Di., 28.10.
die wahrnehmung, was normal ist und was nicht, was also was filmenswert ist, ist für die menschen hier extrem unterschiedlich zu dem, was in deuschland normal ist.
- normal ist es hier, dass sich vier soldaten auf einen nachbarn stürzen, den sie auf patrouille treffen und ihn zu boden werfen.
- normal ist es, dass der neue nachbar verhaftet und zum verhör mitgenommen wird, weil er jeden abend zur selben zeit am wachposten vorbei geht. klar, wer regelmäßig zur arbeit geht hat auch regelmäßig feierabend und muß dann am wachposten vorbei, der zwischen den checkpoints und seinem haus liegt.
geregelte arbeit! das geht ja gar nicht…. - normal ist es, dass man angeschnauzt und weggeschickt wird, wenn man den seitlichen teil der EIGENEN terrasse unterhalb der siedlung betritt.
- normal ist es, dass die italienerin noch zwei tage versucht durch den checkpoint 56 zu kommen, weil sie noch sachen im sumud-zentrum hat, und beide male abgewiesen wird. mit der lüge, das gesamte gebiet auf dieser seite des checkpoints, sei eine closed military zone. sie ist dann mit ablauf ihres visums und unverrichteter dinge über jordanien ausgereist.
- auch für uns ist es inzwischen normal, dass wir bei drohnengeräuschen im haus verschwinden. (michel witzelt: ‚was machst du für einen sport?‘ – ‚ich renne ins haus, wenn drohnen kommen.‘)
- dass soldaten und siedler mit waffen herumlaufen, denen man aus dem weg geht.
- dass wir uns auf den seltenen gängen nach H1 aus dem haus und wieder hinein stehlen und vorher klären, ob es sicher ist.
- normal, dass die siedlerjugendlichen so gut wie jeden tag die oliven aus der palästinensischen nachbarschaft stehlen. soldaten meist mit dabei sind und (fast) nie eingreifen.
- die jungs vom YAS beobachten das nur, rufen die ‚civil administration‘ an, die aber doch nie kommt. würden sie hinausgehen, bekämen sie ärger.
auch das ist normal.
für die menschen hier ist das alles nicht mehr filmens- und berichtenswert und wir bekommen hinweise, wann filmen unnötig ist und wann wichtig. wichtig ist es dann, wenn siedler oder soldaten auf die terrasse eindringen, und wenn die YAS-aktivisten involviert sind und ihnen anschließend tätlichkeiten unterstellt werden könnten.
Olivenklau – wieder mal
so geschah es am sonntag den, 26.10. und auch am montag. dieses mal am baum direkt an unserer tür. wir können über die kameras sehen, wie die jugendlichen eine sehr lange stange zusammenstecken, eine plane unter den baum legen und die oliven von den zweigen schlagen.
Das sind jetzt der 3. und 4. Olivendiebstahl der beiden Siedler-Teenager. Die ersten beiden waren letzten Freitag und vorletzten Freitag. Immer um 15:00 oder 16:00 Uhr. Hier ein Video vom 3. Olivendiebstahl, bei dem ein Siedler vorbeikommt, der mit seinem Hund spazieren geht, und kurz mit den beiden Dieben redet. (Kein Palästinenser kann sich trauen hier einfach so spazieren zu gehen.)
beim letzten olivendiebstahl sehen wir auch, und das wundert uns wirklich, dass zwei soldaten versuchen, es den jungs zu verbieten. aber die soldaten haben keine handhabe, denn für siedler-angelegenheiten ist die polizei zuständig. issa wird angerufen und ist tatsächlich wie angekündigt nach 5 minuten da. wir sehen, dass die jugendlichen ihn sofort angehen wollen und beobachten (es geschehen noch zeichen und wunder), dass die soldaten das aktiv verhindern und issa unbeschadet das haus betreten kann. die diebe verschwinden dann auch.


Sumud: Olivenbäume überleben!
zu unserer großen freude schlagen die beiden uralten olivenbäume aus diesem video, die am 7. September 2023 von siedlern angezündet wurden (genau einen Monat VOR dem Hamas-Überfall), wieder aus.



Immer noch keine Antwort
Die deutsche Botschaft hat weder auf ihre offizielle Beschwerde in unserer Sache, noch auf die beiden Erinnerungsschreiben mehr als automatisierte Eingangsbestätigungen vom Israelischen Außenministerium bekommen.
Sofern ich den hohen deutschen Diplomaten, mit dem ich darüber gesprochen habe, richtig verstanden habe, ist das eigentlich ist das ein diplomatischer Affront, aber für Israel im Umgang mit Deutschland derzeit normal. Israel scheint in Anbetracht der Deutschen Staatraison keinen Anlass zu sehen, sich an diplomatische Regeln und Gepflogenheiten zu halten.
Selbst das grundlegende Rechte auf konsularischen Beistand für deutsche Staatsbürger in israelischer Haft setzen sie außer Kraft, ohne dass Deutschland ernsthaft reagiert. Letzte Woche saß eine deutsche Aktivistin, die Palästinensern bei der Olivenernte geholfen hatte, drei Tage in Abschiebehaft, ohne dass ihr Kontakt zur deutschen Botschaft gewährt oder die Botschaft auch nur informiert wurde.
Trotzdem ein Ausflug
erst mal geht es in den hammam.
Die Rituale und Abläufe im Hammam sind hier in Hebron anders, als alles, was wir kennen. Während man auf dem heißen Stein liegt, wird man mit halben Zitronen und Soda abgerieben. Die Massage ist ohne Seifenschaum. Aber der größte Unterschied ist, dass es ein kleines Tauchbecken gibt:

