Wanderung, Maroniten & Auto kaputt

Do, 1. Mrz 2018

Eigentlich hatten wir eine längere Wanderung zum Ruine der Kreuzfahrerburg “St. Hilarion” vor. Doch mit der frisch gezogenen Zahnwurzel und dem Antibiotikum im Körper traue ich mich das nicht so richtig. Also gibt es nur eine kleine Tour von 3 Stunden im Westen des Pentadaktylosgebirges.

Klar, wo es blüht, da gibt es auch Bienen.
Das könnte jetzt auch Korsika sein. (Aber dann hätten sie die landschaftszersiedelnden Neubauten vermutlich längst weggesprengt.)
Der übliche Trick: “Michel” rufen und wenn er sich umdreht das Photo schießen.
Blick auf Klosterruine, Landschaft, Landschaftszersiedelung und Küste.
Rastplatz mit Blick (siehe Bild oben).
Ziegen, die auf Menschen starren.
Der Aquädukt des Klosters.
Die Klosterkirche. Wir glauben, es ist eine katholische Kirche und eine alte Ruine. Somit wären die Türken diesmal nicht Schuld, sie hätten sie nicht zerstört. Beziehungsweise: Als sie sie zerstörten, waren sie noch Osmanen.

Nach der Wanderung haben wir noch Zeit und fahren aufs nordwestliche Kap der Insel (auf der Karte oben links). Hier gibt es noch vier maronitische Dörfer. Die Maroniten sind Christen, die ihre Messe nach orthodoxem Ritus feiern, aber den Papst anerkennen. Das ergibt auch insofern Sinn, als dass sie ein Ergebnis des Streits zwischen katholischer und orthodoxer Kirche um die Frage sind, ob Jesus Christus gleichzeitig göttlich und menschlich ist oder nur göttlich. Die Mönche des Klosters Maron im heutigen Libanon lösten diese Frage für sich, in dem sie sagten: Jesu Körper sei menschlich und göttlich zugleich, sein Geist aber rein göttlich. Dies galt zunächst als der ideale Kompromiß, bis alle Seiten zu dem Schluß kamen, dass es Häresie sei.

Auf jeden Fall haben die Maroniten zusammen mit den Katholiken (die hier übrigens Lateiner heißen, weil die Maroniten sich selber auch Katholiken nennen) eine gewisse Sonderstellung. Sie zählen weder zu den orthodoxen griechischen, noch zu den muslimischen türkischen Zyprioten. Daher durften sie, auch als die Grenze geschlossen war, auf beiden Seiten der grünen Linie wohnen und diese auch überqueren. (Was sie zu großen Schmugglern werden ließ!

Ganz so einfach ist war es aber wohl doch nicht. Denn bis zur Grenzöffnung im Jahr 2003 lebten die Maroniten im türkisch besetzten Nordzypern de facto unter Quarantäne. Mißtrauisch als Sympathisanten der Griechen beäugt und schikaniert.

Wir besuchen Korukam, die heimliche Hauptstadt der zypriotischen Maroniten. Hier finden wir neben den offiziellen türkischen Straßenschildern inoffizielle dreispachige. Zwei maronitische Kirchen. Ein Kafenaion. Und offen zur Schau gestelltes Griechentum, wie sonst nirgendwo in Nordzypern. Von einem komplett blau-weiß gestrichenem Haus, bis zu Griechenlandfähnchen und -mützen.

Inoffizielles dreisprachiges Straßenschild neben dem offiziellen türkischspachigem. Im hintergrund der Kirchturm der kleineren maronitischen Kirche.
Das Schild des Kafeneion. (Die Backgammon spielenden Männer darunter haben wir aus Respekt nicht photographiert.)

In Kourukam bemerken wir, dass Bulli massiv Diesel verliert und dass eine Manschette an der Vorderachse komplett aufgebogen ist. Die Hälfte der Anzeigen ist seit zwei Wochen eh kaputt (seit wir durch eine drei Kilometer lange Pfütze gefahren sind. (Da es hier nicht häufig regnet, sind Gullis quasi unbekannt.) Also vorsichtig zurück nach Nikosia fahren und eine Werkstatt suchen.

Auf dem Weg dorthin fahren wir durch das ausgedehnteste Rotlichtgebiet Nordzyperns. In Nordzypern boomen Spielcasinos, Nachtclubs und Bordelle. Glücksspiel und Prostitution sind in der Türkei und den meisten anderen Ländern des Nahen Ostens verboten. Und Nordzypern ist die Sündenoase der Region. – Auf jeden Fall sehen wir über etwa 20km links und rechts der Straße nur Nachtclubs und Bordelle.

Ein Playboyclub an der Autobahn. (Mit ziemlicher Sicherheit ohne Lizenz des Playboys – immerhin ist der ganze Staat Nordzypern nicht anerkannt.)
Vom Lipstick hatte Michel schon von mehreren UN-Soldaten gehört.
Diesem Schaf wünschen wir, dass es zum Decken und nicht zum Schächten gefahren wird.

Nachtrag zu dem Photo mit der Raupenprozession bei der Tunnelwanderung:

V… (ein regelmäßiger Leser unseres Blogs) schrieb: “das Bild der „putzigen“ Raupen, die aber weniger putzig sind, wenn man weiss, dass es sich um Prozessionsspinner handelt, die gesundheitsschädlich sind und auch zur Landplage werden können, Näheres dazu könnt ihr ja googeln.”

Ja, es sind Prozessionsspinner. (Wir haben nachgesehen.) Ihre Härchen sind giftig und können beim Menschen starke allergische Reaktionen auslösen. Und sie können, wenn sie in Massen auftreten, große Schäden anrichten. Aber soweit wir es verstehen, gehören sie in diese Weltgegend natürlicher Weise hin.

10 Tage Nikosia

Do-Sa 1.-10. Mrz 2018

Mit der notwendigen Autoreparatur beginnt unser dritter längerer Aufenthalt in Nikosia, und diesmal wird es nicht nur eine Woche, wie bei den ersten beiden Malen, sondern anderthalb.

Wir genießen diese Zeit in der geteilten Hauptstadt Zyperns, deren Teilung für uns bedeutet, dass wir die Vorteile beider Seiten genießen. Hier eine ordentliche EU-europäische Infrastruktur mit Lidl-Supermarkt und roaminggebührenfreiem Telephonieren, dort Orient mit Hamam, kleinen Tante-Emma-Läden und halb so hohen Preisen. Wir passieren täglich mehrfach die Grenze. Inzwischen haben wir hier gefühlt bald mehr Bekannte als zu Hause in Wedel. Kein Gang durch die charmante Altstadt ohne Grüßen, kurzem Plausch oder gemeinsamem Kaffeetrinken. – Wir scheinen kaum noch als Touristen wahrgenommen zu werden, weil die ja nur ein bis zwei Wochen auf der Insel und davon lediglich einen halben Tag in Nikosia sind.

An beiden Freitagen gönnen wir uns Hamambesuche mit Massage und allem. Im H4C und der Weavingmill sind wir Stammgäste, im Hoi Polloi und Yaja Vikotoria zumindest wiederkehrende Laufkundschaft.

Unsere Hauptbeschäftigung während dieses Nikosiaaufenthalts ist aber “Unite Cyprus Now”. Gruppentreffen, Kneipenbesuche, Flugblätter verteilen und vor allem eine Slideshow (die moderne Form des Lichtbildvortrages) über unsere Erlebnisse in Hebrons Geisterstadt. – Aber das Thema ist so groß, dass wir dazu einen komplett eigenen Blogeintrag machen.

Autowerkstatt und Zahnarzt

Bei unserer Rückkehr nach Nikosia steuern wir als Erstes London Dry, “unsere” Reinigung im Nordteil der Stadt, an. Serdar, der Inhaber, ist türkischer Zypriot, hat lange in London gelebt und gehört für uns bei jedem Nikosiabesuch zum Pflichtprogramm. Nicht nur wegen der Wäsche, sondern auch wegen der guten Gespräche und vielen Informationen. Von ihm stammten die Tipps eine muslimische Beerdigung, das Freitagsgebet und das “Blaue Haus” (die ehemalige Villa eines Mafiabosses) zu besuchen; sowie die Informationen wie wir was finden, wo wir uns wie zu benehmen haben und allerhand wissenswertes über Zypern aus türkisch-britisch-zypriotischer Sicht.

Serdar hinter seiner Wäschereitheke.

Da wir wissen, dass Serdar Ralley fährt, vermuten wir, dass er gute Autowerkstätten kennt. Tut er auch! Aber seine beiden Werkstätten haben keine Zeit, weil gerade Inspektionssaison ist. Der zweite Werkstattmensch bringt uns aber zur nordzypriotischen VW-Werkstatt. Die sagen uns, dass sie uns frühestens Mittwoch drannehmen können und frühestens Mittwoch eine Woche später die Ersatzteile bekommen. – Wir haben Serdars Warnung vor der Verschleppungs- und Verteuerungspolitik dieser Werkstatt noch im Ohr und verzichten.

Die offizielle Ersatzteilbeschaffung dauert im Norden so lange, weil wegen des Embargos alles über die Türkei läuft. – In Wirklichkeit fahren die Werkstattleute, wie uns hier jeder erzählt, aber einfach in den zur EU gehörigen Süden und haben die Teile innerhalb eines Tages.

