Stadtbummel in Jerusalem

Montag bis Mittwoch, 13.–15.11.2017

1. Stadtbummel

Wir betreten die Jerusalemer Altstadt wie die meisten christlichen Pilger durch das Jaffator und lassen uns durch die engen Gassen treiben. Wir genießen es, im Altstadtlabyrinth den Weg zu verlieren und uns nach Sonnenstand und Gefühl zu orientieren. Wir halten uns Richtung Damaskustor und überschreiten irgendwann jenseits der Via Dolorosa eine unsichtbare Grenze. Das Publikum und das Warenangebot ändern sich grundlegend.

Zwischen Jaffator und Grabeskirche sowie die Via Dolorosa entlang, sind hauptsächlich Touristen und Pilger unterwegs und das Sortiment wird von Andenken und Devotionalien bestimmt. Jenseits davon sind die einheimischen Palästinenser in der Mehrheit, so dass dies eine richtige arabische Altstadt mit dem entsprechenden, bunt gemischten Warenangebot ist.

ich habe ‚mein‘ shouk-problem. am liebsten möchte ich von allem was mitnehmen, probieren… und am liebsten würde ich jetzt sofort perfekt arabisch verstehen und sprechen können, um alles, was gerufen und gesagt wird, zu verstehen und mitreden zu können. ich nehme mir vor, jeden abend ein wort oder einen satz arabisch zu lernen.

Altstadt zwischen Jaffator und Grabeskirche
Altstadt jenseits der Pilger- und Touristenströme

Wobei der arabische Teil der Altstadt unter Druck steht. Immer mehr jüdische Siedler lassen sich hier nieder. Ihre Häuser gleichen Festungen, werden stark bewacht und bleiben Fremdkörper in ihrer Nachbarschaft.

Ein Siedlerhaus im muslimischen Teil der Altstadt

Vom Damaskustor aus gehen wir kreuz und quer, erkunden insbesondere die kleinen, engen verwinkelten Nebengänge und halten uns grob Richtung Klagemauer. Wenn wir uns dieses dreidimensionale Labyrinth verwinkelter enger Gassen ansehen, kommen wir zu dem Schluss, dass hier 1967 als Israel die Jerusalemer Altstadt während des Sechstagekrieges im Handstreich erobert hatte, keine arabische Armee war. Die Erzählung zum Sechstagekrieg von 1967 geht ja in etwa so, dass die Armeen von Ägypten, Jordanien und Syrien zum Angriff bereit standen und Israel sie in einem sechstägigen Präventivkrieg besiegt hat. Bei der Eroberung Ostjerusalems im Handstreich gingen die Israelis zudem mit besonderer Vorsicht und ohne schwere Waffen vor, um die heiligen Stätten von Judentum, Christentum und Islam zu schonen. Die Altstadt Jerusalems ist ein einziger natürlicher Hinterhalt. Sie ist eine Festung, die eine mittelmäßige Freischärlertruppe wochenlang gegen jede Armee der Welt halten könnte. Erst recht, wenn letztere auf schwere Waffen verzichtet.

Kreuzung in der Altstadt: Ja, von links oben kommt tatsächlich eine Treppe und damit ein Weg runter. (Also links neben dem Gitter und damit leider nicht im Bild.)
Es braucht nicht viel, um eine Altstadtgasse zu blockieren – ein sehr schmaler Trecker reicht.

Gegen Sonnenuntergang erreichen wir dann den klar abgegrenzten jüdischen Teil der Altstadt. Wobei dieser Teil nicht alt ist. Es handelt sich im Wesentlichen um einen „auf alt getrimmten“ Neubau, der so tut, als ob er eine natürlich gewachsene Altstadt sei. Was ihm aber nicht wirklich gelingt. Das jüdische Altstadtviertel wirkt erstaunlich steril:

Blick von der Grenze in das muslimische Viertel der Altstadt
Die Grenze
Blick von der Grenze in das jüdische Viertel der „Alt“stadt

Anschließend gehen wir voll mit neuen Eindrücken nach Hause (in den Bulli) und kochen Abendessen.

