Sterile Zone oder Geisterstadt?

Do 21.12.

Wie wir jetzt gelernt haben, ist der Begriff „sterile Zone“ oder „sterile Straße“ ein Begriff der Israelischen Armee für Gebiete oder Straßen, die von Palästinensern absolut nicht betreten werden dürfen. Keine Ahnung, wo und wie wir diesen Begriff aufgeschnappt haben. Die Palästinenser, also zumindest die Aktivisten, sprechen von der „Geisterstadt Hebrons“.

Schulweg in der Geisterstadt:

Bitte stellt euch mal vor, ihr selbst oder eure Kinder hätten einen solchen Weg zur Grundschule:

Der Weg von über 60 Grundschulkindern (wir haben gezählt) führt zunächst durch Checkpoint 56 mit zwei Drehtüren, die Ein- und Ausgang eines Gitterkäfigs mit Metalldetektor bilden.

Zwei hinter Panzerglas sitzende Soldaten haben den Auftrag die Pässe zu kontrollieren und geben den Käfigausgang erst frei, wenn sie zufrieden sind. Hinter dem Checkpoint stehen Beobachter von EAPPI (kirchlich) und TIPH (UN), dürfen aber nicht eingreifen, wenn Soldaten oder Siedler euch bedrängen, sondern nur melden. Was sie – wie sie uns erzählen – regelmäßig tun, ohne dass es Konsequenzen hätte.

Der Weg führt dann die leere Shuhada Street runter, auf der nur Siedler, Armee und der Schulbus der Siedlerkinder fahren darf.
Hinter vielen der Türen stehen schöne Wohnungen leer, in denen früher einmal Familien gut gelebt haben.

Etwa die Hälfte der Wohnungen und Häuser in der Geisterstadt sind inzwischen verlassen. Weil die Bewohner die Checkpoints, die Demütigungen der Soldaten, die Übergriffe der Siedler und so weiter einfach nicht mehr ertragen haben.

Nach etwa 250m ist das Betreten der Shuhada Street allen Palästinensern komplett verboten. Die Kinder müssen an Checkpoint 55 mit zwei Soldaten, eine Treppe hoch. Die Gittertür wird von den Soldaten über einen Seilzug von unten freigegeben.

Hier haben wir vor ein paar Tagen photograpiert (und hier eingestellt), wie Siedlerkinder sich einen Spaß daraus machten, den palästinensischen Schülerinnen die Tür am oberen Ende der Treppe mittels des Seilzugs vor der Nase zuzuschlagen. Aber die Beobachter von EAPPI und TIPH haben uns erzählt, dass das noch harmlos war. Sie schmeißen auch Steine nach den palästinensischen Kindern oder schlagen sie. Die Soldaten haben den ausdrücklichen Befehl NUR(!) die Siedler zu schützen und nicht die Palästinenser. Sie dürfen die Siedler auch nicht anrühren, da für diese Zivilrecht gilt. Nur die Polizei dürfte sie anrühren, aber die müßte erst aus Jerusalem herkommen. Für die Palästinenser hingegen gilt Militärrecht.

Im konkreten Beispiel heißt das: Zwei Kinder bewerfen sich mit Steinen, ein Palästinenser und ein Siedler, beide 12 Jahre alt. Der Palästinenser wird sofort von der Armee festgenommen. Er steht unter Militärrecht und kommt vermutlich in Administrativhaft. Bis zu 6 Monate ohne Anklage, Telephonanruf, Anwalt oder Außenkontakt. Dem Siedlerkind passiert vermutlich nichts. Für die Armee ist er unantastbar. Falls er von unabhängiger Seite gefilmt wird und sich die Polizei aus Jerusalem tatsächlich die Mühe macht, herzukommen, so gilt für ihn israelisches Zivilrecht. Er ist noch minderjährig und sein Vater wird ermahnt. Dass der Vater ihn dann bestraft, halte ich für eher unwahrscheinlich. Eher kauft er ihm zur Belohnung ein Eis.

Die letzten etwa 200m müssten die Schulkinder einen Pfad oberhalb der ihnen verbotenen Shuhada St. benutzen. Auf der anderen Straßenseite der Siedlungsblock Beit Hadassa.
Der Spielplatz der Schule vom darüberliegenden Armeeposten aus gesehen. Die Schule ist das Gebäude links oberhalb des blauen Dachs der Rutsche.

Siedler und Soldaten

Offensichtilich ist unsere Schonzeit, in der die Siedler uns als Touristen wahrgenommen haben, vorbei. Wir werden mehrfach demonstrativ gefilmt. Und auf dem vollkommen sterilen Teil der Shuhada Street geht uns ein älterer Siedler an. Später erfahren wir, dass er einschlägig bekannt ist.

Zunächst geht er Michel an.

Er reißt mir meine rote Kefiye (das Palituch) ab. Droht mir mit der Faust. Ich sei ein Terrorist. Er würde mich umbringen. Woher ich käme. – Als ich „Aus Deutschland!“ antworte, ändert er seine Argumentation. Erst: Er würde mich umbringen. Nun: Wir (die Deutschen) wollten sie umbringen.

