Tel Aviv & Jaffa

Di-Mi 12.-13.12.17

Holocaustgespräch am Strand

Wenn wir in Tel Aviv sind, gehen wir eigentlich täglich zu dem unserem Bullistandplatz nächstgelegenen Strand, dem FKK-Strand, der ganz offiziell Spannerstrand (Peeping Beach) heißt. Nein, nicht zum Spannen, sondern weil es hier folgende drei Dinge gratis gibt: Trinkwasser, heiße Duschen und eine ausgesprochen gute Wlan-Verbindung.

An den Tischen sitzen immer einige Rentner und spielen Backgammon, Schach oder Poker. Oder sie trinken Tee und unterhalten sich. Oder sie arbeiten sich an dem altengerechten Outdoor Fitnessstudio ab, das grob alle Geräte beinhaltet, die ein professionelles Fitnessstudio in Deutschland auch hat. Solche Fitnessgeräte stehen hier überall am Strand rum und sind umsonst. Hier machen halt eher die Rentner Workout, am Schwulenstrand diejenigen, die ihre Muskeln vom eigenen Geschlecht bewundern lassen wollen und vorm Sheraton diejenigen, die ihre Muskeln vom anderen Geschlecht bewundern lassen wollen.

Einer der Rentner hört uns Deutsch sprechen und spricht uns an. Da er kein Englisch kann, kramt er für uns sein altes, stark eingerostetes Jiddisch hervor und erzählt. Er ist Holocaustüberlebender aus Polen, war bei Kriegsende 8, ist jetzt also 80 Jahre alt. Beide Eltern und die Geschwister in Auschwitz umgekommen. Er bekommt eine kleine Ghettorente aus Deutschland bezahlt. Er ist furchtbar nett und findet nur gute Worte über Deutschland. – Ich fühle mich seltsam unwohl in meiner Haut. Ich glaube fast, ich käme im Augenblick besser damit klar, wenn er sauer auf uns wäre. – Trotz des Ungeheuerlichen, das er uns da gerade erzählt, ist die Situation irgendwie ganz normal. Halt ein alter Mann, der aus seinem harten Leben erzählt. Bina hat hier als Altenpflegeren mehr Erfahrung und findet besser die richtigen Worte der Empathie. Zum Abschied versichern wir ihm, dass Deutschland aus der Geschichte gelernt hat und wir beide und viele andere so etwas nie wieder zulassen würden.

Wir radeln den Strand ein Stück runter und machen erstmal Pause und verdauen wir das Gespräch, erst wortlos jeder für sich, dann gemeinsam.

Befreiung Jaffas (von seinen Bewohnern)

Jaffa ist eine uralte Hafenstadt und heute ein Stadtteil von Tel Aviv. Kurz vor Jaffa sehe ich in Strandnähe an einem Haus die folgende Tafel:

Etzel Haus – Im Gedenken an die Befreier von Jaffa

Mir schwillt der Hals! „Befreier“? Jaffa war eine arabische Stadt! Wovon wurde sie befreit? In Jaffa selbst steuere ich erstmal die Touristeninfo an, die ihren Ort genau vor dem Haus hat, in dem den Touristen die jahrtausendealte tolle Geschichte Jaffas erzählt wird. Ich frage sonnig unschuldig, ob sie mir zufällig sagen könnten, wann genau Jaffa ethnisch gesäubert wurde, wann die Araber, die hier wohnten, ins Meer getrieben wurden. Die uninformierten Menschen von der Touristeninformation scheinen es ganz offen und ehrlich nicht zu wissen. Sie sind anscheinend noch nie auf die Idee gekommen, dass in den ganzen schönen alten arabischen Häusern auch mal arabische Menschen gewohnt haben könnten.

Der UN-Teilungsplan von 1947 schlug die Hafenstadt Jaffa dem arabischen Staat zu, als Exklave im jüdischen Staat, weil es eine arabische Stadt war. Zu Beginn des Jahres 1947 lebten etwa 70.000 bis 80.000 Menschen in Jaffa, und die Verteidigung der Stand bestand aus 400 irregulären Freiwilligen. (Also keine ordentlichen Soldaten!)

Am 4. Januar zündete Lehi (zionistische Paramilitärs) eine LKW-Bombe vorm Rathaus der Stadt, tötete 26 Menschen und verletzte hunderte. Bis Mitte April flohen etwa 20.000 Menschen aus der Stadt.