Polizei begeht Fahrerflucht

Bulli haben wir auf einem inoffiziellen Parkplatz etwa einen Kilometer nördlich der Altstadt geparkt (Richtung Bethlehem). Eines Abends, während wir Abendessen kochen, hält ein Polizeiauto neben uns und die Polizisten fragen uns, ob wir hier übernachten und alles OK sei. Als wir bejahen, wollen sie wieder wegfahren, rammen aber im Zurücksetzen ein anderes geparktes Auto. Sie betrachten kurz den Schaden, sehen sich verstohlen um und verschwinden dann so schnell wie möglich. – Nicht, dass sie nachher noch von der Polizei erwischt werden!

Die Beule, die die Polizisten ihrem Opfer reingesemmelt haben.

2. Stadtbummel

Wir spazieren zunächst gegen den Uhrzeigersinn außen um die Altstadt herum, wobei wir von West- nach Ostjerusalem wechseln. Schon nach einer Viertelstunde bietet sich uns ein Blick, der ein Wechselbad der Gefühle bewirkt. Links vorne der Zionsberg mit der Dormitio-Abtei und rechts hinten die Sperrmauer, welche die Palästinenser im Westjordanland einschließt.

Links vorne der Zionsberg mit Dormitio-Abtei, rechts hinten die Sperrmauer
Zoom auf die Sperrmauer

Wir gehen unterhalb des Zionsberges entlang und gelangen nach Silwan. Dieser arabische Stadtteil liegt direkt unterhalb des Tempelberges und der Klagemauer. Und er hat das Pech, dass hier vermutlich die erste Siedlung lag, also das ganz alte Jerusalem. Der Staat Israel hat die Aufgabe, diese sogenannte „Davidstadt“ auszugraben, an eine rechte Stiftung mit viel US-amerikanischem Geld übertragen. Diese Stiftung hat Siedler in den Stadtteil gebracht und verwendet die Archäologie als Waffe zur ethnischen Säuberung.

Gruppe bei einer Führung durch die archäologischen Ausgrabungen
Wie man an der Tafel sieht, denkt man bei diesem Ausblick natürlich nicht daran, dass man auf einen arabischen Stadtteil sieht, sondern daran, dass hier antike Gräber einen jüdischen Anspruch belegen
Ausgrabung direkt unterhalb der al-Aqsa Moschee

Weiter geht es unterhalb der Stadtmauer am Hang des Kidrontals entlang. Gegenüber liegt der Ölberg. Hier im Goldenen Tor wird, da sind sich Juden, Christen und Muslime einig, am Jüngsten Tag der Messias erscheinen. Irgendein Herrscher von Jerusalem (ich habe vergessen wer) hatte aber Angst, dass das Erscheinen des Messias seine schöne Herrschaft beendet und hat das Tor vorsichtshalber zumauern lassen. Eine typisch Jerusalemer-Lösung für so ein Problem.

Das zugemauerte Goldene Tor

Da Juden und Muslime an die fleischliche Auferstehung am Jüngsten Tag glauben (Christen glauben an die Auferstehung der Seele) und diese Auferstehung von hier aus beginnt, ist es natürlich besonders erstrebenswert, hier begraben zu werden. Dann liegt man am Jüngsten Tag in der ersten Reihe. Folglich ist der Ölberg auf der anderen Seite des Kidrontals der größte jüdische Friedhof der Welt. Wobei die Ärmsten am Jüngsten Tag dennoch in der zweiten Reihe liegen. Denn auf dieser Seite hat sich noch ein muslimischer Friedhof dazwischengequetscht. – Der arme Messias!

Was uns allerdings verstört hat ist, dass der muslimische Friedhof offensichtlich erst vor kurzem geschändet wurde. Als wir die Polizei (die hier sehr, sehr stark präsent ist) danach fragen, können die Polizisten plötzlich kein Englisch mehr.

