Wahnsinn Hebron

Di-Mi 19-20.12.17

Sigmar Gabriel zu Hebron:

Im März 2012 schrieb der damalige SPD-Vorsitzende und heutige Bundesaußenminister, unter dem unmittelbaren Eindruck seines Besuchs in Hebron noch im Auto auf seinem Facebook-Konto:

„Ich war gerade in Hebron. Das ist für Palästinenser ein rechtsfreier Raum. Das ist ein Apartheid-Regime, für das es keinerlei Rechtfertigung gibt.“

Als in Deutschland die vorhersehbare Welle der Empörung einsetzte, ergänzte Gabriel:

„Mir ist klar, dass dies eine sehr drastische Formulierung ist. Aber genau so erleben die Palästinenser in Hebron ihre Situation.“

Willkür an Checkpoints

Wie die Kontrollen in den Gitterkäfig-Metalldetektor-Checkpoints an den Zugängen zur sterilen Zone durchgeführt werden, scheint weitgehend den diensthabenden Soldaten überlassen zu sein. Man ist da ihrer Willkür ausgesetzt. Bei uns reichte das bisher von einfach Durchwinken bis zu ein paar Minuten warten lassen, Pässe und Visa kontollieren und harsche Worte. Bei Palästinensern geht es aber auch gerne bis länger warten lassen, Taschen ausleeren, alles ablegen, bis der scharf eingestellte Metalldetektor nicht mehr piepst, Hemd hochheben und Hose runterziehen. – Und viele müssen seit vielen Jahren mehrmals pro Tag durch solche Checkpoints.

Die Besatzung dieses Checkpoints (Nr. 29) legte Mittwoch früh großen Wert darauf, dass wir nicht photographieren und Abstand halten. Vermutlich fühlten Sie sich bei ihrer kleinen sadistischen Privatpartie gestört. Denn seitlich konnten wir in den Käfig hineinsehen, wie sie das oben beschriebene formvollendet ausführten.

Das Ganze wird natürlich mit „Sicherheit“ begründet. Das ist aber nicht nur unlogisch, weil jeder Checkpoint von jeder Schicht anders gehandhabt wird. Es ist sogar absolut schwachsinnig, weil es bekannte Wege vom lebenden palästinensischen Teil Hebrons in die sterile Zone gibt, die allen bekannt sind. Von der absolut toten Shuhada Street sind es kaum 500m über den muslimischen Friedhof. Ganz normal den Weg lang, man muß über kein Mäuerchen steigen, trifft keinen Armeeposten und nichts. Allerdings liegt der Stadteil, in den man dann kommt, auf der Rückseite der Geisterstadt und man muß einen großen Umweg fahren, um ins Stadtzendrum Hebrons zu kommen. – Jeder hier kennt den Weg über den Friedhof, auch die Soldaten, wie mir ein Ex-Soldat von Breaking the Silence bestätigte.

Eigentlich könnten die Soldaten an Checkpoint 56 auch sagen: „Wenn Sie ein Terrorist sind, bitten wir sie, sich ein Taxi zu nehmen, außen rum zu fahren und dann 500 Meter zu Fuß zu gehen. Einmal die Shuhada überqueren und Sie kommen, ohne auf Checkpoints oder Soldaten zu treffen, direkt zur Siedlung Beit Hadassa, wo die Tür eigentlich immer offen steht.“ – „Wenn Sie aber nur täglich zum Einkaufen, zur Arbeit oder zur Schule müssen ist der Umweg natürlich zu lang. Dann müssen sie leider durch diesen Checkpoint – mit allen Schikanen.“

Wertvolle oder verbotene Sachen wie Computer oder Küchenmesser werden natürlich über den Friedhof reingebracht. Sogar einen ganzen Kindergarten mit Spielplatz haben sie so nachts „reingeschmuggelt“.

