Antiochia: Die älteste Kirche der Welt

Montag 02.10.17 das erneute telefonat mit herrn ersin ergibt, das die fähre heute nicht fährt, weil in israel feiertage sind. die nächste geht am freitag und wir sollen donnerstag noch mal anrufen.

na gut. also fahren wir noch weiter in den süden.

wir sind in antiochia (das auf türkisch hatay heißt und auf arabisch antakia). diese historische stadt hat viele namen.

und ist echter orient. eine türkisch und arabisch gemischte stadt.

und – oh wunder – keine wirklichen wolkenkratzer, sondern eine stadt nach unseren vorstellungen, wo die kirchtürme, hier minarette höher sind, als die umliegenden häuser.

st. peter, die wohl älteste kirche der welt. wahnsinn!

Die wohl älteste Kirche der Welt in Antiochia.

 

Das antike Antiochia war um das Jahr Null unserer Zeitrechnung die viertgrößte Stadt des Römischen Imperiums. Hier traf sich die zweite Gemeinde von Anhängern des Jesus von Nazareth in einer Grotte am Rande der Stadt. Was die Petruskirche zur ältesten Kirche der Welt macht. Und hier wurden die Anhänger Jesu auch zum ersten Mal „Christen“ genannt.

Der 1. Kreuzzug hätte in Antiochia beinahe mit einer vernichtenden Niederlage der Kreuzritter geendet. Doch die belagerten christlichen Ritter glaubten in der Grotte die „Heilige Lanze“ gefunden zu haben, mit der die römischen Soldaten dem am Kreuz hängenden Jesus in die Seite gestochen hatten. Mit dieser Lanze vorneweg machten sie einen verzweifelten Ausfall und besiegten gegen jede Chance das völlig überraschte muslimische Heer.

Nach der Besichtigung der Kirche essen wir mit einem kurdischen Pärchen zu Abend. Die einzigen „Touristen“, die wir in der Türkei treffen sind übrigens Türken, die im eigenen Land Urlaub machen, oder im Ausland lebende Türken auf Heimaturlaub. Deutsche, Russen, Engländer… Fehlanzeige!

Fremde sind Freunde, die man noch kennen lernen muss.

weniger schön ist, das ich abends auf dem platz vor der Kirche, wo wir eigentlich schlafen wollten, von einem hormongesteuerten jungen mann massivst belästigt werde, der auch nicht nachließ, als michel sich vor ihm aufbaute, so daß wir lieber woanders schliefen.

kein sonderlich guter start für den besuch einer historisch großen stadt.

Idioten gibt es überall. Und auf viele sehr freundliche und hilfsbereite Türkinnen und Türken kommt halt dieser (wortwörtliche) Wixer! Während ich gerade im Bulli bin steht er plötzlich am Rande des Platzes und versucht binas Aufmerksamkeit zu erregen. Als sie hingeht hat er sein „Bestes Stück“ in der Hand und… (Ja genau das!) Keine Ahnung was er erwartete, aber bina ist eine gestandene Frau, war Punkerin und hat jahrelang auf dem Kiez in St. Pauli gelebt. Wenn er die erschrecken will, muss er früher aufstehen. Sie lacht ihn laut schallend aus. Leider läßt er sich weder davon noch von mir dauerhaft vertreiben. Wir haben also die Wahl ihn zu ertragen, massiv zu eskalieren oder das Feld zu räumen. – Wir räumen und schlafen woanders.

Am nächten Morgen frühstücken wir aber vor der Kirche. Schon aus Prinzip.

Antiochia: Wir sind im Orient!

Dienstag 03.10.17

wo fange ich nur an?

bei der tourist-info. der mensch drückt uns erst lachend die hand, dann süßigkeiten hinein und gibt uns anschließend eine große tüte mit englischem infomaterial, welches wirklich brauchbar ist.

wahrscheinlich sind wir die ersten seit einer woche, die ihn besuchen.

endlich gibt es für mich einen bazar. diese engen unebenen gassen, gerüche, farben, menschen, geräusche! ab und zu ein geschobener karren oder ein verwegenes mofa.

abseites eine kleine bar, der kaffee delikat, nebenan männer beim backgammonspiel. junge männer laufen hin und her, tabletts mit tee oder kaffee für die umliegenden händler in der hand und mit leeren gläsern zurückkommend.

ein alter mann, der uns als deutsche erkennt, selbst in köln war und sich freut. mit mir zu schlecht gesungenen kölner karnevalsliedern ein kurzes tänzchen auf der gasse wagt. alle lachen.

Du kriegst den Mann aus Köln raus! Aber nicht den Karneval aus dem Mann!

ich kaufe mir ein kopftuch, für später zur moschee-besichtigung und hab spaß am feilschen. michel findet einfache, aber bequeme schlappen.

Bina in einer Moschee.

diese berge an gewürzen, oliven, getrockneten pilzen und paprika. schuhe, schuhe, schuhe. dann kleidung noch und nöcher. und immer wieder läden mit schulränzeln. dazwischen bäckereien mit feueröfen hinten im laden. schmuck.

ich erkenne den nachteil einer langen reise. am liebsten würde ich groß einkaufen, auch wenn ich nicht weiß, wofür man das alles nutzt. und dann bald nach hause, es ausprobieren. aber wir wollen ja noch weiter und das alles mitschleppen…?

Der Basar – Arabisch: „Shuk“

wir sind offentsichtlich die einzigen touristen. werden angesprochen. nicht um uns was zu verkaufen, sondern weil wir wohl zu einer selten gewordenen spezies gehören.

wie bin ich entschädigt für diesen spinner von gestern nacht!

abseits des bazars ein viertel auch mit vielen engen gassen und 2-geschossigen wohnhäusern. darin in schattigen innenhöfen kneipen, bars und cafes.

cafe bagdad. es riecht nach shisha, dort machen wir pause. jemand singt zur gitarre wunderschöne hiesige lieder. wir sitzen alle zusammen und klönen. irgendwer kann immer irgendwie ein bischen englisch. wir fragen nach dem alten hamam, den wir auf dem weg sahen. ja, der ist tags für frauen und männer, aber abends nur für männer.

hin da! und leider doch nur für männer. michel würde gern, verzichtet mir zuliebe und mir bricht ein bischen das herz. er freut sich doch so darauf. ich frage nach dem frauenhamam und es gibt sogar zwei im bazar, aber die seien nicht schön. natürlich nicht. bei frauens ist alles immer einfacher gehalten.

in einen gehe ich und michel verschwindet in seinem.

es ist wunderbar. was von mir für ein dreck in röllchen runterkommt! peinlich! spaghetti, lacht marine, mit der ich mich mit händen und füßen unterhalte und ihr erkläre, warum ich so dreckig bin. sie schrubbt und badet mich, massiert mich ein bischen durch, wovon ich mir doch ein wenig mehr versprach. aber entspannt bin ich trotzdem und lümmele mich auf dem heißen stein. ich bin ganz allein. irgendwo plätschert wasser, von draußen dringt kein geräusch des bazars zu mir hinein. leider kommt marine irgendwann, um mich zu holen.

im sherai sitze ich noch eine weile, höre den frauen zu, die zusammensitzen und reden und verabschiede mich irgendwann. das ganze hat keine 15.-€ gekostet. hamam in hamburg ist viiiieel teurer.

michel fühlt sich genau so sauber wie ich und wir essen zusammen künefe bei murat, der in einem künefe-cafe arbeitet und einer von denen ist, die uns so freudig angequatscht hatten.

künefe ist eine sensation. eine hiesige spezialität. eine art baklava mit käse gefüllt, in großen pfannen knusprig frisch gebraten, mit viel zuckersirup und dick mit geriebenen pistazien bestreut.

die frage von murat, ob wir wirklich noch eis wollen, ist berechtigt.

