Unite Cyprus Now

Sa-Sa 3.-10. März 2018

Aydin vermittelt uns an “Unite Cyprus Now” (UCN), eine bikommunale (also türkisch-griechisch-zypriotische) Initative, die verhindern will, dass der Status Quo schleichend zur dauerhaften Teilung der Insel führt. Sie sind unter anderem jeden Samstag zwischen 11 und 12 Uhr in der UN-Pufferzone zwischen den Checkpoints am “Grenz”-Übergang Ledra-Street mit zypriotischer Musik vom Band und einer Ausstellung von Zypern-Cartoons präsent und verteilen Flugblätter. – So waren wir schon im Oktober an ihr Flugblatt und ihren Aufkleber gekommen. Damals aber ohne weiteren Kontakt.

Unite Cyprus Now hat auch einen Veranstaltungs- und Lagerraum mit Toilette und Teeküche in der Pufferzone. Nach der Flugblattverteilstunde halten sie hier ihr wöchentliches Gruppentreffen ab. Aber nicht drinnen, sondern öffentlich davor.

1. Samstag: Gruppentreffen in Pufferzone

Am ersten Samstag bittet Tina (unten im Bild links neben Michel) uns darum, kurz von unserem Aufenthalt in Israel/Palästina und unseren Erfahrung in Hebron zu erzählen und schlägt vor, dass wir am nächsten Samstag um 12 Uhr vor einem etwas größeren Publikum eine Slideshow zu dem Thema machen, für die dann auch gezielt auf der Facebookseite der Gruppe geworben wird. Unser kurzes Erzählen wird durch viele Nachfragen zu einem etwas längeren Erzählen, das dann mit dem Verweis auf nächsten Samstag abgebrochen wird. – Außerdem werden wir zu zwei Abendessen der Gruppe am Mittwoch und Freitag eingeladen.

Gruppentreffen von Unite Cyprus Now in der UN-Pufferzone des Übergangs Ledra-Street.

Anschließend gehen wir noch zum gemeinsam Mittagessen in ein nahegelegenes Restaurant mit. Als wir am Ende unseren Anteil zahlen wollen, sind wir zu spät dran. Alles ist schon beglichen.

so ein essen erschlägt einen fast. in nullkommanix biegt sich der tisch vor leckereien, der wirt kommt mit einem schüsselchen nach dem anderen. daß wir eigentlich nur ein bier mit trinken wollen, wird nicht akzeptiert. es werden drei gespräche auf einmal geführt, alles quatscht durcheinander, es geht lebhaft durch alle themen kreuz und quer.

wir haben das gefühl, sofort in dieser gruppe nicht nur herzlich empfangen, sondern auch auf verschiedensten ebenen sofort aufgenommen worden zu sein. michel quatscht mit thomas über religion (thomas gehört hier zur maronitischen minderheit), ich hocke neben tina und wir plaudern über meditation, mit ioli berate ich, welcher zivania am besten ist und verschiedene andere dinge. mir gegenüber hockt natalie, die mich über das katzensterilisationsprogramm auf zypern aufschlaut. viele dieser menschen sind auch über die politischen interessen hinaus hoch interessant.

Mittwoch: Zypernkonflikt trifft Israelkonflikt

Am Mittwochabend ist Unite Cyprus Now mit einer etwa 40 Personen zählenden Gruppe des israelischen Projekt “Living Together” verabredet. “Living Together” lädt ein und zahlt das Abendessen. Die Gruppe besucht für eine paar Tage Zypern, um über den Zypernkonflikt einen anderen Blickwinkel auf ihren eigenen Konflikt zu bekommen. Doch anders als von Unite Cyprus Now erwartet, bildet die “Living Together”-Gruppe nicht den israelisch-palästinensischen Konflikt ab, sondern die innerisraelischen Konflikte. Sie besteht vor allem aus nationalreligiösen Siedlern, ultraorthodoxen Haredim und säkularen Zionisten, dazu einige linke Israelis (die in Deutschland als rechts gelten würden) und drei arabischen Israelis (die alle drei die israelische Staatsbürgerschaft haben und von denen sich zwei als Israelis und nur eine als Palästinenserin bezeichnet). – Palästinenser aus dem Westjordanland, Gaza, Ostjerusalem, nicht anerkannten Dörfen in Israel und so weiter fehlen vollständig.

Entsprechend einseitig israelisch geprägt sind die Sichtweisen in der Gruppe auf den israelisch-palästinensischen Konflikt. Die Konfliktfragen innerhalb der Gruppe drehen sich darum, wie die grundverschiedenen israelischen Gesellschaften aus denen sie kommen zusammenleben können. – Palästinenser kommen (außer bei der einen Palästinenserin) nur als “die Anderen” vor, die zu einem Problem werden, weil die Nationalreligösen das “ganze Land”, die säkularen einen “demokratischen Staat” und die Ultraorthodoxen einen “jüdischen Staat” haben wollen.

