Fahrt nach Diyarbakir/Amed

Fr/Sa, 16./17. Mrz 2018

Vor ein paar Wochen haben wir über Freunde von Freunden eine Einladung bekommen, als Teil der deutschen Delegation zur Menschenrechtsbeobachtung und als Gäste der HDP am Newrozfest in Diyarbakir/Amed teilzunehmen.

Zur Erklärung:

  • Amed: Ist der alte kurdische und armenische Name Diyarbakirs, der inoffiziellen Hauptstadt des “türkischen Teils” Kurdistans.
  • HDP: Ist die „Demokratischen Partei der Völker“, die große linke kurdisch dominierte Partei in der Türkei.
  • Newroz: Ist das Neujahrsfest in Mesopotamien. Es wird am 21. März gefeiert bei Tag-und-Nacht-Gleiche und ist in Kurdistan ein politisch wichtiger und äußerst brisanter Termin.

Da wir diesmal nicht nur als Touristen in der Türkei sind, ist besonder Vorsicht geboten!

Denn wie die Bertelsmannstiftung in ihrem Bericht “BTI 2018” zur Lage der Demokratie in der Welt schreibt: „In der Summe ist die Türkei mit ihrer Abwertung um 1,70 Punkte das Land, das vom BTI 2016 zum BTI 2018 am meisten herabgestuft wurde.“ Also weltweit! „Im BTI 2018 wird die Türkei als “stark defekte Demokratie“ geführt, steht in mehreren Indikatoren allerdings kurz vor der Abstufung zur Autokratie. Die Auswirkungen des Referendums vom April 2017 zur Umstrukturierung der Türkei in eine Präsidialrepublik werden möglicherweise dazu führen, dass die Türkei die demokratischen Mindeststandards unterschreitet.” Was inzwischen, wie wir aufgrund unserer Erlebnisse sagen können, geschehen ist!

Eine Veröffentlichung der Bundeszentrale für politische Bildung vom 24. Januar 2018 (also ziemlich aktuell) schreibt: „Präsident Erdogan geht nach wie vor auch gegen die zivile Opposition, wie die gemäßigte kurdische Demokratische Partei der Völker (HDP), vor. In diesem Zusammenhang sitzen nun auch mehrere Deutsche in türkischen Gefängnissen. Ihnen wird prokurdische Propaganda und Mitgliedschaft in Terrorarganisationen vorgeworfen.“ Um zu erfassen, wie gefährlich das für uns ist, muß man wissen, dass Erdogans Leute neue Straftatbestände erfunden haben, wie beispielsweise “unbewaffneten Terrorismus”, was im Klartext wohl jedwedes Aufdecken und Anprangern von Mißständen bedeutet. Und dass der Grad der Überwachung sowohl im Alltag, als auch im Internet ein unglaubliches Ausmaß angenommen hat.

Daher beschließen wir den ausführlichen Bericht unsere Erlebnisse und Beobachtungen im Blog (also das was ihr hier gerade lest) erst zu schreiben, wenn wir wieder aus der Türkei raus sind. Uns dafür aber regelmäßig auf unserer Hompage zu melden, damit “unsere Leute” wissen, dass wir nicht verhaftet sind.

dann wollen wir mal: am freitagmorgen soll es beizeiten losgehen, denn wir wollen rechtzeitig in diyarbakir/amed sein. aber dann fährt sich bulli im weichen sand fest. ich hatte schon vorgestern bei der ankunft befürchtungen, aber michel würde sicher recht haben: die grasnarbe würde für genügend festigkeit sorgen. denkste, bulli ist ja viel schwerer als ein normaler pkw. ein netter angler, der an der landzunge seine stippe ins wasser hält, hilft mit seinem auto gern, fährt sich aber selber fest. jetzt hilft nur noch ein trecker.

dem picknickplatz gegenüber auf der anderen straßenseite ist grade h… aus izmir bei seinen eltern zu besuch. welch ein zufall. er hat in frankfurt gelebt, eine deutsche ehefrau, spricht exellentes deutsch und telefoniert einen trecker herbei. den preis dafür hat er auch gleich heruntergehandelt.

Erster Versuch – bei dem sich unser Helfer selber festfährt.
H… und seine Eltern. Während wir auf den Trecker warten ist Zeit für einen Tee und einen Schwatz.
Für den Trecker ist es kein Problem.

der trecker zieht beide autos in null komma nichts aus dem sand, der angler bekommt noch ein paar mandarinen von mir zum dank in die hand, wir verabschieden uns bei allen aufs herzlichste und können endlich los.

es geht immer nach osten. an der abzweigung nach antiochia hinter adana wird uns ein wenig wehmütig. die tage im okober waren zu schön in dieser stadt. aber wir fahren weiter. auf dem rückweg werden wir noch einmal hinfahren.

die landschaft wechselt ihr aussehen je weiter wir nach osten fahren. was immer bleibt, ist die unendliche weite, durch die uns die fast leere landstraße führt. ab und zu tauchen städte auf. die seelenlosen hochhäuser, die die stadtränder säumen sind schon von weitem zu sehen.

Hochhäuser eines Vororts von Gaziantep auf dem Weg nach Diyarbakir/Amed.
Bullis Schatten begleitet uns im Abendlicht.

wir fahren durch eine hügelige steinsteppe. hier verlieren sich immer mal wieder nomadenlager. erst denken wir, es handelt sich um kleine flüchtlingslager. aber die zelte und unterstände sind zu wenig improvisiert und zu groß. wir sehen schaf- und ziegenherden mit ihren hirten. ein paar hunde sind auch immer dabei und im hintergrund erheben sich die berge mit ernsthaftem schnee. nicht nur mit ein paar verharschten flecken in den nordtälern. das land ist noch grün. wie sieht es hier im hochsommer aus, wenn die sonne brennt? die felder liegen voller steine. sie müssen mühsam frei geräumt werden. die steine liegen dann in großen haufen mitten im grün oder werden zu trockensteinmauern und -wällen aufgeschichtet. ich weiß, welche arbeit es macht, solche mauern zu bauen und es erfordert viel geschick und können und das land ist voll davon. so geht es kilometer um kilometer.

Nomaden und Hirten in der mesopotamischen Steppe.
Die Berge sind hier über 3.000 m hoch.
Steinfelder und Ackerland (das irgendwann mühsam von Steinen gesäubert wurde).
Noch mehr Steine und noch mehr Weite.
Die Straße ist überdimensioniert zu dem Verkehrsaufkommen.

wir übernachten auf einem parkplatz eines flughafens zwischen urfa und diyabakir/amed, weil wir nicht einschätzen können, wie sicher wir sind, wenn wir irgendwo in der landschaft stehen. unter kurden und nomaden machen wir uns keine gedanken. unsere sorge gilt eher dem türkischen militär, dem wir nicht trauen.

Und wo sind wir sicherer, als auf dem Flughafenparkplatz? Dort wird niemand nach subversiven Elementen suchen!

und dann taucht endlich diyarbarkir/amed auf.

Ihr kommt nicht drauf: Das Ortsschild von Diyarbakir/Amed.