Wir warten also bis Montag, rufen den ADAC an und lassen uns eine Werkstatt im Süden empfehlen. Yiannos Christoforides kann uns zwar auch erst am Mittwoch drannehmen, braucht ab dann aber nur zwei Tage. Am Freitagfrüh ist Bulli wieder fit wie ein Turnschuh. Bulli schläft über Nacht im Werkstatthof und wir schlafen im Bulli. Tagsüber radeln wir mit unseren Bromptis (unseren Falträdern) in die Stadt. Kostenpunkt für Elektrik, Dieselleck und Achsmanschette (oder wie das Ding heißt): Kostengünstige 200€!

Bulli am Donnerstag in der Werkstatt.

Am Freitag ist auch mein zweiter Zahnarzttermin in Nordnikosia. Es dauert zwar über eine Stunde, weil er so vorsichtig und gründlich ist. Dafür läuft alles glatt und tut kaum weh!

Kochen und Politik mit Aydin

aydin (gesprochen wie der komponist haydn, aber ohne ‘h’) hatten wir im oktober schon kennen gelernt. eine türkisch-britisch-zyriotische aktivistin, die zusammen mit dem griechisch-zypriotischen konstantinos die fahrradtour ‘cyclists across barriers’ veranstaltet, an der wir teilgenommen und mit der wir am nächsten tag das großartige gespräch im hoi palloi hatten.

vor etlichen tagen hatten wir sie schon am H4C getroffen und sie war neugierig auf unsere berichte aus israel/palästina. ihr versprechen, uns zu sich ein zu laden, gemeinsam zu kochen und dann zeit zum erzählen zu haben, macht sie tatsächlich wahr.

das ist es, was an dieser frau begeistert: sie hat überall ihre finger drin. ist überall aktiv, plant, organisiert und bringt auf den weg und ist zuverlässig bis in die haarspitzen. nebenbei erwähnt sie, wir könnten eine fotoschau über unsere erfahrungen in hebron veranstalten. vielleicht bei ihr zu hause, mal schauen… tage später kommt die nachricht, wir sollten uns mit tina von unite cyprus now in verbindung setzen, in deren räumen gäbe es die möglichkeit zu einer veranstaltung.

außerdem würde sie nächste woche nach brüssel zu einer lesung fliegen, wolle uns aber vorher noch sehen, sie würde sich melden, wann am freitag. der anruf kommt zuverlässig, und pünktlich um 19.00h steht sie am treffpunkt und wir gehen zusammen zur ‘not a gallery’, wo eine vernissage stattfindet. zwischen den kunstbeflissenen, schicken menschen fühle ich mich deplatziert, die kunst sagt mir nichts und ich bin froh, als wir zu aydin nach hause verschwinden.

Vernissagebesucher in der “Not a Gallery”. Ganz nach Klischee geht es offensichtlich nicht um die Ausstellung, sondern ums Sehen und Gesehenwerden.
Im Gespräch mit Aydin vor der Galerie. (Die Zypriotin empfindet den Abend als kalt der Deutsche nicht.)

Nach dem (kurzen) gemeinsamen Galeriebesuch radeln wir zu ihr nach Hause. Sie wohnt im Südteil Nikosias, gleich außerhalb der Altstadtmauer, mit Blick auf die alte Mauer und die UN-Pufferzone. Die Wohnung ist (typisch Politnick) halbfertig. Einerseits hat sie tausend künstlerische Ideen, andererseits ständig zu viele politische Eisen im Feuer, so dass vieles halbfertig liegen bleibt.

Das gemeinsame Kochen und Essen macht riesigen Spaß. Schon beim Schnippeln machen wir zwei Flaschen Rotwein auf und es entspinnt sich ein großartiges Gespräch, das zwischen Privatem und Politischem, zwischen Erzählen, gespanntem Zuhören und Nachfragen hin und her mäandert. Unglaublich, dass diese Powerfrau auf die 80 zugeht. Unglaublich, was sie schon alles gemacht hat. Politisch und privat! (Bei ihr gilt der alte Spruch: “Das Private ist politisch!”) Und Thatcher haßt sie noch heute. Egal ob die tot ist. – Das kennen wir von unseren irischen Republikanern aus Belfast.

Wie ihr Arbeitszimmer verrät, ist Palästina neben Zypern der zweite Konflikt, dem sie mit Leidenschaft verfallen ist. Irgendwann klappen wir den Laptop auf, zeigen unsere Bilder aus Israel/Palästina, vor allem natürlich aus Hebron, und erzählen. Sie fragt nach, steuert ihre Sicht und Wissen bei. Wir alle brennen lichterloh und die Zeit vergeht wie im Flug. Als wir auf die Uhr schauen ist es weit-weit nach Mitternacht. – Wir verabschieden und umarmen uns. Versprechen uns, uns wiederzusehen. – Dann radeln wir quer durch die Altstadt zu Bulli. Home is, where you park it!

Wir sehen uns schneller wieder, als gedacht. Ein paar Tage später treffen wir uns noch einmal mit Aydin im Yaja Viktoria an der Südseite des Checkpoints Ledra-Street (nicht zu verwechseln mit dem Checkpoint Ledra-Palace), weil wir ihr noch ein englisches Exemplar der Broschüre “Ghost Town Hebron” geben wollen. (Die deutsche Version haben wir als PDF unter “Visit Palestine” abgelegt.) Dabei entspinnt sich sofort wieder ein längeres gutes Gespräch mit herzlichem Abschied.

Griechisch Nationalistische Demo

es sind nicht alle nur nett in nicosia. am samstag abend, hieß es, sollte eine demo von rechten zyperngriechen am checkpoint ledra-straße statt finden. vermutlich würden sie den übergang blockieren wollen. niemand von den uns bekannten leuten wollte hingehen und eine gegendemo starten. zu gefährlich, weil es sehr schnell richtig streß geben könnte. mit den rechten sei nicht zu spaßen.

wir gehen aber hin und stellen uns zum beobachten in die pufferzone, die kamera in der hand. Etwa 50 menschen stehen herum, nichts ungewöhnliches eigentlich. ein paar polizisten sind auch da. deren schilde und helme lehnen in einer seitengasse an der wand, sie selber tragen schlagstöcke. nach unseren erfahrungen in hebron, wo wir so manches mal in die gewehrläufe der soldaten schauten, macht sich das regelrecht harmlos aus. es werden flugblätter verteilt, plakate hochgehalten, ein transparent gespannt.

Die etwa 20 griechisch-zypriotischen Polizisten bleiben mit den zugehörigen Zöllnern auf griechisch-zypriotischem Territorium. In der Puffezone selbst hat sich ein halbes Dutzend UN-Polizisten (aus einem halben Dutzend verschiedenen Ländern) eingefunden. Sie wirken aber entspannt; kein Knüppel und nix!

dann tauchen ca. 100 nazis auf. richtige schwarzgekleidete, oft glatzköpfige stiernacken. wir fragen jemanden von der UN, der in der pufferzone steht, was das für typen sind. sie sagen, sie wüßten es nicht, eine neue gruppierung vielleicht. wie wir später erfahren, sind das rechte motorradfahrer, die an zwei kollegen erinnern, die vor jahren nach einem zusammenstoß mit türkischen rechtsradikalen (den grauen wölfen) getötet worden sind. jetzt fordern sie die schließung der checkpoints. die demo steht mitten vor dem checkpoint im weg, aber passanten werden durchgelassen.

Aber man muß als Normalmensch schon ziemlich mutig sein, um sich durch diesen Haufen stiernackiger, schwarzgekleideter, finster dreinblickender Männer zu schieben.

So richtig haben wir die rechten Biker, die kurz nach diesem Bild die Straße quasi dicht machen werden, leider nicht draufgekriegt, weil sowohl sie als auch beide Polizeien das verhindert haben.

irritierend finden wir, daß einige polizisten oder leute vom grenzposten aktiv zu den demonstranten gehen, hallo sagen, mit ihnen kameradschaftllich quatschen, die hand schütteln.

Zypern ist halt klein. Jeder kennt jeden entweder direkt ober über eine, maximal zwei Ecken.

alles verläuft friedlich, bis ich versuche, ein paar fotos zu machen. sofort haben das ein paar nazis gesehen, stürmen auf uns zu und verlangen lautstark, daß ich das foto lösche. da wir in der pufferzone stehen, stellen sich sofort UN-polizisten vor uns. ich ‘lösche’ die fotos und alles beruhigt sich wieder. wir setzen uns an die seite auf eine türschwelle. bis einer der nazis uns fotografiert. wir beschweren uns. es kann nicht sein, daß mir das photographieren verboten wird, ich auch brav die bilder lösche, aber selber photographiert werde.

Der Typ, der uns photographiert hat, ist dazu zu uns in die Pufferzone gekommen und hat sich direkt vor uns aufgebaut. Ich halte ihn fest und bestehe darauf, dass auch er sein Bild löscht. Sofort habe ich es mit einem Dutzend Schlägertypen zu tun. Zum Glück gehen sofort sowohl die griechisch-zypriotischen Polizisten (die die Pufferzone eigentlich nicht betreten dürfen) und UN-Polizisten dazwischen. Letztere bitten uns die Pufferzone in Richtung türkisch besetztem Gebiet zu verlassen, um die Situation nicht weiter zu eskalieren. Wir gehen, aber nur bis kurz vor den türkischen Checkpoint.

wir lassen uns zeit. nur nicht zu viel gehorsam zeigen! das bier im hoi polloi schmeckt mir an diesem abend nicht wirklich.

