Fr-So 4.-6. Mai
Ein paar Kilometer vor Koroni entdecken wir am Ende eines abenteuerlich engen und steilen Sträßchens einen Traumstrand, den wir mit einem normalen Wohnmobil niemals erreicht hätten. Wir bleiben zwei Nächte und haben mindestens zwei Kilometer Sandstrand mit tollen Sandklippen fast für uns alleine. Nur zeitweise müssen wir die Idylle mit einer niederländischen Familie oder einem Einheimischen, der hier sein Feierabendbier trinkt, teilen.
Einziger Schöheitsfehler: Es gibt hier beim Schnorcheln fast keine Fische zu sehen. Einem Halbeinheimischen zufolge liegt das an einer schwefelhaltigen Quelle in der Nähe.

Erdgeschichtlich gesehen kommen wir offensichtlich einige Millionen Jahre zu früh. In den Sandklippen stecken überall und auf jeder Höhe Muscheln. Sie müssen hier gelebt haben, als die jeweilige Klippenhöhe der Meeresboden war. In ein paar Millionen Jahren, wenn der harte Sand zu Stein geworden ist, werden sie vermutlich als Versteinerungen zu finden sein.

Ich habe hier das erste Mal auf unserer Reise einen großen Schub von Melancholie und Reiseunlust. Ich habe keine Lust mehr zu Reisen. Keine Lust Fremder zu sein, Tourist. Ständig neue Strände, Berge, Städte und Ruinen zu sehen. Ich vermisse meinen Alltag, die Freunde, die Schule, die Schüler. Ich würde mich gerade mit Wonne in die Korrektur einer Mathearbeit stürzen.
Erst nach einem ganzen Tag Reiseunlust-Melancholie komme ich von Kopf und Gefühl zu dem Schluß, dass es ja “nur noch knapp über drei Monate” sind. Ich schaffe es mich aktiv auf diesen “Resturlaub” einzulassen und darüber zu freuen. Aber das geht nur, weil ich mich auch schon wieder auf Zuhause freuen kann.
Als Jugendlicher habe ich irgendwann mal das Buch “Ein Jahr Ferien sind genug” gelesen. Der Titel hat recht. Und es gehört zu den Privilegien des Sabbathjahres, sich tatsächlich wieder nach seinem Alltag sehnen zu können. Seinen Wert zu erkennen und zu schätzen.
Im Laufe des Jahres habe ich übrigens immer wieder mal über mein Leben nachgedacht. Was macht mich glücklich und zufrieden? Was ist für mich “Sinn meines Lebens”? Was ist mir wichtig? Und ich habe mir Stichpunkte und Merksätze notiert. Zu Themen wie Beziehung, Freundschaft, Beruf, Politik, Leben. (Ich werde sie hier nicht veröffentlichen, das ist dann doch zu persönlich, zu privat.) Aber es fühlt sich gut an, den Abstand zum eigenen Alltagsleben zu haben, so grundsätzlich, auf verschiedenen Ebenen und in verschiedene Richtungen über mich und mein Leben nachdenken zu können.
Nach dem Melancholietag – der sich irgendwie auch ganz angenehm angefühlt hat – bin ich wieder mit Lust, Herz und Sinnen auf der Reise.
ich glaube, auch ich werde mich verändert haben. bestimmt, vielleicht auch hoffentlich, anders als michel. ich fände es erschreckend, wenn es in die komplett selbe richtung ginge. soviel symbiose muß dann doch nicht sein. ich gehe nicht in der strategischen weise wie michel an meine überlegungen heran. ich bin gespannt, wie sich das leben gestaltet, wenn wir wieder zuhause sind.
aber auch ich finde: ein jahr reisen ist genug. auch mir fehlen freunde, meine trommel- und irish-music-kollegen, patienten, arbeitskollegen. ja, mir fehlt so langsam auch wieder etwas mehr platz in der küche, ein weniger chaosanfälliger kleiderschrank, wo ich sofort alles finde. gleichzeitig habe ich auch ein bischen schiß vor dem nach hause kommen. vor der arbeit, die das sich-wieder-einfinden mit sich bringen wird. ich bin gespannt.
mein fuß freut sich an diesen zwei tagen über kurze spaziergänge in der kalten brandung. er ist geschwollen, aber schmerzt nur bedingt bei bestimmten bewegungen. da ich weiß, wie sich bänderabrisse bei mir anfühlen, kann ich mir sicherheit sagen: ich hab mir wirklich nur den fuß verknackst.

ich schwanke in solchen momenten immer zwischen angst um bulli und abenteuerlust und bin mir unsicher, ob ich michel bitten soll, nicht weiter zu fahren oder mich auf ihn verlassen kann, das er weiß, was er tut. meist ist letzteres der fall, aber es gab ja auch schon andere situationen, die dann ja zum glück gut ausgingen. – insbesondere, dass wir uns zweimal festgefahren hatten und rausgezogen werden mußten.