Ankunft in Hebron

So 17.12.17

Morgens fahren wir nach Hebron. Kurz vor der Stadt biegen wir von der Siedlerstraße ab, um über den unter palästinensischer Autonomie stehenden Teil Hebrons in die Stadt reinzufahren. Am Stadtrand hat die israelische Armee einen provisorischen Checkpoint eingerichtet. Jedes Auto wird kontrolliert, mit Paßkontrolle und Blick in den Kofferraum. Kurz bevor wir dran sind, wird ein vielleicht fünfundzwanzigjähriger Palästinenser aus seinem Auto geholt und hinter das neben der Straße stehende gepanzerte Fahrzeug geführt. So ist er aus dem allgemeinen Blickfeld. Nur wir können ihn sehen, weil wir halb von der Straße runter sind, um das mittig auf der Straße liegende Nagelbrett zu umfahren. Obwohl Palästinenser absolut kooperativ ist, tritt ihm der Soldat bei der Leibesvisitation völlig unnötig in die Kniekehlen und verdreht ihm beim Abtasten einmal den rechten und einmal den linken Arm im Polizeigriff auf den Rücken. Anschließend führt er ihn zurück zum Auto und er darf weiterfahren. – Wie oft muß er das wohl über sich ergehen lassen? Wieviel ohnmächtige Wut züchten die Soldaten sich da heran? – Wir werden nur gefragt, woher wir kommen. Und werden dann durchgewunken, ohne auch nur unsere Pässe vorzuzeigen.

Im Stadtzentrum von Hebron stellen wir unser Auto gleich oberhalb der Altstadt ab, nur etwa hundert Meter von den israelischen Siedlungen, die in Hebron mitten in der Stadt liegen, entfernt. Wir machen uns auf in Richtung „sterile Zone“.

Hebron ist in zwei Sektoren unterteilt: H1 umfaßt 80% des Stadtgebiets mit 150.000 Einwohnern und steht unter palästinensischer Autonomie. H2 umfaßt 20% unter israelischer Hoheit. In H2 leben rund 500 israelische Siedler, die von etwa 4.000 Soldaten bewacht werden, unter 40.000 Palästinensern. Zum Schutz der Siedler wurde um die Siedlungen und das Patriarchengrab, das den Muslimen als Ibrahim-Moschee und den Juden als Abraham-Synagoge heilig ist, herum eine „sterile Zone“ geschaffen. (Ich finde den Ausdruck „sterile Zone“ passend, weiß aber nicht, wie sie richtig heißt.)

Vermauerte Altstadtgasse, auf der anderen Seite liegt die sterile Zone.
Blick aus einer Altstadtgasse hoch zu der darüber liegenden Siedlung. Die Händler haben ein Fangnetz aus Maschendraht über die Straße gespannt, da die Siedler Müll und Steine hinabwerfen.
Der Checkpoint von der Altstadt zur sterilen Zone. Zwei hintereinander liegende Drehtüren, die Ein- und Ausgang eines Käfigs bilden und von einem Soldaten hinter Panzerglas bedient werden. Im Käfig ein Metalldetektor.
Aber auch innerhalb der „sterilen Zone“ werden wir mehrfach kontrolliert. Siedler und als solche erkennbare Juden werden nicht kontrolliert.
Die Shuhada Street. Man muß sich vergegenwärtigen, wie stark der Markt im Zentrum einer arabischen Großstadt normalerweise belebt ist, um zu begreifen, wie unheimlich diese Athmosphäre ist.
Ein Stückchen weiter die Shuhada Street rauf. Die Geschäfte unten sind seit 2000 geschlossen, aber oben drüber wohnen noch Palästinenser. Freunde aus anderen Teilen der Stadt dürfen sie nicht besuchen. Und da die Straße auf diesem Abschnitt nur von Israelis und ausländischen Touristen betreten werden darf, haben sie ihre Häuser seit Jahren nicht mehr von vorne gesehen.
Die Tafel, die auf dem letzten Bild an einem der Häuser zu sehen ist, in Großaufnahme.

