Stallwache

Di., 28.10.- Di., 04.11.

Am Dienstag letzter Woche ist Issa nach New York abgereist. Er ist auf die „Time100-Next-Gala“ des Time-Magazins eingeladen, weil er auf der diesjährigen Time-100-Liste ist. Er wird etwa eine Woche in New York bleiben und dort unter anderem auch einen Vortrag an der Columbia University halten. – Und weil es offiziell ist, müssen wir davon ausgehen, dass die Siedler wissen, dass er eine Woche lang nicht da ist.

Issa Amro auf dem roten Teppich der Time100-Next-Gala 2025.

Für uns und die Jungs von YAS heißt das: Stallwache!
Die erste Priorität ist, das Haus zu halten. Die zweite Priorität ist, das Haus zu halten. Das Haus liegt wie ein Pfropfen zwischen der Siedlung Tel-Rumeida und den Olivenheinen, die sich den Berg hinunter bis zur Shuhada Street ziehen. Die Siedler sind scharf auf dieses Haus, wie vermutlich auf kein zweites Grundstück (mit Ausnahme des Tempelberges). Wenn sie dieses Haus kriegen, bekommen sie genug Raum um ein ganzes Stadtviertel mitten in Hebron und mit Blick auf die Machpela zu bauen.

Wir bleiben also die ganze Woche im Sumud-Zentrum. Gehen nicht ein einziges Mal raus. Betreten nur das Viertel der Terrasse, das von Siedlern und Soldaten garantiert nicht eingesehen werden kann. Unterhalten uns draußen nur flüsternd. Sie wissen, dass hier Leute sind, aber nicht wer und wie viele. Das soll so bleiben. Und die Soldaten sollen keine Handhabe haben, uns beide rauszuschmeißen, damit die Siedler anschließend mit den Palästinensern Tabula Rasa machen können.

Jede Nacht übernehmen wir beide ab ein Uhr die Nachtwache. (Wir sitzen rechts auf der Bank an der Wand.)
Wenigsten haben wir viel Zeit für die Katzen.

Einmal kommt mitten in der Nacht plötzlich Wasser aus der städtischen Leitung. Sofort werden alle Tanks aufgefüllt. Das Haus hat 7 Wassertanks, die jeder 1.500 Liter fassen, sowie einige kleinere Tanks um die (wortwörtlichen) Durststrecken zwischen den unregelmäßigen Wasserlieferungen zu überbrücken.

Am Samstag haben die Siedler hinter uns eine große Party. Es ist der 30te Jahrestag der Ermordung des israelischen Premierministers Yitzhak Rabin, und das feiern sie. Sie lassen seinen Mörder, Yigal Amir hoch leben. Er war hier in der Hebroner Siedler-Comunity sehr aktiv. Mit Yitzak Rabin ist (vereinfacht gesagt) auch der Friedensprozess gestorben. Und seine Mörder sind jetzt an der Regierung. Zum Beispiel Ben Gvir, der etwa 2km von hier wohnt und auch schon persönlich an Angriffen auf dieses Haus beteiligt war.

Am Sonntag kommen dann gleich drei Gruppen hier im Sumud-Zentrum vorbei.

Tour von Breaking the Silence auf einer unserer Überwachungskameras.

Am spannendsten ist die Delegation der Slowenischen Botschaft. Der Botschafter höchst persönlich gibt sich die Ehre. Und er ist wirklich interessiert. Er will wissen, was die Slowenische Regierung, die Botschaft und er selber tun können, um die Palästinenser möglichst effektiv zu unterstützen. Der zentrale Begriff, der in dieser Diskussion immer wieder fällt ist: SANKTIONEN! Gegen Siedler, gegen Firmen die in Siedlungen produzieren, gegen alles was an der Besatzung und Ethnischen Säuberung im Westjordanland, sowie dem Genozid in Gaza beteiligt ist oder daran verdient. – „Die Besatzung teuer machen!“

In der Nacht von Montag auf Dienstag brennt es unten in der Altstadt. Einer der 1.500 Jahre alten Wohntürme, der direkt an eine Siedlung grenzt, sowie ein daneben geparktes Auto brennen. Die auf Erfahrung basierende Vermutung hier ist: Brandstiftung von interessierter Seite.

Auf dem letzten Bild erkennt man nicht nur an den Flutlichtern, dass das brennende Haus von drei Seiten (vorne, hinten, rechts) von israelischen Armeeposten und der Siedlung umgeben ist. Wer gut hinsieht, erkennt auch mindestens drei Überwachungskameras auf dem Bild.

Nach einer Woche Stallwache haben wir Lagerkoller und sind froh, dass am Dienstag genug Aktivisten da sind, so dass wir (mit den üblichen Sicherheitsvorkehrungen) einen Ausflug in den lebendigen Teil von Hebron machen können.

