Yad Vashem

Do 14.12.17

besuch in yad va-shem (was übersetzt bedeutet: „ein denkmal – ein name [shem]“), da heißt es heute stark sein. aber daran kommen und wollen wir nicht vorbei.

ich erinnere mich an unseren letzten besuch vor sechs jahren. wir haben uns die ausstellung mit dem hervorragenden audio-guide angeschaut und haben die tour irgendwann abgebrochen, weil wir es nicht zur gänze ausgehalten haben.

ich habe tatsächlich ein bischen angst vor den bildern und den geschichten. vad vashem bewahrt so viele namen wie möglich und immer wieder gibt es auf dem tour durch die einzelnen galerien vitrinen mit fotos und namen: ‚das ist der und der. auf dem foto sieht man ihn mit seiner freundin, er war das und das von beruf, links ist seine taschenuhr zu sehen. er starb dann und dann in dem und dem lager. foto und uhr sind das einzige, was von ihm noch da ist und wurden da und da gefunden.‘

auch diesmal nehmen wir den audio-guide. die gedenkstätte ist sehr gründlich. angefangen bei der frage, warum wurde jemand wie hitler gewählt, wie hat der krieg angefangen und wie ist er verlaufen. wann hat die judenverfolgung mit welchen schikanen begonnen. wie ist das eskaliert. was war die situation in den ghettos, diese einzeln beschrieben. dazu videos mit zeitzeugenberichten von überlebenden. wie sah der widerstand innerhalb der ghettos aus, die selbstorganisation, der überlebenskampf, die massenerschießungen. dann die wannseekonferenz und was passierte wo und wann danach. wie funktionierte eine gaskammer, was passierte vor dem gang dort hinein, was danach. zwischendrin immer mal wieder kästen mit beschreibungen der täter darin. aber nicht nur mit berichten, was er getan hatte, sondern auch hier: seine hobbys, vielleicht familienfotos, ein bischen privater hintergrund. erschreckend normale menschen.

dazu laufen wir über original kopfsteinpflaster aus dem warschauer ghetto, gehen an arbeitswerkzeug aus den arbeitslagern vorbei, sehen filme, die heimlich in den lagern gemacht wurden und das elend zu tage bringen.

der allgemeine ton der texte ist meist sachlich. dazu sind aber fotos oft überlebensgroß und die schilderungen der überlebenden lassen niemanden kalt. wahrscheinlich ist es dieser gegensatz, der mich so fertig macht.

wir halten knapp über 6,5 stunden durch und schaffen bis zum letzten raum. 10 einzelne galerien zu den unterschiedlichen themen in unterschiedlicher größe und länge die durch eine dreieckige röhre aus beton verbunden sind. nur anfang und ende der röhre liegen oberirdisch, ansonsten fällt nur oben an der spitze des röhrendreiecks ein wenig natürliches licht hinein. am ende liegt eine große offene terasse mit freiem blick auf jerusaelm. diesmal erleichternd für das auge.

und der hohe runde saal mit dem wasserbecken in der mitte und regalen an der wand. darin schwarze akten mit den bereits gesammelten namen und geschichten ermordeter menschen. so viele! und es ist noch so viel platz in den regalen!

aber (und jetzt weiß ich nicht, wie ich es beschreiben soll, denn das thema ist heikel) ich sehe auch die ähnlichkeit, wie die israelische armee, die regierung und die siedler heute mit den palästinensern umgehen. zumindest bis zur eröffnung der ghettos inklusive gibt es erschreckend viele äußerliche ähnlichkeiten. daß damals dann der verwaltungsmassenmord (wie ihn hannah arendt nennt) folgte, ist natürlich ein sehr entscheidender, ja der alles entscheidende unterschied zur heutigen situation in israel-palästina.

eine aussage wie, ‚kauft nicht bei juden‘, hab ich gerade im haaretz (einer liberalen jüdischen tageszeitung) vom israelischen verteidigungsminister lieberman lesen können, der anläßlich der proteste gegen trump und seine anerkennung jerusalems als hauptstadt gesagt hat, daß israelis nicht mehr bei arabern einkaufen sollen, und dies damit begründete, daß die in israel lebenden araber lernen müssen, daß sie nicht zur israelischen gesellschaft dazu gehören und unerwünscht sind.

es gibt straßen, die sind nur für israelische siedler, es gibt die siedlungen, die nur israelis betreten dürfen und im grunde ist der ganze gazastreifen ein riesiges ghetto.

