Muslimische Beerdigung & queere Politkneipe

Freitag 13.10.17

Jeden Tag finden nach dem mittäglichen Muezzinruf auf dem großen Friedhof von Nordnikosia die Beerdigungen statt. Und da unser Reinigungsinhaber uns versichert hat, dass es absolut in Ordnung ist, wenn wir der Zeremonie pietätvoll und mit etwas Abstand beiwohnen, machen wir das heute.

Auf dem Friedhof steht vor einer kleinen Moschee, auf einem Tisch ein schlichter grüner Sarg, der offensichtlich wiederverwendbar ist. Nach und nach trifft die Trauergemeinde ein, und der eine oder andere stellt einen Blumenkranz mit Banderole an den Sarg. Dann beginnt mit etwas Verspätung die Zeremonie. Auf mich wirkt sie eher wie ein militärischer Appel, als wie eine Beerdigungszeremonie. Die Trauernden stellen sich wie eine Kompanie in Reih und Glied auf. Gesicht zum Sarg. (Und nach Mekka – aber das kann Zufall sein.) Dann sagt der Hodscha einige offensichtilich liturgische Worte auf die die Gemeinde im Chor antwortet. Das ganze dauert kaum fünf Minuten, dann ist es vorbei. Der Sarg wird zum Leichenwagen getragen und langsam, mit dem Trauerzug dahinter zum offenen Grab gefahren. Dort wird der in ein Leichentuch gewickelte Tote dem Sarg entnommen ins Grab gelegt. Während die engsten Angehörigen noch am Grab weinen, zerstreut sich schon die Trauergemeinde.

Zwar weiß ich, dass es auch die Tradition des Trauersitzens gibt. Aber als sozialisierter Katholik hatte ich mir die Beerdigungszeremonie schon länger und ritualbeladener vorgestellt. Da sind ja protestantische Abschiedsgottesdienste und Beerdigungen ausladender. (Auch wenn ich nicht verstehe, wie aus dem opulenten katholischen Leichenschmaus der norddeutsch protestanische Beerdigungskuchen – diese staubtrockene Kargheit – werden konnte.)

Anschließend holen wir unsere frischgereinigte Wäsche ab, was erneut zu einem guten, informativen Gespräch mit dem Inhaber führt, und besuchen „unser“ Buchcafe.

Abends geht’s dann in eine queere Politkneipe ganz in der Nähe des Grenzüberganges in der Innenstadt. Vermutlich sind der nahe Übergang und die Touristen ein guter Schutz für die Andersliebenden und Andersdenkenden.

Der Laden war uns schon bei unserem ersten Altstadtbummel aufgefallen. Regenbogenfahne auf dem Dach und lauter linkspolitische Plakate im Fenster, wie beispielsweise die Ankündigung eines israelisch-ziypriotisches LGBT-Treffens oder eines antimilitaristisches Konzertes. Letzteres auf Türkisch und Griechisch(!):

Es tut gut mitten in Nordnikosia vor der Kneipe in der lauen Sommernacht zu sitzen (OK, inzwischen ist es so kühl, dass sich bina ein Tuch um die Schultern legt.) und die bunten Pärchen an den Nachbartischen zu sehen. Zwei Lesben liebkosen und küssen sich ganz offen, eine absolut offensichtliche Tunte neckt sich mit anderen Schwulen und eine türkisch-griechisches Paar unterhält sich auf Englisch. – Dass in einer türkischen (Halb-)Stadt so etwas so offen möglich ist, hätten wir nicht gedacht. – Es freut uns und wir glauben zu ahnen, wie schwer es diese kleine qeer-libertäre Gemeinde im komplett durchmilitarisierten, und vermutlich noch recht patriarchalen Nordzypern hat. „Wir wünschen euch viel Kraft und Erfolg sowie möglichst wenig Repression von Staat und Gesellschaft!“