Stromausfälle und Ausflug

Sonntag-Dienstag (19.-21.10.)

so langsam schleicht sich hier eine art routine ein.

es ist klar, wer wann in etwa kommt und unser haus mit beschützt. mohammad bringt immer irgendwas vom laden mit. meist pita, weil mittlerweile klar ist, dass wir dies wunderbare brot quasi wegatmen. aber auch kleine quarkpuddings, die wie ein pflaster für unsere eigentlich dauerhaft angespannten nerven sind.
und wenn wir auch manchmal das gefühl haben, wir machten mehr mühe als dass wir nützlich wären, sind das die kleinigkeiten, die uns zeigen, dass wir gern gesehen und unsere anwesenheit hier für die palästinenser wertvoll ist.

wir machen oft keine richtigen nachtwachen, trotzdem klingelt der wecker um 01.00h und wir sind bis 03.00h halbwegs wach, falls wir nächtlichen besuch bekommen. wir schlafen halb angezogen, sicherheitshalber. aber es bleibt ruhig.

tagsüber sitzen wir viel auf unserer bank an der hauswand (nur bei drohnenalarm gehen wir schnell rein), ich wasche ein paar sachen durch oder scheuere die küchenschränke aus, die es dringend nötig haben.

Was für eine Nacht!

der wassertank auf dem dach war leer und es läuft nun den halben tag lang bis in die nacht hinein eine pumpe auf der terrasse unter unserem fenster. zudem neigt sich das gas dem ende zu und wir müssen damit ein bisschen sparen. die küche bleibt kalt. wir sind gespannt, wie ersatz herangeschafft wird (wie sich später herausstellt: ganz einfach, die 2. flasche auf der treppe ist noch voll!). irgendwann macht mohammad die pumpe aus und wir hören vom dach wasser tröpfeln und rinnen (er hat wohl zu viel reingepumpt).

um 01.00h klingelt wie gewohnt unser wecker und dann fängt gegen 02.00h das licht an zu flackern. die kabelverbindungen britzeln und beginnen zu rauchen, genau so wie eine steckdose und die neonröhre in unserem zimmer. dann gibt es ein paar funken und alles ist dunkel.
na klar, kurzschluß wegen des rinnenden wassers, denken wir erst, aber letztlich sind es spannungsschwankungen, wie wir sie in deutschland nicht kennen. zwei ladekabel schmoren durch und eine der neonröhren im zimmer. gott sei dank haben wir keine geräte zum aufladen am kabel.

aber im sekundentakt piept der stromzähler neben uns im flur und meldet fehler.
der schlaf bleibt dünn.

Sabotage der Hauptstomleitung?

So, 19.10:
tagsüber haben wir dann wieder elektrizität, aber mit dem laden von unseren geräten sind wir mehr als vorsichtig und lassen sie derweil nicht unbeaufsichtigt.

eine attacke oder sabotage durch die siedler oder so? eher nein, sonst hätten wir in der nacht noch ‚besuch‘ bekommen. außerdem ist hier in der geisterstadt und in H2 alles irgendwie improvisiert. hinein dürfen nur palästinensische menschen, die hier gemeldet sind: nur mit glück wohnt hier auch ein handwerker. deshalb sind die leute von YAS auch so wichtig und willkommen, denn sie helfen den menschen im alltag und bei reparaturen.
es würde uns wundern, wenn die stromleitungen irgendeiner norm entsprächen.

Fast jeder der Aktivisten von YAS hat ein anderes Handwerk gelernt. Als mobiler Reparatur- und Bautrupp wären die bei uns in Deutschland der Hammer!

in der nächsten nacht haben wir wieder keinen strom. diesmal sind aber keine schäden zu beklagen und hammad stellt auch den stromzähler stumm.

nicht nur unser haus ist dunkel. die palästinensischen häuser in der umgebung sind alle dunkel. nur der israelische wachposten auf dem haus nebenan hat wie üblich seine stadionbeleuchtung an und die siedler oberhalb von uns haben auch licht.

hammad vermutet, dass diesmal die palästinensische hauptstromleitung mutwillig gekappt wurde – von den üblichen verdächtigen …

Für diese Hypothese spricht auch, dass Siedler und Soldaten mitten in der Nacht bereitstehen, um Reparaturversuche der Palästinenser zu unterbinden.

Ausflug in die Stadt am Montag (20.10.)

trotz allem müssen wir heute in die stadt zum einkaufen. wir brauchen einiges. vor allem einen bankomaten.

