Altstadtführung

Stille Nacht

Die Nacht von Freitag, dem 10ten auf Samstag, den 11ten Oktober ist so ruhig und sicher, dass wir keine Nachtwache schieben müssen. Es ist Shabbat, und ihre Religion gebietet den Siedlern, dass sie nach dem Shabbatmahl Sex haben. Denn die Shabbatnacht ist die heiligste Nacht der Woche. Die in dieser Nacht gezeugten Kinder sind daher besonders heilig. (NEIN! Das ist KEIN Witz!!!)

Während im Olivenhein vorm Sumud ein paar Soldaten herrumlungern…
…machen wir drinnen Knafe…
…das auf dem Grill „gebraten“ wird.

Knafe ist eine orientalische Delikatesse. Man kann es sich in etwa als Kreuzung aus süßem Baklava und Grillkäse vorstellen. Mit viel Zuckersirup und orientalischer Pistazienorgie. Die Frage, wer den besten Knafe macht, diskutieren Syrer und Palästinenser ebenso leidenschaftlich, wie Iren und Schotten die Frage, wer den besten Whisk(e)y macht. Die Türken sind bei Knafe (unserer Meinung nach) keine ernstzunehmenden Mitbewerber. Ebenso wenig wie die US-Amerikaner mit ihrem Bourbon, beim Whisk(e)y!

Hebron: Was ist Wo?

Die Karte ist von 2017 und der Broschüre „Geisterstadt Hebron“ entnommen.

Hebron ist eine palästinensische Großstadt etwa 30km südlich von Jerusalem, mit etwas über 250.000 Einwohnern. Sie ist in zwei Gebiete geteilt.

Im Gebiet H1 hat gemäß des sogenannten Osloer Friedensabkommens die Palästinensische Automoniebehörde die alleinige Kontrolle (was Israel aber oft ignoriert). Es ist eine der vielen Autonomie-Inseln des Westjordanlandes, die alle von einander getrennt und vollständig von israelisch kontrolliertem Gebiet umgeben sind.

Im Gebiet H2, das wie eine Halbinsel in H1 hineinragt, ist dem Osloer Abkommen zufolge Israel für die Sicherheit zuständig und die Autonomiebehörde für die Zivilverwaltung. Dem Abkommen zufolge muss Israel den Palästinensern hier Bewegungsfreiheit gewähren. – Daran hält es sich in keiner Weise, denn:

Einen nicht kleinen Teil von H2 bildet die „Geisterstadt“. Das ist der in der Karte violett gefärbte Bereich. Hier dürfen sich Palästinenser nur mit Sondergenehmigung oder gar nicht bewegen. Die rot gezeichneten Straßen dürfen sie gar nicht betreten. Auf den Violetten dürfen sich nur Anwohner mit Sondererlaubnis bewegen, und das auch nur zu Fuß. (Auch keine Krankenwägen. Nichts!) Die Siedler dürfen natürlich auf beiden Straßentypen Auto fahren. In der Geisterstadt liegen zum einen die Machpela (das mythische Grab Abrahams und seiner Familie – auf der Karte Tomb of the Patriarchs) und zum anderen alle israelischen Siedlungen in der Stadt. Insgesamt leben hier 600-800 Siedler, bewacht von etwa 2.000 Soldaten. Ungefähr 1.800 Läden sind deswegen geschlossen und 1.000 Häuser stehen leer. Die palästinensischen Familien in diesem Gebiet leben in ihren Häusern unter Belagerung. Kein Besuch, kein Handwerker und kein Notarzt darf in den gesperrten Gebieten zu ihnen. Nie wissen sie, ob sie das Haus verlassen können, ob die Checkpoints auf haben, ob es eine Armeerazzia gibt, wann der nächste Siedlerüberfall kommt.

Das Sumud-Zentrum liegt auf der Karte genau unter dem „T“ von „Tel Rumeida“. Und seine Rückwand ist die Grenze der gleichnamigen Siedlung. Der Checkpoint 56, heißt bei den Palästinensern Checkpoint „Bab al-Zawiya“, nach dem entsprechenden Stadtviertel. Auf der Karte liegt er am linken Ende der Shuhada Street (dort wo sie gelb-violett-gestreift ist).

Wer sich genauer einlesen will, dem sei die Broschüre „Geisterstadt Hebron“ empfohlen, die 2017 von von „Youth Against Settlements“ und der „KURVE Wustrow“ herausgegeben wurde. Sie ist, wie die Karte, etwas veraltet. Es gilt die Faustregel: Alles ist seit dem schlimmer geworden! Jedes Detail! Manches nur wenig, manches massiv!