Mahnwache: Kurden ohne Papiere

Auf dem Weg von der Autowerkstatt zur Innenstadt radeln wir am Präsidentenpalast vorbei. In einem kleinen Park neben einem der Eingänge stehen einige Zelte mit Transparent und zypriotischen Flaggen. Eine Mahnwache! Wir halten und schauen mal rein.

Mahnwache am Präsidentenpalast.
Mutter und Tochter aus dem syrischen Teil Kurdistans.

Wir treffen zwei Kurdinnen, Mutter und Tochter, an. Die Tochter kann einigermaßen gut Englisch. Sie erzählt uns, dass sie im Jahr 2009, also schon vor Beginn des Syrienkrieges im Jahr 2011, nach Zypern gekommen seien, da sie als Kurdin in Assads Syrien schikaniert worden seien. Seit neun Jahren leben sie nun ohne Papiere auf Zypern. Ständig werden sie vertröstet. Ohne Paß könne sie auch keine Schule besuchen. Das UN-Flüchtlingshilfswerk sei eingeschaltet, würde aber auch vertröstet. Seit einem Jahr demonstrieren sie nun schon vor dem Präsidentenpalast, um Papiere zu bekommen.

Ich glaube ihr. Sie dürfte etwa 20 Jahre alt sein. Und wenn stimmt, was sie sagt, enthält Zypern ihr seit 9 Jahren (also etwa seit dem 11ten Lebensjahr) das Grundrecht auf Bildung vor. Sie wirkt intelligent, aufgeweckt und strebsam. (Ja, ich weiss, dass ist nur mein erster Eindruck.) Wenn sie die letzten 9 Jahre in Deutschland verbracht hätte, hätte sie jetzt möglicherweise ein dauerhaftes Bleiberecht sowie das Abitur. – Von wegen Europa und einheitliche Menschenrechtsstandards. – Ich muß an M…, D… und G… denken, drei Schwestern, die 2015 aus dem syrischen Bürgerkrieg nach Uetersen kamen. Wie gut, dass ihre Mutter Deutschland als Zielland ihrer Flucht gewählt hat.

Privates Klavierkonzert

Eines Abends hören wir auf dem Heimweg durch die Altstadt Klaviermusik aus einem offensichtlich mittelalterlichen Gebäude, das wir bis dahin noch nie bewußt wahrgenommen hatten, obwohl wir schon mehrfach daran vorbeigegangen waren.

Das Grundstückstor ist nur angelehnt, wir gehen hinein und folgen lauschend der Musik. Wir gehen um das Gebäude rum, die Hintertür ist nicht abgeschlossen, und schlüpfen hinein. Wir befinden uns in einem Mittelalterlichen Saal, der als Konzertsaal bestuhlt ist vorne sitzt eine Frau am Flügel. Wir sind mucksmäuschenstill, sie bemerkt uns aber trotzdem und lädt uns ein, uns hinzusetzen und zuzuhören.

Klaviermusik in einer mittelalterlichen Halle lauschen.

Sie spielt unter anderem Rachmaninow und Chopin. Wir lauschen und genießen die Atmosphäre. Irgendwann verabschieden wir uns, schlagen die Einladung zum “richtigen Konzert” aus, weil wir dann schon nicht mehr auf der Insel sein werden und gehen beschwingt in die Nacht hinaus.

Draußen lesen wir eine Informationstafel, derzufolge die Halle früher entweder Teil eines Klosters oder eines Palastes war und wohl im zwölften Jahrhundert erbaut wurde. Genaueres weiß man nicht.

Jengastammtisch

Am Sonntag nimmt uns ein griechischer Zypriot mit zu einem queeren Stammtisch in Larnaca. Unser Auto kommt ja erst Mittwoch in die Werkstatt und wir wollen die Strecke zweimal halb über die Insel nicht riskieren.

Der Stammtisch ist echt nett. Sie haben hier eine kleine, aber angenehme Szene. Wobei die Hälfte der anderthalb Dutzend Anwesenden Ausländer sind, aus Irland, Estland, den USA und (wir) Deutschland. Völlig neu ist uns die hiesige Methode wildfremde Menschen schnell ins Gespräch zu bringen. Es stehen zwei Jengatürme auf dem Tisch, auf jedem Klotz steht ein Stichwort, das man beim Ziehen aber nicht sieht. Jeder muß zu dem von ihm gezogenen Stichwort etwas erzählen, alle anderen dürfen. – Das klappt erstaunlich gut.

Beobachtungsschniepsel

Das Mandarinenbäumchen und Michel befinden sich in der “Republik Zypern”. Links vom Bäumchen verläuft die Grüne Linie (der Natodraht). Die Stadtmauer gehört zur “Türkischen Republik Nordzypern”.
  • bei uns sind madarinen exotische früchte. hier gehören sie, wie orangen und manchmal auch grapefruit, zum gewöhnlichen ‘grünzeug’ am straßenrand. manchmal pflückt sie jemand, meist vergammeln die früchte aber an den zweigen oder im straßengraben. grad ist blütezeit und an den bäumen hängen wir früchte und blüten gleichzeitig.
  • überall wachsen riesige pflanzen, die wie dill aussehen. mir lachte schon das herz aus vorfreude auf nudeln mit dill in olivenöl. aber das zeug sieht nur lecker aus, schmecken tuts nach nichts. ich habs probiert.
  • die maroniten haben eine eigene sprache. eine mischung aus aramäisch und arabisch. es gibt in nordzypern noch etwa 350 sprecher.
  • grillkultur: man kann alles, auf allem, überall und immer grillen. es reichen 2-3 menschen dafür. es ist völlig egal, welche uhrzeit ist. alles, was essbar ist, kann auch gegrillt werden. und seien es ‘nur’ süßkartoffeln, die schnell auf den rost gelegt werden. brot und tomaten daneben, fertig. oder mandeln in alufolie gepackt und eben ins feuer geworfen. wo gegrillt wird hängt von der situation ab. das kann die terrasse sein, der innenhof, ein stück rasen neben dem parkplatz, die offizielle picknick-area, der bürgersteig vor der teestube. worauf gegrillt wird, ist nicht egal. kohle oder holz muß es sein, qualität ist nebensächlich. es kann der gemauerte ofen hinter dem haus sein oder ein standgrill aus metall. wenns nur eine feuertonne gibt, wird ein rost draufgelegt und fertig ist der grill. das einzige, was unter keinen umständen benutzt wird, sind die modernen ‘binford 5000’-gas-smokeyfunktion-high-tech-geschosse, die in deutschland grade so gehypt werden. dies haben wir von der türkei über zypern bis palästina erlebt. wir können jetzt die freude am ‘schnell was aufs feuer schmeißen’ unserer syrischen freunde viel besser nachvollziehen.

Unite Cyprus Now

Sa-Sa 3.-10. März 2018

Aydin vermittelt uns an “Unite Cyprus Now” (UCN), eine bikommunale (also türkisch-griechisch-zypriotische) Initative, die verhindern will, dass der Status Quo schleichend zur dauerhaften Teilung der Insel führt. Sie sind unter anderem jeden Samstag zwischen 11 und 12 Uhr in der UN-Pufferzone zwischen den Checkpoints am “Grenz”-Übergang Ledra-Street mit zypriotischer Musik vom Band und einer Ausstellung von Zypern-Cartoons präsent und verteilen Flugblätter. – So waren wir schon im Oktober an ihr Flugblatt und ihren Aufkleber gekommen. Damals aber ohne weiteren Kontakt.

Unite Cyprus Now hat auch einen Veranstaltungs- und Lagerraum mit Toilette und Teeküche in der Pufferzone. Nach der Flugblattverteilstunde halten sie hier ihr wöchentliches Gruppentreffen ab. Aber nicht drinnen, sondern öffentlich davor.

1. Samstag: Gruppentreffen in Pufferzone

Am ersten Samstag bittet Tina (unten im Bild links neben Michel) uns darum, kurz von unserem Aufenthalt in Israel/Palästina und unseren Erfahrung in Hebron zu erzählen und schlägt vor, dass wir am nächsten Samstag um 12 Uhr vor einem etwas größeren Publikum eine Slideshow zu dem Thema machen, für die dann auch gezielt auf der Facebookseite der Gruppe geworben wird. Unser kurzes Erzählen wird durch viele Nachfragen zu einem etwas längeren Erzählen, das dann mit dem Verweis auf nächsten Samstag abgebrochen wird. – Außerdem werden wir zu zwei Abendessen der Gruppe am Mittwoch und Freitag eingeladen.

Gruppentreffen von Unite Cyprus Now in der UN-Pufferzone des Übergangs Ledra-Street.

