Mardin

Mo. 26. Mrz. 2018

wir fahren immer an der mauer (an der grenze) entlang nach mardin. ein wachposten folgt dem nächsten. jeder ist besetzt. wer mit dem auto anhält, macht sich verdächtig.

Auf der anderen Seite ist Syrien. Dort liegt Rojava.
Straßenverengung vor einem der Militärforts. Das Fort liegt rechts von der Straße.

wohlgemerkt: diese fotos zu machen ist nicht ungefährlich. die türkische armee versteht mit dem photographieren ihrer militäranlagen keinen spaß. hätten sie uns mit diesen (und anderen) bildern erwischt, wären wir für vermutlich wegen spionage im gefängnis gelandet. grade deshalb zeigen wir sie im blog immer wieder. so sieht es aus an der türkisch-syrischen grenze. ein zaun nach dem anderen, die mauer, ein geharkter sandstreifen, damit man fußspuren sehen kann, besetzte wachposten, radpanzer, dann wieder ein zaun und gelände, das nicht betreten werden darf und irgendwann dann die straße.

ungefähr alle 5-10km hat die armee forts eingerichtet. der verkehr wird auf die gegenfahrbahn umgeleitet, damit platz ist für betonwände, um das fort vor anschlägen zu schützen. oft stehen auch da radpanzer davor, vielleicht auch noch ein wasserwerfer. dann fahren wir möglichst ruhig in gleichmäßigem tempo daran vorbei. bloß kein aufsehen erregen.

nach den gefährlichen bildern machen wir immer sofort ein paar harmlose, die wir bei kontrollen zeigen können, wenn das verlangt wird.

Auf dem Weg nach Mardin.
Die Stadt windet sich um den halben Berg herum.

wir stellen bulli am straßenrand ab, um in einem vorort mardins obiges foto zu machen. währenddessen schaut eine gruppe frauen mit kindern sehr neugierig in den bulli hinein. ich denke mir: sei mal nett, zeig ihnen unseren kleinen, so einen bus haben sie bestimmt noch nie gesehen und mache die seitentür auf. aber sie interessieren sich nicht für bullis innenleben, sie fragen ‘mardin, mardin?’ und steigen alle miteinander ein. die erwachsenen quetschen sich auf die bank, die kinder davor, tüten und taschen irgendwie dazwischen. oben in der stadt rufen sie irgendwas, weil sie aussteigen wollen. wir machen noch fotos und sie verschwinden in ihren häusern, vor denen ihre männer sitzen und ungläubig schauen, mit was für einem gefährt ihre frauen zurück kommen.

Bulli als Taxi. Wir nehmen oft Anhalter mit. Aber so voll und so lustig war es im Bulli noch nie!

mardin ist eine herrlich lebendige kleinstadt. ausnahmsweise noch intakt, denn sie wurde beim städtekrieg nicht bombardiert. menschen unterschiedlichster kulturen und religionen leben hier und es macht spaß, durch die gassen zu bummeln.

Dieser Junge wollte unbedingt mit aufs Bild. Meist fragen wir, wenn wir jemanden photographieren möchten. Selten hören wir ein Nein.
Eine Gasse in Mardins Altstadt
Der Blick über die mesopotamische Ebene von der Dachterrasse eines Cafes reicht bis weit nach Syrien hinein.
Ein Radpanzer mitten in der Stadt. Für die Leute hier ein ganz alltäglicher Anblick.

Im für hiesige Verhältnisse touristischen Mardin und aus der sicheren Entfernung der Dachterrasse trauen wir uns einen der Panzer zu photographieren, die hier im Straßenbild so normal sind.

auffällig ist, wie oft wir auf der reise hochzeitspaaren beim photos machen treffen. die braut wie eine buttercremetorte, der bräutigam wie ein gentleman gekleidet. ein ganzes team von maskenbildnerin, helfern, die sich um licht, accessoires und kameras schleppen kümmern. vielleicht eine brautjungfer, die brautstrauß oder schleppe trägt und assistiert.

‘Making of Hochzeitsbild’ auf der Treppe der Post von Mardin, einem sehr sehenswerten Gebäude.
Michel im Innenhof der vermutlich schönsten Post Nordkurdistans.
Die Haupattraktion Mardins ist der Basar in den Altstadtgassen.
Ein wunderschönes Minarett, das man schon unten von der Ebene aus sehen kann.

Durchs zivilisierte Kurdistan

Natürlich hatten wir, als wir nach Kurdistan fuhren Karl Mays Buchtitel “Durchs wilde Kurdistan” im Ohr. Erstaunlich wie sehr dieser Titel irrt. Nicht durchs wilde, nein, durchs zivilisierte Kurdistan fahren wir.

