Neve Shalom/ Wahat al Salam

So-Mo 10.-11.12.17

unser nächster besuch gilt dem dorf neve shalom/wahat al salam. wir kennen es schon von der ersten reise. damals brauchten wir nach all den erkenntnissen von der situation im land dringend einen platz, wo eine für uns normale situation herrscht, um mal wieder luft holen zu können.

es liegt ziemlich genau in der mitte zwischen jerusalem und tel aviv und ist ein gemischt-religiöses dorf.

gegründet wurde es in den 1970ern von bruno hussar, einem dominikanermönch.

das gelände gehört dem trapistenkloster latrun, das auf dem nächsten hügel liegt und wurde an die dorfgemeinschaft verpachtet.

zwischen feldern, hügeln und wald leben derzeit 60 jüdische und arabische familien miteinander. sie sind genossenschaftlich organisiert und es leben genau so viele jüdische wie arabische Familien im dorf. so gibt es kein ungleichgewicht. 140 sollen es mal werden und derzeit wird am dorfrand gebaut.

Weihnachtssterne (wie passend) vor dem Trapistenkloster Latrun. Vor sechs Jahren hat Michel sich hier zum Deppen gemacht, als er einen Mönch fragte, wie man zum Friedensdorf kommt, und sich wunderte, warum der Mann partout nicht reden wollte. Das es Trapisten sind, haben wir damals erst später begriffen…

es gibt ein hotel, ein cafe, ein jugendhaus, ein seminar-zelt-haus, wo grade ein feldenkrais-seminar stattfindet, eine friedensschule mit kursen und veranstaltungen und das haus der stille, das aussieht wie dieser pilz, der bovist heißt.

Gemütliche Sitzecke in der Lobby des Hotels.
Wandmosaik im Hotelfoyer.

das ortsansässige schwimmbad ist auch in der umgebung außerordentlich beliebt und in der schule werden die kinder aller religionen gemeinsam unterrichtet. bis auf mathe- und religionsunterricht (mathe deshalb, weil arabisch und hebräisch unterschiedliche zahlensysteme haben). die nakbah (tag der katastrophe) der palästinenser und der unabhängigkeitstag der israelis werden gemeinsam begangen. sehr viele kinder kommen auch aus den umliegenden dörfern.

So wie das Dorf, das einzige gemischte arabisch-jüdische Dorf des ganzen Landes ist, ist die Grundschule des Ortes ist eine von nur zwei(!) gemischten jüdischen-arabischen Schulen im ganzen Land. Das ist ja das Problem mit Oasen (der zweisprachige Ortsname bedeutet „Oase des Friedens“), dass um die Oase herum eine Wüste liegt.

Religionsunterricht gibt einerseits getrennt dreifach. Die christlichen, muslimischen und jüdischen Kinder lernen alle ihre eigene Kultur und Religion. Andererseits gibt es einen gemeinsamen Religionsunterricht, damit alle Kinder auch die Religion und Kultur der anderen kennenlernen. An religiösen Feiertagen gibt es jeweils eine kleine gemeinsame Zeremonie mit allen Kindern, und anschließend haben die Kinder der jeweiligen Religion frei. (Wobei, wenn ich es richtig sehe, die jüdischen Kinder am besten abschneiden, weil sie die meisten Feiertage haben.)

Der Geschichtsunterricht wird paritätisch von einer arabischen und einer jüdischen Lehrkraft unterrichtet. So dass die Schüler beide Sichtweisen authentisch lernen (Multiperspektivität heißt das Fachwort). Besonders schwierig ist natürlich der 15. Mai 1948, der Tag, der für die jüdischen Israelis der Unabhängigkeitstag, der Tag der Gründung des Staates Israel ist, und für die Palästinenser der Nakbahtag, der Tag der Vertreibung, der ethnischen Säuberung die Zionisten. An diesem Tag gibt es eine gemeinsame Zeremonie, die die Kinder jeweils selber gestalten, und dann zwei getrennte Zeremonien. – Vor sechs Jahren hatte die Schule große Probleme. Das Bildungsministerium wollte ihr die Zulassung aberkennen, weil sie verbotenerweise die Nakbah unterrichtete. Dank des breiten internationalen Unterstützernetzwerkes des Friedensdorfes konnte dies abgewendet werden.

im hotel klönen wir ein bischen mit dem mädel von der rezepetion.

sie gehört zu der 2. generation, die in diesem dorf geboren wurde und ist sich dieser ihrer sondersituation durchaus bewußt. ihr ist klar, daß sie in neve shalom/wahat al salam in einer blase lebt, daß sie sich wie ein alien vorkommt, wenn sie das dorf verläßt, um nach jerusalem oder tel aviv zu fahren. das sie es oft anstrengend findet, anders aufgewachsen zu sein. ich frage sie, ob sie sich manchmal wünschen würde, wie eine normale israelin groß geworden zu sein, um es weniger anstrengend zu haben. NEIN, um himmelswillen, niemals!!!! ist ihre antwort.

