Beduinendorf Abu a-Nuwar

Sa 16.12.17

Wir haben über die Homepage von B’Tselem erfahren, dass das Beduinendorf Abu a-Nuwar am 13. Dezember eine Abrißverfügung für seine Schule erhalten hat. Sie müssen das Gebäude innerhalb von 72 Stunden abreißen, ansonsten, so wird gedroht, macht es die Armee und stellt Ihnen die Kosten in Rechnung. Und die Frist läuft heute ab.

Die Beduinendörfer werden vom Staat nicht anerkannt, weshalb Abu A-Nuwar nicht auf Google-Maps verzeichnet ist, aber wir wissen, dass es in der Nähe von al-‚Eizariyah ist, was Luftlinie keine fünf Kilometer östlich der jerusalemer Altstadt liegt. Und in der Theorie gibt es einen ziemlich direkten Weg mit Checkpoint von unserm Übernachtungsparkplatz aus dahin. Nur leider ist die Anweisung „der Hauptstraße folgen“ im straßennamenlosen Wildwuchs Ostjerusalems alles andere als eindeutig. Beim ersten Versuch landen wir irgendwo vor der sattsam bekannten Sperrmauer. Weit und breit kein Checkpoint. Beim zweiten Mal schaffen wir es aus der geschlossenen Bebauung raus und landen auf einer Geisterstraße:

Von rechts nach links: Westjordanland, Frontzaun (meist anders als auf dem Bild drei Rollen Natodraht übereinander), Zaun mit Kontakt und Bewegungsmeldern (insgesamt etwa 4m hoch), geharkter Fußabdruckstreifen, Militärstraße, Hinterlandzaun (meist ebenfalls drei Rollen Natodraht).

Wir sind auf die Militärstraße des Grenzzaunes (nein, es ist nicht überall eine Mauer) zum Westjordanland geraten. Dass der Zaun tatsächlich auf der Grenze zum Westjordanland verläuft, ist eher unwahrscheinlich. Wir ziehen unsere virtuellen Hawaii-Hemden über und fahren weiter. Irgendwann ist Schluß und wir werden höflich, komplett irritiert, aber sehr bestimmt zurückgeschickt.

Bei diesem Gefährt der Grenzpolizei (halb Auto, halb Panzer) war Schluß.

Also fahren wir den Umweg über die „Transitstrecke“ von Jerusalem Richtung Totes Meer, biegen bei der Siedlung Ma’ale Adumim ab, fahren statt zur Siedlung nach al-`Eizariyah und fragen uns von da aus durch. Das Dorf liegt zwischen den Siedlungen Ma’ale Adumim und Kedar, ist wie alle Beduinendörfer, die wir bisher gesehen haben, extrem arm, und keineswegs romantisch.

„Bedu“ bedeutet „Bewohner der Wüste“. Sie selbst bezeichnen sich aber als „arab“ und nennen die sesshaften Araber „fellahin“, „Bauern“.
Wohlstandsgefälle: Vorne Abu A-Nuwar, hinten Ma’ale Adumim.

Die meisten hier lebenden Beduinen gehören zum Stamm der Al-Jahalin. Die ursprünglich in der Region Arad in der Negev Wüste lebten, von wo sie Anfang der Fünfziger Jahre vertrieben wurden, also nach dem israelischen Unabhängigkeitskrieg von 1948. Sie siedelten sich sich im Westjordanland südlich von Hebron und hier zwischen Jerusalem und Jericho an. Aber auf fruchtbareren Böden. Von diesen Böden wurden sie nach 1967, als Israel das Westjordanland eroberte und besetzte, ebenfalls vertrieben. Hierhin. Auf den fruchtbareren Böden liegen heute meist Siedlungen. Die erste war Ma’ale Adumim. Und im Zuge der Ausweitung der Siedlungen kommt es sein 1997 erneut zu Vertreibungen. [Die Daten und Fakten stammen aus dem „Palästina Reisehandbuch“, das wir sehr empfehlen, und passen gut mit unserem sonstigen Wissen zu diesem Thema zusammen.]

Die Schule haben wir schnell gefunden. Sie wurde offensichtlich zum Teil von der EU finanziert, wie man an der Plakette sieht. Letzten Sommer hat die Armee das Gelände zur Militärzone erklärt und die Solaranlage, welche die Schule mit Strom versorgt, beschlagnahmt. Am 7. Oktober beschlagnahmten sie die Türen. Und jetzt gibt es eine Abrißverfügung.

Und ich beschwere mich über den Zustand deutscher Schulgebäude.

Leider spricht niemand im Dorf auch nur ansatzweise Englisch. Und der Mann, der sehr bald auf uns zukommt, geleitet uns zu seiner Hütte, um uns seinen verkrüppelten Sohn zu zeigen und mittels einer Übersetzerin am Handy darum zu bitten, diesen zur Behandlung nach Deutschland in ein deutsches Krankenhaus zu bringen. Da sitzen wir nun in seiner Wellblechhütte. Sperrmüllsofa, Sperrmüllteppich, blanke Erde. Beide ein Glas Tee in der Hand, das uns die Mutter gereicht hat, bevor sie wieder im hinteren Raum der Hütte verschwand. Wir sehen das Kind. Zwei kurze Beinsummel, linker Arm endet unterhalb des Ellenbogens, rechte Hand entstellt, irgendwas stimmt mit Knochen und Muskeln nicht, linkes Auge trüb und offensichtlich auch geistig behindert. Was immer der Vater sich vom Wunderland Deutschland erhofft. Wir können nichts tun. Das sagen wir ihm, bedanken uns für den Tee und gehen mit mulmigem Gefühl.

Der Vater führt uns zu seiner Hütte, die zweite auf der linken Seite.
Der ältere Bruder des Jungen, neben dem Eingang.

Später sagen wir uns, dass dieses vielfachbehinderte Kind in der beduinischen Großfamilie vermutlich ein glücklicheres Leben haben wird, als ein vergleichbares Kind in Deutschland. Es wird nicht in eine Einrichtung abgeschoben werden, sondern immer von seinen Angehörigen umgeben sein, dazugehören und geliebt werden. Geld ist (so makaber jetzt auch klingen mag) eben nicht alles. – Ein anderer Teil von uns denkt, dass wir zwar wirklich nichts tun konnten, aber erstaunlich gut in gewissensberuhigender Autosuggestion sind.

verdammt!!! da sitze ich nun mit meinem medizinischen halbwissen und meiner sonstigen art, anpacken zu können, zu wissen, was zu tun ist und weiß mir keinen rat. ich bin es gewöhnt, hilfebedarf zu erkennen und diesen in kurzer zeit befriedigen zu können. ambulante altenpflege halt, in der die aufträge mir die liebsten sind, bei denen es heißt: ‚geh mal hin, schau dir die lage an und mach vorschläge, was wir machen können.‘

der junge bewegt sich recht behende auf beinstummeln und ellenbogen auf der erde vorwärts. der ellenbogen ist dick verbunden, so daß er als stütze benutzt werden kann und wird. der verband ist auch relativ frisch, denn die binden sind zwar schmutzig, aber heil. er lacht und freut sich, als der vater ihn in eine kleine selbstgemachte hängematte setzt und schaukelt.

das problem ist, wie ich vermute, daß dieses kind niemals wird arbeiten können, keine ziegen hüten oder botengänge mit einem der esel machen. und es wird immer ein zusätzlicher esser am mageren tisch sein.

wir vermuten stark, daß eine erbkrankheit dahinter steht. vor allem, da der bruder eine ähnlich verkrüppelte hand hat. und das ist mit der besten medizinischen versorgung der welt nicht zu behandeln. aber das können wir dem vater mangels sprachkenntnissen nicht klar machen.

und wie können wir unser gewissen beruhigen? wir haben keine idee davon, wie medizinische versorgung hier funktioniert. al ‚elzariyah hat bestimmt ein krankenhaus und ist nicht weit weg. Aber woher haben die menschen hier dann das geld für die behandlung? zumal sie auf ihren mageren böden nichts anbauen können, was sie dann verkaufen könnten und auch wasser, das aus tanks kommt, welche auf lastwagen vorbeikommen, teuer bezahlen müssen.

das weggehen fällt schwer und ich bin doch erleichtert. weil ich mich schäme, aus einem so wohlsituierten land zu kommen und einen hoffnungslosen vater zurücklassen muß. der mit leckerem tee gefüllte bauch macht es nicht besser.

Eine Beduinin. – Was für ein romantischer Anblick.

Ankunft in Hebron

So 17.12.17

Morgens fahren wir nach Hebron. Kurz vor der Stadt biegen wir von der Siedlerstraße ab, um über den unter palästinensischer Autonomie stehenden Teil Hebrons in die Stadt reinzufahren. Am Stadtrand hat die israelische Armee einen provisorischen Checkpoint eingerichtet. Jedes Auto wird kontrolliert, mit Paßkontrolle und Blick in den Kofferraum. Kurz bevor wir dran sind, wird ein vielleicht fünfundzwanzigjähriger Palästinenser aus seinem Auto geholt und hinter das neben der Straße stehende gepanzerte Fahrzeug geführt. So ist er aus dem allgemeinen Blickfeld. Nur wir können ihn sehen, weil wir halb von der Straße runter sind, um das mittig auf der Straße liegende Nagelbrett zu umfahren. Obwohl Palästinenser absolut kooperativ ist, tritt ihm der Soldat bei der Leibesvisitation völlig unnötig in die Kniekehlen und verdreht ihm beim Abtasten einmal den rechten und einmal den linken Arm im Polizeigriff auf den Rücken. Anschließend führt er ihn zurück zum Auto und er darf weiterfahren. – Wie oft muß er das wohl über sich ergehen lassen? Wieviel ohnmächtige Wut züchten die Soldaten sich da heran? – Wir werden nur gefragt, woher wir kommen. Und werden dann durchgewunken, ohne auch nur unsere Pässe vorzuzeigen.

Im Stadtzentrum von Hebron stellen wir unser Auto gleich oberhalb der Altstadt ab, nur etwa hundert Meter von den israelischen Siedlungen, die in Hebron mitten in der Stadt liegen, entfernt. Wir machen uns auf in Richtung „sterile Zone“.

Hebron ist in zwei Sektoren unterteilt: H1 umfaßt 80% des Stadtgebiets mit 150.000 Einwohnern und steht unter palästinensischer Autonomie. H2 umfaßt 20% unter israelischer Hoheit. In H2 leben rund 500 israelische Siedler, die von etwa 4.000 Soldaten bewacht werden, unter 40.000 Palästinensern. Zum Schutz der Siedler wurde um die Siedlungen und das Patriarchengrab, das den Muslimen als Ibrahim-Moschee und den Juden als Abraham-Synagoge heilig ist, herum eine „sterile Zone“ geschaffen. (Ich finde den Ausdruck „sterile Zone“ passend, weiß aber nicht, wie sie richtig heißt.)

