Haifa, Barta’a, Cäsarea

So. 28. Jan 2018

Anfang Februar laufen unsere Visa aus. Am 1. Februar, also am Donnerstag dieser Woche, wollen wir Bulli per Schiff nach Zypern schicken. Wir selber müssen leider fliegen. Und heute steht der Papierkram bei Rosenfeld-Shipping, der Schiffsargentur in Haifa an.

Wir sind gleich früh morgens da und nach unseren Erfahrungen mit Bullis Einreise auf das Schlimmste gefaßt. Aber es geht schnell. Unsere Agentin G… serviert uns Kaffee und kopiert vier Dokumente (Grüne Versicherungskarte, Reisepass, Fahrzeugschein und noch irgendwas) und fertig.

Nebenbei ergibt sich das übliche Gespräch: Ach, ihr macht ein Sabbathjahr? Wie gefällt euch Israel? – Als wir ihr sagen, dass die Besetzung und die Siedlungen eine Schande sind, merkt G… an: “Ja, eine Schande für sie, nicht für uns!” Für G… trifft die Schande nur die Siedler, nicht die übrigen Israelis und sie selbst. Dabei liegt das Westjordanland keine halbe Stunde mit dem Auto von Haifa entfernt. – Ich muß an die Schrift an der Wand in Yad Vashem denken, das Kurt-Tucholsky-Zitat: “Ein Land ist nicht nur das, was es tut, es ist auch das, was es erträgt, was es duldet.”

Schon in der Touristeninformation, in der wir uns nach dem Weg zu Rosenfeld-Shipping erkundigten, erlebten wir eine ähnliche Verdrängungsleistung, als die freundliche Frau hinter dem Tresen versuchte, uns verschiedene Museen und Sehenswürdigkeiten der Stadt schmackhaft zu machen. Die wirklich interessanten Sachen, wie die Gärten der Bahai, den Berg Karmel, die steilste U-Bahn der Welt und so weiter, hatten wir allerdings schon vor sechs Jahren besucht. Irgendwann fragte ich, ob es ein Museum gäbe, in dem die ethnische Säuberung der Stadt im April 1948 behandelt würde. Sie verstand nicht, was ich wollte. Und als ich genauernd davon sprach, dass die zionistischen Paramilitärs von den Hängen des Berges Karmel mit Mörsern auf die palästinensische Menschenmenge schoß, die darauf warteten, dass die Briten sie mit Schiffen evakuierten, wußte sie noch viel weniger, glaubte sie mir einfach nicht.

Im Jahr 1922 waren drei Viertel der Bevölkerung Haifas Palästinenser, je etwa zur Hälfte Christen und Muslime und ein Viertel Juden, da zu dieser Zeit Haifa der Haupteinwanderungshafen für die vor allem aus Europa kommenden Juden war. An der Nacht zum 21. April 1948, also noch vor der Staatsgründung Israels und dem Ende des britischen Mandats am 15. Mai 1948 starteten die zionistischen Truppen einen Angriff auf Haifa. Dabei kam ihnen zugute, dass die jüngeren jüdischen Stadtviertel an den Hängen des Karmel oberhalb der arabischen Viertel am Hafen lagen, dass die zu diesem Zeitpunkt noch herrschenden Briten sie gewähren ließen, zu Hilfe eilende arabische Freischärler aber aufhielten und festnahmen, und dass die arabische Bevölkerung Palästinas sich einfach nicht vorstellen konnte, dass die Zionisten sie vertreiben wollten und würden. Nach weniger als einer Woche waren von den 61.000 Palästinensern, die am Abend vor dem Angriff in Haifa gelebt hatten, lediglich noch 3.500 übrig. Die übrigen waren von den Briten größtenteils mit Schiffen nach Akko und von dort in den Libanon gebracht worden. – Von Zweien von ihnen weiß ich, dass sie nach Damaskus flohen, dort im Flüchtlingslager lebten und Kinder und Enkel bekamen. Denn eines dieser Enkelkinder ist M…, der im Oktober 2015 mit seiner Mutter und Schwester vor dem Syrischen Bürgerkrieg nach Deutschland floh. Ich war im letzten Schuljahr sein Klassenlehrer.

Nachdem wir den Papierkram für Bulli so unerwartet schnell abgehakt hatten, beschließen wir nach Barta’a zu fahren, um billig einzukaufen und noch einmal Palästina zu atmen. Barta’a ist eine Kleinstadt, die genau auf der Grünen Linie liegt. Da hinter Barta’a im Westjordanland einige isralische Siedlungen liegen, liegt es selber vor der Sperrmauer. Also auf israelischer Seite. Die Einwohner von Barta’a haben das Beste aus der Situation gemacht und sich eine eigene Freihandelszone geschaffen. – Sie werden weder von Israel noch von der Palästinensischen Autonomiebehörde richtig besteuert.

Auf dem Weg nach Barta’a weist dieses Schild darauf hin, dass es verboten ist, sein Auto von Palästinensern in der Westbank reparieren zu lassen.
Genau auf der Grünen Linie: Ein Klo! Männer machen ihr Geschäft im Westjordanland, Frauen in Israel.
Blick von der Teestube im Westjordanland nach Israel. Die Grüne Linie liegt etwa auf halber Strecke zur Moschee.
Das Etikett besagt, dass die Flasche steuerfrei und nur für den Export oder den Verkauf Duty-Free-Läden bestimmt ist.

Zum Schlafen fahren wir nach Cäsarea, das zwischen Tel Aviv und Haifa am Mittelmeer liegt und das wir fast verfehlen, weil an der betreffenden Ausfahrt “Qissarya” steht. (Wenn man es laut liest, stellt man fest, dass es sich um “Cäsarea” handelt.)

Unser Schlafplatz am Aquädukt von Cäsarea.
Plötzlich taucht eine volle Busladung Chinesen auf und verschwindet sofort wieder. Bei der zweiten Reisebusladung Chinesen stoppen wir die Zeit: 5 Minuten, 35 Sekunden. Inklusive Aus- und Einsteigen, Gruppenbild und Selfies!

Die beschauliche Abendstimmung am Strand von Cäsarea wird nur dadurch getrübt, dass ich in unserem “Palästina Reisehandbuch” lese, dass es neben den Antiken Ruinen von Cäsarea ein arabisches Dorf gleichen Namens gab, welches das erste Dorf war an dem im Jahr 1948 die Deportation der palästinensischen Bevölkerung geplant umgesetzt wurde. Am 15. Februar 1948 wurde es zerstört. Von insgesamt 64 Dörfern der Küstenebene zwischen Haifa und Jaffa wurden nur 2 verschont.