Mir fällt darüber hinaus die menschliche Herabsetzung der „Anderen“ auf. Die Parallelen zwischen den Ikonographien. In der Naziikonographie der Gegensatz zwischen dem muskulösen, aufrechten Arier, der mit dem Spaten die Erde bearbeitet, und dem dunklen, unförmigen, hinterhältigen Juden mit seiner krummen Haltung. In der zionistischen Ikonographie wird eigentlich nur der Arier durch den Israeli und der Jude durch den Araber ersetzt. (Zumindest erscheint es mir im Augenblick so.)

Auch ertappe ich mich dabei, dass ich die Anklage, die in der Ausstellung mit vollem Recht(!) gegen die Staaten der Welt erhoben wird, dass sie keine oder zu wenige jüdische Flüchtlinge aus dem Dritten Reich aufgenommen haben, zynisch der Flüchtlings(abwehr)politik des Staates Israel gegenüberstelle. Und die Anklage auf die Gespräche mit Israelis beziehe, die mich gefragt haben, wie Deutschland so dumm sein kann, syrische Flüchtlinge ins Land zu lassen. Araber und Muslime seien anders und gehörten nicht nach Europa. Ich kann mich an etwa ein halbes Dutzend solcher Gespräche erinnern, in denen auch mein Verweis auf die deutsch-jüdische Geschichte und auf Daesch (also den IS) als Argumente wirkungslos blieben.

In ebenfalls einem halben Dutzend Gesprächen (zum Teil den Selben) haben säkulare Israelis zwar betont, dass sie gegen die Besatzung sind, und sie ja in einem Falls sogar als „viel schlimmer als Apartheid“ bezeichnet, fanden aber irgendwie, dass dies nicht ihre Angelegenheit sei, da sie ja in z.B. Tel Aviv lebten und nicht Hebron. – Diese Gespräche kommen mir in den Sinn, als ich an der Wand das Zitat von Kurt Tucholsky lese, welches ich hier aus dem Gedächtnis leider nicht ganz wortwörtlich wiedergeben kann: „Ein Volk ist nicht nur was es tut, sondern auch was es zuläßt, was es toleriert.“

Bald darauf vergeht mir mein Zynismus gründlich. Vor dem, was dann passierte, vor dem Elend und dem Hunger in den Ghettos, vor den Massenerschießungen, den Gaskammern und den Todesmärschen gibt es nur noch ohnmächtige Anteilnahme und Tränen.

Um es ganz, ganz(!) klar und deutlich zu sagen: Wir vergleichen nicht Nationalsozialismus mit Zionismus oder setzen gar beide auf eine Stufe. Die Besatzung ist kein Völkermord! Und erst recht kein, auch nur ansatzweise kein so perfider Verwaltungsmassenmord, wie es der Holocaust war. Was ihm unter Völkermorden (Daß es dafür überhaupt einen Plural geben kann und muß!) eine Sonderstellung einbringt (Auf daß es hier für niemals einen Plural geben möge!).

Daß Auschwitz niemals wieder sei!

ja, ich kann an der stelle die juden verstehen, die nach dem dritten reich eine heimat haben wollten. ihre frühere heimat in deutschland, polen oder anderswo gab es nicht mehr. ich wäre auch nicht dorthin zurück gekehrt. da war israel eine möglichkeit. nur leider kamen sie nicht in ein leeres land…

die außenanlagen von yad vashem schauen wir uns heute nicht mehr an. es ist schon dunkel, als wir den audio-guide zurückgeben und wir können auch nicht mehr. wie gut, daß unser stellplatz nicht weit weg ist und wir uns bald im bulli einigeln können.

fotos von diesem tag gibt es nicht. photografieren war im gebäude verboten und es wäre auch respektlos.

Und wir wären rein emotional vermutlich auch gar nicht dazu in der Lage gewesen.