Wir werden zum Abendessen gemischt auf die Tische verteilt und es ist furchtbar interessant:

  • So sitze ich neben einem nationalreligösen Siedler aus einer Siedlung bei Hebron, der mich sogar zu sich einlädt.
  • Eine ultraorthodoxe Jüdin rauscht beleidigt ab, als ich sie wegen ihres Kopftuchs für eine muslimische Palästinenserin halte.
  • Der Aufwand, der für das koschere Essen der Haredim getrieben wird, ist unglaublich. Nicht nur koscher zubereitetes Essen, auch steriles Einweggeschirr, dass garantiert nicht kontaminiert ist und zu Trinken nur aus der eigenen Einwegdose, nicht aus der Wasserflasche auf dem Tisch, aus der auch die Goi (wir Nichtjuden) trinken.
  • Ich beobachte als mit beiden Konflikten bekannter Außenstehender gebannt, wie Israelis und Zyprioten permanent aneinander vorbei reden, weil sie die Kategorien des jeweils eigenen Konflikts auf den den jeweils anderen Konflikt übertragen. So gehen sowohl die Fragen, als auch die Antworten und das Hören der Antworten an den jeweils Anderen vorbei. (Ein interessantes Anwendungsbeispiel für Luhmanns Systhemtheorie! Grob vereinfacht: Jedes Systhem verarbeitet alles in den ihm eigenen Kategorien.)

Leider durfte zum Schutz der jüdisch religiösen Teilnehmer nicht photographiert werden, da zum Beispiel die ultraorthodoxe Frau, mit der ich am Tisch saß, massiven Ärger ihrer Gemeinde bekommen würde, wenn die mitbekäme, dass sie mit wildfremden Männern, mit Säkularen und Goi gemeinsam am Tisch sitzt.

an meinem tisch saßen ein national-religiöser jude, die eine linke israelin, ein weiterer, gemäßigter orthodoxer, der erfreulicherweise tatsächlich ‘palästinenser’ sagte und nicht ‘araber’ und der meinte, der zypern-konflikt sei ein sehr komfortabler konflikt. thomas von unite cyprus now und auch c… war dabei, die wir ja ein paar tage vorher im H4C mit mann und ihrer tante getroffen hatten, sowie ein weiterer israelischer palästinenser.

wir diskutierten u.a. über das palästinensische bildungssystem, das den konflikt nur sehr einseitig lehre und darin eine ursache für die nichtlösbarkeit des problems zu suchen sei. zum glück gab es auch meine stimme und die der linken israelin, daß die israelischen schulbücher auch nicht besser seien.

Freitag: Zypriotischer Kneipenabend

Am Checkpoint für Autofahrer am westlichen Stadtrand von Nikosia liegt (eigentlich schon in der Pufferzone) ein Restaurant, das so banal und nichtssagend aussieht, dass jeder Tourist achtlos daran vorbeifährt. Hier hat Unite Cyprus Now zwei Tische für insgesamt 30 Personen reserviert. Sarkastisch ausgedrückt machen wir genau das, was alle Pauschaltouristen in ihren Hotels auch machen: “Zypriotischer Abend, all inclusive!”

Für zwanzig Euro pro Person gibt es ein dreigängiges Menue, Getränke, zypriotische Livemusik, Tanzeinlage und Tombola. Nur dass dies das Original von Zyprioten für Zyprioten ist. Das dreigängige Menue ist ein Mezze, bei dem zeitlich nach Vorspeisen, Hauptgerichten und Desserts gestaffelt Unmengen von Speisen auf den Tisch gestellt werden, von denen dann alle kreuz und quer nehmen. Das Mezze, so wird uns erzählt, sei jeden Tag anders, aber immer vielfältig und gut. Die Getränke (die im Preis inbegriffen sind) werden quasi in Gruppen geordert. Wenn also jemand Bier, Wein oder Schnaps bestellt, so kommt gleich ein Gebinde, dass ihn und alle um ihn herum versorgt. Das Ganze ist unglaublich gesellig.

Durch KEO-Bier, zypriotischen Wein, Zivania geförderte Geselligkeit.
Griechische, türkische und maronitische Zyprioten bunt gemischt an einem (äh zwei) Tischen. – Umgangssprache ist daher Englisch.
Vorne wird zypriotische Musik gespielt und je weiter der Abend fortschreitet auch dazu getanzt. Wobei die Tänzer statt mit Konfetti mit Papierservietten beworfen werden.