Anschließend gehen wir noch zum gemeinsam Mittagessen in ein nahegelegenes Restaurant mit. Als wir am Ende unseren Anteil zahlen wollen, sind wir zu spät dran. Alles ist schon beglichen.

so ein essen erschlägt einen fast. in nullkommanix biegt sich der tisch vor leckereien, der wirt kommt mit einem schüsselchen nach dem anderen. daß wir eigentlich nur ein bier mit trinken wollen, wird nicht akzeptiert. es werden drei gespräche auf einmal geführt, alles quatscht durcheinander, es geht lebhaft durch alle themen kreuz und quer.

wir haben das gefühl, sofort in dieser gruppe nicht nur herzlich empfangen, sondern auch auf verschiedensten ebenen sofort aufgenommen worden zu sein. michel quatscht mit thomas über religion (thomas gehört hier zur maronitischen minderheit), ich hocke neben tina und wir plaudern über meditation, mit ioli berate ich, welcher zivania am besten ist und verschiedene andere dinge. mir gegenüber hockt natalie, die mich über das katzensterilisationsprogramm auf zypern aufschlaut. viele dieser menschen sind auch über die politischen interessen hinaus hoch interessant.

Mittwoch: Zypernkonflikt trifft Israelkonflikt

Am Mittwochabend ist Unite Cyprus Now mit einer etwa 40 Personen zählenden Gruppe des israelischen Projekt “Living Together” verabredet. “Living Together” lädt ein und zahlt das Abendessen. Die Gruppe besucht für eine paar Tage Zypern, um über den Zypernkonflikt einen anderen Blickwinkel auf ihren eigenen Konflikt zu bekommen. Doch anders als von Unite Cyprus Now erwartet, bildet die “Living Together”-Gruppe nicht den israelisch-palästinensischen Konflikt ab, sondern die innerisraelischen Konflikte. Sie besteht vor allem aus nationalreligiösen Siedlern, ultraorthodoxen Haredim und säkularen Zionisten, dazu einige linke Israelis (die in Deutschland als rechts gelten würden) und drei arabischen Israelis (die alle drei die israelische Staatsbürgerschaft haben und von denen sich zwei als Israelis und nur eine als Palästinenserin bezeichnet). – Palästinenser aus dem Westjordanland, Gaza, Ostjerusalem, nicht anerkannten Dörfen in Israel und so weiter fehlen vollständig.

Entsprechend einseitig israelisch geprägt sind die Sichtweisen in der Gruppe auf den israelisch-palästinensischen Konflikt. Die Konfliktfragen innerhalb der Gruppe drehen sich darum, wie die grundverschiedenen israelischen Gesellschaften aus denen sie kommen zusammenleben können. – Palästinenser kommen (außer bei der einen Palästinenserin) nur als “die Anderen” vor, die zu einem Problem werden, weil die Nationalreligösen das “ganze Land”, die säkularen einen “demokratischen Staat” und die Ultraorthodoxen einen “jüdischen Staat” haben wollen.

Wir werden zum Abendessen gemischt auf die Tische verteilt und es ist furchtbar interessant:

  • So sitze ich neben einem nationalreligösen Siedler aus einer Siedlung bei Hebron, der mich sogar zu sich einlädt.
  • Eine ultraorthodoxe Jüdin rauscht beleidigt ab, als ich sie wegen ihres Kopftuchs für eine muslimische Palästinenserin halte.
  • Der Aufwand, der für das koschere Essen der Haredim getrieben wird, ist unglaublich. Nicht nur koscher zubereitetes Essen, auch steriles Einweggeschirr, dass garantiert nicht kontaminiert ist und zu Trinken nur aus der eigenen Einwegdose, nicht aus der Wasserflasche auf dem Tisch, aus der auch die Goi (wir Nichtjuden) trinken.
  • Ich beobachte als mit beiden Konflikten bekannter Außenstehender gebannt, wie Israelis und Zyprioten permanent aneinander vorbei reden, weil sie die Kategorien des jeweils eigenen Konflikts auf den den jeweils anderen Konflikt übertragen. So gehen sowohl die Fragen, als auch die Antworten und das Hören der Antworten an den jeweils Anderen vorbei. (Ein interessantes Anwendungsbeispiel für Luhmanns Systhemtheorie! Grob vereinfacht: Jedes Systhem verarbeitet alles in den ihm eigenen Kategorien.)

Leider durfte zum Schutz der jüdisch religiösen Teilnehmer nicht photographiert werden, da zum Beispiel die ultraorthodoxe Frau, mit der ich am Tisch saß, massiven Ärger ihrer Gemeinde bekommen würde, wenn die mitbekäme, dass sie mit wildfremden Männern, mit Säkularen und Goi gemeinsam am Tisch sitzt.

an meinem tisch saßen ein national-religiöser jude, die eine linke israelin, ein weiterer, gemäßigter orthodoxer, der erfreulicherweise tatsächlich ‘palästinenser’ sagte und nicht ‘araber’ und der meinte, der zypern-konflikt sei ein sehr komfortabler konflikt. thomas von unite cyprus now und auch c… war dabei, die wir ja ein paar tage vorher im H4C mit mann und ihrer tante getroffen hatten, sowie ein weiterer israelischer palästinenser.

wir diskutierten u.a. über das palästinensische bildungssystem, das den konflikt nur sehr einseitig lehre und darin eine ursache für die nichtlösbarkeit des problems zu suchen sei. zum glück gab es auch meine stimme und die der linken israelin, daß die israelischen schulbücher auch nicht besser seien.

Freitag: Zypriotischer Kneipenabend

Am Checkpoint für Autofahrer am westlichen Stadtrand von Nikosia liegt (eigentlich schon in der Pufferzone) ein Restaurant, das so banal und nichtssagend aussieht, dass jeder Tourist achtlos daran vorbeifährt. Hier hat Unite Cyprus Now zwei Tische für insgesamt 30 Personen reserviert. Sarkastisch ausgedrückt machen wir genau das, was alle Pauschaltouristen in ihren Hotels auch machen: “Zypriotischer Abend, all inclusive!”

Für zwanzig Euro pro Person gibt es ein dreigängiges Menue, Getränke, zypriotische Livemusik, Tanzeinlage und Tombola. Nur dass dies das Original von Zyprioten für Zyprioten ist. Das dreigängige Menue ist ein Mezze, bei dem zeitlich nach Vorspeisen, Hauptgerichten und Desserts gestaffelt Unmengen von Speisen auf den Tisch gestellt werden, von denen dann alle kreuz und quer nehmen. Das Mezze, so wird uns erzählt, sei jeden Tag anders, aber immer vielfältig und gut. Die Getränke (die im Preis inbegriffen sind) werden quasi in Gruppen geordert. Wenn also jemand Bier, Wein oder Schnaps bestellt, so kommt gleich ein Gebinde, dass ihn und alle um ihn herum versorgt. Das Ganze ist unglaublich gesellig.

Durch KEO-Bier, zypriotischen Wein, Zivania geförderte Geselligkeit.
Griechische, türkische und maronitische Zyprioten bunt gemischt an einem (äh zwei) Tischen. – Umgangssprache ist daher Englisch.
Vorne wird zypriotische Musik gespielt und je weiter der Abend fortschreitet auch dazu getanzt. Wobei die Tänzer statt mit Konfetti mit Papierservietten beworfen werden.

Irgendwann während des fließenden Übergangs von den Hauptgerichten zu den Desserts werden dann Lose für die Benefiztombola zugunsten der Gruppenkasse verkauft. Wobei die Gewinne so üppig sind, dass sie vermutlich mehr als der gesamte Verkaufserlös der Lose wert sind. Wir kaufen 4 Lose für 20€ und gewinnen eine große Flasche Barcardi, eine hochwertiges Schminkset (einer Marke, die bina kennt, im Gegensatz zu mir) und ein DIN A3-Cartoon zum Zypernkonflikt nach freier Auswahl. OK, eine Niete ist dabei.

da ist man schon satt von der grillplatte, da kommt von links noch eine schale mit kartoffeln und gekochtem hammel, von gegenüber schenkt mir jemand noch köstlichen weißwein ein und von rechts kommt die ansage, ich müßte unbedingt noch den oktopus probieren. wir sitzen auch nicht steif auf den stühlen, sondern alle gehen mal hier- und dorthin, plaudern und naschen von den anderen tellern.

2. Samstag: Slidshow Hebron & Irish Pub

Wir sind zu früh da. Einige von den anderen auch und sitzen schon mit irgendeinem Dokumentarfilmer im Yaja Viktoria auf der griechischen Seite des Checkpoints. Irgendwann schleiche ich mich weg, um diesmal der Einladende, der Zahlende zu sein. Als der Kellner mir die Rechnung hinhält und ich das Portmonnaie schon in der Hand habe, ruft Thomas etwas auf Griechisch und ich bin aus dem Rennen. – Der Kellner gestikuliert “Entschuldigung – Basta”. Thomas hat Heimvorteil und lädt uns ein.

Pünktlich um 11 Uhr werden dann in der Pufferzone Flugblätter verteilt, Musikanlage raus- und angestellt, Transparent und Cartoons aufgehängt.

Flugblätter verteilen geht mit einem Lächeln besser.
Zwischendrin geben wir ein Interview für ein hiesiges Freies Radio.

Wir denken schon: “Whow, sind die gut organisiert!” Doch dann: “Welcome to the Middle East!” Das Kabel vom Laptop zum Beamer passt nicht , das herbeitelefonierte Kabel kommt zu spät und ist das falsche, der Beamer ist zu lichtschwach…

Wir beginnen unseren Vortrag mit einer halben Stunde Verspätung, dem Laptopbildschirm als Beamerersatz und einer handgezeichneten Skizze am Flipchart statt einer ausgedruckten Karte. – Aber alle außer uns scheinen das gewohnt zu sein. Von den etwa 40 Zuhörern wäre ohnehin kaum die Hälfte rechtzeitig da gewesen.