Tagesabschluß mit Kalorienbombe.

zwei weitere „touris“ kommen währenddessen auf den kleinen platz, wir laden sie an unseren tisch ein. er ein türkischer doktorand, der seine doktorarbeit in kiel schreibt. sie eine türkische programmiererin, die mit ihm nach norddeutschland gezogen ist. wir unterhalten uns auf englisch, da ihr englisch wesentlich besser als ihr deutsch ist. das gespräch dauert bis weit nach dem dunkelwerden, der platz hat sich längst geleert, alle läden schließen nach und nach mit dem gesang des muezzin zum sonnenuntergang.

Die Türkei ist sowohl von ihrer geographischen Lage als auch von Kultur und Gesellschaft her eine Brücke zwischen Orient und Okzident. Antiochia hingegen ist purer Orient! Historisch gehört Antiochia zu Syrien, konnte sich 1937 aber von den französischen Kolonialherren befreien und beschloss nach einem Jahr als freie Republik sich der damals noch jungen Türkei anzuschließen. Gegenüber den Französischen Kolonialisten das kleinere Übel.

Heute ist die Stadt zu etwa ¾ arabischsprachig und etwa ¼ türkischsprachig. Wobei die offiziellen Schilder alle auf Türkisch (und zum Teil auf Englisch sind). Die beiden in Deutschland lebenden Türken, von denen bina schon geschrieben hat, haben uns bestätigt, dass für sie Antiochia gefühltes orientalisches Ausland ist, weil die meisten Leute Arabisch sprechen.

Touristen kommen hier derzeit offensichtlich so selten her, dass die Einheimischen uns mehr bestaunen, als wir sie.

Vom Basar mit seinen Händlern, Gewürzen und Gerüchen hat bina ja schon erzählt. Ich will hier noch eine besondere Art Läden erwähnen, die zu photogaphieren ich mich nicht getraut habe. Im Basar gibt es mehrere Dessousläden deren Angebot als „Reizwäsche“ zu bezeichnen eine Untertreibung ist. Die Verkäuferinnen und ein großer Teil der Kundinnen sind sittsam und halal gekleidet, mit Kopftuch, bedeckten Armen und allem. Manchmal sogar mit Gesichtsschleier! So verschlossen die Kleidung dieser Frauen also für Fremde ist, der eigene Mann scheint im Schlafzimmer (oder sollte ich Harem sagen) wirklich etwas geboten zu bekommen.

Die Männer hier sind übrigens eine Augenweide für bina, die sich an ihnen offensichtlich kaum satt sehen kann.

Die Bäder (Hamam) sind streng nach Geschlechtern getrennt. Was aber für eine ganz eigene entspannte Atmosphäre sorgt. Männer (bzw. Frauen) unter sich im Bad achten nicht so auf Außenwirkung und geben sich der Hitze, den warmen Güssen, der Erholung, dem Schrubben und der Massage voll und ganz hin.

bulli hatten wir an einer straße mit parkscheinpflicht stehen. eigentlich wollten wir nur für drei stunden bleiben, aber da man erst bei abfahrt zahlt, blieben wir länger. leider wußten wir nicht, dass die bezahlzeit nur bis 18.30h ging. außerdem betreute ein stadtangestellter diesen bereich und kassierte das geld der autobesitzer.

als wir nun um 19.30h kamen, rannte er uns schon entgegen. total erleichtert, dass wir endlich da waren und er doch seine 18 Tl (Etwa 4,5€) bekam. er hatte auf uns extra gewartet und konnte endlich feierabend machen.

er bekam ein trinkgeld und es war uns sehr peinlich.

lieber mensch aus antakia: bitte entschuldige uns nachlässige touristen. wir passen nächstes mal besser auf.

In der Nacht wurden wir dann von Polizei geweckt, die mit Taschenlampen in unseren Bulli leuchtete. Es gab aber keinen Ärger. Sie waren nur um unsere Sicherheit besorgt. Einer von ihnen rief ein befreundetes Hotel in der Nähe an, auf dessen Parkplatz wir uns stellen sollten, damit wir gut bewacht seien. Wir zogen also mit 2 Polizeiautos Geleitschutz um und schliefen den Rest der Nacht gut bewacht.

Auch das ist Antiochia: ein Armenviertel gleich neben der Peterskirche.
Ebenfalls traurige Realität: Ein Kind sucht im Müll nach Plastik, das es sammelt, um es zu verkaufen.

Das Mafiahaus

Sonntag 15.10.17

Wir besuchen auf Empfehlung unseres Reinigungsinhabers das „Blaue Haus“, das Haus eines italienisch-griechischen Mafioso und Waffenschmugglers in den Bergen am Ostende der Nordküste Zyperns, bei Camlibel.

Das Haus liegt auf einem türkischen Militärgelände und ist trotzdem der Öffentlichkeit zugänglich. Es muss dem türkischen Militär also sehr wichtig sein, denn sonst lassen sie nichts und niemanden auf ihre Stützpunkte, Kasernen und Übungsplätze (von denen es in Nordzypern übrigens unglaublich viele gibt). Leider bleiben sie aber so paranoid, dass sie auch im Haus das Photographieren verbieten, wie in und um jedes Militärobjekt.

Es ist wieder das gleiche Spiel wie im Museum des Nationalen Kampfes. Hier wollen sie vor allem zeigen, wie gut die Drahtzieher der Griechen lebten, während die Inseltürken unter ihrer Brutalität litten. Und wieder werden Zahlen, Daten und Fakten weggelassen. Diesmal ersetzt durch Geschichten, die zwar gut sind, aber schon einem oberflächlichen Plausibilitäts-Check nicht standhalten.

– Vor 1960 ging es den Inseltürken nicht schlechter als ihren griechischen Landsleuten. Danach vermutlich ja. Aber der Beweis wird hier nicht geführt.

– Der Inhaber des Hauses lebte offensichtlich gut (immerhin in einer Villa mit Pool). Aber überschwelgend? Nein! Da haben es der Zeitungsmogul Hearst, Ludwig II von Bayern oder Berlusconi ganz anders krachen lassen.

– Zwar wird behauptet, dass der Hausbesitzer einer der größten Waffenhändler des Nahen Ostens war, aber es wird keine einziger Transport oder Deal von ihm als Beispiel konkret benannt.