Die beiden Soldaten vom nächsten Checkpoint gehen dazwischen.

Wir sind später nochmal hingegangen, um den Beiden zu danken. Sie haben nämlich, wenn ich es richtig verstanden habe, mehrere Befehle missachtet. Erstens haben sie einen Propalästinenser vor einem Siedler geschützt und nicht umgekehrt. Zweitens haben sie mir den Rücken zugekehrt, ohne irgendwie gedeckt zu sein. Das ist ihnen streng verboten. Ich könnte ja sonst was tun.

Anschließend geht er auf bina los und versucht, die Kamera zu kriegen.

Hier hat sich ausgezahlt, dass wir mit den Soldaten reden. (Also mit denen, die ansprechbar sind.) Dass wir ihnen klar machen, dass wir den Menschen sehen und nicht nur das Gewehr. Daraus haben sich einige gute Gespräche entwickelt. Diese beiden Soldaten gehörten zum Glück zu denen, mit denen wir schon Mal länger geredet hatten und mit denen wir uns freundlich grüßen.

Das ändert an der perfiden Ungerechtigkeit der Gesamtsituation leider wenig. Auch wenn einzelne Soldaten sich ihre Menschlichkeit bewahren. Es bleibt für die hier lebenden Palästinenser (und für uns) ein Glücksspiel, an wen sie geraten. Andere Soldaten sind viel schärfer drauf. Dass das Regime, welches die israelische Armee hier führt, dazu da ist, die Palästinenser zu schikanieren, wird durch einige Soldaten, die sich ihre Menschlichkeit bewahren, leider nur abgemildert, aber nicht aufgehoben.

Ein Mensch in Uniform bleibt manchmal immer noch ein Mensch!

Die Bildunterschrift ist eine Abwandlung des beliebten Känguruh-Zitates: „Ein Idiot in Uniform ist immer noch ein Idiot!“

Diesem Soldaten ist es offensichtlich eine Freude, etwas Gutes für sein Gewissen und den alten Mann zu tun, indem er ihm seinen Einkauf hochträgt. (Den Rest des Weges haben wir die Tüten dann getragen.) Trotzdem bleibt die Grundsituation, dass es ohne die Siedler und die Armee einen Laden direkt um die Ecke des Hauses des alten Mannes gäbe; dass, wenn er in der Stadt einkauft, der Sohn des Geschäftsinhabers ihm den Einkauf nicht nur bis zum Checkpoint tragen dürfte; und dass er beim nächsten Einkauf, wenn er Pech hat, am Checkpoint an der Treppe auf einen Privatsadisten in Uniform trifft; und irgendwann wird er Pech haben.

Leben in- und außerhalb der Geisterstadt

Flohmarkt keine 500m von Shuhada Street entfernt im Rücken der Geisterstadt. Nach dem Zwischenfall mit dem aggressiven Siedler sind wir erst mal über den Friedhof aus der Geisterstadt raus. Auf einem der Wege ohne Soldaten oder Checkpoints. Auf der anderen Seite war Flohmarkt. Wir haben uns zweimal zum Kaffee einladen lassen und danach alle weiteren Einladungen höflich, aber bestimmt abgelehnt. „Ma biddi! Shukran!“ – „Ich möchte nicht! Danke!“. Und Michel hat sich für 10 Schekel (etwa 2,50€) eine neue Hose gekauft.

daß wir immer sehr herzlich empfangen, begrüßt und manchmal auch beschenkt werden, ist immer wieder herzerwärmend. an das so oft angestarrt werden gewöhne ich mich langsam. es wird gerufen, gewunken und gehupt. was ich besonders schön finde ist, daß niemand beleidigt ist, weil man eine einladung ablehnt. vorgestern wartete ich auf michel, der noch geld holen mußte, vor dem candy-q. eine frau wollte unbedingt ein foto mit mir machen, weil frauen ohne kopftuch aus europa und dann noch allein an der straße wartend so selten sind.

Ein älterer Mann klaubt in einem Olivenhain in der Geisterstadt Oliven auf.
Ziegengehege in der Geisterstadt.
Als wir dem sechsprachigen Ahbed ausgelesene deutsche Bücher vorbei bringen, ergibt sich eine Partie Backgammon mit einem seiner Nachbarn.

ich hoffe, ich hab mich beim backgammon nicht zu sehr blamiert. ich hab doch keine ahnung, was die arabischen regeln sind. zum glück brauchte ahbed seinen nachbarn bald am computer als berater für irgendwas.

Das Candy-Q, unser Stammcafe.

Obwohl Hebron als konservativste Stadt Palästinas gilt, gehen auch hier Frauen alleine ins Cafe. Nicht alle tragen Kopftuch. Und es fällt uns immer wieder auf, wie modebewußt und stilsicher die meisten jungen Palästinenserinnen sind. Sie sind an Eleganz oft kaum zu überbieten.