Blick vom geschändeten muslimischen Friedhof vor dem Goldenen Tor, über das Kidrontal, auf den jüdischen Friedhof auf dem Ölberg

Nach einer Pause im Garten Gethsemane, wo wir natürlich ein Abendmahl gegessen haben, geht es durch‘s Löwentor in die Altstadt hinein und die Via Dolorosa entlang zur Grabeskirche. Dass die heutige Via Dolorosa tatsächlich der reale Kreuzweg Christi ist, halten wir übrigens für eher unwahrscheinlich. Dann hätte der Palast des Pontius Pilatus an der tiefsten Stelle der Stadt gestanden. Paläste stehen normalerweise an einer hohen Stelle und überblicken die Stadt. Die einheimischen Christen gehen auch einen anderen Kreuzweg als die Pilger aus aller Welt.

Die Grabeskirche ist ein Erlebnis ganz eigener Art. Hier beten Pilger aus aller Herren Länder. Und sie gehört anteilig sechs christlichen Konfessionen, den Orthodoxen, den Katholiken, den Armeniern, den Kopten, den Äthiopiern und … eine hab ich vergessen. {Die „Griechisch-Orthodoxen“ und die „Syrisch-Orthodoxe Kirche von Antiochien“ hatte Michel zusammengefasst.} Die Lutheraner gehören nicht dazu.

Die Grabeskirche
Pilger aus Russland, den USA und Deutschland auf dem Vorplatz der Grabeskirche

Und da die Priester der sechs christlichen Konfessionen einander in der Kirche nicht gerade mit Nächstenliebe begegnen, haben seit Saladins Zeiten zwei muslimische Familien den Kirchenschlüssel und schließen täglich auf und zu. Außerdem lässt sich jede Nacht israelische Polizei mit einschließen, damit die heiligen Männer sich gegenseitig nichts tun. Denn sie streiten sich hier ganz ernsthaft um so wichtige Fragen wie die, ob diese Platte eine Treppenstufe ist:

Ist diese Platte eine Stufe?

Ist die Platte keine Stufe, so ist sie Teil des Vorplatzes der Kirche, welcher den Orthodoxen gehört und darf von diesen gefegt werden. Handelt es sich jedoch um eine Stufe, so ist sie Teil der Treppe zum Golgathafelsen, welche den Katholiken gehört und darf nur von Katholiken gefegt werden.

es kam übrigens zu einer salomonischen lösung:

diese stufe darf zweimal am tag gefegt werden. wir sahen übrigens zigarettenkippen genau da liegen.

die meisten anderen konflikte in dieser kirche harren noch einer lösung.

auf dem foto oben sieht man über dem eingang auf dem rechten fenstersims eine leiter stehen. die hat wohl jemand bei irgendwelchen arbeiten vor urzeiten vergessen. das fenster und der sims sind erstaunlicherweise keiner kirche zugeordnet. das genau ist das problem. denn derjenige, der diese leiter entfernen möchte, muß den sims betreten oder durch das fenster krabbeln und könnte dann ja besitzansprüche geltend machen. und das geht gar nicht. deshalb steht die leiter immer noch da und fällt wahrscheinlich irgendwann einem pilger auf den kopf. {Sie diente übrigens im 19. Jahrhundert den Mönchen zum Einstieg in die Kirche, wenn die Tore behördlich geschlossen waren. Quelle Wikipedia }

Das Innere der Kirche ist ein Gewirr von Kapellen und heiligen Ecken, die alle eifersüchtig von den Priestern der jeweiligen Konfession bewacht werden. Der wichtigste Ort ist natürlich das heilige Grab, vor welchem ein solcher Andrang herrscht, dass der diensthabende orthodoxe Priester den Pilgern nicht einmal Zeit für ein „Vaterunser“ läßt. Rein, Totenbett küssen, raus!

Das heilige Grab
Der Grabeingang in Nahaufnahme

Den besinnlichsten Ort in der ganzen Kirche fanden wir in der halb unterirdischen armenischen Kapelle und die dahinter und ganz unterirdisch liegende Kapelle der heiligen Helena. Dies ist der älteste Teil der Kirche und soll von Helena – der Mutter Kaiser Konstantins – gegründet worden sein.

Bina in der Armenischen Kapelle

Anschließend gehen wir wieder voll mit neuen Eindrücken nach Hause (in den Bulli) und kochen Abendessen.