Do-Sa 1.-10. Mrz 2018
Mit der notwendigen Autoreparatur beginnt unser dritter längerer Aufenthalt in Nikosia, und diesmal wird es nicht nur eine Woche, wie bei den ersten beiden Malen, sondern anderthalb.
Wir genießen diese Zeit in der geteilten Hauptstadt Zyperns, deren Teilung für uns bedeutet, dass wir die Vorteile beider Seiten genießen. Hier eine ordentliche EU-europäische Infrastruktur mit Lidl-Supermarkt und roaminggebührenfreiem Telephonieren, dort Orient mit Hamam, kleinen Tante-Emma-Läden und halb so hohen Preisen. Wir passieren täglich mehrfach die Grenze. Inzwischen haben wir hier gefühlt bald mehr Bekannte als zu Hause in Wedel. Kein Gang durch die charmante Altstadt ohne Grüßen, kurzem Plausch oder gemeinsamem Kaffeetrinken. – Wir scheinen kaum noch als Touristen wahrgenommen zu werden, weil die ja nur ein bis zwei Wochen auf der Insel und davon lediglich einen halben Tag in Nikosia sind.
An beiden Freitagen gönnen wir uns Hamambesuche mit Massage und allem. Im H4C und der Weavingmill sind wir Stammgäste, im Hoi Polloi und Yaja Vikotoria zumindest wiederkehrende Laufkundschaft.
Unsere Hauptbeschäftigung während dieses Nikosiaaufenthalts ist aber “Unite Cyprus Now”. Gruppentreffen, Kneipenbesuche, Flugblätter verteilen und vor allem eine Slideshow (die moderne Form des Lichtbildvortrages) über unsere Erlebnisse in Hebrons Geisterstadt. – Aber das Thema ist so groß, dass wir dazu einen komplett eigenen Blogeintrag machen.
Autowerkstatt und Zahnarzt
Bei unserer Rückkehr nach Nikosia steuern wir als Erstes London Dry, “unsere” Reinigung im Nordteil der Stadt, an. Serdar, der Inhaber, ist türkischer Zypriot, hat lange in London gelebt und gehört für uns bei jedem Nikosiabesuch zum Pflichtprogramm. Nicht nur wegen der Wäsche, sondern auch wegen der guten Gespräche und vielen Informationen. Von ihm stammten die Tipps eine muslimische Beerdigung, das Freitagsgebet und das “Blaue Haus” (die ehemalige Villa eines Mafiabosses) zu besuchen; sowie die Informationen wie wir was finden, wo wir uns wie zu benehmen haben und allerhand wissenswertes über Zypern aus türkisch-britisch-zypriotischer Sicht.
Da wir wissen, dass Serdar Ralley fährt, vermuten wir, dass er gute Autowerkstätten kennt. Tut er auch! Aber seine beiden Werkstätten haben keine Zeit, weil gerade Inspektionssaison ist. Der zweite Werkstattmensch bringt uns aber zur nordzypriotischen VW-Werkstatt. Die sagen uns, dass sie uns frühestens Mittwoch drannehmen können und frühestens Mittwoch eine Woche später die Ersatzteile bekommen. – Wir haben Serdars Warnung vor der Verschleppungs- und Verteuerungspolitik dieser Werkstatt noch im Ohr und verzichten.
Die offizielle Ersatzteilbeschaffung dauert im Norden so lange, weil wegen des Embargos alles über die Türkei läuft. – In Wirklichkeit fahren die Werkstattleute, wie uns hier jeder erzählt, aber einfach in den zur EU gehörigen Süden und haben die Teile innerhalb eines Tages.
Wir warten also bis Montag, rufen den ADAC an und lassen uns eine Werkstatt im Süden empfehlen. Yiannos Christoforides kann uns zwar auch erst am Mittwoch drannehmen, braucht ab dann aber nur zwei Tage. Am Freitagfrüh ist Bulli wieder fit wie ein Turnschuh. Bulli schläft über Nacht im Werkstatthof und wir schlafen im Bulli. Tagsüber radeln wir mit unseren Bromptis (unseren Falträdern) in die Stadt. Kostenpunkt für Elektrik, Dieselleck und Achsmanschette (oder wie das Ding heißt): Kostengünstige 200€!
Am Freitag ist auch mein zweiter Zahnarzttermin in Nordnikosia. Es dauert zwar über eine Stunde, weil er so vorsichtig und gründlich ist. Dafür läuft alles glatt und tut kaum weh!
