Cizre, Grenze, Nusaybin

So/Mo 25./26. Mrz. 2018

Nach Befragung mehrerer Einheimischer und reiflicher Überlegung, beschließen wir, es zu riskieren und nach Cizre und von dort aus entlang der türkisch-syrischen Grenze nach Nusaybin zu fahren.

wir haben wirklich lange hin und her überlegt, uns gefragt: sind wir noch verrückt oder schon wahnsinnig. aber dann siegt die neugier und bei mir auch das gefühl, feige zu sein, wenn wir diese möglichkeit nicht wahrnehmen würden. all die menschen in diyarbakir/amed riskieren tag für tag ins gefängnis zu wandern, indem sie sich für ihre landsleute einsetzen und gegen die vernichtung ihrer kultur und indentität kämpfen. da werden wir es ja wohl auf die offizielle straße an der grenze nach syrien wagen! so locker-flockig, wie wir letztes jahr bei antiochia an den grenzübergang gefahren sind und lustig fotos gemacht haben, sind wir jetzt nicht mehr unterwegs. die 24-stunden-notfalltelefonnummer der deutschen botschaft ist im handy eingespeichert und im notizbuch notiert.

Doch erstmal stecken wir im Stau.
Die jungen Lämmer werden in den Seitentaschen der Esel getragen.

Cizre: Phosphorbomben auf Zivilsten

Zwar gibt es an jedem Ortseingang Kontrollposten mit Panzern, Sandsäcken, verbunkertem Kontainern, Schießscharten und Soldaten mit Kalaschnikow im Anschlag, an denen Autos rausgewunken werden. Doch normalerweise werden wir als Freaks einfach durchgewunken. Der Kontrollposten am Ortseingang von Cizre ist deutlich solider und es wird offensichtlich wirklich jeder kontrolliert. Was insofern erklärlich ist, als Cizre wirklich direkt an der türkisch-syrischen Grenze liegt und die türkische Armee im Städtekrieg 2015/16 hier besonders heftig gewütet hat.

Zum Glück haben wir einen Anhalter mitgenommen, den wir am Kreisverkehr vor dem Checkpoint rauslassen. So haben wir kurz Zeit, die Situation einzuschätzen. Da wir keine glaubwürdige Touristenstory haben, warum wir nach Cizre wollen, entscheiden wir uns für die Umgehungsstraße.

Cizre mit dem Zoom von der Umgehungsstraße aus gesehen.

Von der Umgehungsstraße ist das Einzige, was einem an Cizre auffällt die selbst für hiesige Verhältnisse ernome Anzahl von Neubauten, die Bautätigkeit und das absolute Fehlen einer wie auch immer gearteten Altstadt.

Im von der Bundeszentrale für politische Bildung herausgegebenen Magazin “Aus Politik und Zeitgeschichte “ von 27. Februar 2017 (also kaum ein Jahr alt) steht dazu:

“Bis heute verweigert die Regierung Menschenrechts- und Nichtregierungsorganisationen sowie dem Büro des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Menschenrechte den Zugang in die von Ausgangssperren und Sperrzonen betroffenen mehr als 20 Städte, um Menschenrechtsverletzungen bei Militäraktionen nachzugehen. Ungeklärt sind vor allem die schweren Vorfälle in Cizre während der Ausganssperre zwischen Dezember 2015 und März 2016. Nach Augenzeugenberichten sollen mehr als 100 Menschen – darunter Zivilisten und verletzte Kämpfer – von Sicherheitskräften bei lebendigerm Leib in Häuserkellern verbrannt worden sein, wo sie sich verschanzt hatten. Human Rights Watch dokumentierte die Tötung von acht Zivilisten in Cizre als widerrechtliche Tötungen durch Sicherheitskräfte, darunter ein 11- und ein 13-jähriges Kind und ein drei Monate altes Baby.”

