Tschüss Zypern, willkommen Türkei

Mi-Fr, 14.-16. Mrz. 2018

wir fahren ein letztes mal nach girne über den checkpoint metehan, wo wir uns das ach so wichtige gelbe formular für bulli abholen. selbst der mensch am schalter macht zu diesem unsinnigen papierkram eine mehr als ironische bemerkung.

Das „gelbe Formular“ haben wir bei unserem ersten Zypernaufenthalt im Oktober bei der Einreise im Hafen von Girne bekommen. Also einen Monat vor der Ausreise. Diesmal müssen wir es am Tag der Ausreise (keinen Tag früher) an der Inlandsgrenze (und nicht im Hafen) beim Zoll abholen. Da wir ja diesmal über die Republik Zypern und nicht über die Türkei nach Nordzypern eingereist sind.

im hafen von girne bekommen wir anstandslos unsere tickets für gewohnt kleines geld. die fähre fährt schon nachmittags um drei. so bleibt leider keine zeit mehr für ein parting glas guinness in ‘unserem’ pub, aber wir kriegen einen letzten zypriotischen kaffee am hafen und kaufen noch eine flasche zivania als erinnerung. die wartezeit am schiff beim verladen hält sich in grenzen. heute ist nicht viel los, alles verläuft routiniert. die einzige aufregung hat bulli, der zum ersten mal fahrstuhl aufs oberdeck fahren darf.

Bulli im Hafen – wieder mal – inzwischen wird er auch gar nicht mehr seekrank.
Blick aus Bulli im LKW-Fahrstuhl auf der Fähre. Eine völlig ungewohnte Perspektive. Wie passt hier ein ganzer Laster drauf?

nach dem wir an deck mit dem einen oder anderen passagier ein pläuschen halten, verbringen wir die überfahrt im bett. im gegensatz zu den fähren, die wir sonst gewohnt sind, darf man hier nämlich während der überfahrt im auto bleiben.

in tusucu im hafen werden wir spätabends zum ersten mal auf dieser reise etwas ernsthafter durchsucht. der mensch läßt sich unser oberes klamottenfach zeigen, sowie den kühlschrank und die spüle, in der vermutung dahinter, bzw. darunter befindet sich ein blinder passagier. er fragt auch nach dem raum unter dem teppich, dabei ist offensichtlich, daß sich dort nur das bodenblech und dann die straße befindet. unsere charmeoffensive kommt dies mal nicht an. er ist wenig beeindruckt von bulli. die großen stauräume hinten unten findet er trotzdem nicht. ansonsten gibt es keine schwierigkeiten und wir sind schnell auf der straße richtung mersin, wo wir einen schönen stellplatz am strand finden und eine nacht bei meeresrauschen verbringen.

in fahrradnähe ist der campingplatz von ayshe, wo wir im letzten jahr ein paar tage verbrachten. dort gehen wir am nächsten tag auf einen tee ins internet. erst erkennt uns ayshe nicht, aber dann will sie mich gar nicht wieder loslassen, so freut sie sich. natürlich gibt es nicht nur das glas tee, sondern gleich eine ganze kanne und es biegt sich der tisch, als wir nach einer kleinigkeit zu essen fragen. ihre w-lan verbindung können wir nutzen, solange wir wollen. als wir schon zum abschied im flur stehen, gibts noch schnell ein tellerchen erdbeeren und die zitronen, die ayshe uns noch mitgeben will, kann michel mit knapper not abwehren.

Unser Stellplatz am Strand: Im Hintergrund spätrömische Ruinen. Ach ja, und Kaiser Barbarossa soll hier seine letzte Nacht geschlafen haben, bevor er im Fluß ertrank.

Erneutes Fazit zu Zypern

Fr. 16. Mrz 2018

Wir haben ein bißchen den Eindruck, dass die von der internationalen Gemeinschaft und insbesondere von der EU finanzierten und betriebenen Friedens- und Versöhnungsprojekte auf Zypern im Wesentlichen einen Konflikt bearbeiten, der von der Zeit und den veränderten Umständen überholt wurde. Während diese Projekte eine Aussöhnung zwischen griechischen und türkischen Zyprioten suchen, sind in Nordzypern drei ganz andere Kräfte am wirken.

Erstens sind die türkischen Zyprioten inzwischen eine Minderheit. Die Mehrheit bilden hier gezielt angesiedelte Anatolientürken. Der nordzypriotischen Lehrergewerkschaft zufolge haben nur 25% der Grundschulkinder zyprotische, die übrigen 75% anatolische Eltern. (Ebenfalls der Gewerkschaft zufolge, wurde übrigens zur Angleichung an die Türkei die Evolutionslehre aus den Lehrplänen gestrichen und “Scharia und Dschihad” als Fach eingeführt.)

Ein türkischer Zypriot erklärte mir den Unterschied zwischen Zyprioten und Anatolientürken mit zwei Witzen, einem über Religion und einem über Familie. Er sagte: “Wenn ich diese Witze einem Zyprioten, egal ob griechisch oder türkisch, erzähle, lacht er. Ein Anatolier zieht sofort das Messer.”

Zweitens hat die türkische Mafia Nordzypern als ideales Geschäftsumfeld endeckt. Türkisch kontrolliert, aber eben nicht Türkei. Im Gegensatz zur Türkei (und allen anderen umliegenden mulimischen Ländern) ist Glücksspiel hier legal, Prostitution öffentlich möglich und Alkohol steuerfrei. Sie haben hier massiv investiert und investieren weiter. Es entsteht ein riesiges Las Vegas mitten im Nahen Osten. Bequem von Istanbul oder Kairo aus zu erreichen.

Drittens hält die türkische Armee Nordzypern besetzt. Womit die Türkei, also Erdogan und die AKP in allem das letzte Wort haben. Und deren Agenda ist “neo osmanisch” (den Begriff habe ich aus der New York Times). Sie streben also an, die Türkei zu alter Größe zu führen und das Osmanische Reich zumindest zum Teil wiedererstehen zu lassen.

Keine dieser drei in Nordzypern wirkenden Kräfte hat ein Interesse an einer innerzypriotischen Aussöhnung oder einer Wiedervereinigung der Insel. Und sie werden sie zu verhindern wissen.

Wir wünschen den AktivistInnen von “Unite Cyprus Now” viel Kraft und Erfolg. Auch wenn wir befürchten, dass sie ihr Ziel in absehbarer Zeit nicht erreichen werden. Aber ihre Arbeit trägt dazu bei Schlimmeres zu verhindern und in den Weg für eine Lösung in fernerer Zukunft offen zu halten. Und auch dafür lohnt es sich zu engagieren.

Apropos “engagieren”: Auf jeden, der sich auf Zypern aktiv für Frieden und Aussöhnung engagiert, scheinen mir Drei zu kommen, die ihre Batchelor-, Master- oder Doktorarbeit darüber schreiben. Wir haben mehr wissenschaftliche Paper gesehen als Flugblätter. Und im H4C waren meist mehr deutsche PraktikantInnen als zypriotische AktivistInnen. Zumindest den Lebensläufen angehender PolitikwissenschaftlerInnen scheint der Zypernkonflikt zu nutzen.