Sonntag 15.10.17
Wir besuchen auf Empfehlung unseres Reinigungsinhabers das „Blaue Haus“, das Haus eines italienisch-griechischen Mafioso und Waffenschmugglers in den Bergen am Ostende der Nordküste Zyperns, bei Camlibel.
Das Haus liegt auf einem türkischen Militärgelände und ist trotzdem der Öffentlichkeit zugänglich. Es muss dem türkischen Militär also sehr wichtig sein, denn sonst lassen sie nichts und niemanden auf ihre Stützpunkte, Kasernen und Übungsplätze (von denen es in Nordzypern übrigens unglaublich viele gibt). Leider bleiben sie aber so paranoid, dass sie auch im Haus das Photographieren verbieten, wie in und um jedes Militärobjekt.
Es ist wieder das gleiche Spiel wie im Museum des Nationalen Kampfes. Hier wollen sie vor allem zeigen, wie gut die Drahtzieher der Griechen lebten, während die Inseltürken unter ihrer Brutalität litten. Und wieder werden Zahlen, Daten und Fakten weggelassen. Diesmal ersetzt durch Geschichten, die zwar gut sind, aber schon einem oberflächlichen Plausibilitäts-Check nicht standhalten.
– Vor 1960 ging es den Inseltürken nicht schlechter als ihren griechischen Landsleuten. Danach vermutlich ja. Aber der Beweis wird hier nicht geführt.
– Der Inhaber des Hauses lebte offensichtlich gut (immerhin in einer Villa mit Pool). Aber überschwelgend? Nein! Da haben es der Zeitungsmogul Hearst, Ludwig II von Bayern oder Berlusconi ganz anders krachen lassen.
– Zwar wird behauptet, dass der Hausbesitzer einer der größten Waffenhändler des Nahen Ostens war, aber es wird keine einziger Transport oder Deal von ihm als Beispiel konkret benannt.
– Die Geschichte, dass er seine Villa deshalb geschickt in die Berge gesetzt hat, dass er einerseits einen guten Blick auf Umgebung und Küste hat, man andererseits das Haus von außerhalb des Grundstückes nicht sehen kann, weil seine Waffentransporte über seine Villa liefen, ist unglaubwürdig. Kein Mafiapate lagert seine illegale Ware in der eigenen Villa. Deshalb ist er ja der Pate. Dieses Risiko lagert er (im Wortsinne) aus und schiebt es irgendeinem kleinen Gefolgsmann zu.
Was wir sehen ist eine 50er-Jahre-Villa, die vermutlich wirklich einem Mafioso gehörte. Dafür sprechen u.a. die Existenz eines Fluchttunnels und das versteckte liegende Wachhäuschen mit Schiessscharten. Aber vor allem fällt mir auf, dass sie erstaunlich funktional und geschmackvoll eingerichtet ist. Die Lage und Größe der Räume empfinde ich als angenehm. Und es gibt viele kleine Details, die zeigen, dass Architekt und Innenarchitekt wirklich nachgedacht haben. Zum Beispiel:
– Das nach Süden liegende Esszimmer hat einen überdachten Balkon, der dafür sorgt, dass es morgens und abends Sonne, mittags jedoch Schatten hat.
– Auf der Anrichte im zentralen Flur des Gebäudes steht eine bronzene Ballerinenstatue, die so ausbalanciert ist, dass sie bei einem leichten Erdbebenstoß mit lautem Krachen umfällt, was im ganzen Haus zu hören ist. Da leichte Erdbebenstöße oft Vorbeben für stärkere Stöße sind, ist dies ein geniales und elegantes Frühwarnsystem.
Einen Nebenaspekt der Führung, den ich bezaubernd finde ist, dass den Besuchern, die ja meist Muslime sind, beim einem Gemälde der Gottesmutter Maria mit dem Jesuskind auf dem Arm erklärt wird, wen das Bild zeigt, dass dies ein im Christentum häufiges Motiv ist und dass die Kreise aus Blattgold hinter den Köpfen (die Heiligenscheine) die Heiligkeit der Personen darstellen. – Dass die Verwendung von Blattgold für die Heiligenscheine als Beleg für den Luxus und die Prunksucht des Hauseigentümers gewertet wird, ist hingegen keine glaubwürdige Argumentation. Blattgold war und ist erstaunlich billig. Wir haben zu hause genug Blattgold für mindestens zweieinhalb Heiligenscheine herumliegen.
Anschließend fahren wir noch bis zur Küste unterhalb der Burg Kantara und verbringen den Nachmittag mit herumlungern und lesen.