Lichtbildvortrag “Ghosttown Hebron”.

Der Vortrag ist (so glauben wir) ein voller Erfolg. – Wer mehr sehen will, sei auf die Facebookseite: “Unite Cyprus Now” verwiesen.

jungejunge, bin ich nervös! auf deutsch hätte ich meine beiträge so rausgehauen, aber mit meiner stümperhaften englisch-grammatik finde ich das dreimal schwieriger. ich hab vorher richtig ein bischen geübt. als wir dann vor dem publikum stehen und ich sehe, wie sie erschrocken sind über das, was wir ihnen erzählen und ich das gefühl habe, auf offene ohren und herzen zu stoßen, ist es ganz leicht. michel hat da keine probleme. er steht ja auch zu hause jeden tag vor einer schulklasse.

Anschließend gehen wir noch ins Finnbars mit. Ein Irish Pub, in dem wir mit den Aktivisten den Hauptgewinn der gestrigen Tombola, einen Verzehrgutschein über 100€, gemeinsschaftlich auf den Kopf hauen. Was darüber hinausgeht, wird durch die Anwesenden geteilt. – Irgendwann kommt sogar einer der UN-Polizisten, die am Vormittag in der Pufferzone auf uns aufgepasst haben, dazu.

das sowas aber auch immer in ein gelage ausarten muß! schon wieder biegt sich der tisch, jeder nascht bei jedem und auch der von michel versehentlich zuviel bestellte teller nachos mit käse wird im laufe des nachmittags von allen wegschnabuliert. gespräche gehen kreuz und quer, mal ernsthaft, mal als plauderei. an einem tisch sitzen eine griechische zypriotin und ein türkischer zypriot neben einer deutschen sympathisantin und klamüstern die nächsten aktionen aus. ich liebe diese truppe.

So endete jedes unserer Treffen mit UCN: Michel und Thomas, ein maronitischer-britisch-zypriotischer Linksradikaler, beim Bier ins Gespräch vertieft. – Da haben sich echt zwei gefunden!

Wanderung im Troodos

Sa 11. Mrz 2018

einmal muß es noch sein. wandern im troodos- gebirge. wir nehmen eine einfache tour rund um den gipfel des hiesigen olymps, mit 1952 m der höchste berg der insel. 2-3 stunden und keine steigungen. ein besserer spaziergang in einer ansehnlichen höhe von 1850m. der wald ist wunderschön. so viele seltsam gewachsene bäume haben wir noch nie gesehen. hier oben sammeln sich die wolken, schieben sich die täler hoch und über die gipfelkämme. kühl ist es und an den nordhängen liegt zum teil noch harschiger schnee. ein bischen verwunschen wirkt der wald und nach jedem gelaufenen kilometer sieht er anderes aus.

Wald und Wolken.
Jeder Stamm ein Unikum. Wenn hier mal nicht ein Wesen wohnt…
Ein Weiblein steht im Walde… (Auf dem zweitgrößten Schneefleck, den wir gefunden haben.)
Kühl ist es hier oben.

Als Kind und Jugendlicher bin ich leidenschaftlich Ski gefahren. Aber nachdem ich als Teenager mit meiner Familie auf dem Fernwanderweg E5 über die Alpen gewandert bin und dabei zwei Skigebiete im Sommer durchquert habe, kann ich das nicht mehr. (OK, einmal bin ich rückfällig geworden.) Wir sind damals durch großartige Natur gewandert, aber auch über “Meran 2000” und durch das Pitztal. Und da habe ich gesehen, was Skifahren der Bergwelt antut. – Das Skigebiet hier ist zwar sehr klein (nur drei Lifte), trotzdem habe ich einen Knoten im Bauch.

Für wenige Wochen eine Skipiste. Das ganze Jahr der ökologische Wert eines Parkplatzes.
Ausblick in die Ebene von Nikosia.

zurück am bulli haben wir ein immer mal wiederkehrendes erlebnis: deutsche touristen, diesmal vater und sohn, sehen bulli, wundern sich ein bischen und sind höchst erstaunt, daß er ein pinneberger kennzeichen hat. oft werden wir dann angesprochen, man quatscht ein bischen und manchmal ergibt sich, wie auch jetzt, eine kurze diskussion über die politische lage der gegend oder wie man ein sabbathjahr auf den weg bringt.

die nacht verbringen wir am wanderweg im wald. wie schön, mal wieder in der natur zu stehen und nicht in der stadt.

Bulli ist erstaunlich geländegängig. “Home is, where you park it!” (Ja, wir wiederholen uns…)

 

Wanderung zur Burg St. Hilarion

Mo. 13. März.2018

unsere letzte und längste wandertour auf zypern. die burg st. hilarion liegt auf einem gipfel des pentadaktylosgebirges oberhalb von girne/kyrenia und soll angeblich die sein, von der sich walt disney hat inspirieren lassen. so schön sie liegt: nein, wir glauben das nicht. das halten wir für eine illusion. wir werden sieben stunden unterwegs sein, es wird deutlich bergauf und -ab gehen.

Da gehts hinauf.

jetzt muß ich meiner begeisterung mal ausdruck verleihen. was ich hier an blühenden mimosenbäumen und -büschen gesehen habe, geht auf keine kuhhaut. es ist kaum auszuhalten. mimosen kenne ich sonst nur als kleine, teure zweiglein aus dem blumengeschäft. hier tun einem die augen weh vor lauter gelb. nicht hier und da ein busch, nein, ganze haine überall. und die zweige hängen voll mit diesen kleinen blütenbällchen. ohne worte!

Pause, bevor es richtig steil wird und ein bischen gekraxelt werden darf.

Nein! Ich bin nicht nackt! Ich habe eine kurze Hose und Wanderschuhe an. Ich habe mir nur der Hitze wegen das T-Shirt ausgezogen. Wir sind ja alleine am Berg. Also außer bei der Burg, zu der werden die Pauschaltouristen Busladungsweise hingekarrt.

Es ist schön, das Ziel so malerisch vor Augen zu haben.

oben an der burg ist viel los. ganze busladungen mit touristen werden abgeworfen. wir haben glück und haben die eine oder andere ecke dieser schönen anlage für uns. bei der größe verläuft sich der trubel schnell.

Außerdem surfen wir quasi vor dem Touristentsunami her. Auf dem Rückweg vom Bergfried zum Burgtor schwimmen wir dafür wie die Lachse gegen den Strom.

Die Kirche der Kreuzritterburg.
Ein sagenhafter Ausblick auf die Küstenebene um Girne/Kyrenia.
Ein schöner Durchblick.
Wie im Fantasyfilm.
Das Standartmotiv aus jedem Reisebuch.

die burg hat drei ebenen. in den unteren lebten die soldaten, gesinde und das einfachere volk, oben in der 3. etage am gipfel des berges die adligen. die treppen nach oben sind uneben und anstrengend, aber der ausblick lohnt sich. vom burgtor zum bergfried sind es gut 150 höhenmeter.

Michel auf dem Gipfel (knapp oberhalb der Grundmauern des Bergfrieds).

am eingang kehren wir noch auf ein bier ein und machen uns auf den weg wieder nach unten. keinen moment zu spät, denn es ziehen wolken auf und die sicht ist nicht mehr so spektakulär. es bleibt steil, kraxelig und ein vielfältiger weg, bis es dann weiter unten flacher und auf feldwegen bequem wird.

Trotz der aufziehenden Wolken wird es nicht kalt, eher schwül. Aber ein Gewitter bleibt aus.

Binas Knie macht alles brav mit. Dank Stöcken, Knieschiene und ihrer geliebten guten Wanderschuhe.
Beim Abstieg lohnt sich der immer mal wieder der Blick zurück.

Müde und glücklich kommen wir wieder am Bulli an und fahren ein letztes Mal zum Schlafen zum Checkpoint Ledra-Palace in Nikosia.

Tschüss Zypern, willkommen Türkei

Mi-Fr, 14.-16. Mrz. 2018

wir fahren ein letztes mal nach girne über den checkpoint metehan, wo wir uns das ach so wichtige gelbe formular für bulli abholen. selbst der mensch am schalter macht zu diesem unsinnigen papierkram eine mehr als ironische bemerkung.

Das „gelbe Formular“ haben wir bei unserem ersten Zypernaufenthalt im Oktober bei der Einreise im Hafen von Girne bekommen. Also einen Monat vor der Ausreise. Diesmal müssen wir es am Tag der Ausreise (keinen Tag früher) an der Inlandsgrenze (und nicht im Hafen) beim Zoll abholen. Da wir ja diesmal über die Republik Zypern und nicht über die Türkei nach Nordzypern eingereist sind.

im hafen von girne bekommen wir anstandslos unsere tickets für gewohnt kleines geld. die fähre fährt schon nachmittags um drei. so bleibt leider keine zeit mehr für ein parting glas guinness in ‘unserem’ pub, aber wir kriegen einen letzten zypriotischen kaffee am hafen und kaufen noch eine flasche zivania als erinnerung. die wartezeit am schiff beim verladen hält sich in grenzen. heute ist nicht viel los, alles verläuft routiniert. die einzige aufregung hat bulli, der zum ersten mal fahrstuhl aufs oberdeck fahren darf.