Neben einem Einkauf steht als wichtigster Punkt ein Besuch bei Abeers Buchladen auf dem Programm.

Abeer liest uns aus dem Buch vor, das sie gerade mit ihrer Kindergruppe liest. Die Kinder lernen dabei, wie sie durch Atemübungen ihre Angst in den Griff bekommen können. – Angst ist bei den palästinensischen Kindern hier ein großes Thema und Problem.

Bevor es zurück geht, gönnen wir uns noch einen Tee und eine Argila (Wasserpfeife).

sieben tage können eine lange zeit sein. was hilft ist disziplin. wie deutsche halt so sind….

wir stehen morgens pünktlich um 09.00h auf. michel kocht tee, füttert die katzen und macht frühstück. ich verschwinde im bad.
wer uns kennt, weiß, daß dies verkehrte welt ist. morgenverrichtungen sind sonst ja mein job. nach dem frühstück gibt es schnell die tagesmeldung auf signal.
irgendwann kommt mohammad, kocht sich kaffee, hockt sich vor den eingang außer sicht und verschwindet irgendwann zum anderen mohammad nach oben.
die wunderbare plattform vorne mit der schönen aussicht bleibt meistens leer.

wir lesen nachrichten, ich wasche alle paar tage wäsche mit der hand, die dann auf der improvisierten leine im zimmer hängt. michel legt längere arabisch-lern-einheiten ein und ist damit sehr fleißig. mich plagt ein schlechtes gewissen, ich sollte eigentlich genauso fleißig sein, schaffe das nur bedingt. aber ich kriege auch so langsam die lernkurve….
die terrasse wird hin und wieder schnell gefegt. die bäume verlieren ihr laub und die oliven ihre früchte. letzteres ist unendlich bitter. oder ich räume unser zimmer auf und fege durch.

ich hänge viel am smart-phone und bin ehrlich froh, das wir es hier lassen, wenn wir wieder ausreisen. dies verdammte ding hat extremen suchtcharakter, so nützlich es auch grade ist.
aber zum lesen kommen wir auch und ich schreibe täglich ein paar zeilen tagebuch.

wenn jemand kommt, verschwinden wir aus sicherheitsgründen für eine weile im haus. es kann immer sein, das soldaten hinterher kommen, die wissen wollen wer hier ist. sie brauchen nicht zu wissen, daß wir noch da sind.
der nachtschicht-mohammad geht oft tagsüber nach hause und wenn er zur nachtschicht wieder kommt, hat er oft eine leckerei dabei. kleine puddings oder mal mais, den er zu popcorn macht. mit salz und käsegeschmack.

wir haben eindeutig zu wenig bewegung. mir schmerzt vom sitzen der rücken, michel tapert oft hin und her und zuweilen machen wir gymnastik.
mittags legen wir uns oft noch ein bischen schlafen. manchmal überkommt uns auch der lagerkoller und wir verschwinden einfach für längere zeit im bett. und ich koche öfter am späten nachmittag, wenn es keine gruppen gibt, die ebenfalls von den YAS-jungs bekocht werden oder nachtschicht-mohammad steht am herd, was er gerne tut und gut kann. wir putzen dann anschließend die küche und gehen früh für die erste runde schlafen.

um zehn vor eins in der nacht klingelt der wecker, um 01.00h sitzt dann ein älteres ehepaar auf der bank an der hauswand, hat oft die katzen um sich herum und lauscht in die umgebung, in der hoffnung, es bleibt ruhig. ich aktiviere die kamera-app auf meinem handy, damit wir schnell schauen könen, ob sich draussen was tut.
manchmal sirren drohnen am himmel, dann vershwinden wir ins haus oder ziehen unsere kaputzenpulli-kaputzen über den kopf.
ab 03.00h können wir davon ausgehen, daß es ruhig bleibt und wir schauen einen film.
meist etwas heiteres, obwohl wir interessante filme aus oder über palästina finden.
aber palästina haben wir um uns herum genug.
um 05.00 ist unsere schicht beendet und das ältere ehepaar geht wieder schlafen.
die katzen dürfen mit ins zimmer. adam liegt meist neben dem bett auf einem stuhl mit einer decke, lilith am fußende.
und wir freuen uns, daß wir auch dieses mal eine ruhige nacht hatten.

Heute Abend hatten wir als Neuheit neben Qadrokopterdrohnen und echten Hubschraubern ala „Apocalypse Now“ eine große Flugzeugdrohne über uns kreisen. Vermutlich eine Heron, Spannweite ca. 16m, High-Tech-Kameras, kann (wenn bewaffnet) ganze Wohnblocks in Schutt und Asche legen, bis zu 52 Stunden Flugzeit und nervtötend, wenn sie über einem kreist. – Zum Glück war ihr nach etwa einer Stunde langweilig, und sie hat sich getrollt.