Sa. 9.12. 17
sabbat in jerusalem. die ultra-orthodoxen begehen ihn mit ihren üblichen ritualen, die übrigen bewohner ergehen sich bei schönem, wenn auch kühlem wetter, als wäre nichts passiert und sie wirken, als ginge sie die ganze aufregung um jerusalem nichts an.

im shouk sind wieder fast alle geschäfte geöffnet. nur geringfügig mehr als sonst sind geschlossen. und das kann alle möglichen gründe haben. die stimmung in den gassen ist entspannt. es wird ver- und gekauft, waren angeboten und gehandelt wie immer.
mich beruhigt das ein bischen. die hamas hat zum generalstreik aufgerufen und in der westbank und hier in der altstadt kümmert man sich wenig darum. das kann doch nur heißen, daß den menschen die butter auf dem brot (bzw. der hummus auf der pitta) wichtiger ist, als die aufrufe der hamas. in gaza sieht das bestimmt wieder anders aus.
Ich sehe das etwas anders. Ich sehe hier vor allem die Kampfesmüdigkeit, Schwäche, Rat- und Hoffnungslosigkeit der Palästinenser.
am damaskustor warten ein paar wenige jugendliche und ältere menschen darauf, daß vielleicht noch mehr kommen, aber nichts passiert. scharen von reportern langweilen sich neben den aufgestellten kameras.
den nachmittag verbringen wir im shouk bei argila und tee in der kleinen teestube am rande des arabischen viertels, in der wir vor sechs jahren schon so gern gesessen haben.
a… setzt sich auf einen kaffee zu uns. tochter chassidischer juden aus antwerpen, eltern in auschwitz getötet, lehrerin und brückenbauerin zwischen palästinensern und israelis. sie lädt uns beizeiten zu einem sabbatmahl ein. wir werden dann mehr von ihr zu erzählen wissen.

A… ist im muslimischen Viertel wohlbekannt und wohlgelitten, alle grüßen sie und sie grüßt alle. Offensichtlich ist sie auch in den Augen der Palästinenser nicht Siedlerin sondern Friedens- und Versöhnungsaktivistin.
auf dem weg nach hause schauen wir noch bei der koptischen kapelle auf dem dach der Grabeskirche vorbei, wo grad an der station IX der via dolorosa eine gruppe chinesen betet. sie haben sich ein kreuz von der ausleihstelle am garten gethsemane mitgebracht und singen, beten und weinen, teilweise auf knien mit dem kopf am boden. ihre inbrunst hat etwas sehr anrührendes.




