Musa Dagh & das letzte armenische Dorf der Türkei

Di. 29. Mrz 2018

Gestern abend haben wir Bulli auf einem Vorsprung an den Hängen des Musa Dagh (des Mosesberges) mit tollem Blick auf die Mittelmeerküste abgestellt. Doch irgendwann in der Nacht wurde es so stürmisch, dass uns mulmig wurde und wir unser Schneckenhaus lieber an einen etwas windgeschützteren Ort weiter weg vom Abrund umbeparkt haben.

Die “40 Tage des Musa Dagh” spielen in der Geschichte des Völkermordes an den Armeniern in etwa die gleiche Rolle, die der Aufstand im Ghetto Warschau in der Geschichte des Holocaust spielte. Anstatt sich widerstandslos deportieren und umbringen zu lassen, haben sich die hiesigen Armenier in die Gipfelregionen des Musa Dagh zurückgezogen und dort verschanzt. Nach 40 Tagen der Belagerung wurden sie von einem französischen Kriegsschiff entsetzt.

Der österreichische Schriftsteller Franz Werfel hat diesem Ereignis mit dem Roman “Die 40 Tage des Musa Dagh” ein literarisches Denkmal gesetzt. Das Buch war Marcel Reich-Ranicki zufolge übrigens eine wichtige Inspirationsquelle für die Kämpfer des Warschauer Ghettos. Vor dem Aufstand ging es von Hand zu Hand.

Als der türkische Schriftsteller Orhan Pamuk 2005, zum 90ten Jahrestag des Völkermordes anregte, die Türkei solle sich bei den Opfern, den Armeniern entschuldigen, wurde er wegen “öffentlicher Herabsetzung des Türkentums” angeklagt. Er kam jedoch mit einer relativ geringen Schadensersatzzahlung von 6.000 türkischen Lira davon. Wozu vermutlich beigetragen hat, dass er zwischenzeitlich den Literaturnobelpreis erhalten hatte und der Fall deshalb unangenehm viel Aufmerksamkeit erhielt.

An den Hängen des Musa Dagh liegt Vaklifi, das letzte armenische Dorf der Türkei. Nach dem 1. Weltkrieg war die Region um Antiochia zunächst Syrien zugeschlagen worden, zu der sie historisch auch gehört. Erst 1939 schloß sie sich freiwillig der Türkei an. (Die Alternative wäre gewesen, von den französischen Kolonialtruppen erobert zu werden.) Damals gab es hier noch sechs armenische Dörfer. Aber als Antiochia (Antakya/Hatay) an die Türkei ging, wurden fast alle Armenier in den Libanon verfrachtet.

Die Kirche von Vaklifi, dem letzten armenischen Dorf der Türkei.

Heute leben noch 130-140 Armenier in Vaklifi. Überwiegend ältere Menschen. Es scheint dem Dorf gut zu gehen. Wir haben den Verdacht, dass die Türkei das Dorf als Schaufenster mißbraucht. Nach dem Motto: “Seht her! So nett sind wir zu den Armeniern! Wir bezahlen ihnen sogar eine neue Kirche und all die schönen Parkbänke.

Von Vaklifi aus wollen wir immer die Küste entlang nach Westen fahren, bis Istanbul. Doch schnell fällt uns auf, dass die direkte Küstenstraße nicht immer der klügste Weg ist.

OK, ist halt eine Nebenstrecke…
Die Straße wird immer mehr zur Piste.
Vielleicht hätten wir die Schilder “Durchfahrt Verboten” und “Steinschlag” doch ernst nehmen sollen?
Irgendwann wird die “Straße” wieder besser. Im Hintergrund der Musa Dagh.
Durch das Offroad-Geruckle ist das Regalblech hinten im Schrank durchgebogen. Endlich mal wieder ein Fall für McGyver!

Als wir nach etwa 40 Kilometern wieder die Hauptstraße erreichen, beschließen wir, auf ihr zu bleiben, legen an diesem Tag noch mehrere hundert Kilometer zurück und erreichen (fast) den Golf von Antalya.

Burg Mamure – Olympia – Chimaira

Fr/Sa 30./31. Mrz. 2018

bei der ganzen fahrerei machen wir trotzdem ein bischen sightseeing. den ersten zwischenstop machen wir bei der burg mamure am Kap Anamur, der am besten erhaltenen und größten burg des gesamten mittelmeers, aus dem 12. jahrhundert.

leider ist sie wegen restaurierung geschlossen und wir stehen ein wenig deppert in der gegend herum. da kommt ein einheimischer angeschlendert, den wir ansprechen, aber so wie es aussieht, bleibt die burg bis ins nächste jahr geschlossen. wir plaudern ein bischen und dann sagt mit einem verschmitzten grinsen: ‘es gibt einen weg in die burg rein, den kann ich euch zeigen, aber dazu müßt ihr ein bischen kraxeln. könnt ihr das?’ klar können wir. wir müssen die überwachungskameras ein wenig umgehen, ein paar meter am strand entlang und über einen mauerrest kraxeln und schon sind wir drin. der einheimische führt uns duch die burg, erklärt dies und das und wir dürfen fotos machen. dann verabschiedet sich wieder, nachdem er uns einen anderen weg nach draußen gezeigt hat.