Die Tafel auf dem obigen Photo offenbart eine, milde gesagt, interessante Sicht der Dinge. Mal abgesehen davon, dass ich dem Verfasser in Prozentrechnung und Straßenzählen eine „6“ geben würde, werden ganz entscheidende Ereignisse und Fakten ignoriert. Insbesondere das Massaker in der Ibrahim Mosche. Im Jahr 1994 betrat Baruch Goldstein, ein in Hebron lebender Siedler, während des Ramadans in Militäruniform die Ibrahim Moschee und eröffnete mit einem Maschienengewehr das Feuer auf die Betenden. Er töte 29 Menschen und verletzte fast 200. Bei den darauf folgenden Protesten erschoß die israelische Armee in der Nähe des Krankenhauses in Hebron 12 weiter Palästinenser. Und die Palästinenser, die das Massaker in der Moschee überlebten, wurden von der Witwe Goldsteins wegen der Tötung ihres Mannes verklagt. Das Ehrengrab Baruch Goldsteins liegt in der Hebroner Siedlung Kiryat Arba und ist heute ein Pilgerort für nationalreligiöse Siedler. Wenn ich es richtig erinnere, wurde die sterile Zone zu einem Gutteil aus Angst vor Vergeltungsaktionen für dieses Massaker geschaffen. Und die Shuada Street und ihre Nebenstraßen waren vorher auch ein „large, thriving commercial and shopping center“.

„Spaß mit Flaggen“: Eine der Nebenstraßen der Shuhada Street.

Bei einem Kontrollposten auf der Shuhada Street geht links eine Treppe hoch. Oben sehen wir einen offiziellen Beobachter von EAPPI stehen, den wir an seiner Dienstweste erkennen. EAPPI ist eine internationale kirchlich-ökumenische Organisation, die im Westjordanland an Checkpoints, auf Demonstrationen und so weiter beobachtet und dokumentiert. In Deutschland wird sie unter anderem von Pax Christi getragen. Wir gehen (nach Ausweiskontrolle) hoch und unterstützen ihn. Es braucht für die offizielle Meldung eines Zwischenfalles an die Uno immer zwei Zeugen.

Checkpoint und Treppe von oben gesehen. Den Straßenabschnitt links des Checkpoints dürfen berechtigte Palästinenser betreten, der Abschnitt rechts des Checkpoints ist für Palästinenser komplett verboten. Berechtigt sind unseres Wissens die Bewohner dieses Teils der sterilen Zone, die Grundschulkinder, deren Schulweg hier entlang führt und ihre Lehrerinnen.
Die Tür am oberen Ende der Treppe ist mit einem Seil mit einem beweglichen Absperrgitter am Armeeposten verbunden. Durch ziehen an dem Absperrgitter, wird das Seil auf Spannung gebracht, so dass die Tür nicht geöffnet werden kann.
Für kurze Zeit hält ein Kleintransporter mit Boxen auf dem Dach und lauter Musik am Checkpoint und die Soldaten tanzen ausgelassen mit den Siedlern.
Als palästinensische Schulkinder den Checkpoint passieren und die Treppe hinaufgehen, machen sich Siedlerkinder einen Spaß daraus, ihnen durch Ziehen am Absperrgitter die Tür vor der Nase zuzuschlagen und sie warten zu lassen.
Der Vater einiger der Kinder bestärkt sie in ihrem Tun. Und die Soldaten lassen sie gewähren.

M…, der EAPPI Beobachter, erzählt uns, dass dies häufig vorkommt. Und wenn es nur die Aktion der Siedlerkinder und die Tatenlosigkeit der Soldaten wäre, wäre es offiziell kein Vorfall. In diesem Fall wird es aber durch das bestärkende Eingreifen des Vaters, also eines erwachsenen Siedlers, zu einem Vorfall. Er schreibt einen kurzen Vorfallbericht, den wir bezeugen und der mit M…’s Dokumentationsphotos an die UN geschickt wird. Dort wird er zusammen mit den vielen anderen Berichten vermutlich wenig bewirken.