– Die Geschichte, dass er seine Villa deshalb geschickt in die Berge gesetzt hat, dass er einerseits einen guten Blick auf Umgebung und Küste hat, man andererseits das Haus von außerhalb des Grundstückes nicht sehen kann, weil seine Waffentransporte über seine Villa liefen, ist unglaubwürdig. Kein Mafiapate lagert seine illegale Ware in der eigenen Villa. Deshalb ist er ja der Pate. Dieses Risiko lagert er (im Wortsinne) aus und schiebt es irgendeinem kleinen Gefolgsmann zu.

Was wir sehen ist eine 50er-Jahre-Villa, die vermutlich wirklich einem Mafioso gehörte. Dafür sprechen u.a. die Existenz eines Fluchttunnels und das versteckte liegende Wachhäuschen mit Schiessscharten. Aber vor allem fällt mir auf, dass sie erstaunlich funktional und geschmackvoll eingerichtet ist. Die Lage und Größe der Räume empfinde ich als angenehm. Und es gibt viele kleine Details, die zeigen, dass Architekt und Innenarchitekt wirklich nachgedacht haben. Zum Beispiel:

– Das nach Süden liegende Esszimmer hat einen überdachten Balkon, der dafür sorgt, dass es morgens und abends Sonne, mittags jedoch Schatten hat.

– Auf der Anrichte im zentralen Flur des Gebäudes steht eine bronzene Ballerinenstatue, die so ausbalanciert ist, dass sie bei einem leichten Erdbebenstoß mit lautem Krachen umfällt, was im ganzen Haus zu hören ist. Da leichte Erdbebenstöße oft Vorbeben für stärkere Stöße sind, ist dies ein geniales und elegantes Frühwarnsystem.

Einen Nebenaspekt der Führung, den ich bezaubernd finde ist, dass den Besuchern, die ja meist Muslime sind, beim einem Gemälde der Gottesmutter Maria mit dem Jesuskind auf dem Arm erklärt wird, wen das Bild zeigt, dass dies ein im Christentum häufiges Motiv ist und dass die Kreise aus Blattgold hinter den Köpfen (die Heiligenscheine) die Heiligkeit der Personen darstellen. – Dass die Verwendung von Blattgold für die Heiligenscheine als Beleg für den Luxus und die Prunksucht des Hauseigentümers gewertet wird, ist hingegen keine glaubwürdige Argumentation. Blattgold war und ist erstaunlich billig. Wir haben zu hause genug Blattgold für mindestens zweieinhalb Heiligenscheine herumliegen.

Anschließend fahren wir noch bis zur Küste unterhalb der Burg Kantara und verbringen den Nachmittag mit herumlungern und lesen.

Lungern im Bulli

Wanderung, Chamäleon, Antikes Salamis

Montag 16.10.17

Wir holen die Wanderung von Kantara zur Burg und zurück nach. Die uns vor einer Woche aufgrund, der Autorallye nicht sehr attrakiv erschien. Eine schöne dreistündige Bergwanderung ohne große Höhenunterschiede. Auf der einen Seite des Bergzuges hin und auf der anderen zurück. Vor allem der Hinweg wartet mit atemberaubenden Ausblicken auf.

Ausblicke

Den Höhepunkt bildet jedoch unsere zweite Chamäleonsichtung. Auf dem Weg ist es leicht zu übersehen, wenn man es jedoch einmal gesehen hat, ist seine Tarnung futsch. Im Gebüsch ist das etwas ganz anderes, selbst wenn es nur 20cm entfernt ist, und man genau weiß, wo es ist, ist es kaum zu sehen. Wir verlieren es immer wieder aus den Augen, und als es kaum 40cm von uns entfernt verschwindet es endgültig. Neben seiner farblichen Tarnung, ist es aufgrund seines Körperbaus schwer im Auge zu behalten (von oben ist es erstaunlich schmal) und aufgrund der Tatsache, dass es nicht huscht. Wenn etwas huscht, sieht man es sofort. Das Chamäleon bewegt sich jedoch langsam bis mittelzügig und wechselt ständig Geschwindigkeit und Richtung.

Das Chamäleon ist im Gebüsch nicht zu sehen. Wirklich nicht!!!
Auf der Wanderung

Im Abendlicht besuchen wir noch Salamis, die antike griechische Stadt und spätere antike römische Stadt am Strand bei Famagusta. Außer der Tatsache, dass nichts abgesperrt ist und man überall drauf und rein kann, beeindrucken mich insbesondere die Thermen, von denen noch erstaunlich viel erhalten ist. Warum gibt es keine nachgebaute antike griechische Therme? So mit allem: Mosaiken, Fußbodenheizung, warmen und kalten Schwimmbecken, feuchtheißem Raum zum Schwitzen und einem Säulengang zum Wandeln. Das müßte doch eine Marktlücke sein, so etwas originalgetreu nachzubauen und zu betreiben.

Das Heißwasserbecken des Bades

Außerdem fasziniert mich die öffentliche Toilette. Man saß ein einem Halbkreis von etwa 8m Durchmesser, jeder konnte jeden sehen und mit ihm reden, und der Halbkreis war zum Forum hin geöffnet, gleich gegenüber lagen die Thermen. So wohnte man auch beim erledigen seines Geschäftes noch den Staatsgeschäften, der Gerichtsverhandlung oder dem Markt bei. Das gibt dem Begriff „öffentliche Toilette“ eine ganz neue Dimension. Die Toilette selbst ist übrigens fast ein modernes WC. Vorne eine Rinne, in der frisches Wasser fließt, hinten eine tiefere Rinne, in die man hineinscheißt. Es lagen Schwämme an Stielen bereit, mit denen man sich anschließend säuberte. (Diese öffentlichen Schwämme müssen ein hervorragender Verbreitungsweg für Parasiten gewesen sein.)

Öffentliche Toilette im wahrsten Sinne des Wortes

wenn ich es mir recht überlege, finde auch ich unsere deutsche sauna- und badekulur armselig. trotz allen bioenergethik,-salz,-und sonstigen dekosaunen. ein römisches bad, der hamam, auch die russische banja, japanisches zento und natürlich eine finnische schwitzhütte mit 120 grad.

es gibt so tolle beispiele in der welt. ich wünschte mir eine sauna- und badelandschaft, die diese schwitz- und badekulturen unter einem dach vereint.

salamis ist faszinierend. so vieles ist noch da. die steine und fliesen, auf denen wir wandeln, sind original. wer hat da nicht alles schon seinen fuß hingesetzt, wo ich zufällig grad stehe. irgendwo hat jemand scherben gefunden und sie auf einem säulenrest abgelegt, wie zum mitnehmen. teile der fußbodenheizung sind sichtbar. fast meine ich den lärm, die gespräche der badegäste zu hören. irgendwo bietet jemand schreiend seine ware an, jemand macht musik, von ferne höre ich pferdehufe auf der straße. mir bleibt so manches mal der mund offen stehen.

Das Theater von Salamis
Wunderschön, aber warum versammeln sich Schnecken am oberen Ende eines Pflanzenstiels um zu sterben?
Eine erstaunlich große Echse oder ein erstaunlich kleiner Drache.
Je nachdem.

Nach einem Bad in den Wellen schlafen wir oberhalb des Strandes 100m von den Ruinen entfernt.