Grenze: Deutschland finanziert Mauertote

Als wir am Ende der Umgehungsstraße auf die Straße nach Nusaybin und Mardin einbiegen kommt der nächste Kontrollposten. Aber hier sind sie entspannter. Vermutlich, weil sie glauben auf der Strecke weniger zu verbergen zu haben. Unsere Geschichte, dass wir zwei Freaks auf Weltreise sind, uns das berühmte Kloster bei Midyat angesehen haben und nun zum noch berühmteren Mardin wollen, wird geglaubt. – In sowas sind wir inzwischen ziemlich gut.

Die Straße führt unmittelbar an der türkisch-syrische Grenze entlang. Hinter der Mauer liegt Rojava, der kurdische Teil Syriens.

Wir sind stark an die ehemalige innerdeutsche Grenze erinnert. Eine hunderte Kilometer lange Mauer, Wärmebildkameras, Hinterlandzaun, Wachposten und Schießbefehl. Nach Angaben der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte starben von September bis März mindestens 42 Menschen bei dem Versuch, denn Grenzwall zu überwinden.

Das Ganze wurde von uns, Deutschland und der Europäischen Union, mit bezahlt. Laut dem Magazin “Der Spiegel” vom 24. März diesen Jahres haben wir der türkischen Regierung für über 80 Millonen Euro Überwachungstechnologie geliefert. Außerdem haben wir gepanzerte Militärfahrzeuge für 35,6 Millionen Euro (im “Spiegel” steht Milliarden, was wir für einen Druckfehler halten) bei der türkischen Firma OTOKAR und für 30 Millionen bei der türkischen Rüstungskonzern Aselan in Auftrag gegeben. (Wir fördern also noch nicht einmal unsere eigene Rüstungsindustrie, sondern die der Türkei!) Und wo wir schon dabei waren, schenkten wir Erdogan noch sechs niederländische Patrouillenboote für 18 Millionen Euro.

Der Spiegel kommentiert dies: “Es sterben nun weniger Menschen in der Ägäis, wo die Zahl der Bootsüberfahrten nach Griechenland nach Abschluß des Deals zurückgegangen ist. Sie sterben an der türkisch-syrischen Grenze”

Überwältigend weite Landschaft.
Ölförderung auf kurdisch-syrischem Gebiet. – Herr Inspektor, wir haben ein Motiv.

Verlassene Dörfer

Über die Hälfte der Dörfer, auf der türkischen Seite der Grenze sehen, sind verlassen. Eines davon sehen wir uns genauer an.

Verlassenes Dorf.
Traditionelle Lehmbauweise im verlassenen Dorf.

Die Häuser stehen offensichtlich schon länger leer. Aber warum? Normale Landflucht? Wir wissen, dass die Türkei in den 80er und 90er Jahren viele Döfer evakuiert hat, um die PKK zu bekämpfen, indem sie ihr die unterstützende Bevölkerung entzieht. Das ist eine klassische Methode der Guerrillabekämpfung: Da die Guerrilla sich, wie Che Guevara sagt, im Volk bewegt, wie der Fisch im Wasser, muß man das Wasser ablassen. Dann zappelt der Fisch auf dem Trockenen. – Risiken und Nebenwirkungen? Die tragen die Menschen, nicht das Militär. – Wir fragen uns, ob das hier ein Teil der betreffenden Dörfer ist?