Vermauerte Altstadtgasse, auf der anderen Seite liegt die sterile Zone.
Blick aus einer Altstadtgasse hoch zu der darüber liegenden Siedlung. Die Händler haben ein Fangnetz aus Maschendraht über die Straße gespannt, da die Siedler Müll und Steine hinabwerfen.
Der Checkpoint von der Altstadt zur sterilen Zone. Zwei hintereinander liegende Drehtüren, die Ein- und Ausgang eines Käfigs bilden und von einem Soldaten hinter Panzerglas bedient werden. Im Käfig ein Metalldetektor.
Aber auch innerhalb der „sterilen Zone“ werden wir mehrfach kontrolliert. Siedler und als solche erkennbare Juden werden nicht kontrolliert.
Die Shuhada Street. Man muß sich vergegenwärtigen, wie stark der Markt im Zentrum einer arabischen Großstadt normalerweise belebt ist, um zu begreifen, wie unheimlich diese Athmosphäre ist.
Ein Stückchen weiter die Shuhada Street rauf. Die Geschäfte unten sind seit 2000 geschlossen, aber oben drüber wohnen noch Palästinenser. Freunde aus anderen Teilen der Stadt dürfen sie nicht besuchen. Und da die Straße auf diesem Abschnitt nur von Israelis und ausländischen Touristen betreten werden darf, haben sie ihre Häuser seit Jahren nicht mehr von vorne gesehen.
Die Tafel, die auf dem letzten Bild an einem der Häuser zu sehen ist, in Großaufnahme.

Die Tafel auf dem obigen Photo offenbart eine, milde gesagt, interessante Sicht der Dinge. Mal abgesehen davon, dass ich dem Verfasser in Prozentrechnung und Straßenzählen eine „6“ geben würde, werden ganz entscheidende Ereignisse und Fakten ignoriert. Insbesondere das Massaker in der Ibrahim Mosche. Im Jahr 1994 betrat Baruch Goldstein, ein in Hebron lebender Siedler, während des Ramadans in Militäruniform die Ibrahim Moschee und eröffnete mit einem Maschienengewehr das Feuer auf die Betenden. Er töte 29 Menschen und verletzte fast 200. Bei den darauf folgenden Protesten erschoß die israelische Armee in der Nähe des Krankenhauses in Hebron 12 weiter Palästinenser. Und die Palästinenser, die das Massaker in der Moschee überlebten, wurden von der Witwe Goldsteins wegen der Tötung ihres Mannes verklagt. Das Ehrengrab Baruch Goldsteins liegt in der Hebroner Siedlung Kiryat Arba und ist heute ein Pilgerort für nationalreligiöse Siedler. Wenn ich es richtig erinnere, wurde die sterile Zone zu einem Gutteil aus Angst vor Vergeltungsaktionen für dieses Massaker geschaffen. Und die Shuada Street und ihre Nebenstraßen waren vorher auch ein „large, thriving commercial and shopping center“.

„Spaß mit Flaggen“: Eine der Nebenstraßen der Shuhada Street.

Bei einem Kontrollposten auf der Shuhada Street geht links eine Treppe hoch. Oben sehen wir einen offiziellen Beobachter von EAPPI stehen, den wir an seiner Dienstweste erkennen. EAPPI ist eine internationale kirchlich-ökumenische Organisation, die im Westjordanland an Checkpoints, auf Demonstrationen und so weiter beobachtet und dokumentiert. In Deutschland wird sie unter anderem von Pax Christi getragen. Wir gehen (nach Ausweiskontrolle) hoch und unterstützen ihn. Es braucht für die offizielle Meldung eines Zwischenfalles an die Uno immer zwei Zeugen.

Checkpoint und Treppe von oben gesehen. Den Straßenabschnitt links des Checkpoints dürfen berechtigte Palästinenser betreten, der Abschnitt rechts des Checkpoints ist für Palästinenser komplett verboten. Berechtigt sind unseres Wissens die Bewohner dieses Teils der sterilen Zone, die Grundschulkinder, deren Schulweg hier entlang führt und ihre Lehrerinnen.
Die Tür am oberen Ende der Treppe ist mit einem Seil mit einem beweglichen Absperrgitter am Armeeposten verbunden. Durch ziehen an dem Absperrgitter, wird das Seil auf Spannung gebracht, so dass die Tür nicht geöffnet werden kann.
Für kurze Zeit hält ein Kleintransporter mit Boxen auf dem Dach und lauter Musik am Checkpoint und die Soldaten tanzen ausgelassen mit den Siedlern.
Als palästinensische Schulkinder den Checkpoint passieren und die Treppe hinaufgehen, machen sich Siedlerkinder einen Spaß daraus, ihnen durch Ziehen am Absperrgitter die Tür vor der Nase zuzuschlagen und sie warten zu lassen.
Der Vater einiger der Kinder bestärkt sie in ihrem Tun. Und die Soldaten lassen sie gewähren.

M…, der EAPPI Beobachter, erzählt uns, dass dies häufig vorkommt. Und wenn es nur die Aktion der Siedlerkinder und die Tatenlosigkeit der Soldaten wäre, wäre es offiziell kein Vorfall. In diesem Fall wird es aber durch das bestärkende Eingreifen des Vaters, also eines erwachsenen Siedlers, zu einem Vorfall. Er schreibt einen kurzen Vorfallbericht, den wir bezeugen und der mit M…’s Dokumentationsphotos an die UN geschickt wird. Dort wird er zusammen mit den vielen anderen Berichten vermutlich wenig bewirken.

Da es nach dem Vorfall nicht ratsam für uns drei ist, mit unseren Kameras durch diesen Checkpoint zurückzugehen, gehen wir zusammen mit M… einen Umweg, und er zeigt und erklärt nebenbei das eine oder andere.

dieser umweg ist ein unebener weg, teilweise mit stufen versehen, aber eigentlich nur ein pfad zwischen den häusern hindurch und über alte gartenterrassen hinweg. steil und voller steine. eine metallstiege ist an einer mauer angebracht, über die wir auf die nächste terrasse hoch müssen.

dies ist der schul- und kindergartenweg der kinder. sie müssen diesen schleich- und umweg machen, weil sie als palästinenser nicht auf der straße gehen dürfen. die ist nur für sie siedler.

Bina und M… mit seiner EAPPI-Weste vor bis zu 2.000 Jahre alten Olivenbäumen. Bäume und Land gehören Palästinensern. Aber sie müssen dulden, dass die Siedler ihren Weg abkürzen, indem sie durch den Olivenhain und über den alten muslimischen Friedhof gehen.
Pause auf der Terrasse von „Youth against Settlement“, einer zwischen Siedlerhäusern gelegenen Oase. Über der linken Schulter, die Abraham-Synagoge/Ibrahim-Mosche, die sich über dem Patriarchengrab erhebt.
Unten auf der Shuhada Street, an der Ecke des umstrittenen Patriarchengrabes. Blick aus einem der sehr wenigen Läden, die hier öffnen dürfen. Da aber die wenigen Palästinenser, die die sterile Zone betreten dürfen, nur die Straße geradeaus zu und den Straßenabschnitt links des Checkpoints betreten dürfen, und Siedler prinzipiell nicht bei Palästinensern kaufen, hat er nur Touristen als Kundschaft.
Am Checkpoint müssen einige junge männliche Palästinenser ihre Taschen leeren, und T-Shirt und Hosenbeine hochheben, um zu zeigen, dass sie nichts schmuggeln. Fünfzig Meter weiter oben, also in Sichtweite, sind sie durch den gleichen Checkpoint mit Metalldetektor gegangen, durch den wir die sterile Zone auch betreten haben. – Man beachte die Pose des kontrollierenden Soldatens.
Außerhalb der sterilen Zone, stoßen wir in der Altstadt auf diese Patroille. – Nein, die Soldaten werden dem Mädchen nicht Platz machen.
Dann in der A-Zone, dem palästinensisch kontrollierten Teil Hebrons, endlich das pralle Leben einer arabischen Innenstadt.

Wir schlendern bummelnd einen großen Bogen durch die belebten Einkaufsstraßen, bis wir wieder auf die sterile Zone treffen. Von dem was wir dort erlebt haben, haben wir den folgenden Vorfallbericht geschrieben, der über EAPPI an die UN gegangen ist.

„Am Sonntag, dem 18.12.2017, um 15.26 Uhr kamen wir […] von „palästinensischer Seite“ zum Checkpoint 56. An der Betonbarriere davor stand ein palästinensischer Krankenwagen und am Gitter des Checkpoints stand ein dazugehöriger Sanitäter. Er erkärte uns auf Nachfrage, dass eine palästinensische Person innerhalb der „israelischen Zone“ kollabiert sei. Wir warteten mit ihm zusammen zehn Minuten, von 15.26 Uhr bis 15.36 Uhr. Dann bekam er die Erlaubnis, seine rollbare Trage aus dem Krankenwagen zu holen um den Patienten abzuholen. Als er den Patienten, eine ältere palästinensische Frau, erreichte, hatten andere Personen sie bis auf etwa 20 Meter an den Checkpoint heran getragen oder geführt. Dort saß sie auf einem Monostuhl aus Plastik und wurde von dort aus auf die Bahre umgesetzt. So wurde sie dann durch den Checkpoint und zum Krankenwagen gefahren.“ – Es folgen unsere genauen Personalien und Kontaktdaten.

So haben wir den Sanitäter vorgefunden.
Zehn Minuten später darf er die Trage holen. Blick von der Betonbarriere, an der der Krankenwagen steht, zum Checkpoint.
Die Patientin wird durch den Checkpoint geschoben.

Die UN hat mehr Photos von uns bekommen.

Sightseeing in Hebron

Mo. 18.12.17

Morgens früh ab 7 Uhr begleiten wir den Hinweg der Schulkinder in Absprache mit EAPPI am Checkpoint 56 (wo gestern der Vorfall mit der Ambulanz war), und ab 10 Uhr ihren Rückweg am Checkpoint 55 (der mit der Treppe, wo gestern der Vorfall mit den Siedlerkindern und ihrem Vater war). Daß so früh Schulschluß ist liegt daran, dass in Palästina gerade Prüfungszeit ist, so dass die Schüler nur zum Schreiben der Prüfungen kommen und dann wieder nach Hause gehen.

Es ist alles ruhig. Keine Vorfälle. Es bleibt uns lediglich, die durch die Checkpoints gehenden Kinder zu zählen. Denn die israelische Armee hat einen neuen Checkpoint mit Käfig und Metalldetektor eingerichtet, so dass ein Teil der Grundschulkinder jetzt auf sowohl auf dem Hin- als auch auf dem Rückweg durch jeweils zwei solcher Käfig-Metalldetektor-Checkpoints muß. Inklusive im Käfig den Ausweis den hinter Panzerglas sitzenden Soldaten vorzeigen. Und die UN hat EAPPI gebeten zu zählen, wie viele Kinder davon betroffen sind.

