Versehentlicher illegaler Grenzübertritt

Samstag 14.10.17

Eigentlich wollten wir uns nur kurz die innerzypriotische Grenze bei Akincilar angucken, bevor wir an die Norküste der Insel fahren. Aber es kam anders…

Ankinclar ist ein nordzypriotisches Dorf, dass am Ende einer etwa sechs Kilometer langen „Halbinsel“ des Nordens in den Süden liegt. Von drei Seiten vom Süden umgeben und nur über eine einzige Straße zu erreichen.

Der Weg nach Akincilar führt durch ein im Krieg von 1974 völlig zerstörtes Dorf und wird von Hügeln gesäumt, auf denen Stellungen der türkischen Armee liegen. Wir fahren in das Dorf hinein, hindurch und hinten wieder heraus. Die Straße biegt nach Osten und wird zum gut ausgebauten Schotterweg. Auf den Hügeln links und rechts sehen wir türkische Militärposten. Wir werden langsamer und halten zwischendrin sogar an, um Landschaft und Karte genau zu betrachten. „Hier müßten doch jetzt die Grenzanlagen kommen.“ Aus unserer Erfahrung mit den türkischen Grenzen zu Griechenland, zu Syrien und in Nikosia wissen wir ja, dass die Türkei dazu neigt, ihre Grenzen sehr(!) ordentlich zu sichern und kenntlich zu machen. Hier nicht! Kein Schild, kein Zaun, keine Schranke, kein Soldat. Nur der Posten auf dem Hügel rechts von uns, der zwar kurz zu uns runter sieht, dann aber telephonierend weiterschlendert. Wir fahren also weiter und stehen unvermittelt vor einer weißen UN-Tonne, die die Grüne Linie (also die von der UN überwachte Waffenstillstandslinie) markiert. Wir sind in die UN-Pufferzone geraten und fahren auf der Grünen Linie weiter zur nächsten Tonne und einen Hügel hoch, auf dem wir einen UN-Posten sehen.

Der Posten ist unbemannt. Wir schnappen uns Fernglas und Kamera, steigen aus, gehen in den Posten, und betrachten und photogaphieren die Gegend. Wir finden die Situation schon cool, wissen aber auch nicht so richtig, was wir jetzt machen sollen. Weiter zu den Griechen? Oder zurück zu den Türken? Deren Posten uns übrigens inzwischen mit ihren Ferngläsern anstarren. – Humor ist mit ziemlicher Sicherheit keine Stärke des türkischen Militärs. Und die Jungs sind bewaffnet! – Zum Glück sehen wir in der Entfernung ein UN-Patroullie mit dem Auto die Grüne Linie entlang auf uns zufahren. Wir fahren ihnen zum Fuße des Hügels entgegen.

Michel im UN-Posten.
Der Blick aus dem UN-Posten.
Ein zypriotischer Schmetterling (weder türkisch noch griechisch).

Es sind Blauhelmsoldaten aus Slowenien. Sie sagen uns, dass dies die „Verbotene Zone“ sei. Betreten Verboten! Photographieren verboten! Nur sie dürfen (und müssen) uns photographieren. Sie wollen uns „zurück“ zur griechischen Seite begleiten und glauben uns nicht, dass wir von der türkischen Seite gekommen sind. Das sei absolut unmöglich! Unsere Reisepässe mit den nordzypriotischen Stempeln sehen sie erstaunt an, eskortieren uns dann aber trotzdem auf die griechische Seite. Dort steht nur ein verwaister Grenzposten. Wir sind also plötzlich in Südzypern, ohne ordentlich eingereist zu sein.

Die Blauhelme geleiten uns zur griechischen Seite.

Wir fahren schnurstracks zum nächsten Innerzypriotischen Grenzübergang.

Die griechisch zypriotischen Zöllner an diesem Übergang kontrolliern nur die Autos, die aus dem Norden in den Süden fahren. Sie sind für uns also kein Problem.

Mit den türksich zypriotischen Grenzern ist das nicht ganz so einfach. Sie wissen nicht, was sie mit uns anfangen sollen. Sie wollen wissen, wie wir aus Nordzypern ausgereist sind, weil unser Ausreise nicht in ihrem Computersystem registriert ist. Wir sagen es ihnen und sie meinen, das könne nicht sein, das sei noch nie vorgekommen. Wir können es ihnen aber anhand unserer Photos beweisen. Dann geht ein gut viereinhalb Stunden dauerndes Spiel los. Die Grenzpolizei und die Sicherheitspolizei versuchen sich gegenseitig den Schwarzen Peter der Entscheidung zuzuschieben. Die Ränge der uns befragenden Polizisten werden immer höher. Von „kein Streifen auf der Schulter“ bis „drei Streifen auf der Schulter“ und „extra aus Nikosia hergefahren“. Auch die Telephonate scheinen immer weiter weg zu gehen. Anfangs sind die Nummern noch eingespeichert, dann werden sie auf der Pinnwand nachgesehen und schließlich erfragt, aufgeschrieben und angerufen. Am Ende unterschreiben wir ein Geständnis, dass wir die Grenze der „Türkischen Republik Nordzypern“ verletzt haben und versprechen, dies nicht wieder zu tun. – Natürlich machen wir das nicht noch mal! Wir sind ja nicht wahnsinnig.

