Walking Tours in Hebron

3. Jan. 2018

Erstmal ein Frohes Neues Jahr allen Freunden, Bekannten, Verwandten, Kollegen, Nachbarn, Schülern, Patienten und sonstigen Menschen, die diesen Blog lesen.

Walking Tour auf den Dächern der Casbah

Am Samstag, den 30. Dezember patrouillieren wir nachmittags durch die Altstadt, weil die Siedler jeden Shabbat von einem solidem Armeeaufgebot geschützt einen Ausflug aus ihrer sterilen Zone in die arabische Altstadt machen. Normalerweise kommen sie nachmittags, aber diesmal waren sie am Vormittag da und alles rechnet damit, dass sie am Nachmittag nochmal kommen. – Was sie aber nicht tun.

Beim Patrouillieren schauen wir neugierig in Seitengassen und Hinterhöfe, an denen wir sonst achtlos vorbeigehen. Dabei sind wir vorsichtig, um nicht in die Privatsphäre der Einheimischen einzudringen. Irgendwann passiert es aber doch. Anstatt uns wegzuschicken, werden wir eingeladen mit aufs Dach zu kommen und entdecken eine komplette neue Welt. Für uns ist es eine zweite Casbah oben auf der ersten. (Vermutlich hätten wir, Einladung auf Einladung folgend, die gesamte Altstadt durchqueren können, ohne eine öffentliche Straße zu betreten.)

Im Hintergrund israelische Siedlungen.
Das Dach als Spielplatz. (Findest du das zweite Kind?)
Nein, das ist keine öffentliche Straße – glauben wir zumindest.
Dicht an (oder in?) der sterilen Zone. Was muß das mal für ein schöner Serail gewesen sein.
Was für ein Labyrinth.

Walking-Tour mit ‚Breaking the Silence‘

‚breaking the silence‘ ist eine organisation ehemaliger israelischer soldaten, die nach ihrem militärdienst öffentlich machen, was ihre befehle während ihrer armee-zeit beinhalteten und wie sie sie ausführten.

mehrmals die woche führen mitglieder von breaking the silence gruppen durch hebron und kiriyat arba und erzählen von der situation der Palästinenser in der stadt, wie die armee hier agiert . interessant ist dabei die langfristige strategie und methode, mit der die siedlungen und die sterile zone um sie herum ausgeweitet werden. jeder schritt ist klein genug, um keine internationale aufmerksamkeit zu erregen, und groß genug, um vor ort tatsachen zu schaffen. ethnische säuberung in zeitlupe.

Der Fleischmarkt.

der fleischmarkt wurde 1994 geschlossen, weil die siedler einen geschützten platz haben wollten, auf dem sie sich versammeln können. die läden wurden geschlossen und etliche gebäude zerstört. einen solchen platz gibt es auch innerhalb des siedlungsblocks nebenan, der sogar besser geschützt ist. das eigentliche ziel scheint es gewesen zu sein, mehr raum einzunehmen.

Der Mann mit Bart und Mütze ist Judah, einer der Mitbegründer von Breaking the Silence. Er war während der zweiten Intifada zweimal für mehrere Monate in Hebron stationiert. Einmal am Anfang seiner Militärzeit als einfacher Soldat und einmal am Ende als Offizier.

Mich beeindruckt am meisten, wie er erzählt, wie die israelische Armee während seiner ersten Einsatzrunde gegen vereinzeltes nächtliches Gewehrfeuer von den umliegenden höherliegenden Stadteilen auf die Siedlungen vorgegangen ist. Da es nicht möglich ist, vereinzeltes Gewehrfeuer in einer nächtlichen Stadt zu orten haben sie nacheinander drei Dinge getan:

Zuerst haben sie drei Häuser auf drei Hügelkuppen innerhalb der Stadt besetzt und immer, wenn nachts mit Gewehren auf die Siedlungen geschossen wurde, haben sie auf irgendwelche Häuser in der Stadt zurückgeschossen. Und zwar nicht nur mit Gewehren und Maschinengewehren, sondern auch mit Granatwerfern und Panzern. Er selber war Schütze an einem Maschinen-Granaten-Gewehr, das statt Gewehrkugeln Granaten verschießt, die in unbebautem Gelände alles in 8m Umkreis töten. Und damit hat er auf dicht bewohnte Gebiete geschossen. Dies führte aber selbst nach einigen Wochen nicht dazu, dass der nächtliche Gewehrbeschuß der Siedlungen nachließ.

Also haben sie als Zweites die Stadt zusätzlich präventiv beschossen. (Wörtlich: „preemptive fire“.) Sie haben die dicht bevölkerte arabische Stadt jeden Abend eine halbe Stunde lang mit Maschinengewehren und Granaten beschossen. Und dabei Häuser und Straßen besser ins Visier nehmen können, weil es noch hell war. Trotzdem wurden die Siedlungen auch nach Wochen weiterhin nachts mit Gewehren beschossen.