Bulli im Hafen – wieder mal – inzwischen wird er auch gar nicht mehr seekrank.
Blick aus Bulli im LKW-Fahrstuhl auf der Fähre. Eine völlig ungewohnte Perspektive. Wie passt hier ein ganzer Laster drauf?

nach dem wir an deck mit dem einen oder anderen passagier ein pläuschen halten, verbringen wir die überfahrt im bett. im gegensatz zu den fähren, die wir sonst gewohnt sind, darf man hier nämlich während der überfahrt im auto bleiben.

in tusucu im hafen werden wir spätabends zum ersten mal auf dieser reise etwas ernsthafter durchsucht. der mensch läßt sich unser oberes klamottenfach zeigen, sowie den kühlschrank und die spüle, in der vermutung dahinter, bzw. darunter befindet sich ein blinder passagier. er fragt auch nach dem raum unter dem teppich, dabei ist offensichtlich, daß sich dort nur das bodenblech und dann die straße befindet. unsere charmeoffensive kommt dies mal nicht an. er ist wenig beeindruckt von bulli. die großen stauräume hinten unten findet er trotzdem nicht. ansonsten gibt es keine schwierigkeiten und wir sind schnell auf der straße richtung mersin, wo wir einen schönen stellplatz am strand finden und eine nacht bei meeresrauschen verbringen.

in fahrradnähe ist der campingplatz von ayshe, wo wir im letzten jahr ein paar tage verbrachten. dort gehen wir am nächsten tag auf einen tee ins internet. erst erkennt uns ayshe nicht, aber dann will sie mich gar nicht wieder loslassen, so freut sie sich. natürlich gibt es nicht nur das glas tee, sondern gleich eine ganze kanne und es biegt sich der tisch, als wir nach einer kleinigkeit zu essen fragen. ihre w-lan verbindung können wir nutzen, solange wir wollen. als wir schon zum abschied im flur stehen, gibts noch schnell ein tellerchen erdbeeren und die zitronen, die ayshe uns noch mitgeben will, kann michel mit knapper not abwehren.

Unser Stellplatz am Strand: Im Hintergrund spätrömische Ruinen. Ach ja, und Kaiser Barbarossa soll hier seine letzte Nacht geschlafen haben, bevor er im Fluß ertrank.

Erneutes Fazit zu Zypern

Fr. 16. Mrz 2018

Wir haben ein bißchen den Eindruck, dass die von der internationalen Gemeinschaft und insbesondere von der EU finanzierten und betriebenen Friedens- und Versöhnungsprojekte auf Zypern im Wesentlichen einen Konflikt bearbeiten, der von der Zeit und den veränderten Umständen überholt wurde. Während diese Projekte eine Aussöhnung zwischen griechischen und türkischen Zyprioten suchen, sind in Nordzypern drei ganz andere Kräfte am wirken.

Erstens sind die türkischen Zyprioten inzwischen eine Minderheit. Die Mehrheit bilden hier gezielt angesiedelte Anatolientürken. Der nordzypriotischen Lehrergewerkschaft zufolge haben nur 25% der Grundschulkinder zyprotische, die übrigen 75% anatolische Eltern. (Ebenfalls der Gewerkschaft zufolge, wurde übrigens zur Angleichung an die Türkei die Evolutionslehre aus den Lehrplänen gestrichen und “Scharia und Dschihad” als Fach eingeführt.)

Ein türkischer Zypriot erklärte mir den Unterschied zwischen Zyprioten und Anatolientürken mit zwei Witzen, einem über Religion und einem über Familie. Er sagte: “Wenn ich diese Witze einem Zyprioten, egal ob griechisch oder türkisch, erzähle, lacht er. Ein Anatolier zieht sofort das Messer.”

Zweitens hat die türkische Mafia Nordzypern als ideales Geschäftsumfeld endeckt. Türkisch kontrolliert, aber eben nicht Türkei. Im Gegensatz zur Türkei (und allen anderen umliegenden mulimischen Ländern) ist Glücksspiel hier legal, Prostitution öffentlich möglich und Alkohol steuerfrei. Sie haben hier massiv investiert und investieren weiter. Es entsteht ein riesiges Las Vegas mitten im Nahen Osten. Bequem von Istanbul oder Kairo aus zu erreichen.

Drittens hält die türkische Armee Nordzypern besetzt. Womit die Türkei, also Erdogan und die AKP in allem das letzte Wort haben. Und deren Agenda ist “neo osmanisch” (den Begriff habe ich aus der New York Times). Sie streben also an, die Türkei zu alter Größe zu führen und das Osmanische Reich zumindest zum Teil wiedererstehen zu lassen.

Keine dieser drei in Nordzypern wirkenden Kräfte hat ein Interesse an einer innerzypriotischen Aussöhnung oder einer Wiedervereinigung der Insel. Und sie werden sie zu verhindern wissen.

Wir wünschen den AktivistInnen von “Unite Cyprus Now” viel Kraft und Erfolg. Auch wenn wir befürchten, dass sie ihr Ziel in absehbarer Zeit nicht erreichen werden. Aber ihre Arbeit trägt dazu bei Schlimmeres zu verhindern und in den Weg für eine Lösung in fernerer Zukunft offen zu halten. Und auch dafür lohnt es sich zu engagieren.

Apropos “engagieren”: Auf jeden, der sich auf Zypern aktiv für Frieden und Aussöhnung engagiert, scheinen mir Drei zu kommen, die ihre Batchelor-, Master- oder Doktorarbeit darüber schreiben. Wir haben mehr wissenschaftliche Paper gesehen als Flugblätter. Und im H4C waren meist mehr deutsche PraktikantInnen als zypriotische AktivistInnen. Zumindest den Lebensläufen angehender PolitikwissenschaftlerInnen scheint der Zypernkonflikt zu nutzen.

Fahrt nach Diyarbakir/Amed

Fr/Sa, 16./17. Mrz 2018

Vor ein paar Wochen haben wir über Freunde von Freunden eine Einladung bekommen, als Teil der deutschen Delegation zur Menschenrechtsbeobachtung und als Gäste der HDP am Newrozfest in Diyarbakir/Amed teilzunehmen.

Zur Erklärung:

  • Amed: Ist der alte kurdische und armenische Name Diyarbakirs, der inoffiziellen Hauptstadt des “türkischen Teils” Kurdistans.
  • HDP: Ist die „Demokratischen Partei der Völker“, die große linke kurdisch dominierte Partei in der Türkei.
  • Newroz: Ist das Neujahrsfest in Mesopotamien. Es wird am 21. März gefeiert bei Tag-und-Nacht-Gleiche und ist in Kurdistan ein politisch wichtiger und äußerst brisanter Termin.

Da wir diesmal nicht nur als Touristen in der Türkei sind, ist besonder Vorsicht geboten!

Denn wie die Bertelsmannstiftung in ihrem Bericht “BTI 2018” zur Lage der Demokratie in der Welt schreibt: „In der Summe ist die Türkei mit ihrer Abwertung um 1,70 Punkte das Land, das vom BTI 2016 zum BTI 2018 am meisten herabgestuft wurde.“ Also weltweit! „Im BTI 2018 wird die Türkei als “stark defekte Demokratie“ geführt, steht in mehreren Indikatoren allerdings kurz vor der Abstufung zur Autokratie. Die Auswirkungen des Referendums vom April 2017 zur Umstrukturierung der Türkei in eine Präsidialrepublik werden möglicherweise dazu führen, dass die Türkei die demokratischen Mindeststandards unterschreitet.” Was inzwischen, wie wir aufgrund unserer Erlebnisse sagen können, geschehen ist!

Eine Veröffentlichung der Bundeszentrale für politische Bildung vom 24. Januar 2018 (also ziemlich aktuell) schreibt: „Präsident Erdogan geht nach wie vor auch gegen die zivile Opposition, wie die gemäßigte kurdische Demokratische Partei der Völker (HDP), vor. In diesem Zusammenhang sitzen nun auch mehrere Deutsche in türkischen Gefängnissen. Ihnen wird prokurdische Propaganda und Mitgliedschaft in Terrorarganisationen vorgeworfen.“ Um zu erfassen, wie gefährlich das für uns ist, muß man wissen, dass Erdogans Leute neue Straftatbestände erfunden haben, wie beispielsweise “unbewaffneten Terrorismus”, was im Klartext wohl jedwedes Aufdecken und Anprangern von Mißständen bedeutet. Und dass der Grad der Überwachung sowohl im Alltag, als auch im Internet ein unglaubliches Ausmaß angenommen hat.

Daher beschließen wir den ausführlichen Bericht unsere Erlebnisse und Beobachtungen im Blog (also das was ihr hier gerade lest) erst zu schreiben, wenn wir wieder aus der Türkei raus sind. Uns dafür aber regelmäßig auf unserer Hompage zu melden, damit “unsere Leute” wissen, dass wir nicht verhaftet sind.

dann wollen wir mal: am freitagmorgen soll es beizeiten losgehen, denn wir wollen rechtzeitig in diyarbakir/amed sein. aber dann fährt sich bulli im weichen sand fest. ich hatte schon vorgestern bei der ankunft befürchtungen, aber michel würde sicher recht haben: die grasnarbe würde für genügend festigkeit sorgen. denkste, bulli ist ja viel schwerer als ein normaler pkw. ein netter angler, der an der landzunge seine stippe ins wasser hält, hilft mit seinem auto gern, fährt sich aber selber fest. jetzt hilft nur noch ein trecker.

dem picknickplatz gegenüber auf der anderen straßenseite ist grade h… aus izmir bei seinen eltern zu besuch. welch ein zufall. er hat in frankfurt gelebt, eine deutsche ehefrau, spricht exellentes deutsch und telefoniert einen trecker herbei. den preis dafür hat er auch gleich heruntergehandelt.