Am Dienstag ist die Ibrahim Moschee für Nichtjuden geschlossen, weil der letzte Tag von Chanukkah ist. Dadurch ist der Checkpoint rechts arbeitslos. Als Arbeitsbeschaffungsmaßnahme müssen alle (auch wir), die durch den links zu sehenden Checkpoint aus der Kasbah kommen, auch durch den rechten Checkpoint, der normalerweise zur Ibrahim Moschee (dem muslimischen Teil des Patriarchengrabes) führt. In beiden passiert das Geiche: Der Metalldetektor piepst unbeachtet und ein gelangweilter Soldat verlangt den Pass, sieht aber gar nicht richtig hin.
Unsere Falträder sind so klein, dass sie sogar durch die Drehtüren der Checkpoints passen.

Kleine Beobachtungen in der sterilen Zone

Krankenwagen nur für Juden (und Christen?)!

Wir hatten berichtet, wie wir mit dem palästinensischen Sanitäter 10 Minuten am Checkpoint warteten, bevor er mit der Trage seine Patientin abholen durfte. In der Mitte des abgesperrten Teils der Shuhada Street steht immer ein Krankenwagen bereit. Eine Spende aus den USA und natürlich nur für Juden. Und vermutlich auch für ausländische christliche Touristen.

Siedlungsblock innerhalb einer Kaserne.

Dies ist, so wird uns berichtet, die typische Art wie neue Siedlungen entstehen. Ein militärisches Sperrgebiet wird erklärt, die Palästinenser „evakuiert“ (nein, „vertrieben“ darf man nicht sagen), eine Kaserne gebaut, innerhalb der Kaserne entsteht eine Siedlung (an der Armee und Regierung unschuldig sind), die Kaserne wird aufgelöst und die leerstehenden Gebäude von den Siedlern übernommen. Am Ende hat man eine neue Siedlung und einen Armeeposten zu ihrem Schutz.

Chanukkah-Leuchter auf dem Dach der Ibrahim-Moschee.

Dies ist der aktuelle kleine Schritt des Versuchs die Ibrahim-Moschee zur Abraham-Synagoge umzuwandeln und die arabische Altstadt Hebrons in eine jüdische Siedlung. Jeder Schritt groß genug, um Tatsachen zu schaffen und klein genug, um keine internationale Intervention zu verursachen. Bis zum Massaker in der Mosche im Jahr 1994 war das ganze Gebäude eine Moschee, in der halt auch Juden und Christen beteten. Nachdem der Siedler Baruch Goldstein in der Moschee 29 Muslime beim Ramadangebet erschoß, wurde sie aus Angst vor Racheakten zunächst für Muslime geschlossen und stand nur Juden offen. Später wurde sie geteilt. Heute ist die Hälfte des großen Gebetsraums über den Gräbern von Abraham und Sarah eine Synagoge INNERHALB(!) der Ibrahim-Moschee. Das äußere des Gebäudes ist bisher noch eine Moschee mit Minarett und allem. Das Gebäude sieht zwar für eine Moschee recht ungewöhnlich aus, das liegt aber daran, dass es von den Kreuzrittern als Kirche erbaut wurde.

Nun steht zum ersten Mal ein Chanukkahleuchter als deutliches Zeichen auf dem Moscheedach. Wir sind gespannt, ob er nach dem Fest wieder abgebaut wird.

Steinewerfende Kinder im „gesetzlosen Gebiet“

Dienstagfrüh stehen wir in Absprache mit EAPPI an Checkpoint 209, um die Schulkinder zu begleiten. Auf der anderen Seite des Checkpoints liegt ein von den Internationalen hier als „lawless are“, also „gesetzloses Gebiet“ bezeichnetes Viertel. Es liegt im Rücken der sterilen Zone in „H2“, also dem vollständig unter israelische Kontrolle stehenden Teil Hebrons. Die palästinensische Autonomiebehörde darf hier nicht tätig werden. Und die israelische Armee und Verwaltung hat kein Interesse an diesem Gebiet, da es ja gut von der sterilen Zone abgeriegelt ist. Es gibt also keine Polizei und die „öffentlichen Dienstleistungen“ sind weit von dem entfernt, was man in Europa darunter versteht.

