Mittwoch 4.10.17
Wir beginnen meinen Geburtstag mit einem Brunch in dem Hotel, auf dessen Parkplatz wir genächtigt haben.
Dann geht es auf nach Süden zur Syrischen Grenze. Hier am südlichsten Zipfel der Türkei ist die Welt zuende. Der Grenzübergang ist dicht. Alles ist gespenstisch still und unrealistisch „friedlich“. Auf dem Weg zurück halten wir nach einem Kilometer am letzten Haus vor der Grenze, um noch einmal rüber nach Syrien zu schauen. Der Hausbesitzer lädt uns zu Tee auf seinem Dachgarten ein. Die Verständigung läuft mehr mit Gebärden als mit schlechtem Englisch. Wir lernen einen Teil der Großfamilie kennen, von denen einige aus Latakia (Syrien) geflohen sind. Der Mann der Frau, die den Tee gekocht hat, ist vor 5 Jahren bei einer Explosion umgekommen. Ein Märtyrer (Schahid); ob für oder gegen Assad bleibt unklar.
mich macht diese unrealistische „friedlichkeit“ fertig. ich empfinde einen nicht auf den punkt zu bringenden ärger.
es sieht alles so harmlos aus. und eigentlich sollte nach meinem dafürhalten diese grenze offen sein.
ich möchte menschen sehen, die sich auf die reise ins nachbarland freuen, keine verschlossenen tore.
und doch ist hinter diesen toren kriegszustand. es fühlt sich ganz und gar nicht richtig an.
ich denke an unsere syrischen freunde in deutschland und bin so erleichtert, daß sie bei uns sind.
wunderbar ist es hingegen, wie schnell sich mit fremden menschen eine eigene gestensprache innerhalb eines gespräches entwickelt. zahlen werden mit fingern dargestellt. das streicheln des bauches bedeutet baby oder kinder. hände, die so tun, als bewegten sie ein lenkrad, heißt fahren mit dem auto. und die zeigefinger ausgstreckt mit der handfläche nach unten aneinandergerieben meint freund, freunde, aneinandergetippt verheiratet.
egal, welcher nationalität oder religion: so klappt die verständigung immer.
das tröstet mich über die situation jenseits des grenztores in unserer sichtweite hinweg.
Wir fahren zum zweiten Grenzübergang der Gegend, der in Richtung Aleppo und Idlib liegt. Die Grenze selbst ist gut befestigt. Honecker wäre begeistert: Mauer, Wachtürme, Fußabdruckstreifen, Pufferzone und Hinterlandzaun. Im Gegensatz zum ersten Grenzübergang, der zum von Assads Truppen gehaltenen Gebiet um Latakia führt, führt der zweite Grenzübergang zum von der Freien Syrischen Armee gehaltenen Gebiet um Itlib. Dieser Grenzübergang ist offen. Es fahren LKW vollbeladen mit Hilfgütern rüber und kommen leer zurück. Und im Abstand von einer Viertelstunde kommen zwei türkische Busse aus Syrien herüber. Voll mit Flüchtlingen, die auf unserer Seite schon von ihren Angehörigen erwartet werden.
Was wir nicht sehen sind große Flüchtlingslager. Wir hatten sie erwartet. Aber es gab „nur“ ein paar kleinere Zeltdörfer und Provisorien mit jeweils unter tausend Menschen. Der Großteil der 5 Millionen syrischen Flüchtlinge, die die Türkei aufgenommen hat, scheinen also zumindest übers Land verteilt in einfachen Häusern untergekommen zu sein. Vermutlich in den großen Städten und unter beengtesten und ärmlichsten Bedingungen. Aber wenigstens etwas!
Abends gibt es dann als Schlafplatz eine Kreuzritterburg zwischen Iskenderun und Adana. Hier gibt es wirklich deutlich mehr und deutlich größere Burgen als in Mitteleuropa.