Da es ruhig bleibt, haben wir Zeit und Muße, uns in Ruhe umzusehen, wobei uns auffällt, wie schön viele der Häuser eigentlich sind, oder mal waren.

Leerstehendes Haus. Man beachte die Fensterbögen, die Ornamente der Gitter, die Lampe…
Grundschülerinnen auf dem Nachhauseweg, vom Checkpoint 55 aus gesehen. Einige wohnen in dieser Straße oder der nächsten Seitenstraße, der Rest muß noch durch Checkpoint 56.
Zwischendrin kommen zwei Siedler aus dem Haus, bewirten die Soldaten am Checkpoint mit Cola und Erdnußflips und quatschen mit ihnen.
Handschlag. Ein trügerisches Bild…

Ein älterer Palästinenser, der mit seiner Familie die Treppe runterkommt, unterhält sich am Checkpoint mit einem der Chefs der Siedler. Zum Abschied geben sie sich die Hand. Doch das Bild trügt. Als wir den älteren Palästinenser am Abend wiedertreffen, wie er vor seinem Haus sitzt, bekommen wir die Verbitterung, die Frustration und den Druck mit, der auf ihm lastet. Bezeichnend ist seine Aussage, „Nelson Mandela kam nach 27 Jahren aus dem Gefängnis frei und hat die Apartheid überwunden. Ich lebe nach 50 Jahren immer noch unter Apartheid in diesem Käfig, der immer enger wird.“ Der Mann ist der Willkür der Siedler und Soldaten jeden Tag ausgesetzt. Da stellt er sich besser gut mit den Besatzern. – Ein Handschlag ist hier nicht das Gleiche, wie bei uns.

Als die Schulkinder und ihre Lehrerinnen durch sind, gibt uns eine internationale Beobachterin, die schon länger da ist und sich gut auskennt, eine Tour durch die sterile Zone, von der ich hier zwei „Sehenswürdigkeiten“ wiedergeben will.

Das zum Teil besetzte Haus.

Die obere und untere Etage dieses palästinensischen Hauses haben Siedler illegal besetzt. In der mittleren Etage wohnen noch Palästinenser. Zwar hat inzwischen ein israelisches Gericht eine Räumungsverfügung für die Siedler ausgesprochen, doch diese weigern sich auszuziehen, wenn sie kein anderes Haus als „Entschädigung“ bekommen. Die israelische Armee hat einen Checkpoint eingerichtet, und kontrolliert den Zugang zum Haus. Siedler dürfen ohne Kontrolle hinein, die dort noch wohnende Familie und Menschen mit Sondergenehmigung der Armee  (keine Ahnung, wer das ist) mit Kontrolle.

Das untere Ende der sogenannten „Apartheidroad“.
Das obere Ende der sogenannten „Apartheidroad“.

Palästinenser dürfen diese kurze Asphaltstraße nicht betreten, sondern müssen hinter dem Zaun auf dem Seitenstreifen gehen. Nach kaum 200m treffen sie dann am anderen Ende der Straße wieder mit den privilegierten Asphaltgehern zusammen. Ob das einen über Demütigung hinausgehenden Sinn hat, bleibt uns verborgen.

Die Straße wird bei den Internationalen hier allgemein „Apartheidsstraße“ genannt, egal über welche Organisation sie hier sind, kirchlich oder säkular, NGO oder UN. Aber offiziell gegenüber Delegationen, der Presse und so dürfen die kirchlichen und UN Leute das Wort verwenden.

Mal wieder ein Checkpoint. Keine Ahnung, durch wieviele Checkpoints wir heute gegangen sind.

Ein Gruß von Zuhause:

Unserem Kater Jack und Haus- und Katzensitterin S… verstehen sich offensichtlich gut. Hoffentlich will Jack überhaupt noch was von uns wissen, wenn wir wieder nach Hause kommen.

Wahnsinn Hebron

Di-Mi 19-20.12.17

Sigmar Gabriel zu Hebron:

Im März 2012 schrieb der damalige SPD-Vorsitzende und heutige Bundesaußenminister, unter dem unmittelbaren Eindruck seines Besuchs in Hebron noch im Auto auf seinem Facebook-Konto:

„Ich war gerade in Hebron. Das ist für Palästinenser ein rechtsfreier Raum. Das ist ein Apartheid-Regime, für das es keinerlei Rechtfertigung gibt.“

Als in Deutschland die vorhersehbare Welle der Empörung einsetzte, ergänzte Gabriel:

„Mir ist klar, dass dies eine sehr drastische Formulierung ist. Aber genau so erleben die Palästinenser in Hebron ihre Situation.“

Willkür an Checkpoints

Wie die Kontrollen in den Gitterkäfig-Metalldetektor-Checkpoints an den Zugängen zur sterilen Zone durchgeführt werden, scheint weitgehend den diensthabenden Soldaten überlassen zu sein. Man ist da ihrer Willkür ausgesetzt. Bei uns reichte das bisher von einfach Durchwinken bis zu ein paar Minuten warten lassen, Pässe und Visa kontollieren und harsche Worte. Bei Palästinensern geht es aber auch gerne bis länger warten lassen, Taschen ausleeren, alles ablegen, bis der scharf eingestellte Metalldetektor nicht mehr piepst, Hemd hochheben und Hose runterziehen. – Und viele müssen seit vielen Jahren mehrmals pro Tag durch solche Checkpoints.

Die Besatzung dieses Checkpoints (Nr. 29) legte Mittwoch früh großen Wert darauf, dass wir nicht photographieren und Abstand halten. Vermutlich fühlten Sie sich bei ihrer kleinen sadistischen Privatpartie gestört. Denn seitlich konnten wir in den Käfig hineinsehen, wie sie das oben beschriebene formvollendet ausführten.

Das Ganze wird natürlich mit „Sicherheit“ begründet. Das ist aber nicht nur unlogisch, weil jeder Checkpoint von jeder Schicht anders gehandhabt wird. Es ist sogar absolut schwachsinnig, weil es bekannte Wege vom lebenden palästinensischen Teil Hebrons in die sterile Zone gibt, die allen bekannt sind. Von der absolut toten Shuhada Street sind es kaum 500m über den muslimischen Friedhof. Ganz normal den Weg lang, man muß über kein Mäuerchen steigen, trifft keinen Armeeposten und nichts. Allerdings liegt der Stadteil, in den man dann kommt, auf der Rückseite der Geisterstadt und man muß einen großen Umweg fahren, um ins Stadtzendrum Hebrons zu kommen. – Jeder hier kennt den Weg über den Friedhof, auch die Soldaten, wie mir ein Ex-Soldat von Breaking the Silence bestätigte.

Eigentlich könnten die Soldaten an Checkpoint 56 auch sagen: „Wenn Sie ein Terrorist sind, bitten wir sie, sich ein Taxi zu nehmen, außen rum zu fahren und dann 500 Meter zu Fuß zu gehen. Einmal die Shuhada überqueren und Sie kommen, ohne auf Checkpoints oder Soldaten zu treffen, direkt zur Siedlung Beit Hadassa, wo die Tür eigentlich immer offen steht.“ – „Wenn Sie aber nur täglich zum Einkaufen, zur Arbeit oder zur Schule müssen ist der Umweg natürlich zu lang. Dann müssen sie leider durch diesen Checkpoint – mit allen Schikanen.“

Wertvolle oder verbotene Sachen wie Computer oder Küchenmesser werden natürlich über den Friedhof reingebracht. Sogar einen ganzen Kindergarten mit Spielplatz haben sie so nachts „reingeschmuggelt“.

Am Dienstag ist die Ibrahim Moschee für Nichtjuden geschlossen, weil der letzte Tag von Chanukkah ist. Dadurch ist der Checkpoint rechts arbeitslos. Als Arbeitsbeschaffungsmaßnahme müssen alle (auch wir), die durch den links zu sehenden Checkpoint aus der Kasbah kommen, auch durch den rechten Checkpoint, der normalerweise zur Ibrahim Moschee (dem muslimischen Teil des Patriarchengrabes) führt. In beiden passiert das Geiche: Der Metalldetektor piepst unbeachtet und ein gelangweilter Soldat verlangt den Pass, sieht aber gar nicht richtig hin.
Unsere Falträder sind so klein, dass sie sogar durch die Drehtüren der Checkpoints passen.

Kleine Beobachtungen in der sterilen Zone

Krankenwagen nur für Juden (und Christen?)!

Wir hatten berichtet, wie wir mit dem palästinensischen Sanitäter 10 Minuten am Checkpoint warteten, bevor er mit der Trage seine Patientin abholen durfte. In der Mitte des abgesperrten Teils der Shuhada Street steht immer ein Krankenwagen bereit. Eine Spende aus den USA und natürlich nur für Juden. Und vermutlich auch für ausländische christliche Touristen.

Siedlungsblock innerhalb einer Kaserne.

Dies ist, so wird uns berichtet, die typische Art wie neue Siedlungen entstehen. Ein militärisches Sperrgebiet wird erklärt, die Palästinenser „evakuiert“ (nein, „vertrieben“ darf man nicht sagen), eine Kaserne gebaut, innerhalb der Kaserne entsteht eine Siedlung (an der Armee und Regierung unschuldig sind), die Kaserne wird aufgelöst und die leerstehenden Gebäude von den Siedlern übernommen. Am Ende hat man eine neue Siedlung und einen Armeeposten zu ihrem Schutz.

Chanukkah-Leuchter auf dem Dach der Ibrahim-Moschee.

Dies ist der aktuelle kleine Schritt des Versuchs die Ibrahim-Moschee zur Abraham-Synagoge umzuwandeln und die arabische Altstadt Hebrons in eine jüdische Siedlung. Jeder Schritt groß genug, um Tatsachen zu schaffen und klein genug, um keine internationale Intervention zu verursachen. Bis zum Massaker in der Mosche im Jahr 1994 war das ganze Gebäude eine Moschee, in der halt auch Juden und Christen beteten. Nachdem der Siedler Baruch Goldstein in der Moschee 29 Muslime beim Ramadangebet erschoß, wurde sie aus Angst vor Racheakten zunächst für Muslime geschlossen und stand nur Juden offen. Später wurde sie geteilt. Heute ist die Hälfte des großen Gebetsraums über den Gräbern von Abraham und Sarah eine Synagoge INNERHALB(!) der Ibrahim-Moschee. Das äußere des Gebäudes ist bisher noch eine Moschee mit Minarett und allem. Das Gebäude sieht zwar für eine Moschee recht ungewöhnlich aus, das liegt aber daran, dass es von den Kreuzrittern als Kirche erbaut wurde.

Nun steht zum ersten Mal ein Chanukkahleuchter als deutliches Zeichen auf dem Moscheedach. Wir sind gespannt, ob er nach dem Fest wieder abgebaut wird.