Hier wohnt, wer sich nichts Besseres leisten kann. Viele kaputte Familien mit nur einem Elternteil und ohne funktionierender Großfamilie. Und die Großfamilien sind in Palästina das soziale Netz.

Wir stehen auf der sterilen Seite des Checkpoints. Plötzlich schmeißen zwei etwa 8-jährige Jungen von der anderen Seite aus Steine auf das gut gesicherten Checkpoint. Wir wechseln durch die Drehtür (raus ist einfacher als rein) schnell auf die gesetzlose Seite. Da hat ein älterer Mann die Jungen schon entwaffnet. Wir postieren uns an der Betonbarriere einen wortwörtlichen Steinwurf vor dem Checkpoint entfernt. Die Kinder trauen sich nicht richtig an uns ran und sind somit außer Wurfweite ihres Ziels. Zwischendurch sammeln sich etwa 20 Jungen im Grundschulalter etwa 100m vor uns (also 150m vom Checkpoint entfernt). Da sie uns ja schlecht mit Steinen belegen können, trotten sie irgendwann ab. Wir hoffen zum Unterricht.

HIER WÄREN DIE PHOTOS!

Wir haben uns entschieden, die Bilder, die wir von dieser Situation gemacht haben, nicht hochzuladen.

Die israelische Armee darf Kinder ab 12 Jahren festnehmen und bis zu 6 Monate ohne Anklage in Administrativhaft stecken. Es ist bekannt und belegt, dass sie auch 8-jährige festnehmen. Und eine deutschsprachige Beobachterin von EAPPI hat uns erzählt, dass ein Junge in einem Therapiemalkurs von aus israelischer Haft entlassenen Kindern in Hebron gemalt hat, wie ihm im Knast von den Soldaten die Genitalien verbrannt werden. EAPPI-Schweiz mußte das gemalte Bild und die Aussage des Jungen gerade von der Hompage nehmen. Der israelische Botschafter in der Schweiz hat interveniert. Und das Therapiebild und die Aussage des Jungen sind, ohne unabhängige Zeugen kein ausreichender Beweis.

Ja, Steinewerfen ist scheiße und extrem dumm. Solchen Kindern muß man vielleicht die Löffel langziehen, vor allem aber eine Perspektive für ein Leben in Würde geben. Keinesfalls jedoch sowas.

DEMO vom Stadtzentrum zur sterilen Zone

Die Demo sammelt sich an einem „Park“ der kaum mehr als eine Verkehrsinsel mit Bänken und ein paar Bäumen ist.
Wie die drei Alten in Asterix auf Korsika.
Dann geht es die Hauptsraße runter zur etwa 1 km sterilen Zone.
Ab der Hälfte der Strecke machen die meisten Läden erstaunlich routiniert dicht.

Etwa ein halbes Dutzend bis ein Dutzend vermummte Jugendliche schmeißt Steine auf den Checkpoint. Und alles erwartet, dass jetzt die Soldaten rauskommen. Tun sie aber nicht.

Die Soldaten halten die Jugendlichen vom den Dächern oberhalb des Checkpoints aus auf Abstand.
Dieser Herr kommt nicht zum Schuß. Zum Glück bleibt es bei Schockgranaten (quasi extralauten Böllern).
Hinten geradeaus zu kann man im Zoom einen Soldaten auf dem Dach sehen. Dort geht es links zum Checkpoint rein. Die Läden im unmittelbaren Schußfeld haben geschlossen. Aber (im Wortsinne) um die Ecke herrscht ganz normales Markttreiben. Auch Taxis und Autos fahren einfach durch. Die beiden angezündeten Reifen sind zum Bedauern der Pressephotographen sofort wieder ausgegangen. Man kann sie hinten noch liegen sehen.