Daher haben sie jeden Tag eine vorsorgliche Straf- und Abschreckungsexpedition gestartet. Sie sind jeden Tag mit Mannschaftspanzern in einen Stadtteil gefahren und haben auf alles geschossen. Einer seiner Kameraden habe sich darauf spezialisiert, mit seinem Gewehr Lampen zu zerschießen. Ein anderer habe mit Vorliebe Granaten in Geschäfte geschossen, so dass sie ganz hinten landeten und das gesamte Inventar auf die Straße geblasen wurde. Es sei wie ein Videospiel gewesen.

In diesem Haus wohnten einmal etwa ein Dutzend Familien – jetzt nur noch eine.

die übrigen familien haben die ewigen schikanen und übergriffe nicht mehr ausgehalten. eine gute methode von palästinensern bewohnte häuser in der geisterstadt zu erkennen ist, nach vergitterten fenstern ausschau zu halten. alle palästinenser hier haben solide gitter vor ihren fenstern, weil siedler regelmäßig steine an die scheiben werfen.

Während der Tour werden Mitglieder von Breaking the Silence von einem Siedler (links mit Kippa) bedrängt, der der Gruppe eine ganze Weile folgt.

er filmt und beleidigt sie, während sie versuchen, ihm aus dem weg zu gehen. die Soldaten dürfen ihn nicht anfassen, denn für solche vorfälle ist nicht die israelische armee zuständig, sondern die polizei. die siedler scheinen sich über dem gesetz stehend zu fühlen und benehmen sich auch so.

Die Straße auf der die Beiden und die Soldaten stehen ist der alte Gewürzmarkt und seit dem Goldsteinmassaker von 1994 steril, also für Palästinenser verboten, damit die Siedler ungestört zum Patriarchengrab gehen können. Die Parallelstraße war aber noch bis 2001 ein lebendiger arabischer Markt. Dann beschlossen die Siedler, dass es uninteressant ist, eine sterile Straße zu nehmen, wenn sie stattdessen durch einen lebendigen Markt gehen und Leute provizieren könnten. Das taten sie und vorhersehbar wehrten sich die Händler, als ihnen ihre Auslagen umgeschmissen wurden. Daraufhin sterilisierte die israelische Armee auch diese Straße, um die Siedler auf ihrem neuen Weg zu schützen.

Geschlossene palästinensische Läden neben dem Siedlungsblock Avraham Avinu. Sie sehen leer aus, sind es aber nicht. Die Siedler haben von innen die Wände durchbrochen die Räume illegal besetzt.
Aktuell versuchen die Siedler diesen Weg unterhalb ihrer Siedlung Tel Rumeida zu ihrer privaten Einfahrt zu machen. Als wir hier ankamen war es noch ein als solches ausgezeichneter Weg, und sogar Teil eines offiziellen Wanderwegs.

Walking-Tour mit Youth Against Settlements

am 2. januar zeigen issa amro und seine Kollegen von youth against settlements einer gruppe von ‚assopace palestina‘ aus italien die situation in der shuhada street, in der geisterstadt und in der altstadt.

Wir treffen die Italiener bei Checkpoint 56.

issa erzählt, wie die shuhada street vor 1994 ausgesehen hat, mit offenen geschäften und voller leben. es sei so ein gewimmel auf der straße gewesen, daß sein vater ihn als kind zur schule gebracht habe, damit er im markt-gewirr nicht verloren ging.

später hat er erlebt, wie die läden „aus sicherheitsgründen“ geschlossen und ihre türen zugeschweißt wurden, wie die siedler alle arabischen straßenschilder entfernten und dafür eigene schilder aufstellten.

Am Checkpoint 55 ist für Issa und seine Kollegen Schluss.

sie dürfen nicht hindurch, auch nicht als veranstalter dieser walking-tour. sie sind palästinenser und für sie ist die weitere straße verboten – aus sicherheitsgründen. sie werden einen weiteren umweg gehen und die gruppe am ausgang des ausgestorbenen gewürzmarktes wieder in empfang nehmen müssen.

Das Haus im Hintergrund war früher die Grundschule der Gegend.

jetzt gehört die schule zur siedlung beit romano und ist eine thora-schule (jeshive). das tor nebenan trennt die siedlung vom palästinensischen teil der altstadt. jeden samstag öffnet es sich für die siedler, die mit massiver soldatenbegleitung einen spaziergang durch den markt machen, um ihre ansprüche an die gegend zu bekräftigen.

Dieses Haus darf von den Palästinensern nicht renoviert werden.

offiziell natürlich aus sicherheitsgründen (für die siedler). provisorisch wurde es mit eisenstützen stabilisiert, damit es nicht über den passanten des marktes zusammenstürzt (deren sicherheit vermutlich nicht so relevant ist).

Dieses Haus war einmal ein vornehmes Hotel. Es wurde geschlossen. – Ja, genau: Aus Sicherheitsgründen!

Der junge Mann mit Bart, rechts auf dem Bild ist Mohannad, eine Hauptperson des nächsten Abschnitts.

Vorfallbericht Checkpoint 56 (mal wieder!)