Es geht immer an der wunderschönen Küste entlang.
Alle 36 Türme der Burg stehen noch.
Der äußerste der vier Burghöfe.
Der Ausblick ist atemberaubend.
Die Moschee stammt natürlich nicht aus dem 12. Jahrhundert.

die fahrt geht weiter. irgendwo unterwegs machen wir dieses photo:

Eine landestypische Ansammlung von Bankautomaten.

manchmal stehen noch viel mehr automaten nebeneinander. einmal haben wir neun stück gezählt. das prinzip durchschauen wir nicht. gibt es ein gesetz, daß bankautomaten nur an bestimmten stellen erlaubt und sie sich deshalb sammeln? greift hier auch das basar-prinzip, wo sich die geschäfte nach straßen sortieren und man einen juwelier oder schneider neben dem anderen sieht?

kurz vor alanya werden wir dann doch wieder an einem checkpoint kontrolliert. diesmal wollen die uniformierten (miliär oder nur polizei?) nicht nur die pässe sehen, sondern auch das smartphone. aber wir haben nur ein altmodisches handy und das auslesen der ISMI-nummer (sozusagen der fahrgestellnummer des telefons) bringt keine ergebnisse. Desweiteren fragt er nach unserer handynummer, unserer e-mail-adresse und will zugang zu unserem facebookprofilen, um den verlauf zu kontrollieren. er gibt sich erstaunlicherweise damit zufrieden, dass michel sagt, wir hätten weder smartphone, noch facebook oder email-adresse. der uniformierte schickt die handydaten an irgendeine zentrale, hört sich staunend unsere sabath-jahr-geschichte an, während er auf antwort wartet und läßt, als ihm die überwachungszentrale, an die er all unsere daten geschickt hat, das ok gibt, nach einer gefühlten halben stunde weiterfahren. was sind wir froh, daß wir unser handy so selten benutzen!

Eigentlich dachten wir, wir seien raus aus der kritischen Zone. Doch kurz vor den Touristenhochburgen Alanya und Antalya kommt die heikelste Kontrolle. Das hätte auch ganz schnell schief gehen können. Zum Glück haben wir keinen Facebookaccount, das Liken einer Erdogansatire oder einer Kritik am türkischen Einmarsch in Afrin hätten katastrophale Folgen für uns haben können. Wie gut, dass der Computer weitgehend durchsuchungssicher in der “Grube” verstaut ist, dass wir unser Handy meistens ausgeschaltet hatten und nur zwei harmlose Telephonate nach Deutschland gemacht haben. – Solltest du, lieber Leser, also vor haben, Urlaub in der Türkei zu machen, räume vorher dein Facebookprofil, dein Emailkonto, deinen Browser und deine Festplatte auf.

dann geht es durch die türkischen touristenhochburgen. ganz ehrlich: es könnte schlimmer sein. natürlich stehen die hotels dicht an dicht und manchmal paßt nur eine schmale reihe palmen dazwischen. aber wir haben immer 70er-jahre-hotelbunker vor augen gehabt, wenn wir antalya hörten und was wir hier sehen, ist meist interessant gestaltete, durchaus vielfältige hotelarchitektur.

Mitten in Atalya: Diese spannenden Berge im Hintergrund haben wir hier nicht erwartet.

das etappenziel für heute ist olympos/türkei südlich von kemer. dort gibt eine art hippiekolonie am strand, die es sich dort mit kleinen hotels, bunten läden und bars und freizeitaktivitäten gemütlich eingerichtet hat. der platz ist optimal. ein breiter strand, viele wanderwege, berge zum ernsthafteren klettern, ruinen und der ‘brennende berg’, den wir morgen anschauen wollen.

Frühstück am Strand vor schöner Kulisse.
Blick in Gegenrichtung auf dem schöne-Kulissen-Frühstücks-Strand.
Um zum Strand hin und wieder zurück zu kommen, muß Bulli durch den Bach und bekommt mal wieder nasse Füße.

chimaira heißt der der ort, wo seit jahrtausenden methanhaltiges gas aus dem felshang strömt. ein gut angelegter fußweg führt von einem parkplatz und ein paar buden aus hinauf. das solche gasquellen vor sich hin brennen, ist nicht die frage. warum entzünden sie sich selbst? das ist uns ein rätsel. kein wunder, daß hier auch die ruinen eines tempels des feuergottes hephaistos stehen.

Eine der ewigen Flammen von Chimaira.
Der Brennende Berg sieht nachts bestimmt beeindruckend aus.
Unten am Parkplatz mag die sehr verschmuste Wachkatze tatsächlich Eis am Stiel!

Olympos ist wirklich unglaublich. Der perfekte Urlaubsstrand, wenn das Problem mit Erdogan und der Demokratie nicht wäre. Tolles Meer, spannende Berge zum Klettern und Wandern, alte Ruinen, Baumhaus-Camps zum Übernachten, wilde Gebirgsbäche zum Canyoning und Rafting, coole Strandkneipen mit Reggea-Party-Musik, alles direkt auf einem Haufen und als Dreingabe ein brennender Berg und die niedrigen Preise (weil die türkische Lira so schlecht steht). – Sobald die Türkei wieder demokratischer wird, kommen wir wieder. Flug nach Antalya, Sammeltaxi und fertig.

Karmylassos: eine griechische Geisterstadt

Sa/So 31. Mrz / 1. Apr 2018

Von Olympos nach Westen wird die Straße schmal und windet sich immer abenteuerlicher die Küste entlang. So schön das ist, so anstrengend ist es auf die Dauer.