Steinewerfende Kinder im „gesetzlosen Gebiet“

Dienstagfrüh stehen wir in Absprache mit EAPPI an Checkpoint 209, um die Schulkinder zu begleiten. Auf der anderen Seite des Checkpoints liegt ein von den Internationalen hier als „lawless are“, also „gesetzloses Gebiet“ bezeichnetes Viertel. Es liegt im Rücken der sterilen Zone in „H2“, also dem vollständig unter israelische Kontrolle stehenden Teil Hebrons. Die palästinensische Autonomiebehörde darf hier nicht tätig werden. Und die israelische Armee und Verwaltung hat kein Interesse an diesem Gebiet, da es ja gut von der sterilen Zone abgeriegelt ist. Es gibt also keine Polizei und die „öffentlichen Dienstleistungen“ sind weit von dem entfernt, was man in Europa darunter versteht.

Hier wohnt, wer sich nichts Besseres leisten kann. Viele kaputte Familien mit nur einem Elternteil und ohne funktionierender Großfamilie. Und die Großfamilien sind in Palästina das soziale Netz.

Wir stehen auf der sterilen Seite des Checkpoints. Plötzlich schmeißen zwei etwa 8-jährige Jungen von der anderen Seite aus Steine auf das gut gesicherten Checkpoint. Wir wechseln durch die Drehtür (raus ist einfacher als rein) schnell auf die gesetzlose Seite. Da hat ein älterer Mann die Jungen schon entwaffnet. Wir postieren uns an der Betonbarriere einen wortwörtlichen Steinwurf vor dem Checkpoint entfernt. Die Kinder trauen sich nicht richtig an uns ran und sind somit außer Wurfweite ihres Ziels. Zwischendurch sammeln sich etwa 20 Jungen im Grundschulalter etwa 100m vor uns (also 150m vom Checkpoint entfernt). Da sie uns ja schlecht mit Steinen belegen können, trotten sie irgendwann ab. Wir hoffen zum Unterricht.

HIER WÄREN DIE PHOTOS!

Wir haben uns entschieden, die Bilder, die wir von dieser Situation gemacht haben, nicht hochzuladen.

Die israelische Armee darf Kinder ab 12 Jahren festnehmen und bis zu 6 Monate ohne Anklage in Administrativhaft stecken. Es ist bekannt und belegt, dass sie auch 8-jährige festnehmen. Und eine deutschsprachige Beobachterin von EAPPI hat uns erzählt, dass ein Junge in einem Therapiemalkurs von aus israelischer Haft entlassenen Kindern in Hebron gemalt hat, wie ihm im Knast von den Soldaten die Genitalien verbrannt werden. EAPPI-Schweiz mußte das gemalte Bild und die Aussage des Jungen gerade von der Hompage nehmen. Der israelische Botschafter in der Schweiz hat interveniert. Und das Therapiebild und die Aussage des Jungen sind, ohne unabhängige Zeugen kein ausreichender Beweis.

Ja, Steinewerfen ist scheiße und extrem dumm. Solchen Kindern muß man vielleicht die Löffel langziehen, vor allem aber eine Perspektive für ein Leben in Würde geben. Keinesfalls jedoch sowas.

DEMO vom Stadtzentrum zur sterilen Zone

Die Demo sammelt sich an einem „Park“ der kaum mehr als eine Verkehrsinsel mit Bänken und ein paar Bäumen ist.
Wie die drei Alten in Asterix auf Korsika.
Dann geht es die Hauptsraße runter zur etwa 1 km sterilen Zone.
Ab der Hälfte der Strecke machen die meisten Läden erstaunlich routiniert dicht.

Etwa ein halbes Dutzend bis ein Dutzend vermummte Jugendliche schmeißt Steine auf den Checkpoint. Und alles erwartet, dass jetzt die Soldaten rauskommen. Tun sie aber nicht.

Die Soldaten halten die Jugendlichen vom den Dächern oberhalb des Checkpoints aus auf Abstand.
Dieser Herr kommt nicht zum Schuß. Zum Glück bleibt es bei Schockgranaten (quasi extralauten Böllern).
Hinten geradeaus zu kann man im Zoom einen Soldaten auf dem Dach sehen. Dort geht es links zum Checkpoint rein. Die Läden im unmittelbaren Schußfeld haben geschlossen. Aber (im Wortsinne) um die Ecke herrscht ganz normales Markttreiben. Auch Taxis und Autos fahren einfach durch. Die beiden angezündeten Reifen sind zum Bedauern der Pressephotographen sofort wieder ausgegangen. Man kann sie hinten noch liegen sehen.

Der sechssprachige Ahbed

Ahbed mit ..? – Mist, ich habe ihren Namen vergessen!

Auf dem Rückweg spricht uns ein älterer Mann an, woher wir kommen. Oh, er habe vor 40 Jahren (oder so) auch Mal in Hamburg gelebt. Er drängt uns, uns in seinen kleinen Laden zu setzen. Wir denken schon: „Mist! Reingefallen! Was will er uns verkaufen?“ Aber er freut sich einfach nur, jemanden zu treffen, mit dem er Deutsch sprechen kann, damit es nicht einrostet. Er betreibt ein kleines Büro für Übersetzungen und Ämterbriefe. Und er spricht mindestens sechs Sprachen: Arabisch, Hebräisch, Englisch, Deutsch, Russisch und Französisch. Wobei er nur die ersten fünf fließend spricht. Französich lernte er gerade. Wir singen mit ihm gemeinsam „Kommt ein Vöglein geflogen“ und versprechen ihm, unsere ausgelesenen deutschen Bücher vorbeizubringen.

Schlecht erzogene Kinder erzwingen Stellplatzwechsel

bulli steht seit unserer ankunft oberhalb der kasbah in der altstadt auf einem halböffentlichen parkplatz zwischen gassen und häusern. neugierige kinder aus der nachbarschaft kommen immer mal wieder, denen klar gemacht werden muß, daß sie bulli angucken dürfen, aber nicht anfassen. die eltern machen ihnen das auch handgreiflich klar, denn dienstag morgens kommt einer der jungs, gibt artig die hand und fragt, ob wir gut geschlafen hätten, nachdem wir abends bei den eltern waren, weil wir keine ruhe fanden.

michel kauft ihnen im laden chips zur belohnung.

aber dann kommen andere kinder aus der kasbah und stören unsere ruhe. zwei versuchen, unseren außenspiegel abzubrechen und es wird mit sand auf bulli geworfen. da ist schluß. michel rennt einem kind in das gassengewirr hinterher, geht zum vater, der nur sagt, daß seien halt kinder. wir packen unsere sachen. bei aller liebe, aber wenns an bulli geht, ist feierabend.

während wir uns startklar machen, kommt ein größerer junge mit seinem heulenden kleinen bruder (dem kind, hinter dem michel hergerannt ist) am nacken zu uns damit der kleine uns um entschuldigung bittet. wahrscheinlich hat der von seinem vater so richtig ärger bekommen.

als wir abfahren schauen uns unsere nachbarn betreten hinterher. sie tun mir leid, hatten sie sich doch solche mühe gegeben, daß wir uns heimisch fühlen und dann kommen anderen und machen alles kaputt. wir wollen dort noch mal hin und ihnen sagen, daß es nicht an ihnen lag.

am stadion finden wir einen neuen stellplatz. es ist laut, nebenan werden große laster umgeladen, aber was solls. wir schlummeln schon, kommt die palästinensische polizei und will wissen, wer wir sind. hier können wir nicht bleiben, hier sei es nicht sicher, aber sie werden uns zu einem platz bringen, wo wir gut stehen können. es ist das gleiche, wie damals in antiochia. man ist einfach nur besorgt um unsere sicherheit. wir landen auf einem großen platz einer sporthalle oberhalb von hebron. direkt gegenüber vom polizeirevier.

der manager der sporthalle stellt sich gleich vor und lädt uns zu sich ein, kinder oder jugendliche kommen auch mal. und als gestern das fitnesscenter der halle geöffnet hat, fragen wir nach einer dusche und haben herrliches wames wasser ohne ende. dazu noch einen netten angestellten, der sich sofort in bulli ein wenig verliebt und verspricht, gut auf ihn aufzupassen, wenn wir in der stadt sind.

wir fahren jetzt mit bromptis und erregen noch mehr aufsehen. fahrräder sind nicht häufig in hebron und dann auch noch so komische, wie die unseren.

Sterile Zone oder Geisterstadt?

Do 21.12.

Wie wir jetzt gelernt haben, ist der Begriff „sterile Zone“ oder „sterile Straße“ ein Begriff der Israelischen Armee für Gebiete oder Straßen, die von Palästinensern absolut nicht betreten werden dürfen. Keine Ahnung, wo und wie wir diesen Begriff aufgeschnappt haben. Die Palästinenser, also zumindest die Aktivisten, sprechen von der „Geisterstadt Hebrons“.

Schulweg in der Geisterstadt:

Bitte stellt euch mal vor, ihr selbst oder eure Kinder hätten einen solchen Weg zur Grundschule:

Der Weg von über 60 Grundschulkindern (wir haben gezählt) führt zunächst durch Checkpoint 56 mit zwei Drehtüren, die Ein- und Ausgang eines Gitterkäfigs mit Metalldetektor bilden.

Zwei hinter Panzerglas sitzende Soldaten haben den Auftrag die Pässe zu kontrollieren und geben den Käfigausgang erst frei, wenn sie zufrieden sind. Hinter dem Checkpoint stehen Beobachter von EAPPI (kirchlich) und TIPH (UN), dürfen aber nicht eingreifen, wenn Soldaten oder Siedler euch bedrängen, sondern nur melden. Was sie – wie sie uns erzählen – regelmäßig tun, ohne dass es Konsequenzen hätte.

Der Weg führt dann die leere Shuhada Street runter, auf der nur Siedler, Armee und der Schulbus der Siedlerkinder fahren darf.
Hinter vielen der Türen stehen schöne Wohnungen leer, in denen früher einmal Familien gut gelebt haben.

Etwa die Hälfte der Wohnungen und Häuser in der Geisterstadt sind inzwischen verlassen. Weil die Bewohner die Checkpoints, die Demütigungen der Soldaten, die Übergriffe der Siedler und so weiter einfach nicht mehr ertragen haben.

Nach etwa 250m ist das Betreten der Shuhada Street allen Palästinensern komplett verboten. Die Kinder müssen an Checkpoint 55 mit zwei Soldaten, eine Treppe hoch. Die Gittertür wird von den Soldaten über einen Seilzug von unten freigegeben.

