrt so viele namen wie möglich und immer wieder gibt es auf dem tour durch die einzelnen galerien vitrinen mit fotos und namen: ‚das ist der und der. auf dem foto sieht man ihn mit seiner freundin, er war das und das von beruf, links ist seine taschenuhr zu sehen. er starb dann und dann in dem und dem lager. foto und uhr sind das einzige, was von ihm noch da ist und wurden da und da gefunden.‘

auch diesmal nehmen wir den audio-guide. die gedenkstätte ist sehr gründlich. angefangen bei der frage, warum wurde jemand wie hitler gewählt, wie hat der krieg angefangen und wie ist er verlaufen. wann hat die judenverfolgung mit welchen schikanen begonnen. wie ist das eskaliert. was war die situation in den ghettos, diese einzeln beschrieben. dazu videos mit zeitzeugenberichten von überlebenden. wie sah der widerstand innerhalb der ghettos aus, die selbstorganisation, der überlebenskampf, die massenerschießungen. dann die wannseekonferenz und was passierte wo und wann danach. wie funktionierte eine gaskammer, was passierte vor dem gang dort hinein, was danach. zwischendrin immer mal wieder kästen mit beschreibungen der täter darin. aber nicht nur mit berichten, was er getan hatte, sondern auch hier: seine hobbys, vielleicht familienfotos, ein bischen privater hintergrund. erschreckend normale menschen.

dazu laufen wir über original kopfsteinpflaster aus dem warschauer ghetto, gehen an arbeitswerkzeug aus den arbeitslagern vorbei, sehen filme, die heimlich in den lagern gemacht wurden und das elend zu tage bringen.

der allgemeine ton der texte ist meist sachlich. dazu sind aber fotos oft überlebensgroß und die schilderungen der überlebenden lassen niemanden kalt. wahrscheinlich ist es dieser gegensatz, der mich so fertig macht.

wir halten knapp über 6,5 stunden durch und schaffen bis zum letzten raum. 10 einzelne galerien zu den unterschiedlichen themen in unterschiedlicher größe und länge die durch eine dreieckige röhre aus beton verbunden sind. nur anfang und ende der röhre liegen oberirdisch, ansonsten fällt nur oben an der spitze des röhrendreiecks ein wenig natürliches licht hinein. am ende liegt eine große offene terasse mit freiem blick auf jerusaelm. diesmal erleichternd für das auge.

und der hohe runde saal mit dem wasserbecken in der mitte und regalen an der wand. darin schwarze akten mit den bereits gesammelten namen und geschichten ermordeter menschen. so viele! und es ist noch so viel platz in den regalen!

aber (und jetzt weiß ich nicht, wie ich es beschreiben soll, denn das thema ist heikel) ich sehe auch die ähnlichkeit, wie die israelische armee, die regierung und die siedler heute mit den palästinensern umgehen. zumindest bis zur eröffnung der ghettos inklusive gibt es erschreckend viele äußerliche ähnlichkeiten. daß damals dann der verwaltungsmassenmord (wie ihn hannah arendt nennt) folgte, ist natürlich ein sehr entscheidender, ja der alles entscheidende unterschied zur heutigen situation in israel-palästina.

eine aussage wie, ‚kauft nicht bei juden‘, hab ich gerade im haaretz (einer liberalen jüdischen tageszeitung) vom israelischen verteidigungsminister lieberman lesen können, der anläßlich der proteste gegen trump und seine anerkennung jerusalems als hauptstadt gesagt hat, daß israelis nicht mehr bei arabern einkaufen sollen, und dies damit begründete, daß die in israel lebenden araber lernen müssen, daß sie nicht zur israelischen gesellschaft dazu gehören und unerwünscht sind.

es gibt straßen, die sind nur für israelische siedler, es gibt die siedlungen, die nur israelis betreten dürfen und im grunde ist der ganze gazastreifen ein riesiges ghetto.

Mir fällt darüber hinaus die menschliche Herabsetzung der „Anderen“ auf. Die Parallelen zwischen den Ikonographien. In der Naziikonographie der Gegensatz zwischen dem muskulösen, aufrechten Arier, der mit dem Spaten die Erde bearbeitet, und dem dunklen, unförmigen, hinterhältigen Juden mit seiner krummen Haltung. In der zionistischen Ikonographie wird eigentlich nur der Arier durch den Israeli und der Jude durch den Araber ersetzt. (Zumindest erscheint es mir im Augenblick so.)