Wir übernachten in dem ehemaligen griechischen Städchen Karmylassos, das heute eine Geisterstadt ist, die von den Türken Kayaköy genannt wird. Im Vertrag von Lausanne von 1923 wurde ein vom Völkerbund überwachter Bevölkerungsaustausch (ja, das ist ein Euphemismus) zwischen der Türkei und Griechenland vereinbart. Der Vertrag war das Ergebnis des gescheiterten Versuchs der griechischen Armee, große Teile Kleinasiens zu erobern oder, je nach Sichtweise, zurückzuerobern.

Auf jeden Fall wurden 1,5 Millionen Griechen von der Türkei nach Griechenland “umgesiedelt”, während 400 Tausend Türken (also weniger, als ein Drittel soviele) von Griechenland in die Türkei “umgesiedelt” wurden. Die führte zu akuter Wohnungsnot und Flüchtlingslagern in Griechenland und zu leerstehenden Dörfern und Städten in der Türkei. Unserer Meinung nach wäre es fairer gewesen, zum Beispiel Smyrna (das heutige Izmir) mit seinem Umland bei Griechenland zu belassen. Smyrna war eine fast ausschließlich griechische Stadt mit über 500.000 griechischen Einwohnern an der Kleinasiatischen Küste. Heute ist Smyrna/Izmir eine boomende Millionenmetropole und die drittgrößte Stadt der Türkei. Das kleine Karmylassos hingegen ist eine aus etwa 2.000 Steinhäusern bestehende Geisterstadt.

Am Rande der Unterstadt haben sich einige Freaks eingerichtet und leben von den Touristen.
Karmylassos im Morgennebel.
Blütenpracht innerhalb der Ruinenromantik.

nicht nur mohn wächst hier. ich finde zwischen den häusern die schönsten kräuter. wilde kamille, salbei, thymian, wilder oregano. davon nehme ich mir eine handvoll mit und mache uns daraus ein extra leckeres sößchen für die nudeln.

Man stelle sich vor, wir würden oberhalb der Ruinen einer, sagen wir mal, polnischen Stadt eine deutsche Fahne hissen.
Wir sind hin und her gerissen zwischen dem Zauber der Ruinen im Morgenlicht und der Wut über die Ungerechtigkeit. Wir haben das Gefühl, das Lärmen der Kinder, die Tritte auf den Stufen der Gassen und das Geklapper in den Küchen und das Läuten der Glocken fast noch hören zu können.
Unten am alten Brunnen aus dem 17ten Jahrhundert treffen wir die ersten türkischen Touristen des Tages und können es uns nicht verkneifen, sie auf griechisch zu grüßen: „Kalimera!“

Ephesos

So. 1. April 2018

das muß sein! daran kommen wir einfach nicht vorbei. schon auf dem parkplatz wimmelt es von touristen, die aus riesen reisebussen fallen. egal. es verteilt sich, als wir erst mal auf dem gelände sind.

wir gehen durch eine stadt, die in der frühzeit gegründet wurde und eine wechselvolle geschichte hinter sich hat. ich laufe barfuß über den marmor. er fühlt sich wunderbar kühl und ganz samtig an. kein wunder bei so vielen füßen, die vor jahrtausenden darüber gelaufen sind. überall liegen katzenauf den warmen steinen und lassen sich durch die menschenmassen in keiner weise stören.

wir schlendern die sogenannte marmorstraße hinunter. was für eine prächtige stadt ephesos war und auch noch ist!

Drei von hunderten Säulen, die von Anfang an unseren Weg säumen.
Das Odeion, das kleinere der beiden Theater.
So viele Menschen. Und die Saison hat noch gar nicht angefangen!
Wozu sind diese Dellen im Marmor da?

wir wundern uns ein bischen über eine längsreihe marmorsteine, in die ganz regelmäßige dellen geschlagen wurden. wozu machte man das? anti-rutschmaßnahme für pferde? kennzeichnung von irgendwas?

Mosaik in einer ehemaligen Ladenzeile.
Der Hadrianstempel.
Ein Relief des Hadrianstempels zeigt Medusa.
Die Latrinen. Solche sozialen Treffpunkte kennen wir schon aus Salamis. Sie gehören zu unseren Lieblingsplätzen antiker Städte.
Die berühmte Celsus-Bibliothek.
Blick die drei Stockwerke hohe Fassade der Bibliothek hoch.
Eine der vier Figuren vor dem Bibliothekseingang: Sofia, die anthropomorphe Personifizierung der Weisheit.

ab der bibliothek wird es etwas ruhiger.

Dahinter steckt immer ein kluger Kopf. (Oder auch nicht…)
Das große Theater mit 24.000 Plätzen. Hier fanden auch die Volksversammlungen statt.

wir gehen nicht durch den offiziellen ausgang zurück. lieber gehen wir durch ephesos zurück, schauen wir uns alles noch einmal an und staunen zum beispiel über die tiefen spurrillen, dei die pferdewagen über die jahrhunderte in den Marmor geschliffen haben.

Michels Füße in den Spurrillen – zum Größenvergleich.
“This is no photo opportunity!”
Ein Mosaikdetail neben der Marmorstraße.
Wir fahren weiter Richtung Istanbul und fragen uns in Izmir/Smyrna, ob diese Wolkenkratzer als Ruinen auch so beeindruckend aussehen werden.

Istanbul: Ankunft

Mo 2. Apr 2018

Wir haben an einer Truckerkneipe genächtigt, an der anscheinend noch nie Touristen gehalten haben. Als wir zu Abend essen, überschlägt sich das Inhaberpärchen förmlich vor Neugierde, Hilfsbereitschaft und Gastfreundschaft.

