Mi-Do 6.-7.12.17
Ein Regentag
Der Mittwoch ist ein richtiger Regentag. So einer, wie es ihn in Hamburg im Herbst für gewöhnlich mindestens zwei Wochen lang am Stück gibt. Für uns derzeit aber wohl nur einmal alle zwei Wochen! Und wir verbringen einen Gutteil des Nachmittages im Österreichischen Hospiz mit Wiener Melange, Sachertorte und Apfelstrudel.
Der Generalstreik
Der Donnerstag fängt mit einem Frühstück im Bett an, bei dem bina ihren geliebten Panettone anschneidet. Das ist ein italienischer Weihnachtskuchen, den sie über ihre in Italien lebende Mutter kennengelernt hat. Für bina Weihnachten ohne Panettone kein richtiges Weihnachten.

Anschließend gehen wir in die Altstadt. Wir wollen heute auf den Tempelberg und auf die Dachterasse des Österreichischen Hospizes. Doch im Shouk fällt uns auf, dass irgendetwas nicht stimmt, denn fast alle Läden sind geschlossen.

Auf Nachfrage erfahren wir, dass Trump gestern Jerusalem als Hauptstadt Israels anerkannt hat, und es deshalb heute einen Generalstreik gibt. Es soll auch eine Demonstration geben, aber keiner weiß wann und wo. Wir beschließen trotzdem erstmal auf den Tempelberg zu gehen.
ich frage mich, ob ein generalstreik an dieser stelle wirklich der richtige weg hier in israel/palästina ist. dieser shouk wird von touristen besucht und die nicht-jüdische, also arabische bevölkerung kauft hier ein. geschlossene läden bewirken meiner ansicht nach nur, daß keine geschäfte mit gästen gemacht werden können und die eigene bevölkerung sich nichts für den täglichen bedarf besorgen kann. damit schneidet man sich ins eigene fleisch. die orthodoxen juden und die siedler haben den shouk für sich allein, wie so manche/r es ohnehin wahrscheinlich gern hätte. sie kaufen ja auch nur in den eigenen läden.
pilgergruppen laufen verloren durch die leeren gassen und wundern sich. ich bezweifele, daß sie sich dafür interessieren, was hier grade passiert. und selbst wenn der shouk auf längere zeit schlösse, würden die pilger trotzdem kommen und geld in die israelische kasse spülen, denn der pilgergang auf der via dolorosa zur grabeskirche ist ja trotzdem möglich.

Auf dem Tempelberg ist es gespenstisch leer. Wenige Touristen sind da und noch weniger muslimische Gläubige.
als wir vor sechs jahren hier oben waren, gab es viel mehr touristen und und viel viel mehr muslime. überall saßen gläubige beim koranstudium , waren auf dem weg zum gebet oder hielten sich unter den bäummen auf.


Anschließend geht es ins Österreichische Hospiz. Das Hospiz ist eine Insel österreichischer Lebensart, ein Wiener Ringstraßenpalais mitten in der arabischen Altstadt Jerusalems. Mit einem Wiener Kaffehaus, Mozartmusik und „Gnädige Herrschaften wünschen?“ als Anrede. Das Absurdeste dabei ist, dass es irgendwie tatsächlich hierherpaßt.


Und von der Dachterasse aus hat man einen wunderbaren Blick über die Altstadt.

Hier haben wir auch freies W-Lan und erfahren, was genau eigentlich los ist. Und dass mittags eine Kundgebung am Damaskustor (einem der Tore zur jerusalemer Altstadt) angesetzt ist. Wir beschließen uns noch schnell in einem der wenigen offenen Läden etwas Demoverpflegung zu kaufen (Wasser, Kekse, Schokolade) und dann zur Kundgebung zu gehen.
Auf der Demo
Die Kundgebung ist deutlich kleiner als wir und wohl auch die zahlreich erschienene Presse erwartet haben. Insgesamt vielleicht 500 Demonstranten und mindestens 20 Kamerateams. Wir sind schon recht früh da und setzen uns erstmal zu einigen Frauen, von denen wir herzlich aufgenommen werden.

Polizei und Armee (der Übergang schien mir fließend zu sein) waren sehr rigide darin alles zu unterbinden, was in ihren Augen verboten war.





Die Soldaten und Polizisten sind sehr wenige und haben fast alle ein Maschinengewehr im Anschlag. Das heißt, sie haben im Konfliktfall nur die Eskalationsstufen „mit-einer-Hand-schubsen“ und „scharf-schießen“. Das, was man auf Demonstrationen von Schlagstock über Wasserwerfer bis Pfefferspray kennt, fällt hier weg.


Andererseits sind sie dadurch aber auch vollkommen hilflos, wenn man sich auf das Geschubse nicht einläßt, und sich, wie die Frauen, die uns am Anfang so herzlich bei sich aufgenommen haben, einfach hinsetzt, sobald sie einen abdrängen wollen.

Oberhalb auf der angrenzenden Hauptverkehrstraße entwickelt sich ein Katz-und-Maus-Spiel, zwischen den Soldaten/Polizisten und den abgedrängten Jugendlichen.
Was uns hierbei auffällt, ist daß die Pozeipferde hier bei weitem nicht so gut ausgebildet sind wie in Deutschland. Eine Parolen skandierende Menge in 50m Abstand genügt, damit sie Scheuen und Austreten. – Andererseits sorgt das dafür, dass alle Demonstranten gebührenden Abstand den Pferden halten.

sie haben meine geliebten friesen als polizeipferde! damit bin ich nicht einverstanden!!!!!!
Irgendwann hat sieht die Einsatzleitung offensichtlich ein, daß das Abgeränge keinen Zweck hat und läßt die jungen Männer auf den Platz.

Das militanteste was diese dann machen, ist zu demonstrieren, dass dieser Teil der Stadt arabisch-muslimisch ist, indem sie öffentlich beeten.

Polizei Armee haben sich derweil an die Ränder des Platzes zurückgezogen.

Von Demonstrantenseite bleibt es dabei die ganze Zeit so friedlich, dass selbst Ultraorthodoxe Juden ungestört mitten durch die Demonstration gehen können.

Kurz vor Sonnenuntergang machen wir uns auf den Heimweg. Bulli steht (zu unserer Beruhigung) sicher in einem gutsituierten, leicht abgelegenen Stadtteil von Westjerusalem.



Wir wissen, dass die Nachrichten gerade voll sind von palästinensischen Ausschreitungen. Aber dies ist das, was wir erlebt haben.