über einen checkpoint hinaus zu kommen ist kein problem, eine kontrolle findet nicht statt. den weg dorthin bestreiten wir zügig. nur nicht unnötig aufmerksamkeit erregen.
dann der lärm der stadt, die vielen menschen, die farben, die gerüche, das chaos einer nahöstlichen stadt … wie gut das tut!
und auch die wärme. in der stadt ist es immer noch sehr warm, während bei uns oben ständig ein kühlerer wind weht.

michel kauft sich neue schuhe in einem größeren laden. zwei verkäufer überschlagen sich fast, beschäftigen einen dritten hinten im lager, ich werde auf einen hocker genötigt, es gibt erst mal kaffee. das am häufigsten verwendete wort ist : shwayy shwayy (langsam langsam, immer mit der ruhe).
michel findet was er braucht und zahlt umgerechnet unter 20 € für zwei paar schuhe.

eine drogerie macht mit uns ehrliche geschäfte und mich mit hautmilch glücklich, ein straßenhändler freut sich, dass er uns drei bund frischer pfefferminze verkaufen kann.
von einem hühnerfleisch-händler werden wir übers ohr gehauen, denn er nimmt uns für zwei größere packungen geschnittenes fleisch, was für die katzen sein soll, fast 20 € ab.
das lehrt uns VORHER nach dem preis zu fragen und dann auch weiter zu gehen, wenn wir nicht einverstanden sind.

vielleicht hätten wir doch eine gasse weiter auf dem hühnermarkt kaufen sollen …

in dem elektroladen ersteht michel eine weitere stirnlampe, die eher ein scheinwerfer ist. sie kostet 10 €.
dafür ist in dem kleinen lebensmittelladen, in den wir hineinschneien, der spendierte kaffee ausgesprochen lecker.

nun noch äpfel und limo und chips an verschiedenen ständen erstehen und die hiesigen, superleckeren erdnussflips. einen weiteren kaffee schenkt uns der souvenierhändler im shouk, wo wir unsere kuffiyyes kauften und jetzt auf einer bank davor sitzen.
wir sollten unsere favorisierten geschäfte nach der qualität ihres angebotenen kaffees aussuchen!

wir beschließen, durch den checkpoint an der machpela zu gehen. der wird von vielen touristen genutzt und auf touri machen können wir ja.
erst mal werden wir zusammen mit einem gehörlosen palästinenser eine halbe stunde davor stehen gelassen, bis die wachposten merken, dass nicht nur er da ist, sondern auch touristen.

Der Checkpoint an der Machpela (dem angeblichen Grab Abrahams und seiner Familie). Vor uns wartet ein Gehörloser auf Durchlass. Versucht auf sich aufmerksam zu machen. Aber die Soldat*innen machen sich einen Spaß daraus, ihn zu ignorieren.

sie lassen sich lediglich unsere pässe zeigen und wollen nur wissen, wohin wir wollen.
„zum bus richtung jerusalem.“ neiiiin, wir seien weder juden noch moslems, sondern christen. „zur moschee????? ach, was sollen wir da??????

Was mich aufregt: Erst machen die Soldat*innen sich eine halbe Stunde lang einen Spaß daraus, einen gehörlosen Palästinenser zu ignorieren. Und anschließend wollen sie von uns hören, wie toll wir Israel finden. Sie haben doch gemerkt, dass wir mitbekommen hatten, wie sie vorher den gehörlosen Mann behandelt haben. So lange, bis sie realisierten, dass hinter ihm „Touristen“ stehen. (Die schlimmsten Mobber, die ich in meinen Schulklassen hatte, hatten mehr Gerechtigkeitsempfinden und Empathie.)

Gleich hinter der Machpela sehen wir diese geschlossenen Läden und es zerreißt uns das Herz.

es ist traurig, die geschlossenen läden von achbed, seinen kollegen nebenan und der töpferei zu sehen. sie waren 2017 immer ein sumud-bollwerk und ein bunt-lebendiger fleck auf dem weg über die shuhada street. wenigstens ist die töpferei „nur“ in den shouk in H1 umgezogen. So sah es hier damals aus:

Sein Haus, das diese zwei Läden und drei dahinter liegende Apartements beherbergt, liegt am strategisch wichtigsten Punkt Hebrons.