Ein Dutzend absolut identische Melonenstände.

dies system verstehen wir einfach nicht. wären jetzt rechts und links melonenplantagen, okay, aber diese stände befinden sich zwischen nichts und gar nichts. alle haben das selbe sortiment und auch die selben preise. woran orientiert sich der kaufwillige kunde? am aussehen des autos, das davor steht? ist der verkäufer vielleicht der bruder von der nachbarin zu hause? Wir haben keine idee!

Von Yalova aus nehmen wir die Fähre über das Marmarameer. Das ist finanziell und zeitlich günstiger als außenrum zu fahren.

Moloch Istanbul! Außenbezirke auf der asiatischen Seite der Stadt. Das Zentrum ist wirklich noch nicht einmal ansatzweise in der Nähe.
Anfahrt auf das Stadtzentrum. Von links nach rechts: Blaue Moschee, Hagia Sophia, Topkapi-Serail, Bosporusbrücke und Bosporus.

Nachdem wir Bulli auf einem billigen, bewachen Parkplatz am direkt am Goldenen Horn unterhalb des Topkapi-Serails abgestellt haben, machen wir einen Spaziergang über die Galatabrücke auf die andere Seite des Goldenen Horns.

die galatabrücke ist eine enttäuschung. von wegen kleine windige imbisse und buden, wie michel sie auf dem interrail-und-tramp-trip nach seinem abi erlebt hat. ein schickes restaurant kommt nach dem nächsten, die beschriftung über der tür ist bei allen ähnlich und die speisekarten sehen auch alle gleich aus. so lecker das abendliche bier und so romantisch die abendstimmung auch ist, ich habs mir anders vorgestellt. das studium des lonely planet offenbart, daß die brücke 1994 neu gebaut wurde und im zuge dessen alle aufregenden geschäfte und buden verschwunden sind und diese restaurants aufgemacht haben.

Angelschnüre an der Galatabrücke. Auf der oberen Ebene steht wirklich ein Angler neben dem anderen.
Wie romantisch! Rosen bedeuten auf der ganzen Welt das gleiche.
Zwei Polizisten kontrollieren Passanten, vor allem männliche Türken.

Zwar sind Polizei und Militär im Stadtzenrum Istanbuls wesentlich weniger aufdringlich, auffällig und martialisch, als in weniger touristischen Teilen der Türkei. Dafür können wir sie deutlich besser und vor allem gefahrloser photographieren, denn zwischen all den anderen anderen Touristen hier fallen wir nicht weiter auf. Die Polizisten und Soldaten können es sich hier einfach nicht leisten jeden, der sie photographiert, festzunehmen. Denn 99 von 100 Festgehnommenen wären ahnungslose Touristen.

Die beiden halbzivilen Polizisten ziehen einen Einheimischen nach dem anderen aus dem Strom der Fußgänger heraus und kontrollieren seinen Pass. Einige lassen sie dann schnell weiter gehen, bei anderen geben sie die Daten an ihre Zentrale durch und durchsuchen, während sie auf Antwort warten, das Smartphones der Kontrollierten. Wir sehen die Tage über mehrere solcher fliegenden Kontrollen. Die anderen Touristen bekommen davon interessanter Weise nichts mit. Vermutlich, weil solche fliegenden halbzivilen Polizeikontrollen einfach außerhalb ihres Erfahrungsbereichs liegen und sie ja im Augenblick auch nicht davon betroffen sind.

Auf dem Rückweg trinken wir ein Sonnenuntergangsbier auf der Galatabrücke und genießen das Schauspiel von Licht, Stadt und Fluß.

Hagia Sophia, Basilikazisterne, Gezipark

Di 3.  Apr 2018

Wir absolvieren in Istanbul im Wesentlichen das klassische Touristenprogramm, und heute stehen insbesondere zwei Wunder des alten Konstatinopel auf dem Programm. Die Hagia Sophia und die Basilikazisterne.

Die Blaue Moschee vom großen Platz zwischen ihr und der Hagia Sophia aus gesehen. Leider ist sie derzeit für Touristen geschlossen und nur für Gläubige geöffnet.
Die Hagia Sophia ist an Eleganz und Imposanz kaum zu überbieten und erhebt sich Erdbeben und allem anderen zum Trotz seit fast 1.500 Jahren über der Stadt am Bosporus.

Die unter Kaiser Justitian in nur 5 Jahren erbaute und im Jahr 537 eingeweihte Kirche der göttlichen Weisheit war fast tausend Jahre lang die größte Kirche der Christenheit, bis Konstaninopel 1453 von den Osmanen erobert wurde, die dem (ost-)römischen Reich endgültig den Todesstoß versetzten und die Kirche zur Moschee umwandelten. Attatürk erklärte sie dann, 1935 zum Museum.

Nein, die Hagia Sophia sieht nicht aus wie eine Moschee. Umgekehrt! Moscheen sehen aus wie die Hagia Sophia. Ursprünglich kannten die Muslime keine gemauerten Kuppeln. Doch die Hagia Sophia muß sie so beeindruckt haben, dass sie zur Blaupause für “die-Moschee-an-sich” wurde.