Vom 25. bis 27. April beschoß die Irgun (auch zionistische Paramilitärs) die Stadt mit Mörsern. Dann zwangen die Briten, die ja immer noch Mandatsmacht waren, die Irgun zur Einstellung des Beschusses. Die Briten hatten Angst vor einem Massenexodus, wie in Haifa eine Woche zuvor. Sie verhinderten aber nicht, dass die Haganah (die größten zionistischen Paramilitärs) die arabischen Dörfer um Jaffa überrannten, ethnisch säuberten und die Stadt so vom Hinterland abschnitten. Am 30. April befanden sich noch 15.000 – 25.000 Menschen in Jaffa, von denen weitere 10.000-20.000 über das Meer flohen.

Als sich Jaffa am 14. Mai der Haganah ergab, lebten noch 4.000 Menschen in der Stadt. Es kam zu exzessiven Plünderungen. Um Mitternacht des selben Tages endete das Britische Mandat. Am 15. Mai wurde der Staat Israel gegründet, und (so lernen es israelische Schüler) der Unabhängigkeitskrieg begann. [Daten und Zahlen stammen aus der englischen Wikipedia und decken sich gut mit dem, was ich aus belastbareren Quellen erinnere.]

Meines Wissens leben die Nachfahren der ehemaligen Bewohner Jaffas heute größtenteils in Flüchtlingslagern im Gazastreifen.

Straßenszene in Jaffa. Vorne rechts ultraorthodoxer Jude, dahinter die israelische Flagge. Hinten links das Minarett der alten Moschee, davor (ganz am Bildrand) ein altes arabisches Basargebäude.
Die Moschee lebt noch, der Muezzin ruft noch, wie man an den Lautsprechern oben am Minarett sieht.
Könnte jetzt auch Havanna sein. – Ist aber Jaffa.

Ausstellung: „50 Jahre“ Besatzung

Die israelische Menschenrechtsorganisation B’Tselem veranstaltet in Jaffa derzeit eine Ausstellung mit dem Titel „50 Jahre“. Gezeigt werden Portraitphotos von 50 Menschen aus dem Gazastreifen und dem Westjordanland, die 1967 geboren wurden und somit in diesem Jahr zusammen mit der Besatzung 50 Jahre alt werden.

Die großformatigen Portraits sind gut gemacht, die Menschen sind in ihrer alltäglichen Umgebung zu sehen. Neben jedem Photo stehen kurze Angaben über den Portraitierten. Zum Beispiel: „Jihad Musa. Krankenpfleger. Verheirateter Vater von Fünf, Bewohner von Deir al-Balah, Gaza-Streifen.“

Die Gesichter sind teils ernst, teils kämpferisch und manchmal erstaunlich ausgelassen-fröhlich. Doch die Augen! Hinter den Augen scheinen mir bei allen Seelen zu hervorzublicken, die Dinge gesehen und erlebt haben, die niemand sehen und erleben sollte.

und wie erschreckend alt sie manchmal aussehen!

Wirklich nah gehen mir aber die kurzen Statements, die jeder Photograpierte zu Protokoll geben konnte:

  • „Ich glaube Freiheit ist die schönste Sache in der Welt. Es heißt hingehen zu können, wo du willst, und frische Luft zu atmen.“ (Aydah Nasser, Gazastreifen.)
  • „Die Besatzung verweigert mir die grundlegendsten Dinge: Wasser, Obdach, Gesundheit. Ich will in Würde leben und ich trage dazu bei und hoffe für das Beste.“ (Omar Jundiyah, Schäfer im Westjordanland.)
  • „Wir leben in permanenter Angst, dass unser Zuhause abgerissen wird und wir vertrieben werden. Für mich bedeutet Freiheit ohne Angst zu leben.“ (Ibrahim Jahalin, aus Khan al-Ahmar, ein Dorf im Westjordanland, das beseitigt werden soll.)
  • „Ich bin 50 Jahre alt und ich war noch nie in Jaffa oder Haifa. Das einzige Meer, das ich jemals gesehen habe, ist das Tote Meer bei Jericho.“ (Ibrahim Abu Mariyah, Westbank. – Auf dem Photo lacht er irritierend schelmisch.)