Lieber Leser: Möglicherweise nerven und langweilen unsere Vorfallberichte zu Checkpoint 56 Dich inzwischen. Nun gut, dann überblättere ihn. Aber die Menschen, die hier leben und täglich durch diesen Checkpoint müssen, können ihn nicht nicht einfach überblättern. Dies sind nur die Vorfälle, die wir in den wenigen Wochen, die wir hier sind zufällig mitbekommen. Rechne das auf ein Leben hoch. – Hier also unser Bericht:

„Am Dienstag, dem 2. Januar 2018, haben wir gesehen, wie der Palästinenser, den wir als Mohannad kennen, zusammen mit einer Reisegruppe aus Italien unbehelligt und ohne Verzögerung Checkoint 56 von der „palästinensischen Seite“ zur „israelischen Seite“ passiert hat.

Am selben Tag betrat er den selben Checkpoint um 17.07 Uhr noch einmal, um wiederum von der „palästinensischen Seite“ auf die „israelische Seite“ zu gelangen. Wir befanden uns in der Schlange vor dem Checkpoint direkt hinter ihm. Er wurde nicht durchgelassen. Wir hingegen wurden an ihm vorbei ohne weitere Fragen durchgelassen, nachdem wir unsere deutschen Reisepässe ungeöffnet hochgehalten hatten. Sobald wir auf „israelische Seite“ waren, fragten wir bei den Soldaten nach, warum Mohannad nicht durchgelassen würde. Einer der Soldaten erkläre uns, dass er nicht registriert sei. Mohannad sagte, dass er sehr wohl registriert sei. Und dass der Soldat seinen Vorgesetzten anrufen solle.

Gegen 17.20 Uhr verlangten die Soldaten, dass wir aufhören zu fotografieren und die schon gemachten Fotos von ihnen löschen und drohten uns mit der Polizei. Anschließend verdeckten sie das rückwärtige Fenster ihrer Wachstube mit zwei Schnellheftern und einer Plastitüte, um den Blick ins Innere zu blockieren.

Um 18.05 erschien die Ablösung der Soldaten. Sofort nach der Wachübergabe, also gegen 18.15 konnte Mohannad passieren, da er sowohl bekannt, als auch registriert sei.“ – Es folgen unsere Personalien und Kontaktdaten.

Mohannad spricht durch das Käfiggitter mit dem Soldaten. Dieses Bild haben wir wohl versehentlich nicht gelöscht…
Das mit zwei Schnellheftern und einer gelben Plastiktüte verdeckte rückwärtige Fenster der Wachstube.

Beobachtungsschniepsel

  • im obst- und gemüsemarkt gibt es etliche jungen mit einkaufswagen, die geld damit verdienen, kunden darin ihre einkäufe nach hause zu fahren. wir wundern uns, wo diese einkaufswagen herkommen. in den gesamten palästinensischen gebieten haben wir bisher keinen supermarkt entdeckt, der so groß wäre, daß sich wagen lohnen würden. selbst in israel wüßten wir spontan keinen solchen supermarkt. wo kommen also die einkaufswagen her?
Einkaufswagenkind im Obst- und Gemüsemarkt.
  • fast jedes haus hat einen antennenmasten auf dem dach. meist eine mehr oder weniger improvisierte konstruktion aus metall. erstaunlich viele (also etwa 5%) sind kleine kopien des eifelturms.
  • grade junge frauen sind oft an eleganz nicht zu überbieten. sie tragen diese langen, schwingenden mäntel, gürtel, handtasche, schuhe und vor allem das kopftuch farblich passend und letzteres in jeder hinsicht elegant gefaltet. die stickerei daran apart drapiert und mit farblich passender nadel fest gesteckt. wir fragten s… eine junge studentin danach, die wir öfter im candyq trafen. sie sagte, daß es diese mode noch gar so lange gäbe. noch vor sechs jahren seien hier alle grau in grau herumgelaufen. aber dann seien smartphones und das internet billig und für alle erreichbar geworden. daher gibt es jetzt auf dem bekannten filmchenkanal auch arabische versionen von ‚bibis beauty palace‘ mit bestelladressen für die neuste mode. und so entsteht ein neues modebewußtsein und immer wieder ein augenschmaus auf der straße.
  • in den schaufenstern der schlachtereien hängen meist ganze kälber. teilweise sind sie so groß, daß wir uns schon fragten, ob das nicht auch kamele sein könnten. so unwahrscheinlich wärs ja nicht. unsere vermutung stimmt. hier ist der beweis:
Kamelhals im Schaufenster.
  • der müll auf den straßen hat auch seinen vorteil. neulich rutschte mir eine grad gekaufte tube zahnpasta unbemerkt aus der tüte. bis ich es bemerkte, zurück ging und sie zwischen alten plastiktüten, orangenschalen, pappbechern und sonstigem müll fand, hatte sie auch niemand anderes entdeckt. zu hause hätte sie schon jemand genommen.
  • die hiesigen chipstüten sind genau so groß, wie bei uns. aber wenn man sie öffnet, stellt man fest, daß sie viel weniger enthalten als die unsrigen. michel stellt sich immer wieder die frage, ob nicht schon jemand daraus gegessen hat.