Der Hauptraum der Kirche raubt einem den Atem. Diese anderthalb tausend Jahre alte Kuppel läßt einen an den Gesetzten der Gravitation und der Entropie zweifeln.
Großaufnahme des Mosaiks der Madonna mit Kind über dem Altarraum. Auf dem vorherigen Bild ist das Mosaik am linken Bildrand in mittlerer Bildhöhe oben in der Apsis zu sehen.
Biblisch korrekt dargestellter Engel. Bei Jesaja 6 steht: “Serafim standen über ihm. Jeder hatte sechs Flügel: Mit zwei Flügeln bedeckten sie ihr Gesicht, mit zwei bedeckten sie ihre Füße und mit zwei flogen sie.”
Von links nach rechts: Kaiser Johannes Kommenos II (der Gute), Madonna mit Kind, Kaiserin Eirene (die Barmherzige), ihr Sohn – der nicht gerade eine Frohnatur gewesen zu sein scheint und kurz nach der Entstehung des Mosaiks starb.
Diese Bordürenmalerei. Wir müssen sofort an “fifi” denken. (Insiderwitz – Entschuldigung!)

mir bleibt schon am eingang der mund offen stehen und es treibt mir die tränen in die augen. daß die hagia sofia ein beeindruckendes gebäude ist, was mir klar. aber das sie SO umwerfend ist… diese kuppeln! diese malereien! überall gibt es was zu sehen und zu staunen. diese urengel in den kuppelecken! mit den sechs flügeln nehme ich ihnen ab, das sie einen unter die fittiche nehmen und als schutzengel dienen können.

Die Straßenhunde hier sind gut genährt, haben die Ruhe weg und sind ziemlich gut darin, sich aktiv ihre Schmuseeinheiten zu holen, wie man sieht.

am eingang stehen wir eine stunde in der schlange um eine karte an und die hunde schwänzeln um die wartenden herum, schmeißen sich zu deren füßen, lassen sich knuddeln und gehen wieder, wenn sie genug haben.

Alle Wege führen nach Rom. Im oströmischen Reich wurden alle Entfernungen von Konstantinopel, genauer von diesem Stein aus, gemessen.
Wenn ein byzantinischer Kaiser bauen ließ, dann aber richtig: Justitian ließ neben der Hagia Sophia zum Beispiel auch die Basilikazisterne bauen.
Sie ist 143m lang, 65m breit und hat 336 Säulen, größer als jeder nordeuropäische Rittersaal. Sie war Jahrhunderte lang in Vergessenheit geraten, wurde 1545 wiederentdeckt und trägt zu recht den Beinahmen “Versunkener Palast”.
Der Große Basar ist eine riesige Touristenfalle mit unangenehm aggressiven Koberern, die einem überteuertem fimschigen Tand andrehen wollen.

Keine fünf Gehminuten von den Touristenströmen entfernt, zwischen der Blauen Moschee und dem Großen Basar auf der einen und dem Marmarameer auf der anderen Seite, liegt ein Viertel, das es hier eigentlich so nicht geben dürfte. – Es müßte schon längst gentrifiziert und komplett touristisch erschlossen sein.

Das lebende alte Istanbul, keine fünf Gehminuten von den Touristenmassen entfernt.
In einem Teil des Viertels werden fast nur Schuhe hergestellt.

Die Straße, in der das Photo aufgenommen wurde, ist eine organisch gewachsene Schuhfabrik. In jedem Haus gibt es mindestens eine Werkstatt. Hier findet sich alles, was man zur Schuhherstellung braucht, Sohlenmacher, Lederzuschneider, Schuhmacher, Ausstellungsräume, Verpackung, Transport und dazwischen Teestuben und Imbisse.

Als bina sich hier ein paar schicke, günstige Schuhe kaufen will, stellen wir leider fest, dass die tollen Schuhgeschäfte nur “en gros” verkaufen. Und hundert Paar sind dann doch zuviel. Zumal wir nicht wirklich glauben, dass die Markenschuhe echt sind… 😉

Polzeipanzer neben der Blauen Moschee.
Dieser Panzer mit durchgeladenen ferngesteuerten Maschinengewehr oben drauf ist leider unscharf.

Diesen Panzer zu photographieren, haben wir uns nur aus der fahrenden S-Bahn heraus getraut. Zwar sind die Sicherheitskräfte hier im Massentourismusgebiet deutlich zurückhaltender, als in Diyarbakir/Amed, wo diese Panzer sehr viel häufiger sind. Aber so zurückhaltend sind sie dann doch eben nicht.

In der Nähe des Taksim Platzes und des Gezi Parks stolpern wir zufällig über das deutsche Konsulat, dessen Türschild uns beschämt.

Wir paraphrasieren “Syrer bitte Hintereingang. Euer Elend stört unsere Kundschaft aus Ländern, denen es derzeit besser geht.”
Kaffee trinken im Gezi Park. Die Niederschlagung der Massenproteste gegen ein Bauprojekt auf einem Teil des Parkgeländes im Sommer 2013, sehen viele als den Beginn des systhematischen Demokratieabbaus durch Erdogan an.
Der Vorplatz des Geziparks. Flanierende Passanten im Sonnenschein, ein Wasserwerfer und Unmengen von Überwachungskameras. Auf jedem der Pfeiler befinden sich mehrere Kameras.
Vorplatz der italienischen katholischen Kirche von der Kirchentür aus gesehen.