Hier haben wir vor ein paar Tagen photograpiert (und hier eingestellt), wie Siedlerkinder sich einen Spaß daraus machten, den palästinensischen Schülerinnen die Tür am oberen Ende der Treppe mittels des Seilzugs vor der Nase zuzuschlagen. Aber die Beobachter von EAPPI und TIPH haben uns erzählt, dass das noch harmlos war. Sie schmeißen auch Steine nach den palästinensischen Kindern oder schlagen sie. Die Soldaten haben den ausdrücklichen Befehl NUR(!) die Siedler zu schützen und nicht die Palästinenser. Sie dürfen die Siedler auch nicht anrühren, da für diese Zivilrecht gilt. Nur die Polizei dürfte sie anrühren, aber die müßte erst aus Jerusalem herkommen. Für die Palästinenser hingegen gilt Militärrecht.

Im konkreten Beispiel heißt das: Zwei Kinder bewerfen sich mit Steinen, ein Palästinenser und ein Siedler, beide 12 Jahre alt. Der Palästinenser wird sofort von der Armee festgenommen. Er steht unter Militärrecht und kommt vermutlich in Administrativhaft. Bis zu 6 Monate ohne Anklage, Telephonanruf, Anwalt oder Außenkontakt. Dem Siedlerkind passiert vermutlich nichts. Für die Armee ist er unantastbar. Falls er von unabhängiger Seite gefilmt wird und sich die Polizei aus Jerusalem tatsächlich die Mühe macht, herzukommen, so gilt für ihn israelisches Zivilrecht. Er ist noch minderjährig und sein Vater wird ermahnt. Dass der Vater ihn dann bestraft, halte ich für eher unwahrscheinlich. Eher kauft er ihm zur Belohnung ein Eis.

Die letzten etwa 200m müssten die Schulkinder einen Pfad oberhalb der ihnen verbotenen Shuhada St. benutzen. Auf der anderen Straßenseite der Siedlungsblock Beit Hadassa.
Der Spielplatz der Schule vom darüberliegenden Armeeposten aus gesehen. Die Schule ist das Gebäude links oberhalb des blauen Dachs der Rutsche.

Siedler und Soldaten

Offensichtilich ist unsere Schonzeit, in der die Siedler uns als Touristen wahrgenommen haben, vorbei. Wir werden mehrfach demonstrativ gefilmt. Und auf dem vollkommen sterilen Teil der Shuhada Street geht uns ein älterer Siedler an. Später erfahren wir, dass er einschlägig bekannt ist.

Zunächst geht er Michel an.

Er reißt mir meine rote Kefiye (das Palituch) ab. Droht mir mit der Faust. Ich sei ein Terrorist. Er würde mich umbringen. Woher ich käme. – Als ich „Aus Deutschland!“ antworte, ändert er seine Argumentation. Erst: Er würde mich umbringen. Nun: Wir (die Deutschen) wollten sie umbringen.

Die beiden Soldaten vom nächsten Checkpoint gehen dazwischen.

Wir sind später nochmal hingegangen, um den Beiden zu danken. Sie haben nämlich, wenn ich es richtig verstanden habe, mehrere Befehle missachtet. Erstens haben sie einen Propalästinenser vor einem Siedler geschützt und nicht umgekehrt. Zweitens haben sie mir den Rücken zugekehrt, ohne irgendwie gedeckt zu sein. Das ist ihnen streng verboten. Ich könnte ja sonst was tun.

Anschließend geht er auf bina los und versucht, die Kamera zu kriegen.

Hier hat sich ausgezahlt, dass wir mit den Soldaten reden. (Also mit denen, die ansprechbar sind.) Dass wir ihnen klar machen, dass wir den Menschen sehen und nicht nur das Gewehr. Daraus haben sich einige gute Gespräche entwickelt. Diese beiden Soldaten gehörten zum Glück zu denen, mit denen wir schon Mal länger geredet hatten und mit denen wir uns freundlich grüßen.

Das ändert an der perfiden Ungerechtigkeit der Gesamtsituation leider wenig. Auch wenn einzelne Soldaten sich ihre Menschlichkeit bewahren. Es bleibt für die hier lebenden Palästinenser (und für uns) ein Glücksspiel, an wen sie geraten. Andere Soldaten sind viel schärfer drauf. Dass das Regime, welches die israelische Armee hier führt, dazu da ist, die Palästinenser zu schikanieren, wird durch einige Soldaten, die sich ihre Menschlichkeit bewahren, leider nur abgemildert, aber nicht aufgehoben.

Ein Mensch in Uniform bleibt manchmal immer noch ein Mensch!

Die Bildunterschrift ist eine Abwandlung des beliebten Känguruh-Zitates: „Ein Idiot in Uniform ist immer noch ein Idiot!“

Diesem Soldaten ist es offensichtlich eine Freude, etwas Gutes für sein Gewissen und den alten Mann zu tun, indem er ihm seinen Einkauf hochträgt. (Den Rest des Weges haben wir die Tüten dann getragen.) Trotzdem bleibt die Grundsituation, dass es ohne die Siedler und die Armee einen Laden direkt um die Ecke des Hauses des alten Mannes gäbe; dass, wenn er in der Stadt einkauft, der Sohn des Geschäftsinhabers ihm den Einkauf nicht nur bis zum Checkpoint tragen dürfte; und dass er beim nächsten Einkauf, wenn er Pech hat, am Checkpoint an der Treppe auf einen Privatsadisten in Uniform trifft; und irgendwann wird er Pech haben.

Leben in- und außerhalb der Geisterstadt

Flohmarkt keine 500m von Shuhada Street entfernt im Rücken der Geisterstadt. Nach dem Zwischenfall mit dem aggressiven Siedler sind wir erst mal über den Friedhof aus der Geisterstadt raus. Auf einem der Wege ohne Soldaten oder Checkpoints. Auf der anderen Seite war Flohmarkt. Wir haben uns zweimal zum Kaffee einladen lassen und danach alle weiteren Einladungen höflich, aber bestimmt abgelehnt. „Ma biddi! Shukran!“ – „Ich möchte nicht! Danke!“. Und Michel hat sich für 10 Schekel (etwa 2,50€) eine neue Hose gekauft.

daß wir immer sehr herzlich empfangen, begrüßt und manchmal auch beschenkt werden, ist immer wieder herzerwärmend. an das so oft angestarrt werden gewöhne ich mich langsam. es wird gerufen, gewunken und gehupt. was ich besonders schön finde ist, daß niemand beleidigt ist, weil man eine einladung ablehnt. vorgestern wartete ich auf michel, der noch geld holen mußte, vor dem candy-q. eine frau wollte unbedingt ein foto mit mir machen, weil frauen ohne kopftuch aus europa und dann noch allein an der straße wartend so selten sind.

Ein älterer Mann klaubt in einem Olivenhain in der Geisterstadt Oliven auf.
Ziegengehege in der Geisterstadt.
Als wir dem sechsprachigen Ahbed ausgelesene deutsche Bücher vorbei bringen, ergibt sich eine Partie Backgammon mit einem seiner Nachbarn.

ich hoffe, ich hab mich beim backgammon nicht zu sehr blamiert. ich hab doch keine ahnung, was die arabischen regeln sind. zum glück brauchte ahbed seinen nachbarn bald am computer als berater für irgendwas.

Das Candy-Q, unser Stammcafe.

Obwohl Hebron als konservativste Stadt Palästinas gilt, gehen auch hier Frauen alleine ins Cafe. Nicht alle tragen Kopftuch. Und es fällt uns immer wieder auf, wie modebewußt und stilsicher die meisten jungen Palästinenserinnen sind. Sie sind an Eleganz oft kaum zu überbieten.

Auf der falschen Demo

Fr. 22.12

diesmal soll eine demo nach dem freitagsgebet am stadion losgehen.

schon beim warten auf das ende des gebets vor der moschee fällt uns auf, das irgend etwas anders ist.

es gibt keine musik wie letzten dienstag, es warten mit uns keine frauen und kinder. nur ein paar jugendliche und ein vermummter knabe mit grüner hamas-fahne und junge erwachsene stehen an der straßenecke. dazu ein paar beobachter von verschiedenen ngos und und nationale presse. irgendwann tauchen auch die ersten gelben und orangenen fatah-fahnen auf.

aber dann ist das gebet zuende und wir sehen die schwarzen fahnen mit goldener schrift.

Demobeginn.
Hier ist das Emblem des Islamischen Dschihad gut zu sehen.

ich frage einen pressemenschen. es ist der islamische dschihad palästinas.

wir haben es später noch mal recherchiert. sie sind es tatsächlich.

Mir sagt ein einheimischer Reporter auf Nachfrage, das sei zwar „Dshihad Islami“ aber nicht DER(!) Islamische Dschihad, den ich aus den Medien aus Syrien und so kenne. Die hier seien lokal von hier und liberaler als die Hamas (Was immer das auch für eine Meßlatte für Liberalität ist!), eher so wie Fatah. – Es fühlt sich zwar trotzdem nicht richtig an. Aber erstmal sehen, was passiert. Mit wem wir es hier wirklich zu tun haben, wird mir erst klar, als ich nach der Demo im Candy-Q sitze und auf Wikipedia nachsehe. Hier der Link:

Wikipediabeitrag Islamischer Dschihad in Palästina

mir wird flau im magen. am liebsten würd ich mich umdrehen und gehen. mit dem dschihad möchte ich nichts zu tun haben. aber schaun wir mal, was passiert. vorerst werden wir nicht im zug gehen, sondern ihn nur begleiten. die parolen, die gerufen werden, können wir leider nicht verstehen. ich hätte so gern den genauen wortlaut erfahren, aber wen wir auch fragen, wir erfahren nur, daß es sich wieder um trump und jerusalem als hauptstadt von israel handelt. soviel verstehen wir mittlerweile aber auch. (‚allah u akhbar‘ (also ‚gott ist groß‘) und al’kuds‘ (der arabische name von jerusalem) hören wir oft in diesen tagen.

die demonstranten sind teils vermummt, ein kleiner junge trägt schon ein hamas-stirnband und läuft an der hand seines vaters mit. und voller eifer werden die fahnen geschwenkt.

Um es ganz klar zu sagen: Es war ein Junge mit grünem Hamas-Stirnband und Fahne. Wären es mehrere Erwachsene gewesen, wären wir sofort weg gewesen.

ein pressemensch stolpert im eifer des photographierens und verknackst sich den fuß. in mir schlägt die altenpflegerin durch und wir gehen helfen. diese demo ist ohnehin nicht das, was wir mittragen wollen.

Bina im Sanitäterinnenmodus.

und doch laufen wir der demo hinterher und schauen in dies freundliche gesicht. was für ein lichtblick an diesem tag.

