23. Donnerstag:
Die Straße von Jerusalem runter nach Jericho und zum Toten Meer ist gleich auf mehrere Weisen ein Erlebnis. Erstens fährt man im letzten Stadtteil von Jerusalem, der sich noch komplett nach „mitten-in-der-Stadt“ anfühlt, in einen kaum einen Kilometer langen Tunnel, um am Tunnelausgang sofort mitten in die Judäische Wüste teleportiert wiederzufinden.

Zweitens geht es auf kaum 40km Strecke von 800m über dem Meeresspiegel auf 400m unter den Meeresspiegel. Wir haben regelrecht das Gefühl in die Erde hineinzufahren. Drittens fährt man zwar durch die Westbank, fühlt sich aber wie in Israel, weil man sich auf einer israelischen Bypassstraße befindet. Und viertens ist da das leicht verstörende Wohlstandsgefälle zwischen den israelischen Siedlungen und den Beduinenlagern neben der Straße.

vorne eine berber- sprich nomadensiedlung, in der unter schwierigsten bedingungen gelebt wird, dahinter die schicke jüdische siedlung mit allem, was das herz begehrt. vor allem wasser.
mich macht das jedesmal wütend. es ist so ungerecht. ich wünsche mir, das uns c… vom aic so schnell wie möglich etwas zu tun gibt, sonst halte ich solche bilder nicht lange aus.
unten im jordantal angekommen biegen wir nach jericho ab, der ältesten stadt der welt.
wir verlassen die israelisch kontrollierte c-zone und begeben uns in die palästinensisch kontrollierte a-zone.

über die angebliche gefahr muß ich immer lachen. ich bin sicher, wir werden überaus beglückt empfangen. endlich kommt mal jemand zu besuch. als ausländer dürfen wir ohne weiteres in die a-zone hinein.
ein bummel durch die stadt ist obligatorisch. im gemüseladen, wo wir unsere vorräte auffrischen, gibts erst mal zwei in der oase jericho angebaute bananen auf die hand und ein großes hallo. endlich kommen mal fremde. und dann von so weit weg aus deutschland. und sie können sogar ein bischen arabisch! stundenlang sitzen wir an der straße bei einer argila, wie die shisha (wasserpfeife) hier heißt, und tee. wir sehen uns an den menschen und dem straßenwirrwarr nicht satt.




auch wir werden angeschaut. von den erwachsenen diskret, von den kindern mit großen kulleraugen. dass eine frau an der straße argila ist vielleicht ungewöhnlich. und dann noch ohne kopftuch. aber ich denk mir: wenn ihr wollt touristen haben wollt, müßt ihr damit leben, daß sie anders sind als ihr. hier wird frischer zitronensaft ins pfeifenwasser gemischt. das gibt dem ganzen etwas sehr frisches. das müssen wir uns für zu hause merken.
Wobei wir (um vorzugreifen) spätestens in Ramallah lernen werden, dass vor allem jüngere palästinensische Frauen das Im-Cafe-Sitzen und das öffentliche Rauchen der Argila nicht mehr den Männern überlassen. Dort sehen wir in vielen Cafes junge Frauen zu zweit oder in kleinen Gruppen zusammensitzen. Oft auch mit Argila.
manchmal kommt ein reisebus voller touristen vorbei. das wirkt dann immer wie ein kreuzfahrtschiff in venedig. da sieht man die stadt vor lauter hochhaus auf dem wasser nicht. allerdings mit dem unterschied, daß der bus richtung kloster der versuchung vorbei fährt und nicht den ganzen tag die straße versperrt.
Naja, so groß sind die Busse auch nicht. Aber sie wirken schon wie UFOs, mit ihren Insassen, die sich von ihrem sicheren israelischen Hotel mit dem Reisebus durch diese arabische Stadt (Die sie vermutlich niemals betreten würden! – Wer weiß, welche Gefahren hier lauern!) zu ihrer Sehenswürdigkeit fahren lassen. Überhaupt ist es erstaunlich, wie gut die Reiseveranstalter es schaffen, die meisten Touristen und Pilger ohne wirklichen Kontakt zur arabischen Bevölkerung durchs Land zu schleusen. Vor allem, wenn man bedenkt, dass die meisten Pilgerziele in arabischen Städten oder Stadtteilen liegen: Ostjerusalem, Betlehem, Jericho, Nazareth und so weiter. Aber die Hotels liegen fast alle im israelischen Gebiet.
etwas außerhalb liegt der „tel es sultan“, das alte jericho, mit dem ältesten gebäuden der welt. und gleich davor die quelle des elias. hier waren wir schon vor 6 jahren und wollen dort auf dem parkplatz schlafen. die baustelle von damals ist mittlerweile ein großes souvenier-geschäft nebst restaurant. pfauen stolzieren herum, ein dromedar liegt neben der quelle und der mensch dazu wartet auf touristen, die eine runde um den platz reiten wollen.
Wir stellen Bulli ab und ziehen die Wanderschuhe an. Wir haben noch zwei Stunden bis Sonnenuntergang, das reicht für eine Kurzwanderung zum Kloster der Versuchung.

Eins muß man der griechisch orthodoxen Kirche lassen. Sie hat ein gutes Händchen bei der Ortswahl für ihre Klöster. Schlicht und ergreifend atemberaubend!
Im Inneren des Klosters befindet sich der Stein, auf dem Jesus 40 Tage lang gefastet und meditiert haben soll, nachdem ihn Johannes im Jordan getauft hat. Und auf dem ihm der Teufel in Versuchung geführt haben soll.

kaum sind wir rechtzeitig zum sonnenuntergang zurück am bulli, kommt jemand angelaufen und fragt, wer wir sind. er ist der nachtwächter, der immer wieder ankommt und neugierig auf bullis innenleben ist. er hat nichts dagegen, daß wir hier schlafen wollen. im gegenteil. er verspricht, das er ganz besonders auf uns aufpassen wird. ich koche tee und fange das schnippeln fürs abendessen an. der nachtwächter bekommt von beidem etwas ab. ich muß es ihm richtig aufdrängen. von arabischer gastfreundschaft lernen heißt siegen lernen.
dann kommt der nächste mensch, der sich als manager des komplexes herausstellt. wir denken schon, wir werden weggeschickt, weil es dunkel ist, der laden schließt und das große eingangstor auch. aber nichts da. wir sollen uns hier sicher fühlen, er heißt uns willkommen und wenn wir etwas brauchen, sollen wir bescheid sagen. michel packt den rechner zum blogschreiben aus, wir machen es uns nett und dann erscheint ein weiterer mensch, der besitzer des restaurants, und stellt ihm eine argila hin. mit kohlebecken zum selbst bedienen. 15 min. später kommen zwei tassen kaffee. und noch später große becher mit landestypischer zitronenlimonade. eine gruppe jungs gesellt sich mit eigener argila zu uns und michel hat schwierigkeiten, ihnen klar zu machen, daß wir morgen nicht zum lunch ins flüchtlingscamp kommen können (eine einladung zum gratisfrühstück im restaurant hatten wir vorher schon abgelehnt) und auf die angebotene stadtführung leider verzichten müssen. und die quelle des elias sprudelt ihr rauschendes lied dazu. was für ein wunderbarer abend.
ja, in palästina ist es sehr gefährlich. ständig muß man sich vor der herzlichkeit der menschen in acht nehmen!