Die Kurden haben drei Sprachen, die zwar dem Arabischen, Griechischen und sogar entfernt dem indogermanischen Deutschen verwandt sind, nicht jedoch dem Türkischen, dessen Wurzeln viel weiter östlich liegen.Sie beherbergen viele alte Kulturen und Religionen. Die christlich aramäische und armenische, die jesidische und die muslimische, und überhaupt die traditionen des alten Mesopotamien. Die Kurden sind stolz, als Volk all diese Kulturen und Religionen zu beherbergen. – So habe ich bei mehreren muslimische Kurden Kreuze oder einen Anhänger gesehen, den ich von einem jesidischen Kollegen kenne. Ein Wesen halb Mensch, halb Vogel. Auf Nachfrage, warum sie ihn tragen: Weil wir stolz sind, dass sie zu uns gehören! – Eine tolle Einstellung!

ja, sie sind stolz! das ist es, was ich in ihren gesichtern lese. eine angenehme art stolz. nicht arrogant oder überheblich. sie strahlen aus, daß sie rückgrad haben. kein wunder nach all dem, was ihnen widerfahren ist und noch widerfährt. sie haben trotz alledem auch das lachen nicht verlernt.

Die kurdische Gastfreundschaft ist überwältigend. Selbst nach Maßstäben des Nahen Ostens. Nicht einmal unsere Erlebnisse bei den Palästinensern reichen an das heran, was wir hier erleben. Wir werden förmlich durchs Land getragen. Jede Türe, an die wir klopfen, öffnet sich. Jede Hilfe, die wir brauche könnten, wird uns angeboten. Wenn nötig und möglich wird jemand herbeigeholt, der Englisch oder Deutsch spricht. – Und ist es nicht möglich, so wird es möglich gemacht!

wir haben eine große freigiebigkeit erlebt. ich habe mir sehr schnell abgewöhnt, einer frau ein kompliment zu machen, weil ihr z.b. der ohrring mit den federn so gut stand, oder die haarspange toll zu ihren haaren paßte. weil in solchen fällen wollten sie mir das stück sofort schenken. ich habe mich in beiden oben genannten fällen nur schwer wehren können. zum glück habe ich keine ohrlöcher und die haarspange stand IHR gut, wüder sich aber in meinen haaren verlieren.

Zu den Punkten Gleichberechtigung, Organisationsfähigkeit, Zuverlässigkeit und Demokratie haben wir ja schon einiges geschrieben.

Und was Gesprächsthemen angeht, nur ein Beispiel: Wenn Türken uns auf einen berühmten Deutschen ansprechen, dann auf Hitler. Am Besten mit dem Hinweis, dass wir stolz auf ihn sein sollten, weil Deutschland groß gemacht habe, genau wie es Erdogan mit der Türkei mache. (Das ist uns tatsächlich mehr als einmal passiert.) Von Kurden wurden wir tatsächlich kein einziges Mal auf Hitler angesprochen. Dafür drei Mal von unterschiedlichen Leuten in völlig unterschiedlichen Situationen auf den Philosophen Kant. Diese Menschen trafen alsozwei Deutsche und wollten tatsächlich als Erstes mit ihnen darüber reden, dass Aufklärung “der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit” ist und den kategorischen Imperativ diskutieren.

Als Letztes sei das Verhalten im Straßenverkehr angeführt: Zwar würden die Kurden mit ihrem Fahrverhalten in Deutschland auch allesamt in kürzester Zeit ihre Führerscheine loswerden. Dennoch fahren sie viel rücksichtsvoller, als alle uns bekannten sie umgebenden Völker. Mit Ausnahme der Zyprioten!

Beobachtungsschniepsel:

  • frauen tragen oft schmuck. sehr viel schmuck. doch trotz der größe der stücke, des glitzern des goldes und der vielzahl an einer einzelnen person, wirkt er nicht aufdringlich. auch die farben der kleider sind zwar leuchtend und kräftig, aber insgesamt nicht schreiend.
  • was wahrer luxus ist: im hotel in diyarbakir/amed fand ich jeden tag ein neues schuhputzschwämmchen für meine verstaubten schuhe im schrank.
  • in diyarbakir/amed sind verkehrsampeln an kreuzungen üblich. aber es gibt nur unregelmäßig auch fußgängerampeln. oder nur für eine straßenhälfte. die fußgänger dürfen dann raten, wann sie gehen dürfen. zum glück halten die autos für fußgänger jederzeit an.
  • aus dem hotel ein tolles rezept für wasser mit natürlichem geschmack: petersilie, pfefferminze, äpfel und gurken grob zerkleinert, halbe zitronen, ganze zimtstangen in leitungswasser ziehen lassen und genießen. LECKER!
  • angesichts der steinigen landschaft habe ich den verdacht, daß strockensteinmauern von kurdischen schaf- oder ziegenhirten erfunden wurden. genauso wie die aufeinander gelegten steintürmchen, die wir überall sahen (nicht nur auf dieser reise , sondern auch auf korsika, in bayern und in irland). das sind bestimmt geduldsspiele zum zeitvertreib während eines langen, einsamen hütetages.
  • die alten häuser in diyarbakir/amed sind aus granitsteinen und wie auf etlichen fotos zu sehen, oft typisch grau-weiß gestreift. die ursprünglichen, teilweise richtig großen jurtenähnlichen nomadenzelte sind aus ziegenhaar gewebt und genau so grau-weiß gestreift. wir haben in einem solchen in hasankeyf am tigris beim tee gesessen.