Wieder eine Woche Nikosia

Sa-Fr 10.-16. Feb. 2018

Wir holen unseren Laptop doch erst Samstagfrüh vom PC-Doktor ab und fahren dann nach Nikosia.

endlich! wir haben unseren rechner wieder. es hat weniger gekostet, als wir befürchtet haben und nun erstrahlt er wieder im neuen glanze. sowohl inwendig mit neuer software als auch äußerlich, denn der pc-doctor hat ihn gründlich gereinigt. – danke victor!

nun kann der 2. teil der reise beginnen, denn mittlerweile haben wir das bergfest hinter uns.

wir fahren nach nikosia, stellen bulli in einer beschaulichen straße in der altstadt an der UN-pufferzone ab und gehen in den buchclub, wo es für 5.-€ tagesmitgliedschaft gutes internet und zwei getränke umsonst gibt.  mails beantworten, mal wieder nachrichten online lesen, bilder hochladen und blog schreiben. wir sind wieder da!

Da wir im südlichen, also griechisch kontrollierten Teil Nikosias stehen, bekommen wir diesmal mehr von diesem Teil der Stadt mit. Die südliche Altstadthälfte ist (zumindest abseits der druchkommerzialisierten Ledrastreet) genauso liebenswert verwinkelt und leicht pitoresk heruntergekommen, wie die türkisch kontrollierte Nordhälfte, wie diese Bilder aus dem Süden belegen:

Abendstimmung am Ankunftstag.
Grüne Oasen. Wenn es darum geht, sich die eigene Gasse durch Guerillagardening zu verschönern, haben die Griechen die Nase vorn.
Straßenkatzen sind hier genauso häufig wie im Norden. Es sind auch die selben Katzen. Nein, nicht die Gleichen! Denn sie wanderten schon immer über die Grüne Linie hin und her, wie es ihnen gefällt. Aydin sagte dazu: Die Katzen sind weder griechisch noch türkisch, sie haben ihre eigenen Pässe.
Direkt an der UN-Pufferzone sieht es mal wieder so aus, wie wir uns Havanna vorstellen. Oldtimer und Häuser mit dem Charme des Verfalls.

 

Blick über die UN-Pufferzone. Durch die Bäume sieht man die türkischen Fahnen auf der anderen Seite.

Im Laufe der Woche stellen wir irgendwann Bulli um. Davor stehen wir am östlichen Rand der Altstadt, direkt an der Pufferzone. Danach am westlichen Rand der Altstadt, ebenfalls direkt an der Pufferzone. Und zwar keine 200 Meter von unserem Standplatz im Oktober letzten Jahres entfernt. Damals standen wir am türkischen Checkpoint, diesmal am griechischen Checkpoint des Übergangs Ledrapalace.

Blick aus dem Bulli am neuen Standplatz. Der weiße Turm, ist ein UN-Wachturm in der Pufferzone.
Am Stacheldraht der Spanischen Reiter (vor der Bullischnauze) ist für Zivilisten Schluß. Rechts hinten sieht man den roten Giebel der Villa des Goethe-Instituts, das zwischen den Checkpoints liegt und somit von beiden Seiten unkompliziert zu erreichen ist.

Wir nutzen die Woche, um unseren (diesen) Blog auf Vordermann zu bringen. Seit Mitte Januar hatten wir ja nichts mehr geschrieben. Und wir daddeln und surfen auch mal wieder einfach nur so am Computer rum. – Ja, auch das muß mal sein.

Das “Home for Cooperation”, kurz H4C, liegt am Übergang Ledrapalace in der Un-Pufferzone gegenüber dem UN-Haupqatier im (genau) Hotel Ledrapalace. Hier treffen sich die Friedens- und Versöhnungsinitiativen. Und es hängen auch erstaunlich viele Deutsche hier rum, die beim Gothe-Institut oder der Friedrich-Ebert-Stiftung arbeiten. – Auch einige echt naive PraktikantInnen.
Irgendjemand im H4C macht Solidaritätsarbeit für Lateinamerika. Daher gibt es hier auch Zapatistischen Kaffee zur unterstützung der EZLN zu kaufen. – Prima. Der Nachfolger der guten alten Nica-Dröhnung. Wir decken uns ein!
Der Buchclub “Weaving Mill” ist ein ein tolles Projekt: Tagesmitgliedschaft inclusive zwei Getränke nach Wahl für 5€. Gute Arbeitsatmosphäre. Sonntags trifft sich eine Strickrunde und bringt Kuchen für alle mit. Und abends gibt es manchmal politische Diskussionen, Kino oder so. – Nachahmenswert!