Auch ertappe ich mich dabei, dass ich die Anklage, die in der Ausstellung mit vollem Recht(!) gegen die Staaten der Welt erhoben wird, dass sie keine oder zu wenige jüdische Flüchtlinge aus dem Dritten Reich aufgenommen haben, zynisch der Flüchtlings(abwehr)politik des Staates Israel gegenüberstelle. Und die Anklage auf die Gespräche mit Israelis beziehe, die mich gefragt haben, wie Deutschland so dumm sein kann, syrische Flüchtlinge ins Land zu lassen. Araber und Muslime seien anders und gehörten nicht nach Europa. Ich kann mich an etwa ein halbes Dutzend solcher Gespräche erinnern, in denen auch mein Verweis auf die deutsch-jüdische Geschichte und auf Daesch (also den IS) als Argumente wirkungslos blieben.

In ebenfalls einem halben Dutzend Gesprächen (zum Teil den Selben) haben säkulare Israelis zwar betont, dass sie gegen die Besatzung sind, und sie ja in einem Falls sogar als „viel schlimmer als Apartheid“ bezeichnet, fanden aber irgendwie, dass dies nicht ihre Angelegenheit sei, da sie ja in z.B. Tel Aviv lebten und nicht Hebron. – Diese Gespräche kommen mir in den Sinn, als ich an der Wand das Zitat von Kurt Tucholsky lese, welches ich hier aus dem Gedächtnis leider nicht ganz wortwörtlich wiedergeben kann: „Ein Volk ist nicht nur was es tut, sondern auch was es zuläßt, was es toleriert.“

Bald darauf vergeht mir mein Zynismus gründlich. Vor dem, was dann passierte, vor dem Elend und dem Hunger in den Ghettos, vor den Massenerschießungen, den Gaskammern und den Todesmärschen gibt es nur noch ohnmächtige Anteilnahme und Tränen.

Um es ganz, ganz(!) klar und deutlich zu sagen: Wir vergleichen nicht Nationalsozialismus mit Zionismus oder setzen gar beide auf eine Stufe. Die Besatzung ist kein Völkermord! Und erst recht kein, auch nur ansatzweise kein so perfider Verwaltungsmassenmord, wie es der Holocaust war. Was ihm unter Völkermorden (Daß es dafür überhaupt einen Plural geben kann und muß!) eine Sonderstellung einbringt (Auf daß es hier für niemals einen Plural geben möge!).

Daß Auschwitz niemals wieder sei!

ja, ich kann an der stelle die juden verstehen, die nach dem dritten reich eine heimat haben wollten. ihre frühere heimat in deutschland, polen oder anderswo gab es nicht mehr. ich wäre auch nicht dorthin zurück gekehrt. da war israel eine möglichkeit. nur leider kamen sie nicht in ein leeres land…

die außenanlagen von yad vashem schauen wir uns heute nicht mehr an. es ist schon dunkel, als wir den audio-guide zurückgeben und wir können auch nicht mehr. wie gut, daß unser stellplatz nicht weit weg ist und wir uns bald im bulli einigeln können.

fotos von diesem tag gibt es nicht. photografieren war im gebäude verboten und es wäre auch respektlos.

Und wir wären rein emotional vermutlich auch gar nicht dazu in der Lage gewesen.

Jericho

Fr 15.12.17

Heute fahren wir mit X nach Jericho. X ist eine jüdische Israelin, begreift sich als Friedensaktivistin und ist in den Jahren, die sie in Israel lebt, noch nie in die palästinensischen Gebiete gefahren. Einerseits aus Angst vor der eigenen Regierung, es ist Israelis verboten arabische Dörfer und Städte im Westjordanland zu betreten. Andererseits aber auch aus Angst vor den Palästinensern. Den jüdischen Israelis wird ja von früh bis spät eingebläut, wie gefährlich die sind.

Wir haben ihr versprochen, sie sicher hin und auch wieder zurück zu bringen. Wir kennen Jericho inzwischen gut genug, um sicher zu sein, dass wir ohne Kontrolle rein und wieder rauskommen. Wir gehen zusammen Einkaufen, teils im Flüchtlingslager, teils in der Jerichos Innenstadt und sitzen im Straßencafee bei Tee und Nargila (also Shisha).

Die einzige Gefahr für X ist, zu Tode Willkommen-Gegrüßt zu werden. Oder von unserem Obst- und Gemüsehändler, bei dem wir „immer“ einkaufen, überfüttert zu werden.

Der Vollständigkeit halber muß gesagt werden, daß wir beim Verlassen Jerichos auf die Entfernung Jugendliche gesehen haben, die am vorher unbesetzen israelischen Checkpoint Autoreifen angezündet und vermutlich auch Steine geschmissen haben. Wir haben das Geschehen in weitem Bogen umfahren. – Der kluge Hamburger umfährt in der Nacht zum 1. Mai die Rote Flora ja auch in einem größeren Bogen.