Bevor wir unsere eigenen Erlebnisse berichten, müssen wir über den “Städtekrieg” schreiben, der 2015/16 über Monate in der Südosttürkei, alias Nordkurdistan wütete. Die meisten unserer LeserInnen haben vermutlich noch nie etwas vom “Städtekrieg” gehört oder gelesen.
Uns Deutschen fallen zu “2015/16” und “Türkei” vor allem die hundertausenden syrischen Flüchtlinge ein, die über die Türkei, das Mittelmeer und die Balkanroute nach Deutschland kamen. Und dass die deutsche Kanzlerin Merkel dem türkischen Präsidenten Erdogan Geld und Waffen versprach, wenn er die Flüchtlinge aufhält und sie dieses Versprechen auch hielt.
Während Deutschand (also wir) der Türkei Waffen und Geld versprach, ließ diese im südosten ihres Landes mehr als 30 Städte und Provinzen mit Panzern und schwerer Artillerie beschießen, zum Teil mit Kampfflugzeugen bombardieren und sogar Phosphorbomben auf dichtbesiedelte Gebiete werfen. Und das, ohne dass die deutschen Medien größer darüber berichtet hätten.
Wir können uns nicht erklären, warum in Deutschland darüber so wenig berichtet wurde und halten es für ein eklatantes Versagen der deutschen Zeitungen und Sendeanstalten. Wenn wir einem Staat, der dabei ist sich von einer Demokratie in eine Autokratie zu verwandeln und seine eigenen Städte bombardiert, im großen Maßstab Waffen schenken, dann ist das doch berichtenswert. – Es ist sogar mehr als das: Es ist “berichtenspflichtig”!
Die folgende Übersicht der Ereignisse basiert hauptsächlich auf Veröffentlichungen der Bundeszentrale für politische Bildung (pbp), die ich von deren Hompage heruntergeladen habe. Wobei ich die Fakten natürlich prokurdisch gefiltert lese und schreibe. (Ich erhebe Anspruch auf Ehrlichkeit und Authentizität, aber nicht auf objektive Neutralität.)
Das Ende des Friedensprozesses zwischen dem türkischen Staat und der PKK:
- Er kam im Herbst 2013 ins Stocken, denn es gab für die Kurden zwar “einige Verbesserungen […], etwa die Aufhebung des Buchstabenverbots der im kurdischen Alphabet gebrauchten Buchstaben X, Q und W. Aber substantielle Fortschritte im Hinblick auf die wesentlichen Forderungen der Kurden wie das Recht auf Erziehung in kurdischer Sprache blieben aus”. [bpb]
- Er drohte zu enden, als im Oktober 2014 die syrisch-kurdische Stadt Kobane, die direkt an der türkischen Grenze liegt, vom Daesch (bei uns als “IS” bekannt) belagert wurde und die türkische Regierung sich weigerte, einen Hilfskorridor zu öffnen und Hunderte freiwillige türkische Kurden, die den Widerstand der syrischen Kurden gegen den Daesch (“IS”) unterstützen wollten, am Grenzübertritt hinderte. Erdogan spekulierte auf den Fall Kobanes , was er in Reden auch lautstark kundtat. Es gelang der kurdischen YPG jedoch, Kobane zu halten, dank US-amerikanischer Luftunterstützung.
- Er endete, als die Türkei am 24. Juli 2015 eine grenzüberschreitende Offensive gegen die PKK startete. Die Gewalt eskalierte!
Der Städtekrieg 2015/16:
- Mit Hilfe ihrer Jugendorganisation YPG-H trug die PKK den Krieg in die kurdischen Städte im Südosten der Türkei. Die Jugendlichen hoben in den engen Innen- und Altstadtgassen Barrikaden aus und spannten Planen über zwischen den eng zusammen stehenden Häusern, um sich vor Scharfschützen und Drohnen zu schützen.
- Die besetzten Innen- und Altstädte in einem “klassischen Häuserkampf” zurückzuerobern wäre für die türkische Armee vermutlich sehr verlustreich geworden, obwohl die Verteidiger im wesentlichen “nur” mit Kalaschnikows bewaffnet waren. In den engen verwinkelten Gassen hätte sie ihre materielle Überlegenheit nicht hätte zum Einsatz bringen können. Panzer passen hinein und auf Distanzen von wenigen Metern sind alle Gewehre und Schützen gleich gut.
- “Der Staat schlug mit exzessiver Gewalt zurück, indem er betroffene Provinzen und Städte bombardierte, monatelange Ausganssperren verhängte, viele Orte zu speziellen Sicherheitszonen erklärte und den medialen Zugang komplett kappte. Der Städtekrieg hielt monatelang an, bis im Frühsommer 2016 die Regierung die Kontrolle wieder erlangte.” [bpb]
- “Infolge des erbarmungslos geführten Städtekriegs bis Frühjahr 2016 wurden viele Zivilisten vor allem durch Scharfschützen getötet. 400.000 Menschen wurden zu Binnenflüchtlingen. Zahlreiche historische Stadtviertel – darunter auch die historische Altstadt der kurdischen Metropole Diyarbakir – sowie Lebensgrundlagen wurden komplett zerstört.” [bpb]
Soweit erstmal als Überblick und Grundlage. Wir in unseren persönlichen Berichten noch mehr erzählen.