Drei Tage Tarsus (zwischen Mersin und Adana)

Freitag bis Sonntag, 3.–5.11.2017

tarsus, eine türkische stadt, die eine schöne altstadt haben soll.

wir finden ein großes einkaufszentrm, auf dessen parkplatz wir gut stehen können. es sind nur ein paar minuten zu fuß in die innenstadt.

Frühstück am Einkaufszentrum

eine schöne altstadt stelle ich mir anders vor als dieses kreuz und quer von morbiden straßen mit dunklen verstaubten läden, vielen autos und mehrheitlich männern. die wenigen frauen fast alle mit kopftuch. ich brauche eine weile, bis ich den charme und die schönheit dahinter und darin finde.

wir werden angeschaut und wenn ich grüße, lächelt und grüßt man zurück und winkt vielleicht. jemand brüllt uns ‚moin‘ hinterher, freut sich, daß wir tatsächlich aus hamburg kommen, wohin er morgen zurückfährt und fragt: ‚womit kann ich euch helfen?‘ leider brauchen wir grad keine hilfe.

männer, die vor der moschee unter bäumen an einer kleinen teeküche beim tee warten, bis das freitagsgebet losgeht. auch wir machen dort pause. ich bin die einzige frau an den vielen tischen. egal. nach und nach verschwinden alle in der moschee, einige beten davor und anschließend setzt man sich wieder zum tee und klönt weiter. mit welchem sichtbaren genuß sich die älteren männer die süßigkeiten in den mund schieben, die vor dem tor verteilt werden! und wie sie begeistert den karren an der straße umringen, der honig mit waben verkauft! mit ziemlichem hallo werden wir zum probieren genötigt und ich kaufe ein stückchen.

Eine Tafel vor der Moschee auf Türkisch und Englisch informiert über die Geschichte der Moschee. Das die Steine von einem „older building of worship“ stammen, übersetze ich mir mit: „Hier stand mal eine Kirche, die wir als Steinbruch für die Moschee genutzt haben.“

Eingang zur Moschee
Vor dem Gebet

die engen straßen und vielen gassen in tarsus sind wie ein freiluftbazar. schlachtereien mit ganzen kälberhälften im schaufenster. dazu gekröse, pansen, aus dem man eine leckere suppe kochen kann. läden mit süßigkeiten: traubensaft an der schnur, turish delight in allen varationen, türkischer honig, dazu berge von nüssen, torten, halva, bonbons. schneidereien, in denen man sich diese pluderhosen machen lassen kann, in denen die älteren männer fast alle herumlaufen. haushaltswarenläden, die so vollgestellt sind, das man den besitzer kaum erkennt. hin und wieder gemüsegeschäfte. kleiderläden, die ihre ware vor die tür gehängt haben, daß man den eingang kaum findet. gewürze, in großen haufen lose verkauft, hülsenfrüchte, johannisbrot, nüsse, oliven in großen säcken. darüber getrocknete paprika, pilze, feigen an dicken ketten aufgezogen, die aussehen, wie überdimensionierte hawaiianische blumenkränze. teestuben noch und nöcher und kleine bis kleinste restaurants. wunderbar! wir essen heißen hummus mit viel brot und scharfem chili. so lecker.

Der beste Hummus der Stadt

und dann der andere teil der stadt: eine breite fußgängerzone, moderne läden, junge menschen, mehr frauen und weniger kopftücher. eine moderne parkanlage.

am nächsten tag ist ein fest auf dem platz neben dem brunnen, aus dem petrus oder paulus getrunken haben sollen. viele gastronomen haben dort ihre stände aufgebaut. von dem hummuskoch werden wir freudig begrüßt. es gibt eine große bühne, man trifft sich, klönt, nascht an den ständen. bis auf reichlich viel presse aus allen teilen der türkei sind wir die einzigen nicht türkischen gäste und probieren uns für kleines geld durch granatapfelsaft mit irgendwas drin und spezieller zitronenlimonade, durch fett- und läuterzuckertriefendem teiggebäck und schlagen uns den bauch mit frischem köfte voll, bis es anfängt zu regnen. schade eigentlich, ich hätte zu gern gewußt, was auf und vor der bühne noch geboten wird.

Ja, der Fressmarkt ist eine Leistungsschau des türkischen Kalorienbombenterrorismus! Auch ohne den Nieselregen hätten wir nach wenigen Ständen mit vollen Mägen kapitulieren müssen.

Kalorienbomben
Atatürk ist noch überall

am nächsten tag hat es sich eingeregnet. das wasser kommt den ganzen tag geradewegs von oben runter und kein lüftchen bewegt sich. wir igeln uns im bulli ein und sind meilenweit davon entfernt zu jammern. so einen tag hatten wir schon seit ewigkeiten nicht mehr.

Ein richtiger Regentag! Nach dem wochenlangen Sonnenschein und den vielen neuen Eindrücken jeden Tag kann ich einen vergammelten Tag im Bett mit echtem Schietwedder tatsächlich ganz gut vertragen! Und abgesehen davon: Den Pflanzen tut’s gut und wir verschwinden ja bald nach Süden.

Eingeregnet!

Die Armenierfrage

Sonntag, 5.11.2017

Gestern hatten wir ein längeres Gespräch mit zwei gut Englisch sprechenden und an sich gebildeten Türken. Als wir irgendwann im Gesprächsverlauf von den armenischen Zyprioten erzählten, deren Familien oft ursprünglich in Mersin, Tarsus oder Adana lebten, im 1. Weltkrieg in Hungermärschen nach Syrien vertrieben wurden und von dort nach Zypern kamen, war die Reaktion erschreckend:

Es hätte in dieser Gegegend (Tarsus-Mersin-Adana) nie Armenier gegeben. Die Vertreibung hätten sich Armenier ausgedacht. Sie seien immer und überall eine Minderheit, die der Mehrheit nur schaden wolle. Sie seien weinerlich und würden die Türken schlecht machen wollen. Und so weiter.

Das Ganze war historisch erschreckend fehlinformiert und hatte eine unglaubliche Ähnlichkeit mit dem deutschen (und mitteleuropäischen) Antisemitismus von vor 90 Jahren. Die gleichen Vorurteile, Denkstrukturen und Argumentationsmuster.

Ich will auf den Gesprächsverlauf nicht weiter eingehen. Sondern es zum Anlass nehmen, für unsere Lieblingssuchmaschine „Startpage“ zu werben:

Die Türkei schottet sich ja auch im Internet gegen die historische Wahrheit ab. Wikipedia ist gesperrt, und die Suchergebnisse von Google zu „genocide armenian“ sehen (sehr höflich ausgedrückt) etwas anders aus als in Deutschland. Startpage hingegen liefert auch in der Türkei die gleichen Suchergebnisse wie in Deutschland und man kann die gefundenen Seiten unkompliziert über die eingebaute Proxyfunktion aufrufen, um die Sperrung zu umgehen. So haben wir auch in der Türkei Zugriff auf den Wikipediaartikel zum Völkermord an den Armeniern. (Ach: Und natürlich gab es Armenische Gemeinden in Mersin, Tarsus und Adana.)