neben computerarbeit in unseren lieblingscafes weavingmill und h4c machen wir auch natürlich auch andere dinge. wir nehmen immer irgendwie andere wege durch die altstadt und kommen oft an netten, spannenden oder kuriosen ecken heraus.

wir besichtigen ein ethnografisches museum im nordteil der altstadt zum leben in einem türkischen haus der oberen gesellschaftsschicht.

Die gute Stube, in der Besuch empfangen wird.

am freitag besuchen wir die moschee im griechischen teil nikosias. wir müssen warten, weil grade gebetszeit ist und nutzen die chance und essen am imbisswagen nebenan einen happen. die falaffel im pita schmecken wunderbar und das gespräch mit weiteren gästen, die aus guatemala kommen und jetzt in nikosia wohnen, ist nett.

die moschee ist wieder mal wunderschön und hat eine wechselvolle geschichte hinter sich.

Paradoxerweise ist diese Moschee im griechischen und somit griechisch orthodoxen Süden der geteilten Hauptstadt zum Freitagsgebet rappelvoll. Während die Moscheen im türkischen und somit islamischen Norden nur mittelmäßig bis schwach besucht sind. Der Grund sind die Gastarbeiter aus dem arabischen Raum, Schwarzafrika und Indonesien im Süden der Insel. Sie sind frommer als türkischen Zyprioten.

Die kleinste Imbissbude mit der besten Falaffel der Stadt. Riecht und schmeckt wie Palästina!
Die Moschee ist voll. Also wird auch vor der Tür gebetet.
Die Moschee war mal eine Kirche. Dem Eingang sieht man die gothische Kathedrale noch an.
Auch von hinten sieht man: Kirchengothik mit angebautem Minarett.

ganz oben auf der liste steht auch ein besuch in unserem hamam. es ist noch recht früh am mittag und wie immer warte ich vor der tür, während michel fragt, ob wir beide reinkommen dürfen. durch den vorhang höre ich einen begeisterungsruf, der nur von dem masseur kommen kann. als ich reinkomme, fällt er mir tatsächlich strahlend um den hals und weiß sich fast nicht zu lassen vor freude. ein anruf bei seinem chef und der gibt sein okay, daß ich mit rein darf. wir werden wieder mal von oben bis unten mit heißem wasser begossen, dann geschrubbt und geseift, durchgeknetet und massiert. der gute mann nimmt sich wirklich jeden körperteil vor. das ist zugegebenermaßen auch bitter nötig.

Interessanterweise gibt es auch im griechischen Teil Nikosias ein Hamam. Es stellt sich aber leider als überteuerter Touristenchichi raus. Sphärenklänge, Düfte, Orientkitsch und Wellnessanwendungen. Nur das Angebot, das gesamte Hamam mit einer Gruppe von bis zu 6 Personen exklusiv für sich zu haben und dann noch Wein, Naschzeug und eine Bauchtänzerin dazu, würde mich reizen. – Ansonsten bleiben wir unserem authentischen, türkischen Hamam treu.

anschließend trinken wir ein bier im hoi polloi, so heißt die queer-kneipe, die wir beim letzten besuch schon so nett fanden.

Das Hoi Polloi: Die queer, anarchisch, antimilitaristische Oase in türkischen Teil Nikosias.

wir kommen mit ni… und na… ins gespräch. ni…ist so etwas wie heilkräutertherapeutin, ich habs auch nicht ganz verstanden. sie hat das hoi polloi mit gegründet und arbeitet dort nebenbei. sie kommt aus der türkei, ist aber der liebe wegen nach zypern gekommen. na…macht irgendwas mit design und ist zyperntürkin. es entspinnt sich ein spannender dialog über den zypernkonflikt. beide sind der meinung, daß nun langsam mal gut sein muß mit diesem grenzkram und sie sind genervt von der UN, weil die das friedliche leben behindern. ni… wohnt ziemlich dicht an der buffer-zone und hat in ihrem hinterhof oft drohnen der UN fliegen, von denen sie sich gestört, weil beobachtet fühlt.