Erster Versuch – bei dem sich unser Helfer selber festfährt.
H… und seine Eltern. Während wir auf den Trecker warten ist Zeit für einen Tee und einen Schwatz.
Für den Trecker ist es kein Problem.

der trecker zieht beide autos in null komma nichts aus dem sand, der angler bekommt noch ein paar mandarinen von mir zum dank in die hand, wir verabschieden uns bei allen aufs herzlichste und können endlich los.

es geht immer nach osten. an der abzweigung nach antiochia hinter adana wird uns ein wenig wehmütig. die tage im okober waren zu schön in dieser stadt. aber wir fahren weiter. auf dem rückweg werden wir noch einmal hinfahren.

die landschaft wechselt ihr aussehen je weiter wir nach osten fahren. was immer bleibt, ist die unendliche weite, durch die uns die fast leere landstraße führt. ab und zu tauchen städte auf. die seelenlosen hochhäuser, die die stadtränder säumen sind schon von weitem zu sehen.

Hochhäuser eines Vororts von Gaziantep auf dem Weg nach Diyarbakir/Amed.
Bullis Schatten begleitet uns im Abendlicht.

wir fahren durch eine hügelige steinsteppe. hier verlieren sich immer mal wieder nomadenlager. erst denken wir, es handelt sich um kleine flüchtlingslager. aber die zelte und unterstände sind zu wenig improvisiert und zu groß. wir sehen schaf- und ziegenherden mit ihren hirten. ein paar hunde sind auch immer dabei und im hintergrund erheben sich die berge mit ernsthaftem schnee. nicht nur mit ein paar verharschten flecken in den nordtälern. das land ist noch grün. wie sieht es hier im hochsommer aus, wenn die sonne brennt? die felder liegen voller steine. sie müssen mühsam frei geräumt werden. die steine liegen dann in großen haufen mitten im grün oder werden zu trockensteinmauern und -wällen aufgeschichtet. ich weiß, welche arbeit es macht, solche mauern zu bauen und es erfordert viel geschick und können und das land ist voll davon. so geht es kilometer um kilometer.

Nomaden und Hirten in der mesopotamischen Steppe.
Die Berge sind hier über 3.000 m hoch.
Steinfelder und Ackerland (das irgendwann mühsam von Steinen gesäubert wurde).
Noch mehr Steine und noch mehr Weite.
Die Straße ist überdimensioniert zu dem Verkehrsaufkommen.

wir übernachten auf einem parkplatz eines flughafens zwischen urfa und diyabakir/amed, weil wir nicht einschätzen können, wie sicher wir sind, wenn wir irgendwo in der landschaft stehen. unter kurden und nomaden machen wir uns keine gedanken. unsere sorge gilt eher dem türkischen militär, dem wir nicht trauen.

Und wo sind wir sicherer, als auf dem Flughafenparkplatz? Dort wird niemand nach subversiven Elementen suchen!

und dann taucht endlich diyarbarkir/amed auf.

Ihr kommt nicht drauf: Das Ortsschild von Diyarbakir/Amed.

Der Städtekrieg 2015/16

Bevor wir unsere eigenen Erlebnisse berichten, müssen wir über den “Städtekrieg” schreiben, der 2015/16 über Monate in der Südosttürkei, alias Nordkurdistan wütete. Die meisten unserer LeserInnen haben vermutlich noch nie etwas vom “Städtekrieg” gehört oder gelesen.

Uns Deutschen fallen zu “2015/16” und “Türkei” vor allem die hundertausenden syrischen Flüchtlinge ein, die über die Türkei, das Mittelmeer und die Balkanroute nach Deutschland kamen. Und dass die deutsche Kanzlerin Merkel dem türkischen Präsidenten Erdogan Geld und Waffen versprach, wenn er die Flüchtlinge aufhält und sie dieses Versprechen auch hielt.

Während Deutschand (also wir) der Türkei Waffen und Geld versprach, ließ diese im südosten ihres Landes mehr als 30 Städte und Provinzen mit Panzern und schwerer Artillerie beschießen, zum Teil mit Kampfflugzeugen bombardieren und sogar Phosphorbomben auf dichtbesiedelte Gebiete werfen. Und das, ohne dass die deutschen Medien größer darüber berichtet hätten.

Wir können uns nicht erklären, warum in Deutschland darüber so wenig berichtet wurde und halten es für ein eklatantes Versagen der deutschen Zeitungen und Sendeanstalten. Wenn wir einem Staat, der dabei ist sich von einer Demokratie in eine Autokratie zu verwandeln und seine eigenen Städte bombardiert, im großen Maßstab Waffen schenken, dann ist das doch berichtenswert. – Es ist sogar mehr als das: Es ist “berichtenspflichtig”!

Die folgende Übersicht der Ereignisse basiert hauptsächlich auf Veröffentlichungen der Bundeszentrale für politische Bildung (pbp), die ich von deren Hompage heruntergeladen habe. Wobei ich die Fakten natürlich prokurdisch gefiltert lese und schreibe. (Ich erhebe Anspruch auf Ehrlichkeit und Authentizität, aber nicht auf objektive Neutralität.)

Das Ende des Friedensprozesses zwischen dem türkischen Staat und der PKK:

  • Er kam im Herbst 2013 ins Stocken, denn es gab für die Kurden zwar “einige Verbesserungen […], etwa die Aufhebung des Buchstabenverbots der im kurdischen Alphabet gebrauchten Buchstaben X, Q und W. Aber substantielle Fortschritte im Hinblick auf die wesentlichen Forderungen der Kurden wie das Recht auf Erziehung in kurdischer Sprache blieben aus”. [bpb]
  • Er drohte zu enden, als im Oktober 2014 die syrisch-kurdische Stadt Kobane, die direkt an der türkischen Grenze liegt, vom Daesch (bei uns als “IS” bekannt) belagert wurde und die türkische Regierung sich weigerte, einen Hilfskorridor zu öffnen und Hunderte freiwillige türkische Kurden, die den Widerstand der syrischen Kurden gegen den Daesch (“IS”) unterstützen wollten, am Grenzübertritt hinderte. Erdogan spekulierte auf den Fall Kobanes , was er in Reden auch lautstark kundtat. Es gelang der kurdischen YPG jedoch, Kobane zu halten, dank US-amerikanischer Luftunterstützung.
  • Er endete, als die Türkei am 24. Juli 2015 eine grenzüberschreitende Offensive gegen die PKK startete. Die Gewalt eskalierte!

Der Städtekrieg 2015/16:

  • Mit Hilfe ihrer Jugendorganisation YPG-H trug die PKK den Krieg in die kurdischen Städte im Südosten der Türkei. Die Jugendlichen hoben in den engen Innen- und Altstadtgassen Barrikaden aus und spannten Planen über zwischen den eng zusammen stehenden Häusern, um sich vor Scharfschützen und Drohnen zu schützen.
  • Die besetzten Innen- und Altstädte in einem “klassischen Häuserkampf” zurückzuerobern wäre für die türkische Armee vermutlich sehr verlustreich geworden, obwohl die Verteidiger im wesentlichen “nur” mit Kalaschnikows bewaffnet waren. In den engen verwinkelten Gassen hätte sie ihre materielle Überlegenheit nicht hätte zum Einsatz bringen können. Panzer passen hinein und auf Distanzen von wenigen Metern sind alle Gewehre und Schützen gleich gut.
  • Der Staat schlug mit exzessiver Gewalt zurück, indem er betroffene Provinzen und Städte bombardierte, monatelange Ausganssperren verhängte, viele Orte zu speziellen Sicherheitszonen erklärte und den medialen Zugang komplett kappte. Der Städtekrieg hielt monatelang an, bis im Frühsommer 2016 die Regierung die Kontrolle wieder erlangte.” [bpb]
  • Infolge des erbarmungslos geführten Städtekriegs bis Frühjahr 2016 wurden viele Zivilisten vor allem durch Scharfschützen getötet. 400.000 Menschen wurden zu Binnenflüchtlingen. Zahlreiche historische Stadtviertel – darunter auch die historische Altstadt der kurdischen Metropole Diyarbakir – sowie Lebensgrundlagen wurden komplett zerstört.” [bpb]

Soweit erstmal als Überblick und Grundlage. Wir in unseren persönlichen Berichten noch mehr erzählen.

Diyarbakir/Amed: zerstörtes Weltkulturerbe

Sa 17. Mrz 2018

Stadt unter Besatzung

Diyargakir/Amed empfängt uns als Stadt unter Besatzung. Auf dem mehrere hundert Kilometer langen Weg von der Mittelmeerküste bei Mersin hierher waren uns kaum Checkpoints aufgefallen. (Allerdings sind wir in den letzten Monaten auch eher das Westjordanland als Schleswig-Holstein gewohnt. – Vielleicht ist uns da der Maßstab verrutscht.) In Diyarbakir/Amed sieht das anders aus.