Im Januar 2018 hatten wir unter dem Titel: Der 100-Millionen-Dollar-Mann über Ahbed und seinen Laden geschrieben: „Er hat sich weder durch Gewalt und Schikane vertreiben, noch kaufen lassen.“ – Leider haben sie ihn und seine Familie offensichtlich im Laufe der Jahre und der zunehmenden Brutalisierung und Enthemmung der Siedler und Soldaten doch klein gekriegt.

wir gehen durch die neue apardheitstraße, von der wir ja schon erzählten, beschäftigen die soldaten am nächsten checkpoint mit fröhlichen fragen nach der abrahamsquelle und wie die auf hebräisch heißt. (‚mayyan avrahim‘. wasser heißt auf arabisch mayy.)
es funktioniert und wir werden nicht weiter aufgehalten. die einzige schwierigkeit für uns ist, kein arabisch zu radebrechen, sondern die drei worte hebräisch rauszulassen, die wir können.

Die Shuhada Street ist für Palästinenser komplett gesperrt – auch für diejenigen, die hier wohnen: sie müssen ihre Häuser von hinten über die Dächer der Nachbarn betreten. Siedler haben sie in die, hebräisch, „König-David-Straße“ umbenannt (was leider sogar google.maps mitmacht). Dann sehen wir dieses Schild:

was für eine infame, wahrheitsverdrehende schönfärberei! im englischen gibt es dafür das wort ‚spinning‘

wir gehen durch die tote shuhadastreet und ich versuche, mich mit großen begeisterten blicken umzuschauen. nicht, dass es etwas schönes zu sehen gäbe (die verschweißten, einsamen läden, in denen so viel leben herrschen könnte, sind kein schöner anblick), aber so bleibe ich im touristenmodus.

Wir schrieben ja, dass es für die Palästinenser in der Geisterstadt unmöglich ist, im Notfall einen Krankenwagen kommen zu lassen. Hinten im Bild sieht man zwei von drei Krankenwägen, die wir auf der Shuhada Street gesehen haben. Sie stehen dort rund um die Uhr bereit, nehmen aber nur Juden mit.

an der abrahams quelle machen wir sicherheitshalber ein foto und falls wir von soldaten angesprochen werden: wir sind auf dem weg zu den ausgrabungsstellen in tel rumeida.

Man beachte die Fantadose (Bildmitte links), die ein Siedler oder Soldat in die heilige Quelle geworfen hat. Die Palästinenser meiden diesen für sie gefährlichen Ort.

aber wir werden in ruhe gelassen und machen noch dieses foto:

der baum ist übrigens gut und gern 2000 jahre alt

das sumud ist schon in sicht, umm temer (mutter von temer) öffnet schnell die tür und wir sind wieder in sicherheit.
hammad lacht sehr über unsere schilderung der heimkehr und schüttelt verwundert den kopf.

mittlerweile ist auch europäische verstärkung gekommen. gracia aus italien hat es hierher geschafft, nachdem sie bei der einreise vier stunden lang in eilat interviewt worden war und dann auch noch am checkpoint festgehalten wurde.

hammad kann mit einer gruppe elektriker die angeschnittenen stromkabel zumindest zum teil reparieren. allerdings wird er erst von einem soldaten und einem siedler daran gehindert. es konnte auch nicht alles repariert werden, sondern nur ein kabel. jetzt gibt es zwar wieder strom, aber noch nicht genug.

eine jüdische besuchergruppe macht mal wieder eine besichtigungstour. wir würden zu gern mal einer beiwohnen, damit wir erfahren, was so erzählt wird. sie benehmen sich irgendwie wie kauf-interessenten auf einem baugrundstück, denen das gelände fast schon gehört.

wir halten wieder aktiv nachtwache. mohammad wurde nicht hineingelassen, hammad muß irgendwann auch mal nach hause. er hat schließlich frau und kinder.
so sind wir also nur zu dritt.
aber die nacht bleibt ruhig und wir sind froh, dass wir dies immer wieder schreiben dürfen.

In den Checkpoints, durch die man in die Geisterstadt kommt, sind Schikanierungen die Regel, nicht die Ausnahme. Die Italienerin musste zweimal durch, und wurde zweimal je eine dreiviertel Stunde festgehalten und befragt. Und jetzt stalken die Soldaten sie auf Linkedin … und so weiter. Hamad haben sie heute früh auch eine halbe Stunde festgehalten und befragt. Es ist eine Nachricht, wenn jemand mal keine Schikane erlebt.

{Text behutsam redigiert von vS}

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