Der Grenzübergang, an dem wir 4 1/2 Stunden gewartet haben, von der Straße vorm Cafe aus gesehen.

Als wir anschießend im ersten Cafe hinter der Grenze sitzen und zur Entspannung einen türkischen Kaffe trinken (der übrigens von einem zypriotischen, griechischen oder albanischen Kaffee nicht zu unterscheiden ist – aber bei der Bestellung bloß nicht verwechseln!) – auf jeden Fall, als wir da sitzen hält der extra aus Nikosia angereiste Polizist mit den vielen Pommes auf der Schulter extra noch mal an, um kurz mit uns zu schnacken und uns alles Gute zu wünschen.

Wir schlafen wieder an unserem altenbekannten Platz am Ledra Palace. Heute keine Experimente mehr!

ich denke, was uns im umgang sowohl mit den un-soldaten als auch mit den grenzern sehr geholfen hat, war unsere zum gutteil gespielte naivität.

natürlich war uns klar, daß hinter akincilar die un-zone anfängt. aber bitte, wenn die nicht in der lage sind, ihre grenzen anständig zu makieren und zu schützen … fahren wir halt weiter.

als uns die soldaten abfingen, haben wir bewußt, aber auch nicht zu betont auf naiv gemacht. wir streiften sozusagen unsere bunten hawaii-hemden über und lächelten sonnig.

das führte auf jeden fall erst einmal dazu, das auch die soldaten lächelten. dann begrüßten wir sie mit einem netten hallo und gaben ihnen die hand und der ärger verschwand aus ihren gesichtern. zurück blieb erstaunen und ungläubigkeit, es folgte ein netter dialog und das gemeinsame bemühen, diese offentsichtlich sehr ungewöhnliche situation gemeinsam zu bewältigen. zurück auf der hauptstraße verabschiedeten wir uns herzlichst, nicht ohne einer ermahnung, so was nie wieder zu machen. wie man halt kinder ein wenig ausschimpft.

ich bin überzeugt davon, die hätten auch anders gekonnt.

an der grenze nach nord-zypern war es ähnlich. mit einem lächeln, guten tag sagen, die hand reichen und der bereitwilligkeit, mehr fragen zu beantworten als die grenzer eigentlich stellten, kann man sehr deeskalierend sein.

jeder, der neu ankam, mußte erst mal bulli kontrollieren. unser kleiner gefährte hat immer wieder für erstaunen und leuchtende augen gesorgt, wenn offenbar wurde, was wir in ihm alles verwahren. küche, schlafplatz, gepäck in so einem kleinen auto. der gartenschrank erntete besondere bewunderung.

im laufe der stunden entspannte sich die lage immer mehr. die polizisten hatten mit telefonieren zu tun und nachdem wir uns erst nicht vom fleck rühren durften, konnten wir uns bald frei auf dem grenzgelände bewegen. bücher, wasser und kekse aus dem bulli holen und es uns im schatten gut gehen lassen.

auf toilette gehen, den polizisten bei der arbeit zuschauen, ein bischen johannisbrot naschen, dass uns eine von ihnen zum probieren gab. und michel hat in der küche in alle schränke geguckt und den abwasch gemacht. auch die verdeckte geheime pinnwand mit den wichtigen telefonnummern haben wir gefunden.

und wir wurden auch beim fünften erzählen unserer geschichte nicht ungeduldig. auch in dieser sache bin ich sicher: wären wir unwirsch geworden oder hätten angefangen zu nörgeln, wären wir nicht so schnell weitergekommen.

ich fühlte mich immer unbedingt sicher. wir hatten etwas getan, was wohl noch niemals vorher passiert war. wir blieben beim erzählen immer bei der wahrheit. wir wollten niemandem etwas böses. kein grund zur sorge.

ich fürchte nur, das irgendwo bei der türkischen armee ein kleiner, unbedeutender grenzsoldat jetzt einen höllenärger bekommt, weil er für einen moment unaufmerksam war. ich glaube, da versteht die armee keinen spaß.

PS: Hier der Blick aus dem UN-Posten noch mal als PDF, damit man hineinzoomen kann [Nach einer technischen Verbesserung des Blogs kann man sich nun zwar auch das JPG-Bild selber groß anzeigen lassen, wir lassen das PDF aber trotzdem drin.]:

Blick-vom-UN-Posten.pdf

In der Mitte die Schotterstraße auf der wir gekommen sind. An ihrem hinteren Ende sieht man den Rand des Nordzypriotischen Dorfes, an ihrem vorderen die weißen UN-Tonnen, die die Grüne Linie makieren. Links von der Straße hinten ein hoher Hügel und etwas weiter vorne ein niedriger. Beide mit türkischen Stellungen oben drauf. Das Dorf links von den beiden Hügeln gehört schon zum Süden. Die Berge im Hintergrund sind das Troodosgebirge.