Trotz allem: Die Landschaft ist herrlich,…

Nusaybin

Am Ortseingang von Nusaybin gibt es die gründlichste Kontrolle, die wir bisher auf dieser Fahrt erlebt haben. Nachdem die Typen vom Checkpoint die Daten unserer Personalausweise per Funk durchgegeben haben, eilen sogar extra irgendwelche Spezialisten herbei. Geheimdienst? Ausländerpolizei? Keine Ahnung. Auf jeden Fall serviert uns die Chekpointbesatzung Tee, während wir warten. Sie sind halt doch Türken und somit eigentlich supernette, gastfreundliche Kerle. Die Spezialisten lassen sich das Auto so gründlich zeigen wie kein anderer vor oder nach ihnen. Doch auch sie gehen nach Lehrbuch und Schema-F vor: Kofferraum aufmachen, Rückbank hochklappen und so weiter. Das Entscheidende übersehen sie aber, genau wie alle anderen: Zwischen Rückbank und Kofferraum (also dem Schrank hinten am Bulli) befindet sich unter unserem Bettzeug die sogenannte “Grube”, die so groß ist, dass wir problemlos einen Menschen schmuggeln könnten und in der wir alles Wichtige und Verdächtige verstaut haben. Vom Laptop, über Literatur, bis zu Tüchern in kurdisch-rot-gelb-grün.

Nusaybin. Man beachte die türkisch-syrische Grenze und die gleichmäßig grauen Flächen rechts oben und links unten.

Nusaybin ragt wie eine Nase nach Syrien hinein und ist im Städtekrieg 2015/16 sehr schwer beschädigt worden. Auf dem Satellitenbild von Google-Maps sieht man oben rechts und unten links graue Bereiche, wo Google-Maps zwar Straßen einzeichnet, aber keine Straßen und Häuser sind. Diese Stadtviertel wurden im Städtekrieg 2015/16 von Panzern, schwerer Artillerie und Bomben wortwörtlich ausradiert.

Auf dem Basar sind wir, nachdem wir Halstücher für Damen gekauft haben, zum Tee eingeladen.
Quirliges Leben im noch stehenden Teil der Stadt.
Augenschmaus: Kurdischer Kaffe ist ein Genuß für alle Sinne.
Private Einladung zum Abendessen.

Wobei Einladung das falsche Wort ist. Sie hatten uns eine Falle gestellt! Nachdem die Einladung unserer Stellplatznachbarn zum Abendessen zwar höflich aber klar, eindeutig und wiederholt ausgeschlagen haben, laden sie uns zum Tee ein. Das können wir nicht ausschlagen, ohne ihre Ehre als Gastgeber zu verletzen. Also nehmen wir an. Doch sobald sie uns ins Haus gelockt haben, setzen sie uns das Abendessen vor.

Es gibt noch schönere Bilder von diesem Abend, auf dem auch unsere Gastgeber zu sehen sind. Aber wie bei all den anderen schönen, persönlichen Begegnungen in Kurdistan gilt: Um unsere Gastgeber in noch größere Gefahr zu bringen, als sie sich ohnehin schon begeben, indem sie uns eingeladen haben, verzichten wir darauf, Bilder von ihnen hochzuladen. – Und, ja, es reicht in diesem Land aus, Ausländer zu sich nach Hause eingeladen zu haben, um von der Polizei die Tür eingetreten zu bekommen.

Ein Frühstück, dass sich die Tische biegen.

Da wir unsere Chancen, im oder vorm Bulli zu frühstücken ohne von irgendwelchen Nachbarn eingeladen zu werden, auf 0% einschätzen, gehen wir zum Frühstück in ein Cafe direkt an der Grenze. Als das Frühstück aufgetragen wird, denken wir erst, es habe ein Mißverständnis bei er Bestellung gegeben. Aber nein, das ist hier tatsächlich ein Frühstück für zwei. Inklusive mehrer kurdischer Kaffees, Tees und Trinkgeld zahlen wir am Ende gerade einmal umgerechnet 10€.

Blick über den teilweise abgefressenen Frühstückstisch auf die Grenze und Syrien.

Bitte vergrößert das Bild mal durch draufklicken: Oberhalb der Ketchupflasche sieht man im Hintergrund einen Radpanzer vor einer Mauer. Das ist die Grenze, dahinter ist Syrien. Rechts neben binas Schulter sieht man oberhalb des Autos einen türkischen Wachturm.

