Mi/Do 9./10. Mai 2018
Das peloponnesische Bergdorf Kalavryta ist eine der seelisch eher unangenehmen Stationen unserer Reise, der wir uns aber stellen wollen.

Am 13. Dezember 1943 hat die Wehrmacht in Kalavryta das schlimmste Massaker der deutschen Besatzung in Griechenland während des zweiten Weltkriegs verübt. Als maßlos überzogene “Vergeltung” für den Tod von etwa 80 Wehrmachtssoldaten haben sie alle Männer des Dorfes erschossen, insgesamt 695 Menschen und das ganze Dorf angezündet. Auch die Schule, in der sie Frauen und Kinder eingesperrt hatten! Die Frauen und Kinder konnten allerdings die Türen aufbrechen und dem Feuer entkommen.



die erschossenen männer wurden auf dem erschießungsplatz liegen gelassen. die frauen und ihre kinder sind mit tüchern und decken gekommen und haben ihre männer auf diese weise ins dorf gezogen. das stellt das denkmal dar.
Der Besuch der Gedenkstätte auf dem Erschießungsplatz und des Dokumentationszentrums macht uns tief betroffen. Auch weil es von unserer, also deutscher Seite keinen ernstzunehmenden Versuch der Wiedergutmachung oder Entschädigung gegeben hat. Lediglich 33 griechische Kriegswaisen erhielten eine Berufsausbildung in Deutschland. Das war es. – Schäbig!
Trotz der Betroffenheit haben wir Kritik an dem Gedenken.
Erstens empfinden wir die Bezeichnung des Massakers als “Holocaust” falsch. Ein Massaker ist ein Massaker, was schlimm genug ist. Aber der Holocaust ist der als Verwaltungsmassenmord organisierte Völkermord an den Juden. Durch die Falschbezeichnung wird der Verharmlosung der Verbrechen Nazideutschlands in beiden Fällen Vorschub geleistet.
Die Konzentration auf das Massaker von Kalavryta, ein Name, den in Griechenland jedes Schulkind kennt, verstellt den Blick auf ein weitaus größeres Gräuel: Griechenland wurde von Nazideutschland stärker ausgebeutet als jedes andere (west-?)europäische Land. Die deutsche Kriegsmaschinerie raubte aus dem Land, was zu holen war und noch mehr. So viel, dass es zu Hungersnöten kam. Und während völlig überzogene Racheaktionen für von Partisanen gefangengenommene und dann erschossene eigene Soldaten leider(!) in vielen Kriegen “Normalität” sind, ist es das Verhungernlassen der Bevölkerung zum Glück(!) nicht. Auch wenn es leider(!) vorkommt.
es gibt an der gedenkstätte eine kleine kapelle. die decke hängt voll mit ewigen lichtern, es gibt infohefte und -bücher zum kaufen und kerzen zum anzünden. eine kerze brennt schon, damit man daran seine eigene anzünden kann. ein paar andere stehen angebrannt, aber ausgepustet daneben. natürlich brennen von uns gleich zwei kerzen im ständer. aber als wir zehn minuten später noch mal in die kapelle schauen, sind alle kerzen verschwunden. wir glauben, daß der junge mann, der die ganze zeit herumläuft, aufsicht hält und ein tonbandgerät an- und ausschaltet, aus dem die geschichte des ortes ertönt, die kerzen weggenommen hat. er wird gesehen haben, woher wir kommen und ich kann mich des gedankens nicht erwehren, daß er nicht will, das wir als deutsche der toten gedenken. ich kann es verstehen, wenn an einem solchen ort die einheimischen der meinung sind, daß deutsche besucher besser den mund und die füße still halten. aber ich habe das gefühl, mir wird mit dem fortnehmen der kerze die chance genommen, um entschuldigung zu bitten, mein mitgefühl zu zeigen und mit dem anzünden der kerze und einem gebet zu versuchen, mit der mitschuld als deutsche staatsangehörige fertig zu werden. das macht mich besonders traurig.
Größtenteils schweigend, den Kloß “Kalavryta” im Hals, verlassen wir den Peloponnes.