Kochen und Politik mit Aydin
aydin (gesprochen wie der komponist haydn, aber ohne ‘h’) hatten wir im oktober schon kennen gelernt. eine türkisch-britisch-zyriotische aktivistin, die zusammen mit dem griechisch-zypriotischen konstantinos die fahrradtour ‘cyclists across barriers’ veranstaltet, an der wir teilgenommen und mit der wir am nächsten tag das großartige gespräch im hoi palloi hatten.
vor etlichen tagen hatten wir sie schon am H4C getroffen und sie war neugierig auf unsere berichte aus israel/palästina. ihr versprechen, uns zu sich ein zu laden, gemeinsam zu kochen und dann zeit zum erzählen zu haben, macht sie tatsächlich wahr.
das ist es, was an dieser frau begeistert: sie hat überall ihre finger drin. ist überall aktiv, plant, organisiert und bringt auf den weg und ist zuverlässig bis in die haarspitzen. nebenbei erwähnt sie, wir könnten eine fotoschau über unsere erfahrungen in hebron veranstalten. vielleicht bei ihr zu hause, mal schauen… tage später kommt die nachricht, wir sollten uns mit tina von unite cyprus now in verbindung setzen, in deren räumen gäbe es die möglichkeit zu einer veranstaltung.
außerdem würde sie nächste woche nach brüssel zu einer lesung fliegen, wolle uns aber vorher noch sehen, sie würde sich melden, wann am freitag. der anruf kommt zuverlässig, und pünktlich um 19.00h steht sie am treffpunkt und wir gehen zusammen zur ‘not a gallery’, wo eine vernissage stattfindet. zwischen den kunstbeflissenen, schicken menschen fühle ich mich deplatziert, die kunst sagt mir nichts und ich bin froh, als wir zu aydin nach hause verschwinden.
Nach dem (kurzen) gemeinsamen Galeriebesuch radeln wir zu ihr nach Hause. Sie wohnt im Südteil Nikosias, gleich außerhalb der Altstadtmauer, mit Blick auf die alte Mauer und die UN-Pufferzone. Die Wohnung ist (typisch Politnick) halbfertig. Einerseits hat sie tausend künstlerische Ideen, andererseits ständig zu viele politische Eisen im Feuer, so dass vieles halbfertig liegen bleibt.
Das gemeinsame Kochen und Essen macht riesigen Spaß. Schon beim Schnippeln machen wir zwei Flaschen Rotwein auf und es entspinnt sich ein großartiges Gespräch, das zwischen Privatem und Politischem, zwischen Erzählen, gespanntem Zuhören und Nachfragen hin und her mäandert. Unglaublich, dass diese Powerfrau auf die 80 zugeht. Unglaublich, was sie schon alles gemacht hat. Politisch und privat! (Bei ihr gilt der alte Spruch: “Das Private ist politisch!”) Und Thatcher haßt sie noch heute. Egal ob die tot ist. – Das kennen wir von unseren irischen Republikanern aus Belfast.
Wie ihr Arbeitszimmer verrät, ist Palästina neben Zypern der zweite Konflikt, dem sie mit Leidenschaft verfallen ist. Irgendwann klappen wir den Laptop auf, zeigen unsere Bilder aus Israel/Palästina, vor allem natürlich aus Hebron, und erzählen. Sie fragt nach, steuert ihre Sicht und Wissen bei. Wir alle brennen lichterloh und die Zeit vergeht wie im Flug. Als wir auf die Uhr schauen ist es weit-weit nach Mitternacht. – Wir verabschieden und umarmen uns. Versprechen uns, uns wiederzusehen. – Dann radeln wir quer durch die Altstadt zu Bulli. Home is, where you park it!
Wir sehen uns schneller wieder, als gedacht. Ein paar Tage später treffen wir uns noch einmal mit Aydin im Yaja Viktoria an der Südseite des Checkpoints Ledra-Street (nicht zu verwechseln mit dem Checkpoint Ledra-Palace), weil wir ihr noch ein englisches Exemplar der Broschüre “Ghost Town Hebron” geben wollen. (Die deutsche Version haben wir als PDF unter “Visit Palestine” abgelegt.) Dabei entspinnt sich sofort wieder ein längeres gutes Gespräch mit herzlichem Abschied.
Griechisch Nationalistische Demo
es sind nicht alle nur nett in nicosia. am samstag abend, hieß es, sollte eine demo von rechten zyperngriechen am checkpoint ledra-straße statt finden. vermutlich würden sie den übergang blockieren wollen. niemand von den uns bekannten leuten wollte hingehen und eine gegendemo starten. zu gefährlich, weil es sehr schnell richtig streß geben könnte. mit den rechten sei nicht zu spaßen.
wir gehen aber hin und stellen uns zum beobachten in die pufferzone, die kamera in der hand. Etwa 50 menschen stehen herum, nichts ungewöhnliches eigentlich. ein paar polizisten sind auch da. deren schilde und helme lehnen in einer seitengasse an der wand, sie selber tragen schlagstöcke. nach unseren erfahrungen in hebron, wo wir so manches mal in die gewehrläufe der soldaten schauten, macht sich das regelrecht harmlos aus. es werden flugblätter verteilt, plakate hochgehalten, ein transparent gespannt.