Irgendwann während des fließenden Übergangs von den Hauptgerichten zu den Desserts werden dann Lose für die Benefiztombola zugunsten der Gruppenkasse verkauft. Wobei die Gewinne so üppig sind, dass sie vermutlich mehr als der gesamte Verkaufserlös der Lose wert sind. Wir kaufen 4 Lose für 20€ und gewinnen eine große Flasche Barcardi, eine hochwertiges Schminkset (einer Marke, die bina kennt, im Gegensatz zu mir) und ein DIN A3-Cartoon zum Zypernkonflikt nach freier Auswahl. OK, eine Niete ist dabei.

da ist man schon satt von der grillplatte, da kommt von links noch eine schale mit kartoffeln und gekochtem hammel, von gegenüber schenkt mir jemand noch köstlichen weißwein ein und von rechts kommt die ansage, ich müßte unbedingt noch den oktopus probieren. wir sitzen auch nicht steif auf den stühlen, sondern alle gehen mal hier- und dorthin, plaudern und naschen von den anderen tellern.

2. Samstag: Slidshow Hebron & Irish Pub

Wir sind zu früh da. Einige von den anderen auch und sitzen schon mit irgendeinem Dokumentarfilmer im Yaja Viktoria auf der griechischen Seite des Checkpoints. Irgendwann schleiche ich mich weg, um diesmal der Einladende, der Zahlende zu sein. Als der Kellner mir die Rechnung hinhält und ich das Portmonnaie schon in der Hand habe, ruft Thomas etwas auf Griechisch und ich bin aus dem Rennen. – Der Kellner gestikuliert “Entschuldigung – Basta”. Thomas hat Heimvorteil und lädt uns ein.

Pünktlich um 11 Uhr werden dann in der Pufferzone Flugblätter verteilt, Musikanlage raus- und angestellt, Transparent und Cartoons aufgehängt.

Flugblätter verteilen geht mit einem Lächeln besser.
Zwischendrin geben wir ein Interview für ein hiesiges Freies Radio.

Wir denken schon: “Whow, sind die gut organisiert!” Doch dann: “Welcome to the Middle East!” Das Kabel vom Laptop zum Beamer passt nicht , das herbeitelefonierte Kabel kommt zu spät und ist das falsche, der Beamer ist zu lichtschwach…

Wir beginnen unseren Vortrag mit einer halben Stunde Verspätung, dem Laptopbildschirm als Beamerersatz und einer handgezeichneten Skizze am Flipchart statt einer ausgedruckten Karte. – Aber alle außer uns scheinen das gewohnt zu sein. Von den etwa 40 Zuhörern wäre ohnehin kaum die Hälfte rechtzeitig da gewesen.

Lichtbildvortrag “Ghosttown Hebron”.

Der Vortrag ist (so glauben wir) ein voller Erfolg. – Wer mehr sehen will, sei auf die Facebookseite: “Unite Cyprus Now” verwiesen.

jungejunge, bin ich nervös! auf deutsch hätte ich meine beiträge so rausgehauen, aber mit meiner stümperhaften englisch-grammatik finde ich das dreimal schwieriger. ich hab vorher richtig ein bischen geübt. als wir dann vor dem publikum stehen und ich sehe, wie sie erschrocken sind über das, was wir ihnen erzählen und ich das gefühl habe, auf offene ohren und herzen zu stoßen, ist es ganz leicht. michel hat da keine probleme. er steht ja auch zu hause jeden tag vor einer schulklasse.

Anschließend gehen wir noch ins Finnbars mit. Ein Irish Pub, in dem wir mit den Aktivisten den Hauptgewinn der gestrigen Tombola, einen Verzehrgutschein über 100€, gemeinsschaftlich auf den Kopf hauen. Was darüber hinausgeht, wird durch die Anwesenden geteilt. – Irgendwann kommt sogar einer der UN-Polizisten, die am Vormittag in der Pufferzone auf uns aufgepasst haben, dazu.

das sowas aber auch immer in ein gelage ausarten muß! schon wieder biegt sich der tisch, jeder nascht bei jedem und auch der von michel versehentlich zuviel bestellte teller nachos mit käse wird im laufe des nachmittags von allen wegschnabuliert. gespräche gehen kreuz und quer, mal ernsthaft, mal als plauderei. an einem tisch sitzen eine griechische zypriotin und ein türkischer zypriot neben einer deutschen sympathisantin und klamüstern die nächsten aktionen aus. ich liebe diese truppe.

So endete jedes unserer Treffen mit UCN: Michel und Thomas, ein maronitischer-britisch-zypriotischer Linksradikaler, beim Bier ins Gespräch vertieft. – Da haben sich echt zwei gefunden!