Der sechssprachige Ahbed

Ahbed mit ..? – Mist, ich habe ihren Namen vergessen!

Auf dem Rückweg spricht uns ein älterer Mann an, woher wir kommen. Oh, er habe vor 40 Jahren (oder so) auch Mal in Hamburg gelebt. Er drängt uns, uns in seinen kleinen Laden zu setzen. Wir denken schon: „Mist! Reingefallen! Was will er uns verkaufen?“ Aber er freut sich einfach nur, jemanden zu treffen, mit dem er Deutsch sprechen kann, damit es nicht einrostet. Er betreibt ein kleines Büro für Übersetzungen und Ämterbriefe. Und er spricht mindestens sechs Sprachen: Arabisch, Hebräisch, Englisch, Deutsch, Russisch und Französisch. Wobei er nur die ersten fünf fließend spricht. Französich lernte er gerade. Wir singen mit ihm gemeinsam „Kommt ein Vöglein geflogen“ und versprechen ihm, unsere ausgelesenen deutschen Bücher vorbeizubringen.

Schlecht erzogene Kinder erzwingen Stellplatzwechsel

bulli steht seit unserer ankunft oberhalb der kasbah in der altstadt auf einem halböffentlichen parkplatz zwischen gassen und häusern. neugierige kinder aus der nachbarschaft kommen immer mal wieder, denen klar gemacht werden muß, daß sie bulli angucken dürfen, aber nicht anfassen. die eltern machen ihnen das auch handgreiflich klar, denn dienstag morgens kommt einer der jungs, gibt artig die hand und fragt, ob wir gut geschlafen hätten, nachdem wir abends bei den eltern waren, weil wir keine ruhe fanden.

michel kauft ihnen im laden chips zur belohnung.

aber dann kommen andere kinder aus der kasbah und stören unsere ruhe. zwei versuchen, unseren außenspiegel abzubrechen und es wird mit sand auf bulli geworfen. da ist schluß. michel rennt einem kind in das gassengewirr hinterher, geht zum vater, der nur sagt, daß seien halt kinder. wir packen unsere sachen. bei aller liebe, aber wenns an bulli geht, ist feierabend.

während wir uns startklar machen, kommt ein größerer junge mit seinem heulenden kleinen bruder (dem kind, hinter dem michel hergerannt ist) am nacken zu uns damit der kleine uns um entschuldigung bittet. wahrscheinlich hat der von seinem vater so richtig ärger bekommen.

als wir abfahren schauen uns unsere nachbarn betreten hinterher. sie tun mir leid, hatten sie sich doch solche mühe gegeben, daß wir uns heimisch fühlen und dann kommen anderen und machen alles kaputt. wir wollen dort noch mal hin und ihnen sagen, daß es nicht an ihnen lag.

am stadion finden wir einen neuen stellplatz. es ist laut, nebenan werden große laster umgeladen, aber was solls. wir schlummeln schon, kommt die palästinensische polizei und will wissen, wer wir sind. hier können wir nicht bleiben, hier sei es nicht sicher, aber sie werden uns zu einem platz bringen, wo wir gut stehen können. es ist das gleiche, wie damals in antiochia. man ist einfach nur besorgt um unsere sicherheit. wir landen auf einem großen platz einer sporthalle oberhalb von hebron. direkt gegenüber vom polizeirevier.

der manager der sporthalle stellt sich gleich vor und lädt uns zu sich ein, kinder oder jugendliche kommen auch mal. und als gestern das fitnesscenter der halle geöffnet hat, fragen wir nach einer dusche und haben herrliches wames wasser ohne ende. dazu noch einen netten angestellten, der sich sofort in bulli ein wenig verliebt und verspricht, gut auf ihn aufzupassen, wenn wir in der stadt sind.

wir fahren jetzt mit bromptis und erregen noch mehr aufsehen. fahrräder sind nicht häufig in hebron und dann auch noch so komische, wie die unseren.