Jerusaelm Political Tour

Do: 4. Jan. 2018

die „jerusalem political tour and ramallah“ mit abu-hassan von alternative tours haben wir schon vor sechs jahren mal mitgemacht, und ich freue mich sehr, ihn wiederzusehen. er hatte uns damals derart die augen zum israel-palästina-konflikt geöffnet, daß wir sie danach nicht mehr verschließen konnten und wollten. Und darum sind wir jetzt wieder hier.

es geht wie damals am jerusalem-hotel hinter dem damaskustor los, dessen terasse immernoch so gemütlich ist, wie damals.

Bina auf der Terasse des Jerusalem Hotel.

es sind diesmal drei weitere teilnehmer dabei. ein katalane mit seiner irischen ehefrau, die aus kilkenny stammt (ja, sie bekommt von uns erst mal die irische nationalhymne vorgesungen!) und ein spanier. alle drei sind neugierig, voller interesse und fragen; was sie zu spannenden tourteilnehmern macht.

abu-hassan ist mit einer deutschen aus kiel verheiratet, hat drei töchter und lebt mit seiner familie in ost-jerusalem.

er spricht nicht von siedlern oder siedlungen, sondern von kolonisation und kolonien:

wenn ich siedler und siedlungen sage,“ erklärt er, „spreche ich von etwas bleibendem. ich will aber, daß sie verschwinden. kolonien sind nicht dauerhaft und kolonisten gehen wieder.“

er erzählt von den schwierigkeiten, die ein palästinenser in jerusalem hat. und als erstes zeigt er uns den blick von der siedlung pisgat zeef auf dem hügel gegenüber: zwei arabische stadtteile und ein flüchtlingslager, insgeamt 70.000 menschen auf 2 quadratkilometern, umgeben von einer mauer mit nur einem tor.

Wir befinden uns keine 4km von den Pilgern in der Altstadt entfernt. Und doch liegen Welten zwischen uns: „Wahrlich ich sage euch: Was ihr getan habt einem unter diesen meinen geringsten Brüdern, das habt ihr mir getan.“ [Matthaeus 25:40]

Die folgenden beiden Photos sind von der Siedlung Pisgat Zeef aus in Richtung des zusammen mit dem Shuafat-Flüchtlingslagers eingemauerten des arabischen Stadtteils Anata aufgenommen. Den Namen des anderen mit eingemauerten Stadtteils haben wir vergessen.
Blick über das Tal. Nein, das ist nicht das Flüchtlingslager, dass ist ein regulärer arabischer Stadteil. Und nein, es ist nicht das Westjordanland, sondern ein Teil Jerusalems.
Die Häuser und Balkone, deren israelisch-jüdische Bewohner diesen Blick genießen dürfen.

der spanier unserer gruppe stellt eine frage, die wir uns auch so oft schon stellten:

wie können die siedler gemütlich auf ihrer terrasse sitzen, wenn ihr ausblick auf den nächsten hügel ein flüchtlingslager ist? was geht in ihren köpfen vor? wer hat ihnen nur das gehirn gewaschen?

Abu-Hassan vermutet, dass die Bewohner dieser Häuser ihre Menschlichkeit verloren haben. Unser „Palästina Reisehandbuch“ gibt uns später noch eine weitere Anwort: „Die Einwohner dieser Siedlung [Pisgat Zeev] behaupten, dass der Wert ihrer Anwesen durch den Anblick eines neuen palästinensischen Hauses sinke und beschweren sich bei den Behörden. Eine Besichtigung des Lagers [Shuafat] wird besonders den Besuchern empfohlen, welche die Unterschiede zwischen Erster und Dritter Welt kennenlernen möchten.“ – Das Flüchtlingslager und die beiden arabische Stadtteile sind übrigens älter als die Siedlung.

Es gibt übrigens (grob vereinfacht) zwei Arten von Siedlern, die zionistischen und die ökonomischen. Hier haben wir es mit ökonomischen Siedlern zu tun. Denn der Staat Israel tut einiges, um Juden zum Umzug nach Ostjerusalem und in die Westbank zu bewegen. So kostet ein Haus in einer Siedlung in Ostjerusalem etwa ein Viertel (25%!) von dem, was es in Westjerusalem kostet. Der Kaufpreis kann darüberhinaus über 25 Jahre in zinsfreien Raten abgestottert werden, und das Haus ist für 5 Jahre von allen Steuern und Abgaben (die hier beträchtlich sind) befreit. Auch für eine gute Infrastruktur an öffentlichen Bädern, Parks und Schulen wird gesorgt.