Eine Hochzeit steht an und am Straßenrand wird der Wagen vom Blumenhändler geschmückt.

den eheleuten von hier aus alles gute!

als wir zum checkpoint kommen, sind die älteren demonstranten schon gegangen. fahnen sind nur vereinzelt zu sehen und die läden sind ringsherum geschlossen. auch die händler an der straßenecke haben ihre stände diesmal abgedeckt. nur ein pferd steht noch vor seinem karren und dann aber aus der gefahrenzone geholt. wir stellen uns zu der presse, die sich unter den vordächern der läden außer reichweite der jugendlichen postiert haben.

in den straßen schmeißen ca. 40 jugendliche steine. mit davidschleudern versuchen sie, die soldaten auf dem dach neben dem checkpoint zu treffen. meist landen die brocken aber auf der straße und treffen höchstens die autos, die vereinzelt noch fahren. eine brennende mülltonne steht auf der straße, viel zu weit entfernt, daß die armee sie überhaupt sehen könnte und im prinzip zu nichts nutze.

die soldaten machen es gar nicht so ungeschickt. nur wenige haben auf dem dach stellung bezogen, können notfalls auf ein dach nebenan wechseln und haben die direkte umgebung des checkpoints gut im blick.

Die Situation ist absurd. Die Demo hat sich in Luft aufgelöst. Es bleiben ca. 40 Krawalljugendliche und über 40 Reporter sowie jeweils ein Dutzend internationaler Beobachter und israelische Soldaten. Da die meisten vermummten Jugendlichen versuchen, sich außerhalb der Reichweite der Gewehre zu halten, bleibt ihnen nur, von der Parallelstraße aus zu versuchen, die Soldaten über die Dächer hinweg mit Steinen zu bewerfen. Was ihnen so vorhersehbar wie gründlich mißlingt.

Geradeauszu der Checkpoint. Rechts oben Soldaten auf dem Dach. Darunter wartet ein Pferd brav darauf, aus diesem Chaos abgeholt zu werden. Das „normale“ Leben geht noch weiter, obwohl schon seit etwa einer Viertelstunde Steine fliegen.
Dieser Soldat jongliert die ganze Zeit mit seinen Sound Granades.
Scharfschütze und Kameramann.

mit „sound granades“ (extra lauten knallgranaten) halten sie sich die demonstranten auf abstand und warten ansonsten ab.

Die Soldaten werfen mehrere Sound Granades zwischen die Presse.

 

Sagten wir schon, dass sie sehr laut sind?
Irgendwann bekommen die Soldaten mit, dass jemand versucht, sie aus der Parallelstraße über die Häuser hinweg mit Steinen zu bewerfen. Und sie werfen genauso ungezielt und erfolglos mit ihren Riesen Sylvesterknallern zurück.

dies katz- und mausspiel finden wir komplett unsinnig. diese knallgranaten sind einfach nur laut und machen ansonsten nichts. die soldaten halten mit wenigen leuten auf dem dach die stellung und die demonstranten rennen mit steinen dagegen an. irgendwann sind wir es leid und gehen.

wir brauchen leider eine weile, vielleicht eine zu lange weile, um für uns eine meinung zu bilden. Aber unser beschluß steht fest:

wir werden auf keiner demonstration mehr mitgehen, wenn da auch nur eine schwarze dschihadfahne auftaucht. und auch hinter einer grünen hamasfahne laufen wir nicht hinterher.

wir würden nicht auf einer demo von nazis mitgehen, selbst wenn sie für etwas auf der straße sind, das wir eigentlich gut finden. dann fangen wir hier auch nicht damit an. erdogan wettert auch gegen trump und wir halten ihn nach wie vor für einen nicht tragbaren, egomanischen despoten.

mit diesen fanatikern machen wir uns nicht gemein, in dem wir der demo beiwohnen oder auch nur an der seite beobachtend mitgehen. ihnen wollen wir keine bühne für ihre ansinnen bieten. abgesehen davon wären wir wahrscheinlich mit die ersten, die sie auf dem kieker hätten.

wir könnten unseren syrischen freunden nie mehr in die augen schauen, wenn wir beim nächsten mal nicht auf dem absatz kehrt machten, sobald wir sie sehen.

mit dem steinewerfen ist das so eine sache.

es ist zwar außerordentlich dumm und sinnlos, aber offentsichtlich gehört das hier zum normalen demonstrationsgeschehen. wenn ich mich in diesem land so umschaue, das immer voller steine liegt, wo felder nicht einfach nur umgegraben werden müssen, damit etwas wachsen kann. immer müssen erst tagelang steine gelesen werden und so wundert es mich nicht, daß das steinigen hier eine alte tradition hat. im moor bei uns im norden wäre diese tradition eher unpraktisch. dafür funktioniert das versenken im moor hier nicht so gut.

was ich an der steinewerferei nicht mag ist die tatsache, daß es den geist verklebt und verhindert, sich etwas phantasievolles oder wirkungsvolles auszudenken. es ist so schön einfach, steine liegen überall herum, auch in der stadt. man kann sich als held fühlen und sich vor seinen freunden dick tun.

die presse freut sich natürlich auch, kriegt sie doch die bilder, auf die alle gewartet haben. aber es regt niemanden zum nachdenken an, die eigenen leute nicht und die soldaten oder siedler schon gar nicht.

Dazu, wie genau wir zum Steinewerfen stehen, sind wir immer noch in der Diskussion und im Denkprozess.

In Deutschland ist die Sache klar: Es ist mit unserer Gewaltfreiheit unvereinbar, sowas in irgendeiner Weise zu unterstützen. Zumal wir in einer leidlich gut funktionierenden parlamentarischen Demokratie leben.

In Palästina ist das schwieriger: Die Palästineser können ihre Beherrscher nicht abwählen. Sie haben in israelischen Wahlen keine Stimme. Auch ist es so, dass ein Steinewerfer hier Gefahr läuft erschossen zu werden, ohne Verfahren in Administrativhaft genommen zu werden, oder dass nachts seine Tür aufgebrochen und die halbe Wohnung verwüstet wird. Alles Drei kann auch passieren, wenn er sich überhaupt nicht an Demonstrationen beteiligt! – Und spätestens bei der völlig überzogenen (Re?)-Aktion der israelischen Armee sind wir mit dem Palästinenser solidarisch. Egal, ob er vorher Steine geworfen hat, oder nicht. Jeder unbewaffnete Mensch, der gezielt erschossen wird und jeder Mensch, der ohne Verfahren im Knast sitzt, verdient unsere volle Solidarität.

Etwa anderthalb Stunden, nachdem wir die Szene vorm Checkpoint verlassen haben, schießt ein Soldat einem der Jugendlichen mit scharfer Munition ins Bein.  Der internationale Beobachter, der uns das erzählt, sagt der Jugendliche hätte nicht aufgehört, die Soldaten zu provozieren und sei immer weiter an sie und den Checkpoint herangegangen.

Abends sitzen wir noch auf der Terasse von YAS (Youth Against Settlements) in der Geisterstadt. Zu YAS haben wir vertrauen, weil sie mit der KURVE Wustrow zusammenarbeiten. Einem auf Trainings in Gewaltfreiheit spezialisierten Tagungshaus, mit dem Michel zu Zeiten der Castor-Transporte nach Gorleben viel zu tun hatte.

Das Haus von YAS wird gut bewacht. Blick durch die Büsche.
Die Aktivisten von YAS stellen sich für ein Facebookfoto auf. Ahed Tamimi ist ein 16-jähriges Mädchen aus dem für seinen gewaltfreien Widerstand bekannten Dorf Nabi Salih, die in Administrativhaft sitzt.

Weihnachten in Bethlehem

Sa.-So 23.-24. Dez. 2017

Geburtskirche

Eingang der Geburtskirche.

Dazu, warum der ursprünglich größere Eingang der Geburtskirche so stark verkleinert wurde, kenne wir drei Geschichten. Erstens, um die Besucher der Kirche zu einer demütigen Haltung zu zwingen. Zweitens, um Überfälle und Raub zu erschweren. Drittens, damit die Kreuzritter nicht mehr zu Pferde in die Kirche reiten.

Griechisch orthodoxer Altarraum. (Ihnen gehört das Hauptkirchenschiff.)
Unterhalb des heutigen Kirchenbodens befindet sich ein Mosaik aus der Zeit der heiligen Helena.
Ausgang der Geburtsgrotte mit der Geburtsnische. Wir haben uns nicht angestellt, die Schlange vorm Grotteneingang war einfach zu lang.

Die Katholiken legen Wert darauf, zu betonen, dass sie zwar überirdisch nur eine Kirche neben der eigentlichen Geburtskirche haben, ihnen unterirdisch aber der größere Teil der Geburtsgrotte gehört. Zu ihrem Leidwesen liegt die Geburtsnische aber im orthodoxen Grottenteil.

Kreuzritterkritzelei im katholischen Grottenteil. Ja, dieses Gekritzel steht hinter Plexiglas, weil es über 800 Jahre alt ist.
Das „heilige Spannerloch“ katholische Mönche haben dieses Loch in die Absperrwand zwischen katholischem und orthodoxen Grottenteil gebohrt, durch die man die Geburtsnische sehen kann. – Die Schlange hier war deutlich kürzer.
Nebengrotten des katholischen Grottenteils.

Nette Gespräche mit Einheimischen

In der Touristeninformation treffen wir auf eine ältere Dame aus Berlin und eine palästinensische rheinische Frohnatur, die länger in Köln gelebt hat. Das Gespräch ist sehr sehr nett.

Am Abend des 23. Dezember bittet uns ein Angestellter des Hotels, auf dessen Parkplatz wir unwissentlich stehen, zum Direktor. Wir rechnen mit Ärger, werden aber stattdessen aufs überfreundlichste begrüßt und zum Kaffee eingeladen. Die Schwester des Direktors wohnt in Hamburg. Zwei Punkte des Gesprächs liegen uns allerdings anschließend wie Steine im Magen:

Unser Gastgeber kennt die Umgebung Hamburgs besser als die seiner Heimatstadt Betlehem. In Hamburg könne man sich einfach aufs Fahrrad setzen und losradeln schwärmt er. Kein Soldat wolle einen Passierschein sehen oder frage nach dem Grund des Ausflugs.

Seine Kinder, die zum Teil volljährig sind, haben noch nie das Meer gesehen. Er selber hat einen Passierschein für den Checkpoint nach Jerusalem, der gerade einmal 500m von seinem Haus entfernt liegt, weil er ein registrierter Geschäftsführer ist. Aber seine Frau und seine Kinder haben keinen Passierschein. Also bleiben sie im Westjordanland gefangen. – Laßt es euch auf dem Herzen zergehen: Noch nie das Meer gesehen! – Dabei liegt Betlehem nur halb so weit vom Mittelmeer entfernt, wie Hamburg von der Nordsee.

Gemeinsame Erklärung der christlichen Oberhäupter

Die Oberhäpter der verschiedenen christlichen Konfessionen unterzeichneten am 23. Dezember öffentlich eine Erklärung für Palästina und gegen Trump. – Man muß Trump lassen, dass er die sonst chronisch zerstrittenen Christen des Heiligen Landes geeint hat. Auch eine Leistung.