dieser ruhige tag gibt mir wieder gelegenheit, ein bischen vom alltag in israel und palästina zu erzählen.
warum ist die zahl der demonstranten so klein?
wir wissen es auch nicht. ist es angst? sind sie kampfesmüde?
wenn man kein realistisches ziel vor augen hat, das man erreichen wollen könnte und keine idee, was man fordern könnte (z.b. einen eigenen staat oder die vollen bürgerrechte des staates israel), dann macht sich resignation breit. dann stellt man keine konkreten forderungen mehr, sondern schmeißt, wie die jugentlichen in ramallah, bethlehem und nablus, aus frust nur noch steine und zündet autoreifen an.
Gestern kamen wir noch mit drei beieinanderstehenden Reporten ins Gespräch, einem vom ZDF, einem von RTL und wofür der Dritte arbeitet haben wir vergessen. Wir waren von ihren Kommentaren wirklich überrascht. Sie sagten, daß sowohl in Ramallah, als auch in Jerusalem und Bethlehem die Eskalation bei den Demos ganz klar von den israelischen Soldaten ausgegangen ist. Und sie wandten, als wir „Gummigeschosse“ erwähnten, sofort ein, dass diese mitnichten ‚ungefährlich‘ seien. Es handele sich um Stahlgeschosse, die nur mit Gummi ummantelt seien, und die ohne weiteres jemanden umbrächten.
Den gesamten Gesprächsverlauf hier wiederzugeben, würde den Rahmen sprengen. Aber wenn die Berichterstattung in Deutschland so wäre, wie diese Reporter privat mit uns gesprochen haben, käme israel deutlich schlechter weg und ‚apartheit‘ wäre beim Thema Israel-Palästina ein häufiges Wort in den Nachrichten.
Orts und Straßennamen
straßennamen sind zum oft nur schall und rauch. vor sechs jahren sind wir in jerusalem fast wahnsinnig geworden, weil grade alle straßen umbenannt, sprich israelisiert wurden und wir einen nicht mehr so ganz aktuellen stadtplan hatten. auf den straßenschildern stand manchmal was ganz anderes als auf der karte. mittlerweile sind sie damit fertig und die straßennamen auf schildern und im plan haben zumindest eine gewisse ähnlichkeit. steht im plan z.b. ‚iszaac rabin‘, kann auf den schildern ‚rabin av.‘ stehen. gemeint ist die selbe straße.
jaffa wird auf dem einen straßenschild jaffa geschrieben, auf einem nächsten yafo oder jaffo und jafa steht auf der landkarte.
schlimmer wird es, wenn wir leute nach dem weg gefragt haben. In tel aviv spricht jeder die gesuchte straße anders aus und wir fragen oft nach, ob wir auch die selbe meinen. im stadtplan steht es dann irgendwie so ähnlich.
richtig lustig wird es in palästina. in ramallah zum beispiel haben nur die größeren straßen einen namen. aber was auf dem schild steht, hat oft nichts damit zu tun, wie die menschen die straße nennen. und da muß man unterscheiden zwischen den leuten, die diese straße nur kennen oder denen, die dort auch wohnen. die nennen sie dann wieder ganz anders. daher ist es sinnvoll, sich große wichtige gebäude in der nähe zu merken und nach denen zu fragen. ein hotel, eine große bank, eine behörde. das klappt eigentlich immer und ist auch unter einheimischen üblich.
In dem Teil des Westjordanlandes, den die Israelis komplett kontrollieren, ist es dann auf gewisse Weise wieder einfach: Es gibt meistens keine Straßennamen, weil es die Palästinenser im israelischen Weltbild ja eigentlich nicht gibt.
Busse, Taxen, Sammeltaxen
anders ist es bei öffentlichen verkehrsmitteln. wir sind nach bil’in damit gefahren. wenn wir gefragt haben, wo wer fährt, war die antwort immer sofort richtig.
hinter dem damaskustor gibt es einen großen busbahnhof, von wo aus wir nach qalandia wollten. gleich der erste linienbus war der richtige, die fahrt sollte laut fahrer 3 schekel (nis) kosten und er würde in 10 min. losfahren. pünktlich(!) 10 minuten später waren wir für 3 nis auf der straße und zügig am checkpoint.
dort machten wir den fehler und ließen uns auf ein taxi ein, das uns direkt nach bil’in bringen sollte.
es gibt zugelassene taxis, die sind gelb und inoffizielle taxis. wir stiegen in ein letzteres, nicht ohne vorher den preis geklärt zu haben. 120 nis sollte das kosten. ich konnte auf 100 runterhandeln und fand das trotzdem zu teuer. aber gut. dann stellte sich heraus, wir waren schon angeschnallt, daß der fahrer unter bil’in etwas anderes verstanden hatte als das dorf, zu dem wir wollten und plötzlich sollte die fahrt 200 kosten, denn das sei ja gar nicht ‚um die ecke‘. wir handelten zwar noch auf 150 runter, sagten dann aber zähneknirschend zu. ein paar straßen hinter dem checkpoint hielt unser fahrer an, diskutierte mit einem offiziellen taxifahrer und hieß uns umsteigen. wir haben keine ahnung, warum. wahrscheinlich kannte er den weg nicht oder wollte eigentlich nach jerusalem zurück. die beiden teilten sich unser geld und wir wurden auf direktem weg nach bil’in gefahren. allerdings mit dem wissen, lehrgeld bezahlt zu haben.
zurück ging es mit dem sogenannten ’service‘. das sind kleinbusse und sammeltaxen. mit so einem sind wir schon vom flughafen nach haifa gefahren, die in israel sheruk heißen. sie sind überall zu finden, in israel sind sie in topzustand, in palästina in mehr oder weniger gutem zustand und oft ziemlich überfüllt.
wir wanderten einfach richtung ramallah an der straße lang und als ein service noch im dorf am horizont auftauchte, brauchten wir nur die hand auszustrecken und er hielt an. wir fragten, ob er nach ramallah fährt, erkundigten uns nach dem preis (7nis), sagten zu den anderen fahrgästen ’salam‘ und schon ging es weiter. michel vorne zwischen zwei männern, ich auf der hinteren bank neben einer mutter mit drei kindern. eine weitere mutter mit kind kam dazu, wir rückten halt alle ein bischen zusammen und die kleinsten standen während der fahrt zwischen den knien der mütter. auf der fahrt stieg zwischendrin mal einer aus oder jemand dazu und in kurzer zeit waren wir in ramallah. lustigerweise auf einem parkplatz gleich in der nähe unseres stellplatzes von neulich.
in der stadt fragten wir nach einem service nach qalandia, ein paar straßen weiter standen welche von denen einer auch gleich fuhr. nach dem preis fragen (3nis), einsteigen und los.
bezahlt wurde irgendwann während der fahrt, am besten passend, denn der fahrer hatte keine hand frei, um wechselgeld raus zu geben. er mußte telefonieren. einen beleg gab es nicht. von qalandia gings dann mit dem linienbus wieder zurück nach jerusalem.
solche fahrten sind klasse!
man erlebt menschen im alltag, kommt mit sitznachbarn ins gespräch, die es offensichtlich nicht kennen, daß touristen mit dem service fahren. ich mußte es aushalten, von den frauen ein wenig befremdlich und von den kindern baß erstaunt angestarrt zu werden. aber wir haben uns gemeinsam dem geruckel der heruntergefahrenen stoßdämpfer des autos hingegeben, wir sind alle zusammengerückt, als noch jemand einsteigen wollte und wir haben alle ‚auf wiedersehen‘ gesagt, als jemand ausstieg, uns an der endhaltestelle bei gepäck und kindern geholfen und die jungs, die vorne bei michel saßen, wollten unbedingt noch ein abschiedsfoto mit uns machen.