Die alte aramäische Kirche von Nusaybin.
Die Krypta mit dem Grab des Heiligen Jakob.
Der provisorische Altar rührt uns durch seine Schlichtheit mehr an als der größte und eindrucksvollste Dom.
Reste einer Barrikade aus dem Städtekrieg vor zwei Jahren.

es berührt immer wieder, wie sehr sich die leute freuen, uns zu sehen. in diyarbakir/amed war das schon auffällig, aber da waren wir auch in offizieller mission unterwegs. hier in nusaybin wissen wir uns gar nicht zu retten. wir werden nie belagert oder bedrängt, wir werden auch nicht mit offenem mund angestarrt. aber die augen, die die unseren treffen beim vorübergehen auf der straße, leuchten und der mund zeigt ein ehrliches lächeln. in einer winzigen drogerie, nur ein paar quadratmeter groß, die erstaunlicherweise voller männer ist, will ich nur meinen gewohnten deostift kaufen. ich muß mir erst mal ein paar lustige sprüche anhören, die ich nicht verstehe (aber ich verstehe das fröhliche gelächter) und mir eine wohl ausgesuchte parfümprobe auf die arme sprühen lassen. michel, der draußen wartet, kann sich nur mit mühe gegen das parfüm wehren, das für ihn ausgesucht wurde. noch tagelang hab ich das parfüm an meinem kleid und erinnert mich an die leute

beim frühstück spricht die bediehnung michel mit ‘brother’ an und es kommen leute vorbei, die uns einfach nur guten tag sagen wollen und uns dann aber wieder in ruhe essen lassen. als wir uns verabschieden, bekommen wir einen alten stadtplan von nusaybin geschenkt und alberne sonnenschirme an einem stirnband. letztere brauchen wir nun wirklich nicht, aber die geste ist bezaubernd

aber als wir in sichtweite der mauer in einem kleinen park spazieren gehen und offentsichtliich zu lange stehen bleiben, um zu schauen, schreit uns einer der soldaten von einem wachturm an, daß wir weiter gehen sollen.

Mardin

Mo. 26. Mrz. 2018

wir fahren immer an der mauer (an der grenze) entlang nach mardin. ein wachposten folgt dem nächsten. jeder ist besetzt. wer mit dem auto anhält, macht sich verdächtig.

Auf der anderen Seite ist Syrien. Dort liegt Rojava.
Straßenverengung vor einem der Militärforts. Das Fort liegt rechts von der Straße.

wohlgemerkt: diese fotos zu machen ist nicht ungefährlich. die türkische armee versteht mit dem photographieren ihrer militäranlagen keinen spaß. hätten sie uns mit diesen (und anderen) bildern erwischt, wären wir für vermutlich wegen spionage im gefängnis gelandet. grade deshalb zeigen wir sie im blog immer wieder. so sieht es aus an der türkisch-syrischen grenze. ein zaun nach dem anderen, die mauer, ein geharkter sandstreifen, damit man fußspuren sehen kann, besetzte wachposten, radpanzer, dann wieder ein zaun und gelände, das nicht betreten werden darf und irgendwann dann die straße.

ungefähr alle 5-10km hat die armee forts eingerichtet. der verkehr wird auf die gegenfahrbahn umgeleitet, damit platz ist für betonwände, um das fort vor anschlägen zu schützen. oft stehen auch da radpanzer davor, vielleicht auch noch ein wasserwerfer. dann fahren wir möglichst ruhig in gleichmäßigem tempo daran vorbei. bloß kein aufsehen erregen.

nach den gefährlichen bildern machen wir immer sofort ein paar harmlose, die wir bei kontrollen zeigen können, wenn das verlangt wird.