Kurzform der Erklärung auf einer Tafel vorm Betlehmer Weihnachtsbaum.
Tanzende Aktivisten mit Weihnachtsmannmützen.
Erzbischof Theodosius, der orthodoxe Patriarch von Jerusalem.
Bruder Tack – ach ne das war Sherwood Forrest.
Bina schreibt auf die offene Wand.

Im Shouk

Bestimmen in der Geburtskirche und auf dem Vorplatz Pilger aus aller Welt das Bild, ist sind wir wenige Dutzend Schritte weiter, im Shouk schon wieder die einzigen Ausländer und werden wie üblich neugierig angestarrt.

Überall in Palästina gibt es rothaarige Araber. Im Volksmund heißen sie „Kreuzritter“, weil sie der Legende nach von zum Islam konvertierten Kreuzrittern abstammen.
Wie bei Aale-Dieter auf dem Hamburger Fischmarkt…
Bina hat vorher gefragt, ob sie photographieren darf. Vermutlich hat sie die Erlaubnis erhalten, weil das Angebot für hiesige Verhältnisse regelrecht züchtig ist.

Empfang des lateinischen Patriarchen

Das letzte Türchen im Adventskalender öffnet sich.

Dieses Tor in der Mauer zwischen Jerusalem und Betlehem öffnet sich nur einmal im Jahr, um den lateinischen Patriarchen (also den katholischen Bischof) von Jerusalem und den ihn begleitenden Autokonvoi durchzulassen.

Das Auto des Patriarchen mit Diplomatenfähnchen.
Auch der Weihnachtsmann fährt im Konvoi mit.
Passendes Graffito neben dem Tor.
In die Altstadt Betlehems ziehen Patriarch und Gefolge zu Fuß ein.
Der Patriarch segnet ein Kind.
Er wird von den christlichen Pfadfindern aller Konfessionen mit lauten Dudelsäcken empfangen.
Und die einheimischen Christen folgen ihm…
… bis zur Geburtskirche,…
… wo die Weihnachtskrippe steht, die letztes Jahr vorm Petersdom im Vatikan stand.
Das ganze ist eher Karneval als „Stille Nacht – Heilige Nacht“.
Die Pfadfinder ziehen genauso lautstark wieder ab wie sie aufgezogen sind.
Müdigkeit schlägt Lärm.
Der syrisch orthodoxe Patriarch und der Leiter seiner Pfadfinder scheinen beide weltlichen Genüssen nicht abgeneigt zu sein, zumindest den kulinarischen Genüssen.

Wer jetzt glaubt, dass die Pfadfinder damit ihren großen Auftritt gehabt haben, der irrt. Ihren richtig großen Auftritt haben sie beim orthodoxen Weihnachtsfest am 6. Januar. Da empfangen sie um 9 Uhr den syrisch orthodoxen Patriarchen, um 9.30 den koptischen Patriarchen, um 13 Uhr den griechisch orthodoxen Patriarchen und um 15.00 Uhr den äthiopisch orthodoxen Patriarchen. Ein paar Tage später, am 18. Januar, ist dann das armenische Weihnachtsfest, zu dem der armenische Patriarch mit einer Prozession Dudelsack spielender Pfadfinder empfangen wird.

Nur die Fahrt durch das Tor am Grab der Rahel ist und bleibt ein Vorrecht des katholischen Patriarchen. Wer ja auch zu schön, wenn die Israelis da jeden durchließen!

es macht mich fertig, dies offene tor zu sehen. ich bin heilfroh, daß es michel genau so geht und wir mit dem zug des patriarchen zur geburtskirche mitgehen, bevor sich das tor wieder schließt. das schließen des tores hätte ich emotional nicht ausgehalten.

aber dann in der altstadt die vielen menschen, die fröhlich hinter den dudelsäcken hergehen, miteinander plaudern und aus ganz palästina gekommen sind. das ist wunderbar.

British High Tea im Walled Off

Bei Dunkelwerden begehen wir unser ganz persönliches Weihnachten mit einem British High Tea im Walled Off Hotel.

Frohes Fest! Und Friede auf Erden!

Beobachtungsschnipsel:

  • das ausgelobte bier hat unsere freundin nina gewonnen. sie indentifizierte unseren wüstenwopertinger als klippschliefer. das verwunderte uns ein wenig, vermuteten wir ihn doch als endemische art auf dem kilimandscharo. herzlichen glückwunsch, nina.
  • fanta hat hier eindeutig mehr farb- und geschmacksstoffe. dafür ist der arabische Schriftzug schöner.
  • es gibt erstaunlich viele rothaarige jungen in hebron. regelrecht irisch-rotirisch-rot.
  • einige bäume bekommen tatsächlich gelbe blätter, obwohl es hier nie so kalt wird, dass es nötig wäre. frage: brauche sie es noch für etwas anderes?
  • ein besonderer lieferservice in hebron: morgens, kurz vor ladenöffnung stehen vor vielen, noch geschlossenen eingängen termoskannen, sorgfältig in tüten verpackt. so hat der ladenbesitzer gleich heißen tee oder kaffee, wenn er seinen tag beginnt. abends sieht man dann jungen mit einkaufswagen die läden abklappern, um die kannen wieder ein zu sammeln.
  • am köstlichsten ist das essen an den ständen, die es in jeder altstadt oder shouk gibt. wagen mit irgendwas gekochten in pfannen oder töpfen, kleine läden mit einem rauchenden grill davor. drei köfte im pita-brot, ein bisschen gegrillte tomaten und zwiebeln dazu. Oder schnell ein bisschen gekochtes irgendwas aus dem topf geholt, mit frischen kräutern durchgehackt, ebenfalls in pita geschoben und uns für kleines geld in die hand gedrückt. es schmeckt nach innereien. jeder deutsche amtsarzt würde hintenüber fallen, sähe er, daß der mensch am stand sich schnell die hände an der schürze abwischt, um das geld entgegen zu nehmen, um dann wieder das köfte-fleisch um die spieße zu kneten, die auf einem alten stück pappe liegen.
  • wir sehen den ganzen müll überall in den straßen und ecken nicht mehr und regen uns auch nicht mehr über die freizügige interpretation von verkehrsregeln auf. anscheinend passen wir uns mehr und mehr unserer umwelt an.

Verstörendes Gespräch mit H… und s…

Mo, 25.12.17

wir hatten H… und s… auf dem stammstisch in tel aviv kennengelernt, auf dem wir vor zwei wochen waren. ich hatte mit s… Ein sehr interessantes gespräch und so kam die einladung zustande.

was für ein gegensatz: letzte woche politik, gestern heiligabend und heute ein besuch bei chassidischen juden religiösester sorte.

endlich kann ich jemandem ein paar fragen zum leben einer orthodoxen jüdin stellen, die mich schon lange interessieren. s… lebt zwar mit H… zusammen, ist aber selber, was die religiösität anbelangt, relativ entspannt. sie trägt nur dann die übliche weiße bluse mit schwarzem rock und schwarzen strümpfen und die haare unter einem tuch versteckt, wenn sie mit der familie H…’s zusammen ist.

wie sie es an pessah macht, wenn sich kein krümel gesäuerten brotes im haus befinden darf und besonders strenge ernährungssvorschriften gelten, frage ich sie. dafür hat sie einen zweiten satz geschirr, besteck, töpfe und einen ofen im keller. die schränke in der küche werden ausgewaschen, alles gründlich gefegt und gewischt, auf den tisch in der küche wird alufolie gelegt und der alltags-herd wird nicht benutzt.

sie ist dabei noch relativ entspannt. es gibt zwar familien, die essen der einfachheit halber während der pessah-woche von plastikgeschirr. es gibt aber auch welche, die räumen die halbe wohnung um und streichen sogar die wände.

immer wieder kommt bei s… die frage auf, wo gott in meiner beziehung zu finden ist. ein interessanter gedanke, aber ich habe keine lust, mein verhältnis zu michel in dieser hinsicht ständig zu hinterfragen.

ich mag auch nicht alles, was ich tue, auf gott beziehen, so, wie s… es tut. ja, es mag die gedanken aufräumen, wenn man das chaos im schrank aufräumt. das mache ich dann aber für mich und nicht für gott. ich glaub, dem ist das ziemlich egal. und fußboden fegen ist einfach nur fußboden fegen.

Nach dem Essen verzieht s… sich mit bina in Richtung Küche, während H… mit mir am Eßtisch sitzen bleibt. H… ist ein chassidischer Rabbiner und sieht auch genau so aus, wie man ihn sich vorstellt. Wie er sich da vor mir in seinem Stuhl fläzt, etwas zu kurz und zu dick geraten, mit den Armen gestikulierend, wirkt er auf mich wie Reich-Ranicki im literarischen Quartett. Vor allem wenn er vom Englischen ins Jiddische verfällt, was er in zeitweise in jedem zweiten Satz tut. Das Gespräch ist sowohl interessant, als auch anstrengend und verstörend.

Der erste Teil ist interessant anstrengend: Er will wissen, ob ich an Gott glaube. Normalerweise geben sich die Leute mit meiner Antwort, „ich sei Agnostiker“, zufrieden. Nicht so ein chassidischer Rabbi. Es folgt Nachfrage auf Nachfrage. Punktgenau und gezielt. Der Mann macht das nicht zum ersten Mal. Gelernt ist eben gelernt. Ich finde die rabbinische Fragetechnik hochinteressant und spiele gerne mit. Später geht es um meine Beziehung zu bina. Auch bei mir die Frage, wo Gott in unserer Beziehung ist.

Irgendwann kommen bina und s… wieder dazu.

Der zweite Teil ist anstrengend verstörend: Irgendwie bekomme ich ihn dazu, auch von seinen Beziehungen zu erzählen. Er ist mit s… in dritter Ehe verheiratet, hatte mehrere heimliche Geliebte. Und er hat 9 (ja, neun!) Kinder aus den ersten beiden Ehen und mindestens ein uneheliches Kind mit einer Geliebten. Er erzählt, dass er seine Gemeinde in New York verloren habe, weil er einen großen Fehler gemacht habe und auf einer Homepage für übergriffige Rabbiner geoutet wurde. Was er sonst erzählt will ich hier nicht wiedergeben, aber es paßt sehr gut zu den erschreckenden Zeilen, die ich am nächsten Tag im Netz über ihn finde:

Rabbi W… has been accused of utilizing a mixture of kabbalah, hypno-eroticism and other manipulative techniques to enagage his potential victims prior to sexually assaulting them.

There have been allegations that Reb H… creates a cult-like devotion to himself utilizing trance-like-states, guided meditation, hypnosis; all under the guise of kabbalah teachings. Allegedly his MO (modus operandi) has been to use such techniques on women with histories of childhood abuse[…].