Dass Startpage die Privatsphäre seiner Nutzer respektiert, sie nicht überwacht und sich dies auch unabhängig zertifizieren lässt, sei auch noch erwähnt.

Auf nach Haifa

Montag bis Mittwoch, 6.–8.11.2017

jetzt wird‘s ernst. die flugtickets hat michel in der tasche, auch die 700 dollar hat er in bar dabei. am hafen in mersin treffen wir unseren ‚verbindungsmann‘, der michel durchs einschiffen von bulli geleiten wird. ich bin derart neben der kappe, das ich froh bin, derweil mit einem tee an der teestube gegenüber auf ihn warten zu können. nein, mir ist nicht wohl dabei, bulli allein aufs schiff zu lassen. überhaupt nicht! ich fühle mich, als würde ich unseren gefährten im stich lassen. er ist mein zuhause!!!!! die rucksäcke haben wir mit dem wichtigsten gepackt. das muß für die nächsten tage reichen.

und dann kommt michel mit dem kapitän des schiffes wieder, der total begeistert von bulli ist und mir in die hand verspricht, gut auf ihn aufzupassen. er ist richtig enttäuscht, daß auch michel fliegen wird und nicht mitfährt. mir geht es gleich viel besser. durchsucht wurde bulli nicht.

Der Kapitän des Schiffes war so begeistert von Bulli, dass er gleich ein Selfie mit Bulli machen mußte. Und dann für ein zweites Selfie zu bina aus dem Hafen rauskam.

mit dem bus fahren wir nach adana und mieten uns zum ersten mal auf dieser reise in ein hotel ein. 4 qm bett in einem 15 qm zimmer, samt fernseher und einem 5qm bad ganz aus marmor. mit endlos heißem wasser und strahlend weißen handtüchern. und wir können all unsere sachen im zimmer verstreuen und uns trotzdem noch bewegen! ich weiß mich gar nicht zu lassen. welch luxus!
mit ein bischen verpflegung und einem guten film bleiben wir einfach mal von nachmittags bis zum nächsten mittag im bett! unser flug geht ja erst abends.

Luxus im Hotel

Nach dem Regentag haben wir als gelernte Norddeutsche natürlich sofort auf „Herbst“ umgestellt: Lange Hose und Pullover. Wir schwitzen uns tot und kehren zum Sommeroutfit zurück. Das hiesige Kleinbussystem ist billig und superpraktisch. Man muß nie lange auf einen Bus warten, und die 80km
Mersin-Adana kosten umgerechnet gerade mal 3€.

Warten auf den Flieger
Schnee in den Bergen auf 3000m und Sommersonne im Tal

der flug ist anstrengend. viel übliche warterei, gate suchen, herumsitzen, schlangestehen beim einchecken. auch frieren, weils in istanbul erstaunlich kalt ist. irgendwann kann ich nicht mehr sitzen, aber da sind wir zum glück schon im landeanflug auf den ben-gurion-flughafen.

mitternächtens sind wir endlich in israel, finden ein sheruk (ein sammeltaxi) nach haifa, das uns in rasanter fahrt vor das passenger-gate am hafen bringt. die wachen dort schauen erstaunt und schicken uns wieder weg, weil jetzt natürlich keiner da ist, der uns helfen kann. es ist 3:00 Uhr morgens und wir müssen sehen, daß wir noch ein bisschen schlafen. wir finden irgendwo in der stadt eine leerstehende wohnung, auf deren terasse wir etwas versteckt ein paar stunden ruhe finden.

Unsere Schlafterasse in Haifa

morgens dann beginnt die aktion ‚bulli aus dem hafen befreien‘. das zu beschreiben würde den rahmen sprengen. deshalb hier der versuch es kurz, aber unterhaltsam zu machen:

gesamtdauer: 8,5 std.
persönlich beschäftigte menschen: mind. 10
telefonisch beschäftigte menschen: mind. 5
telefonate: mind. 15
besuche bei der versicherungsagentur: 2
besuche bei der zuständigen reederei: 3
anlaufstellen, die wir nacheinander abgehakt haben (davon ein paar mehrfach): insgesamt 10
kontrolle der unterlagen und papiere von verschiedenen hafenangestellten: 4
entzifferungsversuche von deutschen autopapieren durch hafenbeamte und versicherungsangestellte: 4
erklärung unsererseits, was ein camper oder caravan ist: 3
kosten für gebüren, versicherungen etc: reichlich
dazu kommen:
erstaunensausbrüche ob unserer reise: 3
neidisches fragen div. angestellter: ‚ich will auch, darf ich mit???‘ : 3
begeisterungsäußerungen über bullis innenleben: 3
freundlichkeits- und hilfsbereitschaftslevel auf einer skala von 1-10: 10
gründliches bulli-durchsuchen, vielleicht röntgen, drogenhunde holen o.ä.
(wir haben mit allem gerechnet): 0 (ohne witz!!!!)

unser besonderer dank gilt lissy von der schiffsgesellschaft, die ihre eigentliche arbeit im stich ließ, um uns zu helfen und christo, der unermüdlich mit uns im hafen a nach b und zurück fuhr, regelte, erklärte, die kontrolle am hafentor aufhielt, die eigentlich um 16:00 Uhr feierabend hatte, aber wir noch nicht fertig waren.

bulli steht tatsächlich wohlbehalten am kai. wir brauchen bloß einzusteigen und loszufahren. nur die radkappen hatte man abgenommen, aber sorgfältig im fußraum deponiert.

ja, ich gebe es zu: ich habe ihn zur begrüßung erst mal gestreichelt und vor erleichterung ein bischen geweint. wir fahren nicht weit. nur eben den karmel-berg hoch, oberhalb des garten der bahai, wo man am straßenrand gut stehen kann. essen, schlafen. mehr ist heute nicht mehr drin.

wir sind in israel/palästina. alle drei und wohlbehalten. wie wir uns das gewünscht hatten. ich kann es kaum glauben! wir haben es tatsächlich bis hierher geschafft!

wir haben ein visum für drei monate, eine autoversicherung für einen monat und eine adresse, wo wir beides verlängern können. mal schauen, ob es klappt.

und eine große frage wird auch gleich geklärt:

wie, zum teufel, halten diese kleinen kippas auf den stoppelhaaren der gläubigen juden. eigentlich müßten die ständig runterfallen, tun sie aber nicht.

wir fragen einen mit besonders kurzen haaren und einer kleinen und damit rutschgefährdeten kippa. er lacht und zeigt sie uns: innen befindet sich eine kleine anti-rutsch-matte, die ständige abstürze der kippa verhindert. das klämmerchen an der seite ist offentsichtlich nur zierde.

Haifa, das sich über dem Hafen den Hang des Karmel-Berg hinaufzieht, scheint eine wirklich lebenswerte Stadt zu sein. Nur leider waren wir schon mal in Israel/Palästina und kennen die große Schattenseite der so offenen liberalen israelischen Gesellschaft: die Besatzung der Westbank. Und wir wissen um die Vergangenheit: die ethnische Säuberung Palästinas. Denn hier lebten vor 1948 andere Menschen: Araber. Und die haben ihre Heimat nicht freiwillig verlassen. Sie wurden im Rahmen einer groß angelegten ethnischen Säuberung vertrieben. Planmäßig mit allem was dazu gehört, Massaker inklusive.