Wenn man dieses 300 Jahre alte Tauchbecken einem Archäologen zeigt, wird er es mit sicherheit als jüdische Mikwe identifizieren. Als jüdisches Ritualbad. – Jetzt ist Hebron bekannt dafür, dass hier sehr viele sehr alte Traditionen gepflegt werden, weil die Familien hier ja sehr alt, konservativ und traditionsbewußt sind. Wir fragen uns, ob diese mikweartigen Tauchbecken in den Hammams hier ein Überbleibsel aus der Zeit vor zweitausend Jahren sind, als eben diese Familien jüdisch waren. (Wir schrieben ja, dass sie nachweislich seit der Bronzezeit vor 4.400 Jahren kontinuierlich hier leben.)
aber es ist auch schmerzhaft, denn wir werden mit einem schröpfkopf massiert. dazu nimmt der inhaber einen einfachen keramikbecher, in dem ein benzingetränkter wattebausch angezündet wird, presst ihn auf die haut und zieht ihn über den körper. es tut höllisch weh, aber hinterher ist es schön. wir wußten nicht, das teebecher auch foltergeräte sein können.
leider kommt er mir über die massage hinaus auf eine weise nahe, die ich nicht mehr gut finde. ich muß seine zudringlichkeiten sehr deutlich abwehren und wir beschließen, issa zu bitten, das bei ihm anzusprechen. er hat zu ihm die kulturelle augenhöhe und kann das als muttersprachler sicher weniger verletzend als ich.
es ist aber auch verwirrend. ich renne, sauna-gewöhnt, nackig und bestimmt einladend herum und will dann doch nicht. nächstes mal wickele ich mir das laken um, dass man anfangs bekommt und auf dem man auf dem heißen stein und der massagebank liegt.
auf dem weg zurück entdecken wir tatsächlich den buchladen von abeer:

der einzige buchladen in der altstadt und der erste überhaupt. abeer sagt, es hätte wohl mal einen schreibwarenladen gegeben, aber keinen buchladen. sie hat ein sammelsurium aus gebrauchten und neuen büchern, hauptsächlich auf arabisch, und wir erstehen buch von gerry adams auf englisch. gerry adams ist der ehemalige präsident der irischen sinn fein, soll bei der ira gewesen sein und war maßgeblich am karfreitagsabkommen in irland beteiligt.
abeer bietet auch unterschiedliche zeichenkurse und vorleserunden für kinder und frauen an und kriegt jedes mal zuviel, wenn die siedler ihre samstags-spaziergänge durch die altstadt machen und die soldaten dann ihren laden schließen.
michel organisiert tee, wir klönen eine weile und werden sie bestimmt wieder besuchen.
danach treibt uns der hunger an einen der imbiss-stände (neudeutsch: street-food).
nirgendwo schmeckt schlichtes kebab mit gegrillten zwiebeln und tomaten im pitta so gut, wie von einem stand bei dessen anblick jeder deutsche amtsarzt zustände kriegen würde.
michel plündert noch einen bankautomaten und wir stromern weiter ins q-candy, einem cafè amerikanischer art, das wir noch von 2017 kennen. es gibt kaffee und kuchen. unfassbar, es hat sich nichts verändert. aber uns fällt auf, das es auf dem weg dorthin sehr viel mehr schicke läden gibt als damals.

in der dämmerung gehen wir dann zurück zum abfahrtsplatz der service-autos am checckpoint 56 und dort treffen wir ashwaq.
eine junge rechtsanwältin, die auch in unsere richtung will, recht gut englisch spricht und ganz begeistert von unserer bekanntschaft ist. sie lädt uns zu sich nach hause ein.
ihre ganze familie strömt zusammen, die nachbarn dazu und immer kommt noch jemand hereingeschneit und will sehen, wen ashwaq da mitgebracht hat.
der zirkus (also wir) ist in der stadt.

es gibt für uns essen und cola und anschließend kaffee, staunende blicke und leider auch viel schweigen, weil nur ashwaq übersetzen kann, aber die ganze zeit hin und her flitzt und uns serviert.
grade die frauen sind zu schüchtern, ihre fragen zu stellen und so nehme ich meinen kaffee und bitte die frauen nach nebenan.
offensichtlich ist das genau das richtige. sie trauen sich zwar immer noch nicht zu fragen und mir wird nur gesagt, wie hübsch ich bin, aber alle legen schwatzend und kichernd ihre kopftücher ab und zeigen mir ihre haare. was kommen da für wallemähnen unter den hidjabs hervor! dick und teilweise oberschenkellang!
nach einer stunde müssen wir wieder gehen. das sumud-zentrum wartet auf uns und die tagwache will nach hause.
michel war so klug und hat das gleich am anfang deutlich gemacht, so dass es nicht, wie wir es bei unseren syrischen freunden in deutschland schon erlebt haben, zu irritationen kommt, weil wir so plötzlich aufspringen.
schnell ist jemand gefunden, der uns zu der stelle fährt, wo wir auch aus dem service aussteigen würden um schnell zum haus zu kommen.
die nacht ist ruhig. nur vom wachposten hören wir stimmen. die soldaten haben mal wieder besuch, was auch ärger bedeuten könnte. und wir riechen massive haschisch-wolken, die zu uns herunter wabern.
Das ist gut! Wer bekifft ist, wirft keine Steine.
Cat Content
Adam und Lilith die beiden Katzen des Sumud sind bei uns inzwischen komplett handzahm und haben letzten Morgen (nach der Nachtschicht) das erste Mal beide mit bei uns im Bett geschlafen.


