Verstörendes Gespräch mit H… und s…

Mo, 25.12.17

wir hatten H… und s… auf dem stammstisch in tel aviv kennengelernt, auf dem wir vor zwei wochen waren. ich hatte mit s… Ein sehr interessantes gespräch und so kam die einladung zustande.

was für ein gegensatz: letzte woche politik, gestern heiligabend und heute ein besuch bei chassidischen juden religiösester sorte.

endlich kann ich jemandem ein paar fragen zum leben einer orthodoxen jüdin stellen, die mich schon lange interessieren. s… lebt zwar mit H… zusammen, ist aber selber, was die religiösität anbelangt, relativ entspannt. sie trägt nur dann die übliche weiße bluse mit schwarzem rock und schwarzen strümpfen und die haare unter einem tuch versteckt, wenn sie mit der familie H…’s zusammen ist.

wie sie es an pessah macht, wenn sich kein krümel gesäuerten brotes im haus befinden darf und besonders strenge ernährungssvorschriften gelten, frage ich sie. dafür hat sie einen zweiten satz geschirr, besteck, töpfe und einen ofen im keller. die schränke in der küche werden ausgewaschen, alles gründlich gefegt und gewischt, auf den tisch in der küche wird alufolie gelegt und der alltags-herd wird nicht benutzt.

sie ist dabei noch relativ entspannt. es gibt zwar familien, die essen der einfachheit halber während der pessah-woche von plastikgeschirr. es gibt aber auch welche, die räumen die halbe wohnung um und streichen sogar die wände.

immer wieder kommt bei s… die frage auf, wo gott in meiner beziehung zu finden ist. ein interessanter gedanke, aber ich habe keine lust, mein verhältnis zu michel in dieser hinsicht ständig zu hinterfragen.

ich mag auch nicht alles, was ich tue, auf gott beziehen, so, wie s… es tut. ja, es mag die gedanken aufräumen, wenn man das chaos im schrank aufräumt. das mache ich dann aber für mich und nicht für gott. ich glaub, dem ist das ziemlich egal. und fußboden fegen ist einfach nur fußboden fegen.

Nach dem Essen verzieht s… sich mit bina in Richtung Küche, während H… mit mir am Eßtisch sitzen bleibt. H… ist ein chassidischer Rabbiner und sieht auch genau so aus, wie man ihn sich vorstellt. Wie er sich da vor mir in seinem Stuhl fläzt, etwas zu kurz und zu dick geraten, mit den Armen gestikulierend, wirkt er auf mich wie Reich-Ranicki im literarischen Quartett. Vor allem wenn er vom Englischen ins Jiddische verfällt, was er in zeitweise in jedem zweiten Satz tut. Das Gespräch ist sowohl interessant, als auch anstrengend und verstörend.

Der erste Teil ist interessant anstrengend: Er will wissen, ob ich an Gott glaube. Normalerweise geben sich die Leute mit meiner Antwort, „ich sei Agnostiker“, zufrieden. Nicht so ein chassidischer Rabbi. Es folgt Nachfrage auf Nachfrage. Punktgenau und gezielt. Der Mann macht das nicht zum ersten Mal. Gelernt ist eben gelernt. Ich finde die rabbinische Fragetechnik hochinteressant und spiele gerne mit. Später geht es um meine Beziehung zu bina. Auch bei mir die Frage, wo Gott in unserer Beziehung ist.

Irgendwann kommen bina und s… wieder dazu.

Der zweite Teil ist anstrengend verstörend: Irgendwie bekomme ich ihn dazu, auch von seinen Beziehungen zu erzählen. Er ist mit s… in dritter Ehe verheiratet, hatte mehrere heimliche Geliebte. Und er hat 9 (ja, neun!) Kinder aus den ersten beiden Ehen und mindestens ein uneheliches Kind mit einer Geliebten. Er erzählt, dass er seine Gemeinde in New York verloren habe, weil er einen großen Fehler gemacht habe und auf einer Homepage für übergriffige Rabbiner geoutet wurde. Was er sonst erzählt will ich hier nicht wiedergeben, aber es paßt sehr gut zu den erschreckenden Zeilen, die ich am nächsten Tag im Netz über ihn finde:

Rabbi W… has been accused of utilizing a mixture of kabbalah, hypno-eroticism and other manipulative techniques to enagage his potential victims prior to sexually assaulting them.

There have been allegations that Reb H… creates a cult-like devotion to himself utilizing trance-like-states, guided meditation, hypnosis; all under the guise of kabbalah teachings. Allegedly his MO (modus operandi) has been to use such techniques on women with histories of childhood abuse[…].

During this time both his behaviour and demeanour with his female students were consistently predatory, manipulative and abusive. He proactively sought ‚romantic‘ and sexual relationships wtih many many women, specifically targeting those who were emotionally vulnerable and fostering acute dependency. He consistently used his role as counselor to make sexual advances towards those who came to him in need. He had ‚romantic‘ sexual relationships with married and unmarried women who ranged in age from 20 to 50.“

Dieses Bild konnten wir uns aus seinen Erzählsplittern nicht machen, obwohl sie wie Puzzlestücke genau in dieses Bild hineinpassen und darin erwähnt werden.

H…’s Handeln widerspricht jedem Moralkodex, der mir in diesem Zusammenhang einfällt. Sowohl dem für Lehrer, als auch für Geistliche und Therapeuten, für Beziehungen und überhaupt! Am meisten verstört mich und uns, dass er weder strafrechtlich belangt wird, noch ein wirkliches Einsehen oder Schuldgefühle zu haben scheint.

Warum hat er uns zumindest teilweise ins Vertrauen gezogen? Zu große Selbstsicherheit? Weil wir weder Juden noch Israelis sind und bald wieder weg sein werden? Die anderen Stammtischteilnehmer waren ihm gegenüber offensichtlich arglos. – Zumindest wissen wir, mit wem wir reden müssen, weil er dabei ist, H… ein Forum mit einer Art Tantra- und Hypnoseseminaren zu geben.

auch mir hat H… ein paar fragen gestellt, als ich wieder mit am tisch saß. es war interessant, weil er mich tatsächlich dazu brachte, über dinge nachzudenken, über die ich sonst nicht in dieser weise nachgedacht hätte.

aber seit ich gelesen hab, wer er eigentlich ist, frage ich mich, wie er das später mal seinem gott erklärt, wie er sein leben geführt hat. ich frage mich auch, wie manipuliert s… ist, daß sie mit ihm noch zusammenleben mag und mit ihren fragen ja durchaus in die selbe kerbe haut. ich denke darüber nach, inwiefern sie sich mitschuldig macht.