Ein sehr gutes Buch dazu ist „Die ethnische Säuberung Palästinas“ von Ilan Pappe, einem israelischen Historiker, der den „Plan D“ (oder „Dalet“) auf Grundlage des Archivs der Haganah, den Tagebüchern Ben Gurions und einiger anderer Quellen – wie dem Archiv des Roten Kreuzes – sehr gut aufgearbeitet hat. Er wird immer wieder mein innerer Reisebegleiter durch dieses Land sein.

Zu Haifa weiß ich noch, dass ein Großteil der Araber zur Deportation unten am Hafen zusammengetrieben worden war und dann von oben, von den Hängen des Karmel, auf die Menschenmenge geschossen wurde.

Tel Aviv

Donnerstag bis Samstag, 9.–11.11.2017

Nachdem ich zwei Probleme am Bulli behoben habe, geht es auf nach Tel Aviv. (Es mußte die Glühlampe Abblendlicht Beifahrerseite ausgewechselt werden und der Motor verlor etwas Diesel. – Ein paar Schrauben hatten sich gelockert. Nachziehen und gut.)

Auf der Fahrt von Haifa nach Tel Aviv sehe ich zum ersten Mal im Leben wilde Pelikane. Im Flug sehen sie von weitem wirklich aus wie Flugsaurier.

Ansonsten erinnert mich die Gegend zwischen Haifa und Tel Aviv stark an die Niederlande: Intensivste Landwirtschaft; eine gigantische Infrastruktur von Autobahnen, Stromleitungen, Zugtrassen und so weiter; Firmengebäude, die aussehen wie notgelandete Ufos; und Städtchen, die offensichtlich am Reißbrett geplant wurden. Klar, die Niederländer haben ihr leeres Land dem Meer abgerungen, die Israelis den Palästinensern.

Was wirklich unglaublich ist, ist die Art wie hier Baustellen betrieben werden. Da kommen auf 200m Autobahnbaustelle 20 Baustellenfahrzeuge, die alle in Betrieb sind und mindestens 50 aktive Arbeiter. Auf diese Weise wird eine Baustelle, die bei uns monatelang die Autobahn verengt, in wenigen Tagen abgearbeitet. – Wir fahren durch eine solche Turbobaustelle, und ich weiß von vor sechs Jahren noch, was die in wenigen Tagen schaffen. Damals hatten sie in drei Wochen etwa 20km Autobahn komplett erneuert. Und ich meine komplett! Warum geht das bei uns nicht?

tel aviv hat kaum parkplätze und in 90% der fälle auch nur gegen entgelt. selbst über einen solchen parkplatz nur drüberzufahren kostet  5nis (neue israelische schekel). in einer seitenstraße finden wir einen stellplatz, werden aber weggebeten, weil der nur für anwohner ist. doch etwas außerhalb gibt es einen umsonstparkplatz, wo wir die nächsten drei tage stehen bleiben. die bromptis (unsere falträder) spreche ich irgendwann heilig.

tel aviv ist ohnehin die stadt der klapp- und falträder. fast alle haben einen e-motor und flitzen mit gefühlt 50 sachen über die fahrradwege. und es ist die stadt der jogger und fitnessbegeisterten. überall wird gejoggt, es gibt am strand sehr viele außensport-anlagen, die von allen generationen und geschlechtern genutzt werden. man macht yoga am strand, dehnübungen auf dem bürgersteig. soviel sport wird noch nicht einmal im sommer an der alster getrieben.

Novembertag in Tel Aviv

am nächsten tag (freitag) ist michel nicht wohl und bleibt lieber im bett.
ich erkunde die stadt.

grau ist die weiße stadt geworden. etwas morbide. nur wenige bauhaus-gebäude sind renoviert und werden dem namen der stadt gerecht. der berühmte „carmel-market“ ist tatsächlich auf den ersten blick schön. einerseits kunsthandwerk edelster güte, dann der lebensmittelmarkt wie ich ihn in antiochia sah. aber die stände werden meist von israelis betrieben. zuweilen gibt es arabische stände, einer sogar mit meinem geliebten künefe, aber nur wenige. mir kommen sie wie ein alibi vor. es ist gestohlene kultur.

nein, ich hab nichts dagegen, wenn man schöne dinge aus anderen kulturen oder von anderen völkern übernimmt. ich spiele ja auch die bodhran, obwohl ich weder irin bin noch dort lebe.
aber ich behaupte nicht, die iren würde es nicht geben oder die bodhran sei ein deutsches schlaginstrument.

diese haltung erlebt man in israel immer wieder. hummus wird als israelische nationalkost bezeichnet. selbst studierte menschen wie der mann in haifa, den wir wegen der kippa fragten und der anwalt ist, sagt ohne arg: ‚dies land wurde uns von gott gegeben.‘ als hätten hier nie palästinenser gelebt. so fühlt es sich auch auf diesem markt an und ich verlasse ihn mit einem flauen gefühl im bauch.

abends spiele ich dann endlich im „molly blooms“ in der session. ich werde herzlich aufgenommen.

die regeln sind etwas anders als ich sie kenne. sets bestehen aus 4 bis 5 tunes, wenn ein tune zuende geht, sagt einer kurz den nächsten an und spielt ihn an. nicht wie im irish rover in hamburg, wo einer ein set anführt und es auch in tempo und wiederholungen zuende leitet. hier sortieren sie nur nach reels und jigs, polkas u.s.w. wir sind drei bodhrani und wir alle spielen fröhlich und gleichzeitig drauflos. ich versuche, mich im spielmuster den anderen etwas anzupassen (das gelingt mir nur zeitweise). und als wir alle drei mal päuschen machen, gibt‘s gleich beschwerde von der fiddle: ‚wo seit ihr? ich kann ohne euch nicht spielen!‘

die jigs haben noch gemäßigtes tempo, die reels und polkas sind gradezu rasant. ich verziehe mich oft aufs halbe tempo und hoffe, ich bremse die session nicht zu sehr aus. na, immerhin werde ich später gefragt, ob ich nächsten freitag wieder dabei bin.

Im Molly Blooms

dann ist am nächsten tag erst mal sabbath. aber wir wären nicht in tel aviv, wenn man das sonderlich merken würde. die ultra-orthodoxen juden bleiben zu hause und die busse fahren weniger bis gar nicht. aber der säkulare teil der bevölkerung genießt den sonnigen novembertag am strand, macht mit der familie ausflüge, geht bummeln. am hafen haben auch die geschäfte geöffnet.

wir lümmeln ebenso am strand, im queerteil selbstverständlich, der am ende der bucht liegt. lustigerweise gleich neben dem abgesperrten teil für die orthodoxen juden, der völlig sichtgeschützt ist und am sabbath für alle offen, weil die orthodoxen samstags eh nicht an den strand gehen.