In den arabischen Stadtteilen Ostjerusalems gibt es hingegen kein einziges öffentliches Bad und keinen einzigen Park. Auch Schulen dürfen die Palästinenser in Ostjerusalem seit 1967 so gut wie nicht bauen oder renovieren. Das ist über die Bildungsfrage hinaus auch deshalb ein Problem, weil sie zwar in der „Hauptstadt Israels“ leben, aber keine Staatsbürger Israels sind. Sie sind nur „Residenten von Jerusalem“. Und wenn ihre Kinder nicht lückenlos jedes Jahr nachweisen können, dass sie in eine Jerusalemer Schule gehen, dann verlieren diese Kinder ihren Aufenthaltsstatus sobald sie 16 Jahre alt sind und werden ins Westjordanland abgeschoben. Derzeit betreiben die ostjerusalemer Palästinenser ihre Schulen im Schichtbetrieb. Die einen Kinder gehen vormittags zur Schule, die anderen nachmittags.

Zwischenstopp an der Mauer in Beit Hanina.

Hier zerschneidet die Mauer den arabischen Stadtteil Beit Hanina. Beiderseits der Mauer ist Beit Hanina und beiderseits der Mauer ist Jerusalem. Man erkennt arabische Stadteile übrigens unter anderem an den großen Wassertanks auf den Dächern. Die jüdischen Israelis haben nur kleine Wassertanks für Warmwasser auf dem Dach. Die Palästinenser zusätzlich große Tanks. Denn bei ihnen wird immer dann, wenn das Wasser knapp wird, das Wasser abgestellt. Was jeden Sommer der Fall ist. Und zwar auch innerhalb der international anerkannten Grenzen Israels. Auch dort gibt es palästinensische Dörfer und Städte und man erkennt sie (neben den Moscheen und anderem) an den großen Wassertanks auf den Dächern.

Innerstädtischer Checkpoint in Beit Hanina, Ostjerusalem.
Kurz vor dem Checkpoint Qalandia.

Die Häuser hinter der Mauer gehören nicht, wie viele hier glauben, zu Ramallah. Es handelt sich um Kufr Aqab, einen Stadteil Jerusalems. Dieser Stadteil ist in den letzen Jahren massiv gewachsen. Weil eine Wohnung, die sowohl östlich der Mauer als auch in Jerusalem liegt, für viele Palästinenser die einzige Option ist. Palästinenser erhalten in Jerusalem fast prinzipiell keine Baugenehmigungen. Es bleibt ihnen also nur übrig, schwarz zu bauen und einen Abriß zu riskieren. Östlich der Mauer stehen die Chancen für eine Duldung deutlich besser. Außerdem sind Wohnungen in Kufr Aqab die einzige Möglichkeit für „gemischte Ehen“. Denn wenn ein arabischer Mann aus Ostjerusalem eine Frau aus dem Westjordanland heiraten will, so darf er sie nicht nach Jerusalem holen. Die Palästinenser in Kufr Aqab und anderen jerusalemer Stadtteilen östlich der Mauer zahlen volle Steuern und Abgaben, erhalten dafür aber keinerlei öffentliche Dienstleistungen wie Müllabfuhr, Straßenreinigung und ähnliches. – Derzeit droht übrigens mehreren Häusern in Kufr Aqab übrigens der Abriß, weil sie angeblich zu dicht an der Mauer stehen.

es geht weiter durch die sperranlagen von qalandia. im westjordanland machen wir einen zwischenstop an einem gemüseladen. abu-hassan kauft für die familie ein und wir haben auch gelegenheit dazu. wir fahren östlich um jerusalem herum und über einen anderen checkpoint wieder zurück, der nicht so streng kontrolliert wird. die spannende frage für abu-hassan ist hier immer, ob er für die wachhabenden soldaten jüdisch oder arabisch aussieht. er nennt das „to look shlomo or hassan“. heute sieht er „shlomo“ aus, also jüdisch, und wir können ohne kontrolle passieren. hätte er hassan ausgesehen, hätten sie uns rausgewunken und kontrolliert.

Auf dem Ölberg haben sich zionistische Siedler mitten in einem arabischen Stadtteil niedergelassen. – Methode und Auswirkungen kennen wir aus Hebron.

es geht nach sheik jarrah zu dem haus der alten dame, deren vorderhaus von siedlern aus brooklyn besetzt wurde. wir kennen sie noch von vor sechs jahren. dort höre ich, daß sie noch lebt, was mich freut, aber ihre beiden töchter sind gestorben. die dauerpräsenz zum schutz der familie vor den siedlern mußte leider aufgegeben werden, weil es für die unterstützer zu gefährlich geworden war.

In diesem Durchgang haben wir vor 6 Jahren ausgeharrt, um die arabische Familie im Hinterhaus vor den Siedlern im Vorderhaus zu beschützen.
Einer der Siedler aus dem Vorderhaus.