andererseits sagt auch na…, daß sie froh ist, daß das türkische militär da ist, sie wüßte nicht, was sonst die griechen machen würden. aber das ist es ja grade! solange sie diese denke nicht abstellt, wird das nichts. es gibt demnächst einen umzug von griechen und türken über die grenzen hinweg. da wollen wir unbedingt dabei sein.

ich diskutiere mit ni… die anwendung von heilkräutern bei schwerstkranken anstelle von chemischen arzneien. nein, ich bleibe dabei: heilkräuter sind gut und hilfreich. aber bei manchen diagnosen, wie krebs z.b., können sie höchstens eine unterstützende rolle spielen. da darf es dann gerne die chemo-therapie-keule sein. ich bin auch froh, daß ich für meine diabetiker insulin habe und nicht auf die wiese gehen muß, um kräuter zu suchen. aber um jemandem die zur heilung nötige nachtruhe zu verschaffen, ist ein becher baldriantee mit kamille bestimmt besser, als irgendwelche schlafmittel.

dann gibt es noch zwei runden zypriotischen schnaps. Zivania (gespr. siwana) heißt der, schmeckt wie grappa und wird auch aus traubentrester gemacht. aber vorsicht. er ist sehr lecker und hat es in sich! Wir haben ihn sowohl im türkischen teil, als auch in griechischen läden gefunden. Noch etwas, was beide seiten gemeinsam haben.

aydin und konstantinos von cyclists across barriers liefen uns auch zwischendrin vor dem h4c über den weg. wie schön, die beiden gesund und munter wieder zu sehen. hoffentlich klappt es mit einem treffen, daß wir in aller ruhe von israel/palästina berichten können.

Thematisch passendes Stencil im griechischen Teil der Stadt. “Enosis” ist eigentlich die Forderung rechter Zyperngriechen nach “Wiedervereinigung” Zyperns mit Griechenland. “Kypros” und “Kibris” sind der türkische und griechische Name der Insel. “Enosis” wird also griechisch-türkisch zur Wiedervereinigung Zyperns gewendet.

Des weiteren gibt es viele kleine Begebenheiten und Erlebnisse.

  • So treffen wir uns mit T… auf ein Bier und einen Tag später mit A… auf einen Kaffee, um wieder mal Kontakt zur queeren Szene zu bekommen.
  • Ich träume mehrfach von dem Hundewelpen, den ich in Hebron erschlagen habe. Wir fanden es auf einer kleinen Müllhalde. Er hatte das Rückgrad gebrochen, konnte weder essen noch trinken und jede Berührung tat ihm weh. Er war am Verenden. Ich habe einen großen Stein genommen, ein Gebet gesprochen, ihn erschlagen und begraben. Mit Wurst und Wasser als Grabbeigaben. – Wenn er mir im Traum erscheint, fühlt sich das nicht schlecht an, sondern warm und gut. Ich habe ihn von seinem Leid erlöst. Egal wo er jetzt ist, es ist ein besserer Ort.

ich bin froh, daß michel den welpen erschlagen hat. ich hätte es auch getan. nichts zu tun, hätte mir das herz über wochen schwer gemacht. von mir bekam er eine zitrone von dem baum, der neben dem eingang vom YAS früchte trug, in einem nest von olivenzweigen von e…’s 2000 jahre alten bäumen ans grab gelegt. es lag noch da, als wir hebron verließen.

  • Wir sehen zwei Ausstellungen, eine über indonesische Dienstmädchen in Hong Kong, wo sich persönliche und gobalisierte Ausbeutung aufs Übelste ergänzen, eine über die enge Verwandschaft und Ähnlichkeit griechisch und türkisch Zyperns.
Ein japanischer Photograph hat jeweils die gleiche Szene zweimal arangiert: einmal im Süden, einmal im Norden. Nur das hier zu sehende Titelbild der Ausstellung ist gemeinsam. Besonders gefällt uns die Katze, die einfach so über die Grenze spaziert.
Am letzten Abend entdecken wir in Nordnikosia dieses Haus: Familie Potemkin – 1. Stock rechts 😉