Da es nach dem Vorfall nicht ratsam für uns drei ist, mit unseren Kameras durch diesen Checkpoint zurückzugehen, gehen wir zusammen mit M… einen Umweg, und er zeigt und erklärt nebenbei das eine oder andere.

dieser umweg ist ein unebener weg, teilweise mit stufen versehen, aber eigentlich nur ein pfad zwischen den häusern hindurch und über alte gartenterrassen hinweg. steil und voller steine. eine metallstiege ist an einer mauer angebracht, über die wir auf die nächste terrasse hoch müssen.

dies ist der schul- und kindergartenweg der kinder. sie müssen diesen schleich- und umweg machen, weil sie als palästinenser nicht auf der straße gehen dürfen. die ist nur für sie siedler.

Bina und M… mit seiner EAPPI-Weste vor bis zu 2.000 Jahre alten Olivenbäumen. Bäume und Land gehören Palästinensern. Aber sie müssen dulden, dass die Siedler ihren Weg abkürzen, indem sie durch den Olivenhain und über den alten muslimischen Friedhof gehen.
Pause auf der Terrasse von „Youth against Settlement“, einer zwischen Siedlerhäusern gelegenen Oase. Über der linken Schulter, die Abraham-Synagoge/Ibrahim-Mosche, die sich über dem Patriarchengrab erhebt.
Unten auf der Shuhada Street, an der Ecke des umstrittenen Patriarchengrabes. Blick aus einem der sehr wenigen Läden, die hier öffnen dürfen. Da aber die wenigen Palästinenser, die die sterile Zone betreten dürfen, nur die Straße geradeaus zu und den Straßenabschnitt links des Checkpoints betreten dürfen, und Siedler prinzipiell nicht bei Palästinensern kaufen, hat er nur Touristen als Kundschaft.
Am Checkpoint müssen einige junge männliche Palästinenser ihre Taschen leeren, und T-Shirt und Hosenbeine hochheben, um zu zeigen, dass sie nichts schmuggeln. Fünfzig Meter weiter oben, also in Sichtweite, sind sie durch den gleichen Checkpoint mit Metalldetektor gegangen, durch den wir die sterile Zone auch betreten haben. – Man beachte die Pose des kontrollierenden Soldatens.
Außerhalb der sterilen Zone, stoßen wir in der Altstadt auf diese Patroille. – Nein, die Soldaten werden dem Mädchen nicht Platz machen.
Dann in der A-Zone, dem palästinensisch kontrollierten Teil Hebrons, endlich das pralle Leben einer arabischen Innenstadt.

Wir schlendern bummelnd einen großen Bogen durch die belebten Einkaufsstraßen, bis wir wieder auf die sterile Zone treffen. Von dem was wir dort erlebt haben, haben wir den folgenden Vorfallbericht geschrieben, der über EAPPI an die UN gegangen ist.

„Am Sonntag, dem 18.12.2017, um 15.26 Uhr kamen wir […] von „palästinensischer Seite“ zum Checkpoint 56. An der Betonbarriere davor stand ein palästinensischer Krankenwagen und am Gitter des Checkpoints stand ein dazugehöriger Sanitäter. Er erkärte uns auf Nachfrage, dass eine palästinensische Person innerhalb der „israelischen Zone“ kollabiert sei. Wir warteten mit ihm zusammen zehn Minuten, von 15.26 Uhr bis 15.36 Uhr. Dann bekam er die Erlaubnis, seine rollbare Trage aus dem Krankenwagen zu holen um den Patienten abzuholen. Als er den Patienten, eine ältere palästinensische Frau, erreichte, hatten andere Personen sie bis auf etwa 20 Meter an den Checkpoint heran getragen oder geführt. Dort saß sie auf einem Monostuhl aus Plastik und wurde von dort aus auf die Bahre umgesetzt. So wurde sie dann durch den Checkpoint und zum Krankenwagen gefahren.“ – Es folgen unsere genauen Personalien und Kontaktdaten.

So haben wir den Sanitäter vorgefunden.
Zehn Minuten später darf er die Trage holen. Blick von der Betonbarriere, an der der Krankenwagen steht, zum Checkpoint.
Die Patientin wird durch den Checkpoint geschoben.

Die UN hat mehr Photos von uns bekommen.