An allen Zugängen zur Stadt, an allen wichtigen Verkehrsknotenpunkten, an allen Toren der Altstadtmauer und vielen Straßenecken gibt es Polizei-Armee-Posten. (Polizei und Armee sind hier für uns oft kaum zu unterscheiden.) Meine Hochrechnung ergibt, dass es über 50 große Polizei-Armee-Posten in der Stadt gibt. Jeder besteht mindestens aus einem Wasserwerfer, einem Radpanzer mit einsatzbereitem ferngesteuertem Maschinengewehr, einem Container (der schußsicher, also ein Bunker ist), Sandsackbarrikaden, schußsicheren Stellwänden mit Schießscharten und mehrern Soldaten und(!) Polizisten mit Kalaschnikows. – Leider können wir diese Posten nicht photographieren. Als ich es versuche, werde ich fast wegen Spionage festgenommen.

Die Polizei patrouilliert hier nicht mit normalen Streifenwagen sondern mit Radpanzern. – Wie gesagt, können wir das leider nur sehr unzureichend photogaphisch dokumentieren.

Zerstörtes Weltkulturerbe

Zunächst checken wir in dem Hotel ein, in dem auch der Rest der deutschen Delegation wohnt. Bulli parkt davor auf dem Hotelparkplatz. Da die anderen Delegationsteilnehmer im Laufe des Tages eintrudeln, gehen wir erstmal in Innenstadt.

Die Altstadtmauer von Diyarbakir/Amed mit einem der Stadttore. Wer genau hinsieht sieht einen Wasserwerfer (weiß) und einen teil des Polizei-Armee-Postens, den ich zufällig mitphotographiert habe.
Alte aramäische Inschrift an der Stadtmauer.

Die Altstadt ist – oder besser gesagt war – zusammen mit den darunterliegenden Gärten am Tigris Weltkulturerbe. Doch im Städtekrieg 2015/16 wurde sie zu mehr als der Hälfte zerstört.

Auf diesem Sattelitenbild von Google-Maps sieht man rechts eine große graue Fläche, auf der Google-Maps zwar noch Straßen einzeichnet, die es aber nicht mehr gibt. Desgleichen bei zwei kleineren Flächen unten links.

Auf dem Google-Maps-Bild oben sieht man in der Innenstadt zwei große Straßen, die Melik Ahmet Caddesi und die Gazi Caddesi. Sie sind heute mit großem Poizeiaufgebot gesperrt, weil Erdogan in der Stadt ist und sie einweiht. Sie wurden nach dem Städtekrieg “wieder aufgebaut” – dazu morgen mehr. Auf jeden Fall gibt es eine große Jubelfeier für Erdogen. Eine Lehrerin wird uns später erzählen, dass ihr und allen Kollegen per SMS befohlen wurde, zur Pro-Erdogan-Kundgebung zu kommen und ein Beweis-Selfie von dort zu schicken. Extra für Erdogan wurden Blumen gepflanzt und die Straßen und Seitenstraßen auf seinem Weg durch die Stadt herausgeputzt. Bei den Seitenstraßen konnten wir uns anschließend davon überzeugen, dass sie nur so weit gepflastert waren, wie Erdogan sie von seinem Wagen aus sehen konnte. – Das haben sie früher bei Honnecker auch so gemacht.

Wir gehen zur Altstadtfestung (auf dem Google-Maps-Bild oben rechts).

Heute ist innerhalb der Festungsmauern ein schöner Park. Früher waren hier Häuser und enge Gassen. – Nachdem die Trümmer des Städtekrieges weggeräumt waren, hat die Türkei mit schnellwachsenden Rasenmatten wortwörtlich Gras über die Sache wachsen lassen.

Von der Mauer der Altstadtfestung aus können wir in die 2015/16 umkämpften und immernoch gesperrten Gebiete sehen.

Die Trümmer sind beseitigt. Der Neubau hat begonnen.
Unser Lonely Planet schreibt: “Innerhalb der Stadtmauern breitet sich ein Labyrinth aus engen, gewundenen und meist namenlosen Gassen aus.” – Das ist dann ja wohl veraltet.
Bitte versuche Dir vorzustellen wieviel mesopotamische Altstadt, wieviel Leben auf diesem “Parkplatz” einmal gepaßt hat.

Bummel durch den Altstadtrest

Beim Altstadtbummel geraten wir “zufällig” in den zerstörten Bereich. Als wir der Polizei gegenüber angeben die alte aramäische Kirche zu suchen, begleiten uns zwei Zivilpolizisten hin.

In dieser aramäischen Kirche feiern auch die letzten 100 armenischen Christen der Stadt ihre Gottesdienste. Denn ihre Kirche liegt oder lag im zerstörten Sperrgebiet.

Die photoscheuen Zivilpolizisten lungern noch länger mit uns in der Kirche herum. Als wir Kerzen anzünden, beten und “Dona Nobis Pacem” singen, schreiben sie uns irgendwann als verschrobene Bekloppte ab und lassen uns alleine.

Altstadtgasse: So muß der Rest auch mal ausgesehen haben.
Und plötzlich hören Straße und Leben auf. (Bis auf die Polizei direkt rechts hinter der Ecke.)
Überall und immer wieder Wasserwerfer, Radpanzer, Soldaten hinter Schießscharten. Wie schon gesagt, sind über 50 Wasserwerfer und das mehrfache an Radpanzern permanent im Straßenbild der Stadt präsent.
Eine der Karavansereien, der Oasen im (noch stehenden Teil) der Altstadt.

Es ist erstaunlich leicht mit den Menschen ins Gespräch zu kommen. Genau genommen ist es schwer, das nicht zu tun. Denn immer wieder sprechen sie uns an! – Die Gespräche sind ungewöhnlich und erstaunlich. Einerseits achten alle immer darauf, dass niemand mithört. Und vieles wird auch nicht direkt erwähnt. So spricht man Worte wie “PKK” oder “Erdogan” nicht aus. Man umschreibt eher. Oder läßt eine Lücke mitten im Satz. Abgesehen davon sind die Menschen, denen wir begegnen aber erstaunlich offen und direkt. – Wir haben uns übrigens entschlossen, von keinem von ihnen ein Bild hochzuladen, um sie nicht zu gefährden.

Sie sprechen “offen” über den Beschuß ihrer Stadt mit schwerer Artillerie im Städtekrieg oder den derzeitigen Krieg in Afrin. – Der Mut und die Lebensfreude dieser Menschen beeindruckt uns immer wieder aufs Neue.

Hotel, Stadt und Menschen

das hotel liegt mitten in der stadt, bulli bekommt seinen platz direkt vor der tür und ist gut bewacht, wir residieren im 6. stockwerk, der portier bringt unsere klamottenkisten nach oben in ein für uns unendlich großes zimmer mit allem drum und dran. im bad ist alles da, was das herz begehrt, vor allem eine große dusche und heißes wasser ohne ende. – ich werd nicht wieder!

entzückend: in großen spendern steht shampoo, haarspülung und duschgel bereit. in grün und gelb und rot, den farben kurdistans. in der empfangshalle stehen auf dem tresen eine stellage mit verschiedenen internationalen kleinen fahnen. die türkische natürlich ganz oben in der mitte. aber gleich daneben eine kurdische, die so drapiert ist, das sie die türkische verdeckt. wir sind am richtigen ort.

das leben in den noch intakten straßen der altstadt ist stiller als in anderen altstädten. ja, es sind menschen in den gassen und wenn wir vorbeigehen und ‘rojbas’ (wird “roschbasch” ausgesprochen und ist kurdisch für ‘hallo’) sagen, werden wir angelacht. von jungen männern ebenso wie von alten frauen. sie tragen oft, wie auch ältere männer, dünne weiße kopftücher, die wesentlich loser um die haare gebunden sind, als in der türkei. immer wieder streifen polizisten durch die gassen. in zivilkleidung, aber mit polizeiweste, pistole im halfter und funkgerät in der hand. sie zeigen präsenz, damit keiner auf die idee kommt, er würde nicht beobachtet. sie sind nicht unfreundlich, aber da.

die neugier der menschen auf uns ist groß. viele sprechen gutes englisch und wenn nicht, ist schnell jemand an unserer seite und hilft. es sind unaufdringlichere kontakte. distanzierter, vorsichtiger, aber sehr warm. ich kann noch nicht recht den daumen drauf halten, was anders ist. das gilt es in den nächsten tagen herauszufinden.

abends gehen wir mit den schon angekommenen delegationsmitgliedern essen und als alle teilnehmer der deutschen delegation im hotel sind, kommen e…und e… von der HDP dazu und wir kriegen die ersten informationen über die delegationstermine. wir haben ein strammes programm vor uns, in dem wir viele organisationen und initiativen kennenlernen werden, die uns über ihre arbeit und zu kurdistan und diyarbakir/amed aufschlauen. wir werden mit einem kleinbus überall hingefahren werden, bekommen von e… ihre telefonnummer, falls etwas ist.

wir vergessen nicht, daß heute st.-patricks-day ist. wir trinken vor dem hotel noch ein bier auf irland. das hotelbett, in das wir anschießend fallen, ist erschreckend breit und weich und läßt einen leicht vergessen, daß draußen die welt ein polizeistaat ist.