Auf dem Weg nach Mardin.
Die Stadt windet sich um den halben Berg herum.

wir stellen bulli am straßenrand ab, um in einem vorort mardins obiges foto zu machen. währenddessen schaut eine gruppe frauen mit kindern sehr neugierig in den bulli hinein. ich denke mir: sei mal nett, zeig ihnen unseren kleinen, so einen bus haben sie bestimmt noch nie gesehen und mache die seitentür auf. aber sie interessieren sich nicht für bullis innenleben, sie fragen ‘mardin, mardin?’ und steigen alle miteinander ein. die erwachsenen quetschen sich auf die bank, die kinder davor, tüten und taschen irgendwie dazwischen. oben in der stadt rufen sie irgendwas, weil sie aussteigen wollen. wir machen noch fotos und sie verschwinden in ihren häusern, vor denen ihre männer sitzen und ungläubig schauen, mit was für einem gefährt ihre frauen zurück kommen.

Bulli als Taxi. Wir nehmen oft Anhalter mit. Aber so voll und so lustig war es im Bulli noch nie!

mardin ist eine herrlich lebendige kleinstadt. ausnahmsweise noch intakt, denn sie wurde beim städtekrieg nicht bombardiert. menschen unterschiedlichster kulturen und religionen leben hier und es macht spaß, durch die gassen zu bummeln.

Dieser Junge wollte unbedingt mit aufs Bild. Meist fragen wir, wenn wir jemanden photographieren möchten. Selten hören wir ein Nein.
Eine Gasse in Mardins Altstadt
Der Blick über die mesopotamische Ebene von der Dachterrasse eines Cafes reicht bis weit nach Syrien hinein.
Ein Radpanzer mitten in der Stadt. Für die Leute hier ein ganz alltäglicher Anblick.

Im für hiesige Verhältnisse touristischen Mardin und aus der sicheren Entfernung der Dachterrasse trauen wir uns einen der Panzer zu photographieren, die hier im Straßenbild so normal sind.

auffällig ist, wie oft wir auf der reise hochzeitspaaren beim photos machen treffen. die braut wie eine buttercremetorte, der bräutigam wie ein gentleman gekleidet. ein ganzes team von maskenbildnerin, helfern, die sich um licht, accessoires und kameras schleppen kümmern. vielleicht eine brautjungfer, die brautstrauß oder schleppe trägt und assistiert.

‘Making of Hochzeitsbild’ auf der Treppe der Post von Mardin, einem sehr sehenswerten Gebäude.
Michel im Innenhof der vermutlich schönsten Post Nordkurdistans.
Die Haupattraktion Mardins ist der Basar in den Altstadtgassen.
Ein wunderschönes Minarett, das man schon unten von der Ebene aus sehen kann.

Durchs zivilisierte Kurdistan

Natürlich hatten wir, als wir nach Kurdistan fuhren Karl Mays Buchtitel “Durchs wilde Kurdistan” im Ohr. Erstaunlich wie sehr dieser Titel irrt. Nicht durchs wilde, nein, durchs zivilisierte Kurdistan fahren wir.

Die Kurden haben drei Sprachen, die zwar dem Arabischen, Griechischen und sogar entfernt dem indogermanischen Deutschen verwandt sind, nicht jedoch dem Türkischen, dessen Wurzeln viel weiter östlich liegen.Sie beherbergen viele alte Kulturen und Religionen. Die christlich aramäische und armenische, die jesidische und die muslimische, und überhaupt die traditionen des alten Mesopotamien. Die Kurden sind stolz, als Volk all diese Kulturen und Religionen zu beherbergen. – So habe ich bei mehreren muslimische Kurden Kreuze oder einen Anhänger gesehen, den ich von einem jesidischen Kollegen kenne. Ein Wesen halb Mensch, halb Vogel. Auf Nachfrage, warum sie ihn tragen: Weil wir stolz sind, dass sie zu uns gehören! – Eine tolle Einstellung!

ja, sie sind stolz! das ist es, was ich in ihren gesichtern lese. eine angenehme art stolz. nicht arrogant oder überheblich. sie strahlen aus, daß sie rückgrad haben. kein wunder nach all dem, was ihnen widerfahren ist und noch widerfährt. sie haben trotz alledem auch das lachen nicht verlernt.