Altstadtführung

Samstag 11. Oktober: Sobald wir die Geisterstadt verlassen trifft uns wieder die Lebendigkeit dieser palästinensischen Großstadt wie ein Schlag.

vor allem auch deshalb, weil wir seit letzter woche nur die terrasse des sumud-zentrums gesehen haben und dort meist nur im hinteren teil an der hauswand saßen, wo uns die soldaten nicht sehen können.
dieser lärm, diese vielen menschen, hupende autos, so viele verkaufsstände an der straße, die irgendwo ein megaphon hängen haben, aus denen marktschreierisch die angebote gequäkt werden. ‚ashara-ahsara-ahsara‘ (zehn (schekel)-zehn-zehn….den rest verstehen wir nicht mehr) aber nach 5 sekunden geht es wieder los. eine unfasssbare kakophonie!

dazu müll und dreck auf der straße. ständig treten wir auf plastikmüll, weichen leeren kartons und halb verfaultem gemüse aus, sehen staunend einen mann einen plastikbehälter wasser halb leer trinken und einfach wegwerfen.
kinder rennen hinter uns her, versuchen uns wasser in flaschen zu verkaufen und lassen sich nur mit mühe abwimmeln. einmal muß michel einen jungen regelrecht anschreien, bis er in ruhe gelassen wird.
wir werden alle paar meter aber auch im vorbeigehen willkommen geheißen, angelächelt, gefragt, woher wir kommen. wie froh sind wir über unsere wenigen arabischkenntnisse, so können wir einigermaßen standesgemäß antworten.
autofahrer hupen uns an, einerseits um zu winken, andererseits um deutlich zu machen: achtung, hier komme ich. denn es ist manchmal leichter, einfach auf der straße zu gehen, als sich auf dem bürgersteig durch die menschen und verkaufsstände hindurch zu wühlen.

Keine Ahnung, wie ich es geschafft habe, ein Bild mit so wenig Autos und Gewusel zu machen. – In Wirklichkeit ist es quirliger!
Man beachte die hebräsche Schrift auf den Kartons. Die Siedler haben den Palästinensern das meiste fruchtbare Land im Westjordanland geklaut. Israel hindert sie daran aus z.B. Jordanien zu importieren und zwingt sie so dazu israelische Produkte zu kaufen. Das stärkt die israelische Wirtschaft und hält die Palästinenser abhängig.

Vor Checkpoint 56 treffen wir eine kleine Gruppe junger US-Amerikaner, die über ein Stipendium ein Jahr lang an palästinensischen Schulen in Jerusalem Englisch unterrichten. Leider ist der Checkpoint heute nur ein eine Richtung durchlässig. Wir kommen zwar aus der Geisterstadt raus, aber niemand kommt hier heute rein. Also führt die Tour nicht wie geplant durch die Geisterstadt, sondern durch die Altstadt, immer an der Grenze zur Geisterstadt entlang.

Die Stadt Hebron ist etwa 5.000 Jahre alt, die Häuser in der Altstadt großenteils 1.200 Jahre. Im Juni 1967 wurde die Stadt einen Tag nach dem Sechstagekrieg von der israelischen Armee erobert. Ja! Einen Tag DANACH! Israel hat sich damals einseitig nicht an den Waffenstillstand gehalten.

Die Geisterstadt gibt es im Wesentlichen seit 1994, seit dem Massaker in der Machpela. Damals ist der Siedler Baruch Goldstein am letzten Tag des Ramadan in die Moschee eingedrungen und hat das Feuer auf die zum Morgengebet niederknienden Menschen eröffnet. Er ermordete 29 Menschen und verletzte mindestens 150. Der Held, der ihn schließlich mit einem Feuerlöscher erschlug, wurde von seiner Witwe auf Schmerzensgeld verklagt. Baruch Goldstein hat ein Ehrengrab und Denkmal in der Siedlung Kirjat Arba, keine 2km von der Machpela entfernt, und die Siedler feiern dort jedes Jahr seinen Tag. Aus Sorge vor Racheakten (die niemals eintraten) wurde damals die Shuhada Street für Palästinenser geschlossen und das Gebiet um die Siedlungen abgeriegelt. – Ja: Ein Siedler begeht ein Massaker und die Siedler gewinnen an Boden, die Palästinenser verlieren an Boden. – Und seitdem wächst die Geisterstadt schleichend weiter.