Am Abend stolpern wir ebenfalls zufällig über die italienische katholische Kirche von Istanbul/Konstantinopel. Bei der Besichtigung stellen wir fest, dass gerade die Messe vorbereitet wird, und beschließen, diese mitzufeiern. Die Messe ist gleichzeitig großartig und zum aus der Haut fahren. Großartig, weil sie (ungelogen) von einem italienischen Kardinal und etwa 100 (ja einhundert) italienischen Priestern gehalten wird, die anscheinend gerade eine Art Klassenausflug nach Konstantinopel machen. Zum aus der Haut fahren, weil muslimisch türkische Touristen während der Messe in die Kirche kommen, Selfies machen und so weiter. Und das obwohl ein großes Schild am Eingang darauf hinweist, dass dies verboten ist. – Als die Stelle “Gebt euch ein Zeichen des Friedens” kommt, ist die Frau mit dem Kopftuch hinter mir, so erschreckt, dass wir uns umdrehen und ihr die Hand geben wollen, dass sie nicht weiß, wie sie reagieren soll.

es gibt auch die frau mit kopftuch, die sich, nachdem sie mich gefragt hat, ob es recht ist, still neben mich setzt und dem gottesdienst eine weile still lauscht. aber sie ist die einzige, die das macht. ansonsten ist hinter uns manchmal so ein remmidemmi, daß ein küster mehrfach dezent um ruhe bitten muß.

Topkapi-Serail & Harem

Mi 04. Apr 2018

gottseidank: nach dem tag gestern voller erschlagender architektur, farben, mustern, straßenstimmungen und dem gefühl, in den kopf paßte am abend nichts mehr hinein, ist heute das gehirn wieder ausgeruht und wir können den topkapipalast in angriff nehmen.

am tor unten am eingang des topkapi-palastes begrüßt uns die diensthabende polizistin von dem kleinen wachposten ausgesprochen fröhlich. wir wollten gestern schon den palast besichtigen, aber sie musste uns bedauernd mitteilen, daß ausgerechnet heute geschlossen sei. wir hatten ohne zu meckern unsere pläne umgeworfen und versprochen, daß sie uns am nächsten tag wieder sehen würde. sie wünscht uns aufrichtig viel spaß. auch hier zeigt sich wie in palästina: uniformierte sind manchmal auch (noch) menschen und freuen sich, wenn sie als solche gesehen werden.

es ist noch zeitig am morgen. die schon zahlreichen besucher wandern gleich in die hauptgebäude, wir besorgen uns schnell zwei audio-guides und drehen zum harem ab, der noch ganz leer ist. wir haben ihn über weite strecken ganz allein für uns.

Der Eingang zu Harem.
Der Hof der schwarzen Eunuchen.

Die weißen Eunuchen waren für die Bewachung des Harems nach außen zuständig, die schwarzen für seine Bewachung nach innen. Auf die Weise hätte sich ein von einem möglicherweise unzureichend kastrierten Eunuchen mit einer Haremsdame gezeugtes Kind durch seine Hautfarbe verrraten.

teile des harems sind wegen restaurierung nicht zu besichtigen, aber weil noch nichts los ist, lassen uns die arbeiter schnell einen kleinen blick werfen und wir machen dies photo:

Der Hof der Frauen durch den Spalt der Bautür photographiert. (Die Bauarbeiter hatten uns die Tür zum schauen offen gehalten, aber photographieren war ihnen zu heikel.)

Rund um diesen Innenhof lebte der größte Teil der mehreren hundert Frauen im Harem. Je höher ihr Status, desto mehr Platz hatten sie und umso dichter war er am Innenhof, also an Luft und Licht. Aber einen Ausblick hatte keine von ihnen. Die niederen Haremsmädchen, die die Sklavinnen der höheren waren, konnten von einem eigenen Bett oder Zimmer nur träumen. Auf den nächtens ausgerollten Matten, auf denen sie schliefen.

was für ein pomp überall. aber mal ehrlich: so ein haremsleben macht ja auch keinen spaß. der audio-guide erzählt davon ein bischen. die sultansmutter trohnte über allem, entschied über wohl und wehe der frauen und mischte sich in die politik des reiches ein. die frauen hatten nichts rechtes zu tun, außer sich in intrigen untereinander und im wetteifern um die gunst des sultans zu üben, kinder auf die welt bringen, sich um ihre kosmetik kümmern und tanzen und singen zu lernen. das ganze unter den augen der eunuchen, die zwar kastriert waren, aber trotzdem viel macht über die frauen hatten.

Gemach der Sultanmutter. Sie hatte wenigstens mal einen Blick nach draußen. Trotzdem sind die Wände mit Naturpanoramen ausgemalt.

Die Sultansmutter, die Sultan Valide, war bisweilen die eigentliche Herrscherin des Reiches und trotzdem noch eine Sklavin in einem goldenen Käfig. Dass ihr Raum komplett mit Naturpanaoramen ausgemalt ist, läßt erahnen, was diese Frauen für eine Sehnsucht nach den für sie unerreichbaren Freuden eines Spaziergangs an einem Bach entlang hatten.

Das “Wohnzimmer” des Sultans. Er saß auf dem Sofa unter dem Baldachin rechts, während die Haremsmädchen ihn mit Gesang und Tanz auf der Empore links unterhielten.
Spiegelblick im Sultanswohnzimmer. Die Kacheln stammen aus holländischer Produktion.
FOTO: Der Hof der Favoritinnen, die nicht nur jede eigne Räumlichkeiten und Sklavinnen zur Bedienung hatten.
Vor allem hatten die Favoritinnen einen Auslick.

Der Hof der Favoritinnen war eigentlich ein breiter Balkon. Über einen darunterliegenden Wasserbasin, einen kleinen Park und einer unüberwindlichen Mauer konnten sie das goldene Horn und einen Teil der Stadt sehen.