Der orthodoxe Strandabschnitt ist mit Palisaden vom übrigen Strand abgegrenzt und abwechselnd je einen Tag nur für Männer und einen nur für Frauen geöffnet. Da der Strand hier die Form eines „U“ hat, kann man vom schwulen Strand direkt zu den orthodoxen rübersehen. Wie man auf die Idee kam, den orthodoxen Strand ausgerechnet zwischen den schwulen Strand und den FKK-Strand zu legen ist mir ein Rätsel. Der FKK-Strand heißt hier übrigens tatsächlich ganz offiziell „Spanner-Strand“. Ist das nun Humor oder Realitätssinn?

der strand ist toll organisiert. alle paar hundert meter gibt es einen stand mit toiletten, süßwasserduschen für nach dem baden, günstigem essen und trinken, eventuell einem surfbrett-verleih oder einen büchertausch-wagen. strandliegen kann man für wenig geld mieten, muß man aber nicht. wer trotzdem nicht im sand liegen will, hockt sich einfach auf die treppe, die stellenweise auch rundungen wie liegen hat.

ab und zu ertönt eine lautsprecherdurchsage in vier bis fünf sprachen, daß das baden verboten ist, weil die life-guards nur von april bis oktober arbeiten. es hält sich aber keiner dran und als ich im molly blooms danach gefragt habe, lachten alle auch nur.

Tel Aviv und der zugehörige Strand sind echt toll. Kein Wunder, dass die Immobilienpreise hier mit die höchsten der Welt sind. Der Strand ist feinsandig und die Infrastruktur (wie Duschen, Klos und Fitnessgeräte) ist gut und kostenlos. Für wichtige Produkte gibt es einheitliche Sozialpeise. So kostet eine Pita mit Hummus überall am Strand 12 Schekel (also etwa 3€). Wir liegen in der Sonne und sehen den Schwulen zu, die sich gegenseitig beim Workout an den Fitnessgeräten zusehen. Zwischendrin gehen wir ins Wasser oder lesen in unseren Büchern. Das einzige, was mir die Idylle trübt ist, dass ich in der Ferne Jaffa sehe. Heute ein Stadtteil von Tel Aviv, bis 1948 eine Palästinensische Stadt, deren Bewohner ins Meer getrieben wurden. Sie mußten sich mit Booten aus ihrer belagerten Stadt evakuieren. Viele ihrer Nachkommen leben heute im Gazastreifen.

Bei der Ausländerbehörde

Sonntag, 12.11.2017

Wir hätten uns vom Känguru einen „Scheißverein-Aufkleber“ mitnehmen sollen. Eigentlich wollten wir schon am Donnerstag zur Ausländerbehörde, um unsere drei Monate geltenden Touristenvisa auf fünf Monate zu verlängern. Aber der freundliche Mensch in der Securityuniforn sagte, dass wir morgens zwischen 8 und 9 Uhr zu kommen hätten. Also sind wir heute um 7:25 Uhr da und stellen uns in die lange Schlange. Um 8:30 kapieren wir, warum es nicht vorwärts geht: Wir stehen in der Schlange für Asylbewerber und die wird nachrangig abgearbeitet. Also in die andere Schlange wechseln. Wir sagen unseren Mitwartenden Bescheid und etwa ein halbes Dutzend von ihnen wechselt ebenfalls die Schlange. Dann Nummer ziehen und vier Stunden warten. Nur um von der Sachbearbeiterin angeblafft zu werden, warum wir denn so lange bleiben müßten? Wir antworten, wir müßten nicht, wir seien Touristen und wollten so lange bleiben. Die Antwort ist kurz und knackig: Touristenvisa würden prinzipiell nie(!) verlängert. – Wie machen das dann die ganzen Israelis, die mit Touristenvisa in Berlin leben?

Naja, wenigstens ist der Strand nett und das Wetter gut.

Ach ja, und die Fledermäuse hier sind erstaunlich groß! Etwas größer als bei uns die Tauben. Zwar noch keine Flughunde, aber auf jeden Fall Flederratten.

für alle, die das känguru nicht kennen: die ‚känguru-chroniken‘, das ‚känguru-manifest‘ und die ‚känguru-offenbarung‘ von marc-uwe kling. witzig, subversiv und ein bischen gemein.
hörenswert: auf dem sehr bekannten filmchen-abspiel-kanal im internet ‚känguru – ausländerbehörde‘ eingeben. mich hebt’s vor lachen jedes mal aus den angeln.

Weihnachten in Bethlehem

Sa.-So 23.-24. Dez. 2017

Geburtskirche

Eingang der Geburtskirche.

Dazu, warum der ursprünglich größere Eingang der Geburtskirche so stark verkleinert wurde, kenne wir drei Geschichten. Erstens, um die Besucher der Kirche zu einer demütigen Haltung zu zwingen. Zweitens, um Überfälle und Raub zu erschweren. Drittens, damit die Kreuzritter nicht mehr zu Pferde in die Kirche reiten.

Griechisch orthodoxer Altarraum. (Ihnen gehört das Hauptkirchenschiff.)
Unterhalb des heutigen Kirchenbodens befindet sich ein Mosaik aus der Zeit der heiligen Helena.
Ausgang der Geburtsgrotte mit der Geburtsnische. Wir haben uns nicht angestellt, die Schlange vorm Grotteneingang war einfach zu lang.

Die Katholiken legen Wert darauf, zu betonen, dass sie zwar überirdisch nur eine Kirche neben der eigentlichen Geburtskirche haben, ihnen unterirdisch aber der größere Teil der Geburtsgrotte gehört. Zu ihrem Leidwesen liegt die Geburtsnische aber im orthodoxen Grottenteil.

Kreuzritterkritzelei im katholischen Grottenteil. Ja, dieses Gekritzel steht hinter Plexiglas, weil es über 800 Jahre alt ist.
Das „heilige Spannerloch“ katholische Mönche haben dieses Loch in die Absperrwand zwischen katholischem und orthodoxen Grottenteil gebohrt, durch die man die Geburtsnische sehen kann. – Die Schlange hier war deutlich kürzer.
Nebengrotten des katholischen Grottenteils.

Nette Gespräche mit Einheimischen

In der Touristeninformation treffen wir auf eine ältere Dame aus Berlin und eine palästinensische rheinische Frohnatur, die länger in Köln gelebt hat. Das Gespräch ist sehr sehr nett.

Am Abend des 23. Dezember bittet uns ein Angestellter des Hotels, auf dessen Parkplatz wir unwissentlich stehen, zum Direktor. Wir rechnen mit Ärger, werden aber stattdessen aufs überfreundlichste begrüßt und zum Kaffee eingeladen. Die Schwester des Direktors wohnt in Hamburg. Zwei Punkte des Gesprächs liegen uns allerdings anschließend wie Steine im Magen:

Unser Gastgeber kennt die Umgebung Hamburgs besser als die seiner Heimatstadt Betlehem. In Hamburg könne man sich einfach aufs Fahrrad setzen und losradeln schwärmt er. Kein Soldat wolle einen Passierschein sehen oder frage nach dem Grund des Ausflugs.