Das Dorf hat natürlich auch viele Probleme. Es bei Weitem nicht alles Harmonie und Friede-Freude-Eierkuchen. – Zur Friedensarbeit gehören halt auch die Mühen der Ebene. Das Klein-Klein des demokratischen Prozesses und der menschlichen Unzulänglichkeiten.

Die im Dorf lebenden Palästinänser sind übrigens ausschließlich Araber mit palästinensischer Staatsbürgerschaft. Palästinenser aus Ostjerusalem, derm Westjordanland, dem Gazastreifen oder der Diaspora können „natürlich“ nicht hierhinziehen. Da sind die Abschottungspolitik, oder anders ausgedrückt Teile-und-Herrsche-Politik des Staates Israel vor.

wir schlendern durchs dorf, schauen über die landschaft und freuen uns an der entspannten stimmung.

bulli stellen wir oberhalb des hauses der stille für die nacht ab und schlafen dort mal wieder ohne verkehrslärm im hintergrund. dafür aber mit dem üblichen hundegebell.

Ein Kind auf der Schaukel dem Dorfspielplatzes.
Wir meditieren gemeinsam (nach dem Photographieren) in der Halle der Stille. Einem spiritullen Raum für alle Religionen. Der nebenbei eine tolle Aussicht auf die Küstenebene um Tel-Aviv und die ersten Hänge des judäischen Gebirges bietet.
Die Halle der Stille von außen gesehen. (Sieht doch aus wie ein Bovist, oder?)

morgens frühstücken wir unter den olivenbäumen im ‚international garden of rescuers‘, sind erstaunt über den müll, der überall herumliegt und machen erst mal sauber. ist das typisch deutsch? egal. an einen solchen ort gehört kein abfall von den letzten picknicks. auch aus dem haus der stille nehmen wir den gröbsten müll mit.

Der „International Garden of Rescuers“. Rechts auf dem Tisch unser Frühstück.
Die erklärende Plakette am Eingang des Gartens. (Zum Lesen bitte auf das Photo klicken und vergrößern.)

Der „International Garden of Rescuers“ ist ein Gegenstück, oder vielleicht besser eine Ergänzung zum „Garten der Gerechten unter den Völkern“ in der Holocaustgedenkstätte „Yad Vashem“. Im Garten der Gerechten werden ausschließlich Menschen geehrt, die Juden während des Holocausts gerettet haben. Hier werden Menschen geehrt, die während ethnischer Säuberungen Menschen einer anderen Ethnie gerettet haben.

im dorf hat das cafe geöffnet. unter sonnensegeln, die von katzen als hängmatten benutzt werden, trinken wir kaffee mit zwei frauen aus tel-aviv. sie waren schon öfter im dorf, sind links-politisch aktiv und wir haben einen guten austausch über die derzeitige politische lage.

Schnurr!
Schnurr! Schnurr!
Schurr! Schnurr! Schnurr!
Im Cafe hängt die Goldene Regel in der Version verschiedener Religionen aus. (Zum Lesen bitte auf das Photo klicken und vergrößern.)

wir wollen eigentlich schon längst auf dem weg nach tel-aviv sein. als wir aufbrechen wollen, spricht uns l… an, die unserem gespräch ein wenig gelauscht hatte, uns spannend findet und einlädt, ihren arbeitsplatz anzuschauen. sie ist schweizerisch-amerikanische jüdin und baut als volontärin das jugendhaus wieder auf. als malerin hat sie dort auch ihr atelier und eine kinder-malgruppe.

L…’s Atelier. Sie hat sich einen Schrein in Form des Felsendoms gebaut, um in Gedanken bei ihrem arabischen Freund in Jerusalem sein zu können.

abends stehen wir in tel aviv wieder auf unserem stammparkplatz am alten hafen und gehen noch auf einen ausgesprochen netten stammtisch in florentin, einem stadtteil an der grenze zum alten jaffa.