Im obigen Bild, sieht man links oberhalb der Säulen den “Käfig” in dem die Söhne, die die Favoritinnen dem Sultan geboren hatten, lebten. Damit sie nicht von den Konkurrentinnen ihrer Mütter umgebracht wurden, lebten sie als Gefangene in diesem streng abgeschirmten Bereich des Harems. Erst beim Tod des Vaters oder gegebenenfalls Halbbruders, wurde einer von ihnen von einem Tag auf den anderen vom Gefangenen zum Herrscher des Harems und des Reiches.

Die Goldene Gasse.

Die Goldene Gasse führte vom Hof der Frauen, durch von den schwarzen Eunuchen bewachte Tore, an den Gemächern der Sultan Valide der Favouritinnen vorbei zu den Schlafgemächern des Sultans. War ein normales Mädchen des Harems auserwählt worden, für die Nacht dem Sultan beizuwohnen, so ging sie durch diesen Gang in seine Gemächer. Es war ihre einzige einmalige Chance zur Favoritin und potentiellen Sultansmutter aufzusteigen. Für Sultansmutter die Favoritinnen, an denen sie vorbei mußte, war sie somit eine potentielle Konkurrentin. Es muß bei aller Pracht ein Spießrutenlaufen gewesen sein.

dass diese räume die mutter aller haremsphantasien sind, ist leicht vorstellbar. leider war ausgerechnet der hamam wegen restaurierung geschlossen. auf den waren wir richtig neugierig.

Als wir den Harem, den wir immer noch fast für uns alleine haben (ein paar Haremswächter passen ja ganz gut ins Setting) verlassen, treffen wir auf den Besucherstrom. Die Allermeisten sehen sich den Harem gar nicht an, da man dafür extra zahlen muß.

Im zweiten Hof des des Palastes, bewundert bina die riesige Palastküche, Michel drei Haare aus dem Barte des Propheten und beide schieben sich mit hunderten anderer am Diwan des Großwesirs vorbei.

leider haben sie aus den palastküchen ausstellungsräume für chinesisches porzellan gemacht, welches im palast benutzt wurde. das enttäuscht wirklich! die küchen wären wirklich spannend gewesen.

Das Tor der Glücksseeligkeit zwischen dem zweiten und dem dritten Hof des Palastes.
Der vierte Bereich des Palastes, der kein Hof ist, sondern eine goßzügige Terasse mit Brunnen, Parks, verschiedenen Kiosken und einem großartigen Blick über das Goldene Horn und den Bosporus.
Durch das vergitterte Fenster, konnte die erste Favoritin und nur sie, in den vierten Bereich sehen, den Privatbereich des Sultans. – Hier wurden Eifersucht und Intrige wirklich zur Wissenschaft und Kunstform erhoben.
Die Kuppel des Bagdadkiosks.
Eine der vier Sitzecken des Bagdadkiosks.
Am Rande der Sitzecke. Man beachte die Intarsien.
Der Sultansblick über den Bosporus.

Wir verbringen den gesamten Vormittag im Palast und vor allem dem Harem. Beim Mittagsimbiss mache ich diesen Schnappschuß.

In Diyarbakir/Amed sind ein Dutzend dieser mobilen Schießscharten fester Bestandteil jedes der vielen Polizei- und Armeecheckpoints.

Anschließend gehen wir noch in das kleine Museum über islamische Naturwissenschaft. Dass sie in der islamischen Welt auf den Gebieten der Medizin, der Astronomie, der Strahlenoptik, der Geographie und der sphärischen Geometrie einiges leisteten, während das christliche Europa im dunklen Mittelalter versank, ist ja bekannt. Aber wirklich umgehauen hat mich dieses Gerät:

Der Gerät! Die dampfgetriebene Dönerdrehmaschine, eine Erfindung von Taqiyaddin aus dem Jahre 1546. Man muß Klischees auch mal bestätigen können!

Am frühen Abend machen wir uns auf Richtung griechischen Grenze und sind froh, als wir nach etwa anderthalb Stunden aus dem Istanbuler Stadtverkehr raus sind.

Raus aus der Türkei & Fazit

Di/Mi 05./6. Apr 2018

die nacht haben wir hinter einem kleinen dorf einige Dutzen Kilometer vor der türkisch-griechischen grenze auf einer wiese neben dem feldweg verbracht.

Ein schönes Plätzchen zum Übernachten, aber….

wie man doch feuchte wiese, ein bischen feuchten matsch und eine wirklich geringfügige steigung unterschätzen kann. wir frühstücken in aller ruhe und machen bulli grenztauglich. das heißt, daß alles verräterische, wie computer, bücher, schriftliches material (binas notizbuch z.b.), kurdische halstücher in der grube verschwinden und türkischer sowie griechischer reiseführer und landkarten offen deponiert werden. voller vorfreude, es bald nach griechenland geschafft zu haben, starten wir bulli und der kleine scheitert am rutschigen und nicht sehr steilen untergrund. zum glück kommt ein trecker aus dem dorf auf seinem weg zur feldarbeit des weges und zieht bulli netterweise auf den feldweg. wir bedanken uns mit einer großen packung helva (einer art marzipan) und fahren durch das dorf zurück zur grenze.