Die kurdische Gastfreundschaft ist überwältigend. Selbst nach Maßstäben des Nahen Ostens. Nicht einmal unsere Erlebnisse bei den Palästinensern reichen an das heran, was wir hier erleben. Wir werden förmlich durchs Land getragen. Jede Türe, an die wir klopfen, öffnet sich. Jede Hilfe, die wir brauche könnten, wird uns angeboten. Wenn nötig und möglich wird jemand herbeigeholt, der Englisch oder Deutsch spricht. – Und ist es nicht möglich, so wird es möglich gemacht!

wir haben eine große freigiebigkeit erlebt. ich habe mir sehr schnell abgewöhnt, einer frau ein kompliment zu machen, weil ihr z.b. der ohrring mit den federn so gut stand, oder die haarspange toll zu ihren haaren paßte. weil in solchen fällen wollten sie mir das stück sofort schenken. ich habe mich in beiden oben genannten fällen nur schwer wehren können. zum glück habe ich keine ohrlöcher und die haarspange stand IHR gut, wüder sich aber in meinen haaren verlieren.

Zu den Punkten Gleichberechtigung, Organisationsfähigkeit, Zuverlässigkeit und Demokratie haben wir ja schon einiges geschrieben.

Und was Gesprächsthemen angeht, nur ein Beispiel: Wenn Türken uns auf einen berühmten Deutschen ansprechen, dann auf Hitler. Am Besten mit dem Hinweis, dass wir stolz auf ihn sein sollten, weil Deutschland groß gemacht habe, genau wie es Erdogan mit der Türkei mache. (Das ist uns tatsächlich mehr als einmal passiert.) Von Kurden wurden wir tatsächlich kein einziges Mal auf Hitler angesprochen. Dafür drei Mal von unterschiedlichen Leuten in völlig unterschiedlichen Situationen auf den Philosophen Kant. Diese Menschen trafen alsozwei Deutsche und wollten tatsächlich als Erstes mit ihnen darüber reden, dass Aufklärung “der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit” ist und den kategorischen Imperativ diskutieren.

Als Letztes sei das Verhalten im Straßenverkehr angeführt: Zwar würden die Kurden mit ihrem Fahrverhalten in Deutschland auch allesamt in kürzester Zeit ihre Führerscheine loswerden. Dennoch fahren sie viel rücksichtsvoller, als alle uns bekannten sie umgebenden Völker. Mit Ausnahme der Zyprioten!

Beobachtungsschniepsel:

  • frauen tragen oft schmuck. sehr viel schmuck. doch trotz der größe der stücke, des glitzern des goldes und der vielzahl an einer einzelnen person, wirkt er nicht aufdringlich. auch die farben der kleider sind zwar leuchtend und kräftig, aber insgesamt nicht schreiend.
  • was wahrer luxus ist: im hotel in diyarbakir/amed fand ich jeden tag ein neues schuhputzschwämmchen für meine verstaubten schuhe im schrank.
  • in diyarbakir/amed sind verkehrsampeln an kreuzungen üblich. aber es gibt nur unregelmäßig auch fußgängerampeln. oder nur für eine straßenhälfte. die fußgänger dürfen dann raten, wann sie gehen dürfen. zum glück halten die autos für fußgänger jederzeit an.
  • aus dem hotel ein tolles rezept für wasser mit natürlichem geschmack: petersilie, pfefferminze, äpfel und gurken grob zerkleinert, halbe zitronen, ganze zimtstangen in leitungswasser ziehen lassen und genießen. LECKER!
  • angesichts der steinigen landschaft habe ich den verdacht, daß strockensteinmauern von kurdischen schaf- oder ziegenhirten erfunden wurden. genauso wie die aufeinander gelegten steintürmchen, die wir überall sahen (nicht nur auf dieser reise , sondern auch auf korsika, in bayern und in irland). das sind bestimmt geduldsspiele zum zeitvertreib während eines langen, einsamen hütetages.
  • die alten häuser in diyarbakir/amed sind aus granitsteinen und wie auf etlichen fotos zu sehen, oft typisch grau-weiß gestreift. die ursprünglichen, teilweise richtig großen jurtenähnlichen nomadenzelte sind aus ziegenhaar gewebt und genau so grau-weiß gestreift. wir haben in einem solchen in hasankeyf am tigris beim tee gesessen.