Seine Kinder, die zum Teil volljährig sind, haben noch nie das Meer gesehen. Er selber hat einen Passierschein für den Checkpoint nach Jerusalem, der gerade einmal 500m von seinem Haus entfernt liegt, weil er ein registrierter Geschäftsführer ist. Aber seine Frau und seine Kinder haben keinen Passierschein. Also bleiben sie im Westjordanland gefangen. – Laßt es euch auf dem Herzen zergehen: Noch nie das Meer gesehen! – Dabei liegt Betlehem nur halb so weit vom Mittelmeer entfernt, wie Hamburg von der Nordsee.

Gemeinsame Erklärung der christlichen Oberhäupter

Die Oberhäpter der verschiedenen christlichen Konfessionen unterzeichneten am 23. Dezember öffentlich eine Erklärung für Palästina und gegen Trump. – Man muß Trump lassen, dass er die sonst chronisch zerstrittenen Christen des Heiligen Landes geeint hat. Auch eine Leistung.

Kurzform der Erklärung auf einer Tafel vorm Betlehmer Weihnachtsbaum.
Tanzende Aktivisten mit Weihnachtsmannmützen.
Erzbischof Theodosius, der orthodoxe Patriarch von Jerusalem.
Bruder Tack – ach ne das war Sherwood Forrest.
Bina schreibt auf die offene Wand.

Im Shouk

Bestimmen in der Geburtskirche und auf dem Vorplatz Pilger aus aller Welt das Bild, ist sind wir wenige Dutzend Schritte weiter, im Shouk schon wieder die einzigen Ausländer und werden wie üblich neugierig angestarrt.

Überall in Palästina gibt es rothaarige Araber. Im Volksmund heißen sie „Kreuzritter“, weil sie der Legende nach von zum Islam konvertierten Kreuzrittern abstammen.
Wie bei Aale-Dieter auf dem Hamburger Fischmarkt…
Bina hat vorher gefragt, ob sie photographieren darf. Vermutlich hat sie die Erlaubnis erhalten, weil das Angebot für hiesige Verhältnisse regelrecht züchtig ist.

Empfang des lateinischen Patriarchen

Das letzte Türchen im Adventskalender öffnet sich.

Dieses Tor in der Mauer zwischen Jerusalem und Betlehem öffnet sich nur einmal im Jahr, um den lateinischen Patriarchen (also den katholischen Bischof) von Jerusalem und den ihn begleitenden Autokonvoi durchzulassen.

Das Auto des Patriarchen mit Diplomatenfähnchen.
Auch der Weihnachtsmann fährt im Konvoi mit.
Passendes Graffito neben dem Tor.
In die Altstadt Betlehems ziehen Patriarch und Gefolge zu Fuß ein.
Der Patriarch segnet ein Kind.
Er wird von den christlichen Pfadfindern aller Konfessionen mit lauten Dudelsäcken empfangen.
Und die einheimischen Christen folgen ihm…
… bis zur Geburtskirche,…
… wo die Weihnachtskrippe steht, die letztes Jahr vorm Petersdom im Vatikan stand.
Das ganze ist eher Karneval als „Stille Nacht – Heilige Nacht“.
Die Pfadfinder ziehen genauso lautstark wieder ab wie sie aufgezogen sind.
Müdigkeit schlägt Lärm.
Der syrisch orthodoxe Patriarch und der Leiter seiner Pfadfinder scheinen beide weltlichen Genüssen nicht abgeneigt zu sein, zumindest den kulinarischen Genüssen.

Wer jetzt glaubt, dass die Pfadfinder damit ihren großen Auftritt gehabt haben, der irrt. Ihren richtig großen Auftritt haben sie beim orthodoxen Weihnachtsfest am 6. Januar. Da empfangen sie um 9 Uhr den syrisch orthodoxen Patriarchen, um 9.30 den koptischen Patriarchen, um 13 Uhr den griechisch orthodoxen Patriarchen und um 15.00 Uhr den äthiopisch orthodoxen Patriarchen. Ein paar Tage später, am 18. Januar, ist dann das armenische Weihnachtsfest, zu dem der armenische Patriarch mit einer Prozession Dudelsack spielender Pfadfinder empfangen wird.

Nur die Fahrt durch das Tor am Grab der Rahel ist und bleibt ein Vorrecht des katholischen Patriarchen. Wer ja auch zu schön, wenn die Israelis da jeden durchließen!

es macht mich fertig, dies offene tor zu sehen. ich bin heilfroh, daß es michel genau so geht und wir mit dem zug des patriarchen zur geburtskirche mitgehen, bevor sich das tor wieder schließt. das schließen des tores hätte ich emotional nicht ausgehalten.

aber dann in der altstadt die vielen menschen, die fröhlich hinter den dudelsäcken hergehen, miteinander plaudern und aus ganz palästina gekommen sind. das ist wunderbar.

British High Tea im Walled Off

Bei Dunkelwerden begehen wir unser ganz persönliches Weihnachten mit einem British High Tea im Walled Off Hotel.

Frohes Fest! Und Friede auf Erden!

Beobachtungsschnipsel:

  • das ausgelobte bier hat unsere freundin nina gewonnen. sie indentifizierte unseren wüstenwopertinger als klippschliefer. das verwunderte uns ein wenig, vermuteten wir ihn doch als endemische art auf dem kilimandscharo. herzlichen glückwunsch, nina.
  • fanta hat hier eindeutig mehr farb- und geschmacksstoffe. dafür ist der arabische Schriftzug schöner.
  • es gibt erstaunlich viele rothaarige jungen in hebron. regelrecht irisch-rotirisch-rot.
  • einige bäume bekommen tatsächlich gelbe blätter, obwohl es hier nie so kalt wird, dass es nötig wäre. frage: brauche sie es noch für etwas anderes?
  • ein besonderer lieferservice in hebron: morgens, kurz vor ladenöffnung stehen vor vielen, noch geschlossenen eingängen termoskannen, sorgfältig in tüten verpackt. so hat der ladenbesitzer gleich heißen tee oder kaffee, wenn er seinen tag beginnt. abends sieht man dann jungen mit einkaufswagen die läden abklappern, um die kannen wieder ein zu sammeln.
  • am köstlichsten ist das essen an den ständen, die es in jeder altstadt oder shouk gibt. wagen mit irgendwas gekochten in pfannen oder töpfen, kleine läden mit einem rauchenden grill davor. drei köfte im pita-brot, ein bisschen gegrillte tomaten und zwiebeln dazu. Oder schnell ein bisschen gekochtes irgendwas aus dem topf geholt, mit frischen kräutern durchgehackt, ebenfalls in pita geschoben und uns für kleines geld in die hand gedrückt. es schmeckt nach innereien. jeder deutsche amtsarzt würde hintenüber fallen, sähe er, daß der mensch am stand sich schnell die hände an der schürze abwischt, um das geld entgegen zu nehmen, um dann wieder das köfte-fleisch um die spieße zu kneten, die auf einem alten stück pappe liegen.
  • wir sehen den ganzen müll überall in den straßen und ecken nicht mehr und regen uns auch nicht mehr über die freizügige interpretation von verkehrsregeln auf. anscheinend passen wir uns mehr und mehr unserer umwelt an.