Wochenende in Tel Aviv

Donnerstag bis Sonntag, 16.–19.11.2017

Am Donnerstagabend wollten wir eigentlich in einen angesagten Club. Aber wir kommen nicht rein, denn der Dresscode hier ist: „Ganz in Schwarz!“ – Wer mich kennt, weiß, dass es eine Ironie des Schicksals ist, dass ausgerechnet ich am Dresscode „Ganz in Schwarz“ scheitere! Denn im Alltag trage ich eigentlich nur Schwarz. Aber heute abend hatten wir uns extra fein zurecht gemacht. Ich mit weißem Hemd, bina mit rotem Pettycoat. – Naja, machen wir halt einen schönen Stadtspaziergang und setzen uns dann mit zwei Gläsern gutem Whisky in die laue Sommernacht… pardon: „in die laue Novembernacht“.

Am Freitagmittag radeln wir zum Einkaufen nach Bnei Brak. Die Stadt liegt gerade einmal fünf Kilometer vom Tel Aviver Stadtstrand entfernt und ist das krasse Gegenteil der weltoffenen Partystadt Tel Aviv, welche als schwulenfreundlichste Stadt der Welt gilt, noch vor San Francisco. Bnei Brak ist eine der Städte, in denen nur (oder fast nur) ultra-orthodoxe Juden, die Haredim, leben. Die durchschnittliche Haredimfamilie bekommt 6,5 Kinder, der Großteil der Männer arbeitet nicht, sondern widmet sich voll und ganz dem Thora-Studium. Die meisten Haredimfamilien leben daher unterhalb der Armutsgrenze und finanzieren sich von der Sozialhilfe. Grundnahrungsmittel sollten hier also billig sein.

Als erstes fällt die Kleidung der Haredim auf. Man sieht sie in Israel auch sonst überall im Straßenbild (OK, nicht am Schwulenstrand oder in der irischen Kneipe…), aber hier treten sie geballt auf. Die Männer mit langen schwarzen Mänteln, Hüten, langen Schläfenlocken und Bart. Die Frauen mit Perücke oder Kopftuch, mit alles bedeckenden Pullovern oder Jacken und langen Röcken. Auch wir haben uns entsprechend züchtig gekleidet und passen uns im Verhalten an. Kein öffentliches Händchenhalten, keine Personen photogaphieren.

Als nächstes fallen uns die vielen fest installierten Spendendosen an der Straße auf:

Acht Spendendosen: Fünf auf den Pollern, zwei am Anfang des Zaunes (ja das große ist eine Spendendose für Sachspenden) und eine links an der Rückseite es Laternenmastes

Was hier hingegen vollkommen aus den Straßenbild verschwunden ist, sind Werbeplakate, auf denen Frauen abgebildet sind. Und ja, hier fahren Buslinien, in denen die Männer vorne und die Frauen hinten sitzen.

Das Ganze wirkt wie aus der Zeit gefallen, wie ein osteuropäisches jüdisches Städel aus dem 18. Jahrhundert. Weil heute mit der Abenddämmerung der Sabbat beginnt, ist reichlich Trubel in den Straßen. Überall wird eingekauft und Lebensmittel nach Hause getragen. Man sieht vor allem Männer einkaufen. Die Frauen stehen wahrscheinlich daheim am Herd. In den Bäckereien wird ein süßes Teiggebäck verkauft, das vermutlich eine besondere Rolle beim Sabbathmahl spielt, weshalb es weggeht wie warme Semmeln und erstaunlich teuer ist.

Rechtzeitig, bevor hier die Straßen zum Sabbath abgesperrt werden, und jeder, der die Sabbathruhe bricht, mit Steinen beworfen wird, verschwinden wir.

Die Räder stehen an den bereitstehenden Sabbath-Straßensperren. Wer trotzdem durchfährt wird wortwörtlich gesteinigt.

Die Haredim stellen für Israel mittelfristig ein ernsthaftes Problem dar. Derzeit machen sie knapp 20% der Bevölkerung aus (Palästinenser in Westbank und Gaza nicht mitgerechnet). Ihre Zahl verdoppelt sich wegen der vielen Kinder etwa alle 20 Jahre. Sie lehnen weltliche Bildung ab (und haben soeben das Recht erstritten, in ihren Schulen Mathe und Englisch durch zusätzliche Thorastudien zu ersetzen). Sie beteiligen sich kaum an der Erwerbsarbeit und gehen nicht zur Armee. Und sie versuchen zunehmend und mit wachsendem Erfolg den säkularen Israelis ihre Regeln aufzuzwingen. – Wieviel Prozent Haredim kann Israel tragen? Spätestens bei 50% ist Schluss!

eigentlich wollte ich diesen beitrag schreiben, aber ich merkte, daß ich mir unendlich mühe geben muß, nicht bissig, abwertend oder zynisch zu klingen, angesichts der religiösen verbohrtheit, die haredim an den tag legen.

ich finde, das jede und jeder seine religion ausleben soll, wie er oder sie möchte. aber wie weit darf man damit gehen, weniger oder andersgläubigen menschen ins leben einzugreifen?

Während die Haredim ihr Sabbathmahl begehen, befinden wir uns im Molly Bloom’s, „unserem“ Irish Pub in Tel Aviv. Und bina spielt wieder bei der traditionellen Session mit.

Am Samstag machen wir einen Strandtag:

Diesmal nicht am Schwulenstrand.

Und Sonntag nutzen wir, um unseren riesigen Wäscheberg in einem öffentlichen Waschsalon zu waschen, wobei wir drei Industriewaschmaschinen parallel belegen. Am Abend fahren wir dann zurück nach Jerusalem.