Die etwa 20 griechisch-zypriotischen Polizisten bleiben mit den zugehörigen Zöllnern auf griechisch-zypriotischem Territorium. In der Puffezone selbst hat sich ein halbes Dutzend UN-Polizisten (aus einem halben Dutzend verschiedenen Ländern) eingefunden. Sie wirken aber entspannt; kein Knüppel und nix!
dann tauchen ca. 100 nazis auf. richtige schwarzgekleidete, oft glatzköpfige stiernacken. wir fragen jemanden von der UN, der in der pufferzone steht, was das für typen sind. sie sagen, sie wüßten es nicht, eine neue gruppierung vielleicht. wie wir später erfahren, sind das rechte motorradfahrer, die an zwei kollegen erinnern, die vor jahren nach einem zusammenstoß mit türkischen rechtsradikalen (den grauen wölfen) getötet worden sind. jetzt fordern sie die schließung der checkpoints. die demo steht mitten vor dem checkpoint im weg, aber passanten werden durchgelassen.
Aber man muß als Normalmensch schon ziemlich mutig sein, um sich durch diesen Haufen stiernackiger, schwarzgekleideter, finster dreinblickender Männer zu schieben.
irritierend finden wir, daß einige polizisten oder leute vom grenzposten aktiv zu den demonstranten gehen, hallo sagen, mit ihnen kameradschaftllich quatschen, die hand schütteln.
Zypern ist halt klein. Jeder kennt jeden entweder direkt ober über eine, maximal zwei Ecken.
alles verläuft friedlich, bis ich versuche, ein paar fotos zu machen. sofort haben das ein paar nazis gesehen, stürmen auf uns zu und verlangen lautstark, daß ich das foto lösche. da wir in der pufferzone stehen, stellen sich sofort UN-polizisten vor uns. ich ‘lösche’ die fotos und alles beruhigt sich wieder. wir setzen uns an die seite auf eine türschwelle. bis einer der nazis uns fotografiert. wir beschweren uns. es kann nicht sein, daß mir das photographieren verboten wird, ich auch brav die bilder lösche, aber selber photographiert werde.
Der Typ, der uns photographiert hat, ist dazu zu uns in die Pufferzone gekommen und hat sich direkt vor uns aufgebaut. Ich halte ihn fest und bestehe darauf, dass auch er sein Bild löscht. Sofort habe ich es mit einem Dutzend Schlägertypen zu tun. Zum Glück gehen sofort sowohl die griechisch-zypriotischen Polizisten (die die Pufferzone eigentlich nicht betreten dürfen) und UN-Polizisten dazwischen. Letztere bitten uns die Pufferzone in Richtung türkisch besetztem Gebiet zu verlassen, um die Situation nicht weiter zu eskalieren. Wir gehen, aber nur bis kurz vor den türkischen Checkpoint.
wir lassen uns zeit. nur nicht zu viel gehorsam zeigen! das bier im hoi polloi schmeckt mir an diesem abend nicht wirklich.
Mahnwache: Kurden ohne Papiere
Auf dem Weg von der Autowerkstatt zur Innenstadt radeln wir am Präsidentenpalast vorbei. In einem kleinen Park neben einem der Eingänge stehen einige Zelte mit Transparent und zypriotischen Flaggen. Eine Mahnwache! Wir halten und schauen mal rein.
Wir treffen zwei Kurdinnen, Mutter und Tochter, an. Die Tochter kann einigermaßen gut Englisch. Sie erzählt uns, dass sie im Jahr 2009, also schon vor Beginn des Syrienkrieges im Jahr 2011, nach Zypern gekommen seien, da sie als Kurdin in Assads Syrien schikaniert worden seien. Seit neun Jahren leben sie nun ohne Papiere auf Zypern. Ständig werden sie vertröstet. Ohne Paß könne sie auch keine Schule besuchen. Das UN-Flüchtlingshilfswerk sei eingeschaltet, würde aber auch vertröstet. Seit einem Jahr demonstrieren sie nun schon vor dem Präsidentenpalast, um Papiere zu bekommen.
Ich glaube ihr. Sie dürfte etwa 20 Jahre alt sein. Und wenn stimmt, was sie sagt, enthält Zypern ihr seit 9 Jahren (also etwa seit dem 11ten Lebensjahr) das Grundrecht auf Bildung vor. Sie wirkt intelligent, aufgeweckt und strebsam. (Ja, ich weiss, dass ist nur mein erster Eindruck.) Wenn sie die letzten 9 Jahre in Deutschland verbracht hätte, hätte sie jetzt möglicherweise ein dauerhaftes Bleiberecht sowie das Abitur. – Von wegen Europa und einheitliche Menschenrechtsstandards. – Ich muß an M…, D… und G… denken, drei Schwestern, die 2015 aus dem syrischen Bürgerkrieg nach Uetersen kamen. Wie gut, dass ihre Mutter Deutschland als Zielland ihrer Flucht gewählt hat.