Sanliurfa

Di. 27. Mrz 2018

Urfa oder Sanliurfa, das heilige Urfa, gilt als die religiöseste Stadt der Türkei. Tatsächlich ist der Anteil der Frauen mit Kopftuch oder gar Gesichtsschleier höher als in der übrigen von uns bereisten Türkei.

Begegnung beim Tanken. Diese Herren fallen hier weniger auf, als wir mit unserem Bulli.
Die Geburtsgrotte Abrahams (der hier Ibrahim genannt wird) in Urfa.

Während an Abrahams (Ibrahims) Grabeshöhle in Hebron nach Religionen und Geschlechtern getrennt gebetet wird, wird an seiner Geburtshöhle nur nach Geschlechtern getrennt gebetet. – Und rund um Abrahams Geburtshöhle ist alles mögliche heilig, Tauben, Karpfen, Teiche und sogar Rosenbeete (in die er gefallen sein soll).

Automat für Futter für die heiligen Tauben.
Die heiligen Tauben haben einen abgesperrten Teil auf dem Platz mit einem kleinen Bächlein zum trinken und baden.
Die heiligen Karpfen. Wer einen ißt, der erblindet – heißt es.

Interessanter als die heiligen Orte finden wir (natürlich) den Basar.

Wirklich absolut typische Auslage eines Kleidungsgeschäftes: Keusches und Züchtiges für tagsüber und oben drüber, Verruchtes und Neckisches für nachts und unten drunter. – Die Auswahl drinnen läßt normalerweise Beate Uhse blass aussehen.
Bina sucht sich in der Schmiedegasse Kaffeekannen für türkischen (griechischen, zypriotischen), arabischen und kurdischen Kaffee aus.
Gegenüber auf der anderen Gassenseite befindet sich die Werkstatt.
An die ausgesuchte Ware wird letzte Hand angelegt.
Michel entdeckt ein Stück die Gasse runter eine Werkstatt, in der gerade Hamamschalen gefertigt werden.
Gegenüber der Werkstatt befindet sich der Laden, wo die Schalen verkauft werden. Er kauft sich zwei.

bei dem menschen, der mir die kannen verkauft, bekomme ich gleich eine einführung in qualitätskunde. schwer müssen die kannen sein. und die kanten oben müssen rund sein. ich soll die kannen auf eine grade fläche stellen, um zu schauen, ob der boden plan ist, der stiel darf nicht wackeln. er zeigt mir auch billigware, um zu demonstrieren, was er meint. in keinem moment habe ich das gefühl, daß er mir das billige zeug ausreden und das teure verkaufen will. 90 türkische lira zahle ich für drei kannen. das sind keine 8€ pro stück. handgemacht und wunderschön. wo kann man sonst den kupferschlägern auf die finger schauen, die das auch gern zulassen und im laden gegenüber handel treiben. ich liebe das und würde am liebsten den hammer in die hand nehmen und mitspielen.

Nach getätigtem Einkauf gehen wir noch einen Tee trinken. Kein Basarbesuch ohne Teetrinken in einer der Karawansereien.

Diese Augen!
Das Teehaus ist eine Männerdomäne.

Wir fahren weiter Richtung Antiochia (Antakya/Hatay).

Im Abendlicht legen wir eine kurze Pause ein und knipsen am Ufer des Euphrat ein Beweisbild, dass wir da waren.