Michel verstaut all unsere Kontrabande in der Grube, ohne das ganze Bett auseinander zu nehmen.
Zum zweiten Mal auf dieser Reise muß uns ein Trecker helfen.
Ein Plakat im Dorf. So wirbt die türkische Armee für ihren Afrin-Einsatz.

dann ist endlich der grenzfluß nach griechenland in sicht. wir haben ein bischen bauchgrimmen und werden ganz still. was jetzt wohl auf uns zukommt? werden die soldaten bulli durchsuchen? und wie genau? müssen wir detaillierte fragen beantworten? was ist, wenn beim einlesen der pässe doch offenbar wird, wo wir waren? schließlich wurden die ausweise regelmäßig gescannt und photographiert.

es passiert…nichts! die pässe werden gescannt, mit unseren gesichtern abgeglichen, die sonnig aus dem auto heraus den grenzer anlächeln, sie kriegen ihren ausreisestempel und wir dürfen weiterfahren. ein weiterer posten scannt sie ebenfalls und will auch die autopapiere sehen. ein dritter posten scannt die ausweise zum dritten mal in einen computer ein und wünscht uns eine gute fahrt. wir sagen fröhlich auf wiedersehen, sind schnell durch den griechischen teil der grenze hindurch und können aufatmen. keine durchsuchung, keine fragen. europa hat uns wieder!

Puh sind wir erleichtert. Auf der Mitte der Brücke über den Grenzfluß, gleich hinter den ersten griechischen Soldaten johlen, hupen und lachen wir befreit los.

im nächsten ort holt michel schnell euros und wir fahren richtung süden nach glyfa, um von dort mit der fähre nach evvia überzusetzen. dort gibt es thermalquellen, wo wir uns ein paar tage niederlassen und den blog aktualisieren wollen. die letzte fähre in glyfa ist schon weg. egal, übernachten wir eben am hafen. im noch offenen cafe gibt es erst mal einen kaffee. die wirtin schenkt uns zwei leckere croissants dazu und es macht spaß, von ihr die ersten neuen griechischvokabeln zu lernen. und dann feiern wir mit viel bier, was wir noch in der türkei gekauft haben, in gesellschaft der straßenhunde und  telefonaten mit michels eltern und mit s…, unserem trauzeugen und besten freund, das glückliche ende einer aufregenden zeit.

Die mehreren hundert Kilometer von der türkischen-griechischen Grenze, über Thessaloniki, am Olymp vorbei bis zum Nordende von Evvia fahren wir in einem Rutsch durch.

Der Olymp hat noch ernsthaften Schnee auf dem Kopf. Was für eine schöne Begrüßung in Europa.
Ein zufriedener Dorfhund in Glyfa, der sich grad seine Schmuseeinheit abgeholt hat und uns noch ein bischen Gesellschaft leistet, während Michel mit S… telephoniert.
Frühstück am nächsten Morgen. Hinter dem Bulli warten noch zwei weitere Hunde auf Brot und ein Stückchen Käse.
Wieder mal Bulli auf einer Fähre mit einem letzten Blick auf Glyfa.
Ein Plakat auf der Fähre klärt über Meeresverschmutzung durch Müll, vor allem Plastikmüll, auf.

Unser Fazit zur Türkei unter Erdogan:
Kein Appeacement!

Die politische Agenda Erdogans und der AKP verbindet Islamisierung und Nationalismus zu einem Amalgam, das sowohl für alle Demokraten und Laizisten, die religiösen und ethnischen Minderheiten im Land als auch für alle kleineren Länder im näheren Umfeld der Türkei hochgradig gefährlich ist. Der Begriff Neo-Osmanismus beschreibt es absolut richtig. Es geht darum, das Osmanische Reich in religiöser und territorialer Hinsicht so weit wie möglich wieder herzustellen. Mit Erdogan als Quasi-Sultan.

Zur Lage innerhalb des türkischen Staatsgebiets, insbesondere im türkischen Teil Kurdistans haben wir hier ja einiges geschrieben. Aber Erdogan ist offensichtlich auch auf territoriale Expansion aus. Sein aktueller Schritt scheint es zu sein, im Norden Syriens und des Irak türkische Protektorate nach dem Vorbild Nordzyperns zu errichten und in der Ägäis beansprucht er unbewohnte griechische Inseln für die Türkei.

Wir glauben, dass Nachgeben das Falscheste ist, was man gegenüber Erdogan machen kann. Sobald die Demokraten, Laizisten, Kurden, Griechen oder die EU einen Schritt zurückweichen, setzt Erdogan nach und fordert mehr. Appeacement wirkt bei ihm nicht. Man muß klare Kante zeigen. Keine Waffen, kein Geld, keinerlei Deals für ihn. Dafür jede Unterstützung für die freie Presse und die mutigen Journalisten in seinem Land. Unterstützung für die Autonomie- und Demokratiebestrebung der Kurden. Entsendung von Wahlbeobachternzu den nächsten Wahlen in der Türkei.

Unserer Beobachtung und Meinung nach steuert die Türkei geradewegs auf eine platzende Immobilienblase, Wirtschaftskrise und Inflation zu. Die Anzahl staatlich finanzierter Baustellen hat eine Dimension angenommen, die möglicherweise fast alleine zu einer Überschuldung führen kann. Die Folge davon könnte einerseits eine Entzauberung Erdogans und der AKP sein. Andererseites könnte es dazu führen, dass die türkische Regierung ihre Rettung vor unlösbaren innenpolitischen und wirtschaftlichen Problemen in außenpolitischen Abenteuern, insbesondere in Kriegen, sucht.

Zum weiteren Nachlesen empfehlen wir das Themenheft Türkei des von der Bundeszentrale für politische Bildung Magazins ApuZ (Aus Politik und Zeitgeschichte) vom Februar 2017, aus dem ich in diesem Blog auch öfters zitiert habe.

Hier als PDF zum runterladen: apuz-türkei