Privates Klavierkonzert
Eines Abends hören wir auf dem Heimweg durch die Altstadt Klaviermusik aus einem offensichtlich mittelalterlichen Gebäude, das wir bis dahin noch nie bewußt wahrgenommen hatten, obwohl wir schon mehrfach daran vorbeigegangen waren.
Das Grundstückstor ist nur angelehnt, wir gehen hinein und folgen lauschend der Musik. Wir gehen um das Gebäude rum, die Hintertür ist nicht abgeschlossen, und schlüpfen hinein. Wir befinden uns in einem Mittelalterlichen Saal, der als Konzertsaal bestuhlt ist vorne sitzt eine Frau am Flügel. Wir sind mucksmäuschenstill, sie bemerkt uns aber trotzdem und lädt uns ein, uns hinzusetzen und zuzuhören.
Sie spielt unter anderem Rachmaninow und Chopin. Wir lauschen und genießen die Atmosphäre. Irgendwann verabschieden wir uns, schlagen die Einladung zum “richtigen Konzert” aus, weil wir dann schon nicht mehr auf der Insel sein werden und gehen beschwingt in die Nacht hinaus.
Draußen lesen wir eine Informationstafel, derzufolge die Halle früher entweder Teil eines Klosters oder eines Palastes war und wohl im zwölften Jahrhundert erbaut wurde. Genaueres weiß man nicht.
Jengastammtisch
Am Sonntag nimmt uns ein griechischer Zypriot mit zu einem queeren Stammtisch in Larnaca. Unser Auto kommt ja erst Mittwoch in die Werkstatt und wir wollen die Strecke zweimal halb über die Insel nicht riskieren.
Der Stammtisch ist echt nett. Sie haben hier eine kleine, aber angenehme Szene. Wobei die Hälfte der anderthalb Dutzend Anwesenden Ausländer sind, aus Irland, Estland, den USA und (wir) Deutschland. Völlig neu ist uns die hiesige Methode wildfremde Menschen schnell ins Gespräch zu bringen. Es stehen zwei Jengatürme auf dem Tisch, auf jedem Klotz steht ein Stichwort, das man beim Ziehen aber nicht sieht. Jeder muß zu dem von ihm gezogenen Stichwort etwas erzählen, alle anderen dürfen. – Das klappt erstaunlich gut.
Beobachtungsschniepsel
- bei uns sind madarinen exotische früchte. hier gehören sie, wie orangen und manchmal auch grapefruit, zum gewöhnlichen ‘grünzeug’ am straßenrand. manchmal pflückt sie jemand, meist vergammeln die früchte aber an den zweigen oder im straßengraben. grad ist blütezeit und an den bäumen hängen wir früchte und blüten gleichzeitig.
- überall wachsen riesige pflanzen, die wie dill aussehen. mir lachte schon das herz aus vorfreude auf nudeln mit dill in olivenöl. aber das zeug sieht nur lecker aus, schmecken tuts nach nichts. ich habs probiert.
- die maroniten haben eine eigene sprache. eine mischung aus aramäisch und arabisch. es gibt in nordzypern noch etwa 350 sprecher.
- grillkultur: man kann alles, auf allem, überall und immer grillen. es reichen 2-3 menschen dafür. es ist völlig egal, welche uhrzeit ist. alles, was essbar ist, kann auch gegrillt werden. und seien es ‘nur’ süßkartoffeln, die schnell auf den rost gelegt werden. brot und tomaten daneben, fertig. oder mandeln in alufolie gepackt und eben ins feuer geworfen. wo gegrillt wird hängt von der situation ab. das kann die terrasse sein, der innenhof, ein stück rasen neben dem parkplatz, die offizielle picknick-area, der bürgersteig vor der teestube. worauf gegrillt wird, ist nicht egal. kohle oder holz muß es sein, qualität ist nebensächlich. es kann der gemauerte ofen hinter dem haus sein oder ein standgrill aus metall. wenns nur eine feuertonne gibt, wird ein rost draufgelegt und fertig ist der grill. das einzige, was unter keinen umständen benutzt wird, sind die modernen ‘binford 5000’-gas-smokeyfunktion-high-tech-geschosse, die in deutschland grade so gehypt werden. dies haben wir von der türkei über zypern bis palästina erlebt. wir können jetzt die freude am ‘schnell was aufs feuer schmeißen’ unserer syrischen freunde viel besser nachvollziehen.