Diese Läden wurden 2004 per Anordnung geschlossen. Die Landeninhaber klagten und bekamen vor Gericht recht. Doch die Siedler haben Ladeninhaber und Kunden dann so lange von oben mit Steinen, Müll und Fäkalien beworfen, bis alle Läden aufgaben.
Dies war der Goldmarkt. Er ist geschlossen, seit die Siedler illegal einen Basketballplatz auf den Dächern darüber eingerichtet haben. Nachdem er geschlossen war, sind die Siedler dann in die Läden eingebrochen, haben die alten verzierten Schränke und Vitrinen geklaut und öffentlich im Freudenfeuer zum jüdischen Feiertag „Lag baOmer“ verbrannt.
Die Hebroner Altstadt ist UNESCO Weltkulturerbe. Für die Siedlungsblöcke machen sie dieses Erbe einfach platt. – Ist ja irgendwie nicht ihr Erbe. Anscheinend.
Dies war der Geflügelmarkt. Hier hat Schweden die Renovierung des Weltkulturerbes bezahlt. Leider zu dicht an der oben-hinten zu sehenden Siedlung.

Die Gassen der Casbah sind oft nur so lange romantisch, bis man nach oben schaut und den von Siedlern herunter geworfenen Unrat sieht…

… oder den Stacheldrahtverhau des Wachpostens, der die Siedler schützt aber nicht die Palästinenser.

Wir könnten gefühlt ewig so weiter machen, aber es wird zu lang.

Hamam

und dann führt uns issa in einen toten winkel des gassengewirrs. blitzsauber ist es hier. eine künstlerin hat ihr atelier geöffnet, katzen lungern vor einem geschäft herum. nur die betonmauer, die die straße übermannshoch absperrt, stört den frieden. hinter ihr beginnt die geisterstadt.

ein schmaler durchgang kaum 2m breit, ein paar stufen hinunter. plötzlich denken wir, wir riechen nicht richtig! es duftet nach argila (wasserpfleife), aber vor allem nach seife und shampoo. ein vorraum, noch eine treppe hinab, eine tür…. und wir stehen in einem hamam!!!!! wir können es kaum fassen!!!!! in all dieser ungerechtigkeit, dieser menschenrechtsverletzungen gibt es tatsächlich eine kleine oase der erholung, etwas schönes. der besitzer erklärt, was ein hamam ist und wir können tatsächlich einen termin vereinbaren! es ist ein gemischter hamam, aber wahrscheinlich nur für europäer.

auf die weitere tour zur machpela verzichten wir. am ersten der beiden checkpoints, durch die man zu ihr kommt, kehren michel und ich um.

kleidung ablegen und erst mal auf dem heißen stein (hier marmorplatten) entspannen. leider klappt das nur bedingt, denn der untergrund ist in der mitte so heiß, dass wir nicht still liegen können, aber am rand geht es. nach 10 minuten kommt der besitzer mit frischer zitrone, seife und salz und mit dieser mischung werde ich abgeschrubbt. ich merke richtig, wie sich dreck und alte haut lösen. michel ist dran und dann ruhen wir wieder eine weile, bis michel zum waschen und massieren abgeholt wird. ich bleibe liegen und höre wasser rauschen und ihn bald auf der massagebank wohlig brummen. zweimal schreit er auf und ich frage mich, was wohl mit ihm gemacht wird.
ich bin dran.
das viele heiße wassser auf der haut tut unfassbar gut und die massage mit öl ist wunderbar. ich muß dem besitzer nur klar machen, dass er vergessen soll, dass ich eine europäische frau bin und das er sich gerne richtig ins zeug legen darf. das macht er dann auch.

er kann es mit jedem deutschen pysiotherapeuten oder osteopathen problemlos aufnehmen und mit jedem ostfriesischen knochenbrecher auch.

anschließend spüle ich mich noch einmal ab, wasche schnell meine haare.
abtrocknen und anziehen und sich noch ein bisschen zum besitzer im vorraum gesellen, der seine argila schmökt und uns erzählt, dass der hamam 300 jahre alt ist.
seit 160 jahren befindet er sich in seiner familie. michel rechnet und kommt auf acht generationen.
al-naim heißt dieser ort, paradies, es ist das älteste bad in hebron.
wir bekommen noch gesundheitstipps mit auf den weg. michels problemzone ist der rücken, meine die beine. am besten, wir kämen einmal die woche, dann würde er uns schon wieder hinbekommen. wir zahlen zusammen 200 schekel, ca. 50€.

und vor zwei monaten kamen israelische soldaten in den hamam und haben fast alles kurz und klein geschlagen…