During this time both his behaviour and demeanour with his female students were consistently predatory, manipulative and abusive. He proactively sought ‚romantic‘ and sexual relationships wtih many many women, specifically targeting those who were emotionally vulnerable and fostering acute dependency. He consistently used his role as counselor to make sexual advances towards those who came to him in need. He had ‚romantic‘ sexual relationships with married and unmarried women who ranged in age from 20 to 50.“

Dieses Bild konnten wir uns aus seinen Erzählsplittern nicht machen, obwohl sie wie Puzzlestücke genau in dieses Bild hineinpassen und darin erwähnt werden.

H…’s Handeln widerspricht jedem Moralkodex, der mir in diesem Zusammenhang einfällt. Sowohl dem für Lehrer, als auch für Geistliche und Therapeuten, für Beziehungen und überhaupt! Am meisten verstört mich und uns, dass er weder strafrechtlich belangt wird, noch ein wirkliches Einsehen oder Schuldgefühle zu haben scheint.

Warum hat er uns zumindest teilweise ins Vertrauen gezogen? Zu große Selbstsicherheit? Weil wir weder Juden noch Israelis sind und bald wieder weg sein werden? Die anderen Stammtischteilnehmer waren ihm gegenüber offensichtlich arglos. – Zumindest wissen wir, mit wem wir reden müssen, weil er dabei ist, H… ein Forum mit einer Art Tantra- und Hypnoseseminaren zu geben.

auch mir hat H… ein paar fragen gestellt, als ich wieder mit am tisch saß. es war interessant, weil er mich tatsächlich dazu brachte, über dinge nachzudenken, über die ich sonst nicht in dieser weise nachgedacht hätte.

aber seit ich gelesen hab, wer er eigentlich ist, frage ich mich, wie er das später mal seinem gott erklärt, wie er sein leben geführt hat. ich frage mich auch, wie manipuliert s… ist, daß sie mit ihm noch zusammenleben mag und mit ihren fragen ja durchaus in die selbe kerbe haut. ich denke darüber nach, inwiefern sie sich mitschuldig macht.

Hebronschnipsel

Di-Do 26.-28.12.

Nach einem weiteren Tag in Tel Aviv, den wir mit Wäschewaschen, Strandspaziergang und einem Besuch in unserem hiesigen irischen Stammpub „Molly Blooms“ verbringen, fahren wir wieder nach Hebron.

Michel vor dem jüdischen Zugang am Patriarchengrab.

Ansonsten wird in der sterilen Zone nach Volkszugehörigkeit und Pass separiert. Hier nach Religion. Antworten wie Atheist oder Agnostiker lassen die Soldaten nicht gelten. (Wir haben es ausprobiert.) Sie kennen nur Juden, Christen und Muslime, von denen Letztere sich hier nicht aufhalten dürfen. – Als ein Soldat (der neu zu sein scheint) sich wundert, warum in deutschen Pässen keine Religionszgehörigkeit eingetragen ist, erzählen wir ihm, dass wir das letzte Mal, als wir das gemacht hätten, ein „J“ für „Jude“ eingestempelt hätten. Er sieht den Zusammenhang nicht.

Das Grab Baruch Goldsteins, der 1994 im Massaker in der Ibrahim Moschee 29 Menschen erschossen hat, hat einen Ehrenplatz gleich am Eingang der Siedlung Kiriyat Arba mit Blick über Hebron. Es ist ein Pilgerort radikaler Siedler, die nach jüdischer Tradition Steine darauf ablegen.
Ein sogenannter „Außenposten“ auf der Rückseite Kiriyat Arbats.

Die Wohncontainer liegen zwar außerhalb des Zauns, der die Siedlung hermetisch abschließt. Haben aber ein eigenes Zugangstor Siedlung, sind an die Infrastruktur angeschlossen, werden von der israelischen Armee bewacht und offensichtlich wird auch gebaut (ganz rechts).

Checkpoints

Die internationalen Beobachterorganisationen haben offensichtlich zu viele Vorfallberichte zu den Checkpoints 29/Salayme (der nicht von uns photographiert werden wollte und wo wir die Soldaten beim Schikanieren der Durchgehenden beobachtet haben) und 209/Qeitun an die UN geschickt. Die israelische Armee hat reagiert, und vorerst die Beobachtung dieser beiden Checkpoints verboten. Und zumindest das Christian Peaceteam (CPT) hat vorläufig seine Beobachter abgezogen.

Die Frau im Vordergrund, wartet 40 Minuten darauf, dass der Mann im Käfig (soweit wir verstanden haben, ihr Schwager) durchgelassen wird.

Der Vorfallbericht, den wir für EAPPI an die UN, hierzu geschrieben haben.

„Am Mittwoch, dem 27.12.2017, um 19.50 Uhr kamen wir […] von „israelischer Seite“ zum Checkpoint 56. Eine Frau stand mit zwei Mädchen vor dem Checkpoint und sprach mit den Soldaten und einem Mann, der sich im „Käfig“ zwischen den beiden Drehtüren auf dem Weg zur „israelischen Seite“ befand. Auf Nachfrage erklärten uns einer der Soldaten, dass der Mann nicht registriert sei, weil er nicht in „dieser Zone“ wohne. Er wolle nur die Familie seiner Frau besuchen. Der Mann im Käfig gab an, dass er sehr wohl registriert sei und jede Woche die Familie seiner Frau besuche. Die Soldaten forderten uns auf, wegzugehen, was wir nicht taten. Etwas mehr als 10 Minuten, nachdem wir angekommen waren, machte oder bekam einer der Soldaten einen Anruf mit dem Handy, woraufhin er sagte, der Mann im Käfig dürfe doch passieren. Er verließ den Käfig um 20.04 Uhr.

Auf unsere Nachfrage, wie lange er haben warten müssen, schaute der Palästinenser auf die Liste seiner Handyanrufe und antwortete: „Seit 19.24 Uhr. Also genau 40 Minuten.“ Er könne das so genau sagen, weil er zu Beginn einen Anruf getätigt hätte.“ – Es folgen unsere Personalien und Kontaktdaten. Und die UN hat mehr Photos bekommen.

Die Palästinenser hatten uns schon erzählt, dass die Soldaten erstaunlich oft Fehler in ihren Registrierungslisten haben. Aufwand und Ärger haben dann die Palästinenser.

„Bitte Warten! Wir unterhalten uns gerade!“

Nächster Tag, selber Checkpoint. Als wir von „palästinensischer Seite“ am Checkpoint ankommen, stehen dort eine palästinensische Familie und ein einzelner Mann. Trotzdem dauert es über 10 Minuten, bis wir dran sind. Wir sehen die Soldaten quatschen und rauchen. Etwa alle 2 Minuten wird die Drehtür per Knopfdruck freigegeben und eine Person durchgelassen. Weder bei uns, noch bei den Palästinensern sehen die Soldaten überhaupt auf, um die Pässe eines Blickes zu würdigen. Als wir „drinnen“ sind, stehen draußen schon neue Menschen an. Wir fragen die Soldaten warum sie die Menschen warten lassen. Erst sind sie etwas irritiert. Sie waren so unaufmerksam, dass sie nicht gemerkt haben, dass sie gerade zwei Deutsche durchgelassen haben. Dann antworten sie halb empört, halb ertappt: „Because we’re talking here!“ – Ja, das sehen wir!

Soldaten besetzen kurzzeitig die Innenstadt

Fr. 29.Dez.

Die Freitagsdemo geht (wie üblich) am Ibn Rushd-Square los. Diesmal sehen wir nur Palästina-Fahnen und ein paar einzelne von der Fatah. Nach einem gemeinsamen öffentlichen Freitagsgebet, das wir höflich am Rand abwarten, geht es (wie üblich) die Hauptstraße einen Kilometer weit zum Checkpoint runter. Dort löst sich die Demo auf und die Jugendlichen schmeißen Steine (wie üblich).
Wir ziehen uns zusammen mit TIPH (den offiziellen UN-Beobachtern) ins oberste Stockwerk eines höheren Hauses zurück, wo wir einen Logenplatz haben.

Israelischer Soldat auf einem Dach am Checkpoint wirft eine „Sound Granate“. (Das rote Ding.)
Diese Siedlerin ist allgemein unter dem Spitznamen „die Filmerin“ bekannt. Und befindet sich gerade auf einem Palästinensischen Hausdach.

Auch uns hat sie schon gefilmt. Als wir an Chekpoint 55 standen. Und der Soldat am Checkpoint hatte sich viel Zeit gelassen und unsere Pässe schön hoch gehalten, damit sie auch ja alles drauf kriegt.
Die Jugendlichen sind heute zahlreicher, aggressiver und mutiger als letzte Woche. Die Soldaten werfen Soundgranaten halbdutzendweise und müssen wortwörtlich kistenweise Nachschub auf’s Dach schleppen.

Hier sieht man einen Stein im Flug. (Über dem mittleren Soldat vor dem Fenster.)
Nach einer dreiviertel Stunde Stein- und Knall-Granaten-Geschmeiße machen die Soldaten einen Ausfall.
Wir beschließen das Haus über den rückwärtigen Ausgang verlassen, und stellen fest, dass auch diese Parallelstraße von ihnen besetzt wird.

Wir befinden uns in H1, also dem Teil von Hebron, der theoretisch komplett unter Kontrolle der palästinensischen Autonomiebehörde steht und den die israelische Armee offiziell gar nicht betreten darf.

Da die jugendlichen Steinewerfer sofort abgehauen sind, bleibt nur die Konfrontation mit der Presse.

Die Presse wird nach und nach abgedrängt. Leider habe ich zu spät abgedrückt, als ein Soldat einen Kameramann, der nicht schnell genug weg ging, getreten hat. (So richtig Chuck Norris mäßig!) Wir setzen uns seitlich auf einen Treppenabsatz und tun so, als ginge uns das alles nichts an. Bald sind wir alleine auf diesem Straßenstück. Manchmal betreten Bewohner der umliegenden Häuser das Straßenstück und wollen raus oder nach Hause. Wir haben das Gefühl, ein gewisser Schutz für sie zu sein.

Irgendwann tauchen gepanzerte Fahrzeuge auf und verschwinden im Shouk.
Als alles gesäubert ist, posieren die Soldaten für Erinnerungsphotos.

Nachdem sie das Viertel eine dreiviertel Stunde lang besetzt haben, ziehen die Soldaten sich wieder zurück. Und ehe wir es uns versehen, ist das normale Leben wieder da. Die Marktstände öffnen, die Marktschreier rufen, die Kunden kaufen und die Autos stehen hupend im Stau. Die Geschwindigkeit, mit der das pralle Leben zurückkommt, ist fast noch unheimlicher als die Stille des besetzten Viertels. – „Normalität“ ist eben das, was im Leben der Menschen „normal“ ist!

Dieses Photo haben nicht wir gemacht, sondern Issa Amro von YAS. Die Soldaten haben diesen Jungen festgenommen, der laut Issa einfach nur am Straßenrand stand und Chips gegessen hat. Er hält die Chipstüte noch in der Hand. Hoffentlich kommt er schnell frei.