In Sheikh Jarrah haben Siedler aus Brooklyn behauptet, dass sie die Häuser gekauft hätten. In solchen Fällen müssen nach hiesigem Recht nicht die jüdischen Siedler beweisen, dass und von wem sie die Häuser rechtmäßig gekauft haben. Sondern die palästinensischen Bewohner müssen lückenlos bis zurück in osmanische Zeit beweisen, dass die Häuser wirklich ihnen gehören. In Sheikh Jarrah gelang ihnen das erst mit einiger Verspätung, weil das Archiv in Istanbul ihnen zuerst nur Kopien der Unterlagen aushändigte, die das israelische Gericht nicht anerkannte, und die Originale erst nachreichte. Als sie vor Gericht endlich Recht bekamen, waren viele palästinensische Häuser schon geräumt und viele Siedler schon eingezogen.

Der Standpunkt der israelischen Behörden ist jetzt folgender: Liebe Palästinenser, ihr habt zwar vor Gericht recht bekommen, aber leider zu spät! Da die Siedler nach israelischen Rechtsverständnis nicht unrechtmäßig eingezogen sind, könnt ihr, die Hauseigentümer, sie auch nicht räumen lassen.

Dass die Siedler aus dem Vorderhaus des von uns bewachten Hauses vor 6 Jahren mit ihrem Kampfhund auf palästinensische Grundschulkinder losgingen, die israelische Polizei sich anschließend auf ihre (der Siedler) Seite stellte, und ich (Michel) schnell das weite suchen mußte, weil ich versucht hatte das ganze zu photographieren, haben wir, glaube ich, schon Mal geschrieben. – Aber es ist eine so himmelschreiende Ungerechtigkeit, dass ich es nicht oft genug schreien (den Freudschen-Vertipper lasse ich jetzt stehen) kann.

ich frage abu-hassan nach seiner einschätzung der ausgebliebenen intifada und dem generalstreik, der auch nicht wirklich stattgefunden hat.

er sagt: „wir wollen unsere ruhe haben. wir haben genug. wir möchten endlich ein friedliches leben führen, ohne ständig von den siedlern angegriffen und und vom israelischen staat gedemütigt zu werden. ich möchte endlich hinfahren dürfen, wohin ich will. ich möchte nicht ständig um alles kämpfen müssen.“

ich kann ihn gut verstehen.

was ich auch gut verstehe, ist seine wut auf die europäische gemeinschaft, die auf der einen seite palästina hier und da unterstützt, aber trotz klarer verletzungen der menschenrechte und UN-konventionen israel in so großem umfang finanziert.

auf deutschland schimpft er in diesem zusammenhang sehr. und da unterbreche ich ihn, aus deutschland kommend und es diesmal wirklich besser wissend.

ich habe nämlich den eindruck, daß sich die stimmung in der bevölkerung langsam dreht. ich sehe, daß immer mehr menschen der meinung sind, daß der von unseren großeltern im 3. reich verübte holocaust kein grund dafür sein kann, dass wir heute apartheid unterstützten. auch nicht im staate israel.

ich erzähle ihm, daß ich in deutschland immer mehr menschen treffe, die israels umgang mit den palästinensern in frage stellen.

das dies nicht unbedingt nur junge menschen sind, sondern durchaus auch solche, die den 2. weltkrieg mit erlebt haben und das thema noch anders anschauen. das es viele kleine (hilfs-)aktionen gibt, die auf die apartheid in diesem staat aufmerksam machen, von denen man hier in palästina nicht unbedingt etwas mitbekommt. er solle bitte die hoffnung nicht aufgeben.

auch seine einschätzung zur hilfe durch das ausland finde ich interessant.

abu-hassan sagt: „dadurch, daß sich internationale organisationen und länder wie UNHCR, USA und EU in den flüchtlingslagern innerhalb und außerhalb israels und palästina engagieren, und z.B. schulen und krankenhäuser unterhalten, unterstützen sie die besatzung durch israel nur.“

israel kann weiter menschenrechte verletzen, menschen vertreiben und land besetzen und braucht sich nicht um die vertriebenen zu kümmern. das erledigen die oben genannten und israel ist weitgehenst aus dem schneider. sowohl finanziell als auch moralisch.

beim anschließenden beisammensein nebst einem guten taibeh in einem schönen restaurant sitzt abu-hassan bei seiner nargila, während er letzte fragen beantwortet und die diskussion unter uns teilnehmern verfolgt. dabei kaut er an seinen fingernägeln, so angespannt ist er.

ich wünsche mir, er hört es nicht nur mit den ohren sondern auch mit dem herzen, als ich ihm sage, daß seine schilderungen vor sechs jahren uns die augen geöffnet haben, wir darum nie aufhörten, uns mit der besatzung zu beschäftigen und das wir deshalb heute wieder hier sind.